Caguare (Myrmecophaga tridactyla)

[525] Unter den übrigen Ameisenbären, welche Baumthiere sind, ähnelt der Caguare der Guaraner (Myrmecophaga tridactyla, M. Tamandua, bivittata, nigra, myosura, ursina und crispa, Tamandua tetradactyla und bivittata) den geschilderten Verwandten am meisten, wirb aber trotzdem als Vertreter einer besondern Untersippe (Tamandua) angesehen, weil er an den Vorderfüßen fünf, an den Hinterfüßen vier Zehen hat, und sein Schwanz ein Greifschwanz ist. Wie uns Azara belehrt, bedeutet das Wort Caguare »Stänker des Waldes«, und diese Bezeichnung soll keineswegs aus der Luft gegriffen sein. Die Spanier nennen ihn »kleinen Ameisenbär«, die Portugiesen »Tamadua.« Das Thier bewohnt so ziemlich dieselben Länder wie das vorige, reicht aber bis Peru hinüber. Seine Länge beträgt etwa 1 Meter, wovon ungefähr 60 Centim. auf den Leib kommen; die mittlere Höhe wird auf 30 bis 35 Centim. angegeben: der Caguare erreicht demnach kaum die Hälfte seines geschilderten Verwandten. Er ist, obgleich er mit ihm bis auf den Schwanz viel Aehnlichkeit hat, fast noch häßlicher als dieser. Sein Kopf ist verhältnismäßig nicht so gestreckt, auch nicht in eine so lange Schnauze auslaufend, der Oberkiefer länger als der untere, der Hals groß, der Rumpf breit, die Ohren sind eiförmig und vom Kopfe abstehend; die Füße ähneln denen des Ameisenfressers, die Nägel der Vorderfüße sind 2,5 und 5 Centim. lang, der Länge nach gebogen und an den Seiten zusammen gedrückt, die der Hinterfüße kürzer, unter sich gleich lang und wenig gebogen. Der dicke, walzenförmige, muskelkräftige Wickelschwanz läuft stumpf nach der Spitze zu. Gerade, steife, rauh anzufühlende, glänzende Borstenhaare überdecken die Wollhaare, welche an Rauhigkeit den ersteren kaum etwas nachgeben und sich nur durch schwache Kräuselung unterscheiden. Die einen und die anderen haben fast dieselbe Länge; am Kopfe sind sie kurz, am übrigen Körper etwa 8 Centim. lang. Am obern Ende des Schulterblattes bildet die Behaarung einen Wirbel, so daß die Haare vor dem Schulterblatte mit den Spitzen nach vorn, hinter demselben nach hinten stehen. Ihre Färbung ist am Kopfe mit Ausnahme [525] eines schwarzen Ringes ums Auge, ferner auf dem Nacken, Rücken, bis an das Kreuz, am Halse, an der Brust, an den Vordergliedern, von der Mitte des Oberarmes und an den hinteren vom Kniegelenk an, sowie an den hinteren Theilen weißlichgelb; ein schwarzer Streifen zieht sich vom Halse aus rückwärts über die Schultern und die Seiten des Körpers und nimmt so rasch an Breite zu, daß er an den Seiten und den Hinterschenkeln bereits die vorherrschende Farbe bildet. Die Färbung wird übrigens bloß durch die Spitzen der Haare hervorgebracht, denn die Wurzeln haben lichtgraulich gelbe Färbung. Die Spitze der Schnauze, die Lippen, Augenlieder und Fußsohlen sind nackt und von schwarzer Farbe, die Ohren und der Schwanz nur dünn behaart. Junge Thiere sind durchaus weißlichgelb und nehmen erst im zweiten und dritten Jahre allgemach die Färbung der erwachsenen an.


Tamandua (Myrmecophaga tridactyla). 1/3 natürl. Größe.
Tamandua (Myrmecophaga tridactyla). 1/3 natürl. Größe.

Aber auch unter diesen finden sich Abänderungen: der schwarze Ring um die Augen fehlt, die sonst weißlich gelben Theile sind graulich oder röthlich gelb usw.

Bis jetzt haben wir noch wenig über das Leben dieses merkwürdigen Geschöpfes erfahren können. In Paraguay und Brasilien lebt der Caguare überall in den einsamen, bewaldeten Gegenden, gern am Saume der Wälder und in Gebüschen, manchmal nahe an den Wohnungen der Menschen. Er hält sich nicht bloß auf dem Boden auf, sondern besteigt ebenso geschickt die Bäume, obgleich dies, wie bei den Faulthieren, ziem lich langsam vor sich geht; dabei versichert er sich, wie die echten Wickelschwänzler, sorgfältig mit dem Schwanze, auch im Sitzen. Sein Gang ist zwar etwas schneller als der des Yurumi, aber doch immer noch sehr langsam, wie er überhaupt als träges, stumpfsinniges Thier gelten muß. Um zu schlafen, legt er sich auf den Bauch, befestigt sich mit dem Schwanze, legt den Kopf mit der Schnauze gegen die Brust und deckt ihn ganz mit seinen beiden vorderen Armen zu. Seine Nahrung besteht, wie die des Yurumi, vorzugsweise aus Ameisen, und zwar hauptsächlich aus solchen, welche auf Bäumen leben. Prinz von Wied fand in seinem Magen nur Termiten, Ameisen und deren Puppen, glaubt aber, daß er vielleicht auch Honig fresse. Verschluckte Erde und Holzstückchen findet man ebenfalls unter der von ihm aufgenommenen Nahrung. Eine Stimme hört man selten oder nie von ihm. Das Weibchen soll im Frühjahre ein Junges werfen und dieses lange auf dem Rücken mit sich umher tragen.

[526] Eine Ergänzung des Vorhergehenden verdanken wir Hensel. »Viel häufiger als der große Ameisenbär ist die Tamandua; doch habe ich sie nur am Saume des Urwaldes gefunden. Im Innern desselben ist sie mir nicht vorgekommen, und ebensowenig habe ich sie auf den freien Campos fern von Wäldern angetroffen. Mehrere der von mir gesammelten Stücke sind von hohen Bäumen herabgeschossen worden. Vor einem Feinde sucht sich dieser Ameisenbär stets zurückzuziehen, wenn auch ohne besondere Eile. Wird er von einem Menschen oder Hunde eingeholt, so richtet er sich auf seinen Hinterbeinen auf, wie ein Bär thut, und erwartet murmelnd den Gegner; allein er umarmt ihn niemals. Seine Hand besitzt außer den großen, gebogenen und spitzen Krallen noch einen sehr entwickelten hornharten Ballen: mit jenen Krallen nun ergreift er blitzschnell den Gegner, indem er ihn zugleich gegen den Ballen drückt. Ich habe gesehen, wie ein noch nicht einmal erwachsener Tamandua zwei große Hunde wehrlos machte, indem er den einen an der Nase, den andern an der Oberlippe gepackt hatte und sie so, zwischen beiden aufrecht stehend, mit ausgebreiteten Armen von sich abhielt. In einem solchen Falle pflegt der Jäger dem tapferen Thiere, um es zum Loslassen zu bewegen, die Sehnen am Handgelenke zu durchschneiden. Die unsinnige Mordlust der Brasilianer richtet sich auch gegen dieses harmlose und nützliche Thier. Es ist dem Brasilianer durchaus unmöglich, wenn er einer Tamandua ansichtig wird, nicht von seinem Pferde abzusteigen, jener den Kopf mit seinem großen Messer zu spalten und den Leichnam den Aasgeiern zum Fraße liegen zu lassen. Er thut es schon, um die Wucht und Schärfe seines Messers zu erproben.«

Auch die Tamandua ist in der Neuzeit einige Male lebend nach Europa, und zwar nach London gebracht worden. Dem ersten Stücke stellte Bartlett sein Zimmer zur Verfügung, um die Bewegungen des Thieres zu beobachten. Mit den mächtigen hakenförmigen Klauen und mit Hülfe des Greifschwanzes kletterte es rasch auf die verschiedenen Gegenstände des Hausrathes und sprang, indem es zutraulicher wurde, von hier aus zuletzt auf Bartlett's Schulter, die spitzige Schnauze und die lange wurmförmige Zunge in alle Falten der Kleidung seines Pflegers steckend und dessen Ohren, Nase und Augen in nicht eben angenehmer Weise untersuchend. Nahte sich später ein Besucher, so kam der Ameisenfresser rasch an die Vorderseite des Käfigs und ließ seine forschende Zunge flüchtig über die an die Stangen des Käfigs gehaltene Hand gleiten; doch mußte man sich hüten, seine Finger von den Klauen fassen zu lassen. Die Nahrung, welche man reichte, bestand aus Milch, in welcher süßer Zwieback eingeweicht war, und kleingehacktem Fleische. Dabei befand sich das Thier wohl und munter.

Eigenthümlich ist der starke moschusähnliche Geruch, welchen die Tamandua verbreitet, zumal wenn sie gereizt wird. Er durchdringt das Fleisch und macht es für Europäer ganz ungenießbar; dennoch essen es die Indianer und Neger, welche, um den Braten zu er langen, Schlagfallen in den Wäldern aufstellen. Die portugiesisch-brasilianischen Jäger bereiten sich aus dem starken Felle Regenkappen über ihre Gewehrschlösser.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 525-527.
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