2. Sippe: Kammratten (Ctenomys)

[442] Von Südbrasilien bis zur Magelhaenstraße hinab dehnen die Kammratten (Ctenomys) ihre Heimat aus. Sie ähneln noch entfernt den Strauchratten; die kleinen Augen und die noch viel kleineren, fast im Pelze versteckten Ohren aber deuten auf ein unterirdisches Leben hin. Der Körper ist gedrungen und walzenförmig, der Hals kurz und dick, der Kopf ebenfalls kurz, stumpfschnauzig, der Schwanz kurz, dick und stumpfspitzig. Die Beine sind kurz und die fünf Zehen der Füße mit tüchtigen Scharrkrallen bewehrt. Das Haarkleid liegt glatt an, ist kurz an dem Kopfe, etwas länger an dem Körper; seine Grannenhaare treten einzeln aus dem Pelze hervor.

[442] Eigenthümlich ist das Vorkommen derartiger Mäuse in einem Höhengürtel der Kordilleren, wo der Pflanzenwuchs gänzlich aufgehört zu haben scheint. Tschudi berichtet, daß ihn in den gänzlich pflanzenlosen Wüsten einzelner Hochebenen der Kordilleren die vielen tausend Löcher von Kammratten in Erstaunen gesetzt haben. »Ich sah«, sagt er, »nur von zweien dieser Löcher flüchtig ihre Bewohner und kann daher die Art nicht bestimmen. Wovon mögen sich wohl diese Thiere hier nähren? Trotz langen Nachdenkens konnte ich diese Frage nicht genügend beantworten. Ich glaube, sie halten einen Winterschlaf, und der Sommer ruft eine spärliche Pflanzenwelt hervor, welche ihnen während einiger Monate ihre Nahrung liefert. Aber dieser Ansicht ist entgegengesetzt, daß andere Reisende, namentlich Philippi, die Wüste in Sommermonaten bereist haben und sie an Stellen, wo die Erde von Kammratten wie ein Sieb durchlöchert war, ebenso dürr, sandig und ohne den geringsten Pflanzenwuchs fanden, wie ich sie im Winter getroffen habe.


Tukotuko (Ctenomys magellanicus). 1/2 natürl. Größe.
Tukotuko (Ctenomys magellanicus). 1/2 natürl. Größe.

Sollte vielleicht hier ein unterirdischer Pflanzenwuchs vorkommen, welcher sich bisher dem Auge des Forschers entzogen hat? Die hunderttausende dieser Nager brauchen immerhin eine erkleckliche Menge von Nahrung; denn sie sind nicht klein und wahrscheinlich, wie alle Mitglieder ihrer Ordnung, sehr gefräßig. Sie ziehen auch nicht auf große Entfernungen auf die Aesung, wie z.B. ein Rudel Huanakos; denn eine solche, bei Nagern auffallende Lebensweise, wäre sicherlich von den wüstenkundigen Indianern beobachtet worden, und es wäre auch nicht einzusehen, warum sich diese Thiere ihre Löcher nicht auf den Futterplätzen selbst oder in deren unmittelbarer Nähe graben sollten, wenn sie andere hätten als die, welche sie eben bewohnen. Ihre Vermehrung dürfte, wie überhaupt bei den Mäusen, eine sehr große sein, und ich kenne keinen anderen Feind von ihnen in der Wüste als etwa einen Raubvogel, welcher hin und wieder eines dieser Thiere fangen mag. Die Lebensweise der Kammratten also ist noch ein ungelöstes Räthsel, deren es in der Wüste so manche gibt.«

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 442-443.
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