Pferdespringer (Scirtetes jaculus)

[337] Durch die vorzüglichen Beschreibungen von Pallas, Brandt und anderen ist uns namentlich der Pferdespringer (Scirtetes jaculus, Dipus jaculus und Alactaga, Mus saliens, Alactaga und Scirtetes spiculum, decumanus und vexillarius) bekannt geworden. Das Thier hat ungefähr die Größe eines Eichhörnchens: sein Leib ist 18 Centim., der Schwanz 26 Centim. lang; die Ohren haben Kopfeslänge. Der Kopf ist wahrhaft schön und trägt lebhafte, hervorragende Augen mit kreisrunden Sternen, große lange und schmale Ohren von mehr als Kopfeslänge und sehr lange, schwarzgraugespitzte Schnurren, welche sich zu beiden Seiten der Oberlippe in acht Längsreihen ordnen. Die Hinterbeine sind fast viermal so lang als die Vorderbeine. Die Mittelzehe ist am längsten; denn die beiden seitlichen reichen nur bis zum ersten Gliede derselben, und die noch übrigen [337] kommen beim wirklichen Fuße kaum in Betracht, weil sie so hochgestellt und so kurz sind, daß sie beim Gehen nie den Boden berühren, können also mit Fug und Recht Afterzehen genannt werden. An den Hinterfüßen sind die Krallen kurz, stumpf und fast hufartig gestaltet, an den Vorderfüßen lang, gekrümmt und spitzig. Der Pelz ist auf der Oberseite röthlichgelb, mit schwach graulichem Anfluge, auf der Seite und den Oberschenkeln etwas heller, auf der Unterseite und an den Beinen innen weiß. Ein länglicher, fast streifenähnlicher weißer Flecken zieht sich von den oberen Schenkeln bis zum Schwanze, ein ähnlicher verläuft vorn über die Hinterbeine. Der Schwanz ist röthlich gelb bis zur Quaste, diese in der ersten Hälfte schwarz, in der zweiten Spitze weiß, deutlich pfeilartig gezeichnet.

Der Pferdespringer findet sich zwar auch im südöstlichen Europa, namentlich in den Steppen am Don und in der Krim, doch bleibt für ihn Asien die wahre Heimat. Nach Norden hin geht er nicht über den 52. Grad nördlicher Breite hinaus; dagegen erstreckt sich sein Verbreitungskreis nach Osten hin bis in die östliche Mongolei. Bei den Russen heißt er »Semljanoi-Saez« oder »Erdhase«, am Jaik »Tuschkantschick« oder »Häs chen«; die Mongolen und Burjäten gaben ihm den Namen, welchen Cuvier zum Sippennamen erhob, »Alakdaga« oder »Alagdagen«, zu deutsch etwa »buntes einjähriges Füllen«; die Kalmücken nennen ihn »Morin-Jalma« oder »Pferdespringer« und die Tataren endlich »Tya-Jelman« oder »Kamelhase«.


Pferdespringer (Scirtetes jaculus). 2/5 natürl. Größe.
Pferdespringer (Scirtetes jaculus). 2/5 natürl. Größe.

Wie der Djerboa die Wüsten Afrikas, bewohnt der Alakdaga die offenen Ebenen der Steppen Südeuropas und Asiens, namentlich aber lehmigen Boden; den eigentlichen Rollsand vermeidet er, weil dieser nicht hinlängliche Festigkeit für seine Gänge und Höhlen bietet. Er lebt gesellig, wie seine Verwandten, doch nicht in großen Scharen. Bei Tage ruht er verborgen in seinem künstlichen Baue, nach Einbruch der Dämmerung streift er umher, kehrt jedoch, laut Radde, auch des Nachts wiederholt zu seiner Höhle zurück. In seinen Bewegungen ähnelt er den bereits beschriebenen Familiengenossen. Wenn er ruhig weidet, läuft er auf allen Vieren wie ein Känguru, flüchtig geworden, springt er nur auf den beiden Hinterfüßen davon. Die Sätze, welche er ausführt, sollen noch größer sein als die der Wüstenspringmäuse, und er in voller Flucht so schnell laufen, daß das beste Roß ihn nicht einholen kann. Scheu und furchtsam, ergreift er bei der geringsten Gefahr die Flucht; selbst wenn er ruhig weidet, richtet er sich beständig auf, um zu sichern. Wenn er [338] verfolgt wird, hüpft er nicht in gerader Richtung fort, sondern läuft so viel wie möglich im Zickzack davon, bis er seinen Verfolger ermüdet oder irgend eine ihm passende Höhle gefunden hat, in welcher er sich augenblicklich verbirgt. Diese Höhlen rühren meistens von anderen seiner Art her und können ziemlich künstliche Baue genannt werden. Meist einfache, obwohl hin und her gekrümmte Röhren, führen von außen schief nach dem Hauptgange, welcher nicht selten in mehrere Aeste getheilt ist, und dieser zu dem geräumigen Kessel, welcher seinerseits wieder mit einigen Nebenkammern in Verbindung steht. Vom Kessel aus führt in entgegengesetzter Richtung nach oben bis dicht unter die Oberfläche des Bodens ein anderer Gang, die Fluchtröhre; sie wird bei Gefahr vollends durchbrochen und rettet das geängstete Thier auch fast regelmäßig, da keiner der verfolgenden Feinde es wissen kann, in welcher Richtung sie mündet. Eigenthümlich ist die Gewohnheit des Pferdespringers, alle Gänge des Baues zu verstopfen, sobald er denselben betreten hat; aber gerade hierdurch gibt er ein sicheres Merkzeichen seines Vorhandenseins. Denn niemals findet man in einem Baue, dessen Röhren unverschlossen sind, einen Bewohner. Vor der Mündung der Hauptröhre liegt regelmäßig ein größerer oder kleinerer Erdhaufen aufgeschichtet, wie wir dies ja auch bei den meisten Bauen unserer unterirdisch lebenden Thiere sehen. Gewöhnlich bewohnen zwei bis drei Paare einen und denselben Bau, und deshalb finden sich wohl auch die verschiedenen Nebenkammern im Kessel.

Der Alakdaga frißt Pflanzen aller Art und alle Pflanzentheile. Zwiebeln bilden seine Hauptnahrung, Kerbthiere verschmäht er übrigens auch nicht, und ab und zu mag er ebenso eine Steppenlerche oder wenigstens ihre Eier und Jungen verzehren. An Gesträuchen nagt er die Rinde ab, von den saftigen Steppenpflanzen aber frißt er nur die zartesten Triebe.

Das Weibchen wirft im Sommer bis acht, gewöhnlich aber nur fünf bis sechs Junge auf das warme, mit den eigenen Haaren ausgefütterte Lager im Baue. Wie lange diese Jungen bei der Mutter bleiben, weiß man nicht; es ist wahrscheinlich, daß sie bis gegen den Winter hin dieselbe Wohnung mit ihr theilen.

Beim Eintritte strenger Kälte fällt der Pferdespringer in Schlaf. Sein feines Gefühl kündet ihm im voraus kommende Witterung an; denn man bemerkt, daß er auch vor Regenwetter sich in seinem Neste einzuhüllen und zu verbergen sucht. Gegen den Winter hin schließt er nach außen seine Röhren sorgfältiger als gewöhnlich und rollt sich mit anderen seiner Art auf dem weich ausgepolsterten Kessel ein einen Knäuel zusammen, um die unwirtliche Jahreszeit zu verschlafen. Obwohl er noch in kalten Nächten sich zeigt und weit mehr Kälte als seine Verwandten vertragen kann, legt er sich doch, laut Radde, bereits in den ersten Tagen des September zur Winterruhe nieder und erscheint vor der letzten Hälfte des April nicht wieder außerhalb seines Baues.

Der Alakdaga wird ziemlich lebhaft verfolgt, da die Steppenbewohner sein Fleisch besonders lieben. Am eifrigsten scheinen ihm die mongolischen Knaben nachzustellen. Sie unterscheiden die verlassenen und bewohnten Höhlen sehr genau und verstehen es vortrefflich, das behende Thier zu fangen. Zu diesem Ende umzäunen sie den ganzen Bau auf das engste und gießen Wasser in die Fallröhren oder brechen mit einem Pfahle die Gänge auf. Schon beim Beginn der Verfolgung verläßt der Alakdaga seinen Bau und sucht sich durch den verdeckten Gang ins Freie zu retten. Unterläßt man es also, das ganze mit einem Zaune zu umgeben, so ist er gerettet. Ja selbst dann, wenn man ihn schon in der Hand zu haben meint, entrinnt er noch öfters.

In manchen Gegenden glaubt man auch in dem getrockneten und gepulverten Thiere ein wichtiges Heilmittel bei gewissen körperlichen Leiden zu finden; im allgemeinen aber scheint man mit dem anmuthigen Geschöpfe eben nicht auf dem besten Fuße zu stehen. Man behauptet, daß der Pferdespringer den schlafenden Ziegen und Schafen die Milch aus dem Euter sauge, beschuldigt ihn der Feindschaft gegen die Schafe und versichert, daß er nachts die Herden aufsuche, um sie durch tolle Sprünge zu erschrecken, anderer Verleumdungen, welche man ihm aufbürdet, nicht zu gedenken. Nur höchst selten halten die Nomaden jener Steppen einen Alakdaga in Gefangenschaft, obgleich er diese recht gut erträgt. Man hat ihn schon mehrmals lebend in Europa [339] gehabt, und zwar nicht bloß des Vergnügens halber. Sonderbarer Weise verdanken wir die besten Schilderungen seines Gefangenlebens nicht einem Naturkundigen, sondern dem Alterthumsforscher Haym. Um eine Goldmünze aus Cyrene, welche auf der einen Seite einen Reiter, auf der Rückseite aber das berühmte Kraut Sylphium und darunter einen Sandspringer zeigte, zu erklären, verschaffte sich Haym unser Thierchen, hielt es über ein Jahr lang gefangen, beobachtete es sorgfältig und theilte seine Beobachtungen mit.

»Bald setzt er alle vier Füße auf den Boden, bald steht er nur auf den hinteren, immer aber geht er bloß auf den letzteren. Er richtet sich hoch auf, wenn er erschreckt wird, und läuft sehr schnell, fast geradeaus und hüpfend wie die kleinen Vögel. Ich habe versucht, ihm verschiedene Speisen zu geben; die ersten drei oder vier Monate fraß er aber nichts als Mandeln, Pistacien und geschrotenes Korn, ohne jemals zu trinken. Man hatte mir nämlich gesagt, daß er dies nicht thue, und deshalb gab ich ihm auch kein Wasser. Nichtsdestoweniger ließ er viel Harn. Später fand ich, daß er auch Aepfel, Möhren und noch lieber Kräuter fraß, jedoch bloß solche, welche wenig Geruch haben, wie Spinat, Salat, Nesseln usw., niemals Rauten, Krausemünzen, Thymian und dergleichen, ja, er trank auch gern Wasser, obgleich nicht immer. Als er einmal unwohl war, wollte ich ihm Wasser mit Safran geben; das nahm er aber nicht an, obgleich ich ihn sehr nöthigte. Brod, Zucker und ähnliche Dinge fraß er gern, Käse und alle anderen Milchspeisen verschmähte er hartnäckig. Einmal stellte ich ihn auf den rohen Sand, und davon verschluckte er soviel, daß ich ihn wirklich schwerer fand, als ich ihn in die Hände nahm. Schließlich zog er allem übrigen Futter Hanfsamen vor. Er verbreitete gar keinen üblen Geruch wie ähnliche Thiere, als Mäuse, Eichhörnchen und Kaninchen, dabei war er so sanft, daß man ihn mit aller Sicherheit in die Hände nehmen konnte; denn er biß niemals. Furchtsam wie ein Hase, scheute er sich selbst vor kleineren, unschuldigen Thieren. In der kalten Jahreszeit litt er viel; deshalb mußte ich ihn im Winter immer in der Nähe des Feuers halten. Jedoch glaube ich, daß mein Thierchen lange gelebt haben würde, wäre es nicht zufällig getödtet worden.«

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 337-340.
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