Zwergameisenfresser (Myrmecophaga didactyla)

[527] Der Zwerg- oder zweizehige Ameisenfresser (Myrmecophaga didactyla, Myrmidon oder Cyclothurus didactylus), Vertreter der letzten Untersippe der Familie, ein Thierchen von der Größe des Eichhörnchens, ist ungefähr 40 Centim. lang, wovon der Wickelschwanz 18 Centim. wegnimmt. An den Vorderfüßen sitzen vier, an den hinteren fünf Zehen. Der seidenweiche Pelz ist oben fuchsroth und unten grau; die einzelnen Haare sind unten graubraun, oben schwarz, an der Spitze gelbbraun. Abänderungen in der Färbung sind beobachtet worden. Der innere Leibesbau unterscheidet sich nicht unwesentlich von den übrigen Verwandten.

Obgleich auch der Zwergameisenfresser noch ziemlich plump gebaut ist, darf man ihn doch ein nettes, besonders durch die Schönheit seines Felles ausgezeichnetes Geschöpf nennen. Sein Verbreitungskreis ist beschränkt. Man kennt ihn bisher bloß aus dem nördlichen Brasilien und [527] aus Peru, demnach aus Gegenden, welche zwischen dem 10. Grade südl. und dem 6. Grade nördl. Br. liegen. Im Gebirge steigt er zuweilen bis zu 600 Meter über das Meer empor. Er ist fast überall selten oder wird nicht häufig gefunden. Die dichtesten Wälder bilden seinen Aufenthalt, und hier entgeht er durch seine geringe Größe nur allzuleicht dem suchenden Blicke des Jägers und somit der Beobachtung. Wie seine übrigen Verwandten lebt er einsam, höchstens während der Paarung mit einem Weibchen vereinigt. Als vollendetes Nachtthier verschläft er den Tag im Gezweige der Bäume. Seine Bewegungen sind unbeholfen, langsam und abgemessen; doch klettert er geschickt, wenn auch vorsichtig und immer mit Hülfe des Schwanzes. Ameisen, Termiten, vielleicht auch Bienen und deren Larven bilden seine Nahrung; möglicherweise verzehrt er noch andere kleine Kerbthiere, welche auf Bäumen wohnen. Wenn er einen größeren Fang gethan hat, soll er sich, wie das Eichhörnchen, aufrichten und die Beute mit den Vorderkrallen zum Munde führen. Bei Gefahr sucht er sich nach Möglichkeit zu vertheidigen, seine geringe Stärke kann ihn aber nicht einmal gegen schwächere Feinde schützen: er erliegt selbst den Angriffen mittelgroßer Eulen. Ueber die Fortpflanzung ist nichts bekannt. Die Indianer sollen ihn erlegen, um sein Fleisch zu verwerthen. Ein gefangener Zwergameisenbär wurde von Bates kurze Zeit beobachtet. Das Thierchen war von einem Indianer in einer Baumhöhlung gefunden worden, in welcher es bewegungslos gehangen hatte. So lange man es nicht reizte, verharrte es in einer und derselben Stellung, nach Art eines Faulthieres aufgehängt, gereizt hielt es sich mit Schwanz und Hinterfüßen fest und versuchte sich mit den Vorderfüßen nach Art einer Katze zu wehren.


Zwergameisenfresser (Myrmecophaga didactyla). 1/4 natürl. Größe.
Zwergameisenfresser (Myrmecophaga didactyla). 1/4 natürl. Größe.

Auch während der Nacht verblieb es in derselben Stellung, welche ihm Bates am Morgen gegeben hatte. Am nächsten Tage wurde der Zwergameisenbär auf einen Baum des Gartens gebracht, in der folgenden Nacht aber war er verschwunden.

Die Schuppenthiere (Manididae) sind geharnischte Ameisenbären, die zwischen beiden Gruppen bestehenden Unterschiede aber doch gewichtige und durchgreifende, so daß es gerechtfertigt erscheint, erstere in einer besondern Unterfamilie zu vereinigen. Der Leib aller in diese Gruppe [528] gehörigen Thiere ist auf der Oberseite mit großen plattenartigen Hornschuppen bedeckt, welche dachziegelartig oder besser wie die Schilder eines Tannenzapfens über einander liegen.


Geripp des Pangolin. (Aus dem Berliner anatomischen Museum.)
Geripp des Pangolin. (Aus dem Berliner anatomischen Museum.)

Diese Bedeckung, das hauptsächlichste Kennzeichen der Unterfamilie, ist einzig in ihrer Art; denn die Schilder der Gürtelthiere und Gürtelmäuse erinnern nur entfernt an jene eigenthümlichen Horngebilde, welche eher mit den Schuppen eines Fisches oder eines Lurches verglichen werden mögen als mit irgend einem andern Erzeugnis der Oberhaut eines Säugethieres.

Zur genauern Kennzeichnung der Schuppenthiere mag folgendes dienen. Der Leib ist gestreckt, der Schwanz lang, der Kopf klein, die Schnauze kegelförmig zugespitzt, Vorder- und Hinterbeine sind kurz, ihre Füße fünfzehig und mit sehr starken Grabkrallen bewehrt. Nur an der Kehle, der Unterseite des Leibes und an der Innenseite der Beine fehlen die Schuppen, während der ganze übrige Theil des Leibes in den Harnisch eingehüllt wird. Alle Schuppen, welche mit der einen Spitze in der Körperhaut haften, sind von rautenförmiger Gestalt, an den Rändern sehr scharf und dabei ungemein hart und fest. Diese Anordnung ermöglicht eine ziemlich große Beweglichkeit nach allen Seiten hin; die einzelnen Schuppen können sich ebensowohl seitlich hin- und herschieben, wie der Länge nach aufrichten und niederlegen. Zwischen den einzelnen Schuppen und an den freien Stellen des Körpers stehen dünne Haare, welche sich jedoch zuweilen am Bauche gänzlich abreiben. Die Schnauze ist schuppenlos, aber mit einer festen, hornartigen Haut überdeckt. Der innere Leibesbau erinnert lebhaft an den der Ameisenfresser. Der Kiefer ist vollkommen zahnlos. Vierzehn bis neunzehn Wirbel tragen Rippen, fünf sind rippenlos, drei bilden das Kreuz und vierundzwanzig bis sechsundvierzig den Schwanz; die Rippen sind breit, und ihre Knorpel verknöchern im Alter fast vollständig; das Brustbein ist breit. Die Backenknochen sind sehr stark, die Handknochen besonders kräftig. Ein eigener breiter Muskel, welcher wie bei dem Igel unter der Haut liegt und sich zu beiden Seiten der Wirbelsäule hinabzieht, vermittelt die Zusammenrollung oder Kugelung des Körpers. Die Zunge ist noch ziemlich lang und ausstreckbar; außerordentlich große Speicheldrüsen, welche fast bis zum Brustbein herabreichen, liefern ihr den nöthigen Schleim zur Anleimung der Nahrung.

Wir können die Lebensweise aller Schuppenthiere in einem schildern, weil wir über das Treiben und Wesen derselben noch so wenig wissen, daß uns die Eigenthümlichkeiten des Lebens der einen und der andern Art kaum auffallen. Mittelafrika und ganz Südasien sowie einige Inseln des Indischen Archipels sind die Heimat dieser sonderbaren Thiere; Steppen und Waldgegenden in Gebirgen wie in Ebenen bilden ihre Aufenthaltsorte. Wahrscheinlich wohnen alle in selbstgegrabenen Höhlen, einsam und ungesellig wie ihre Verwandten, bei Tage verborgen, bei Nacht umherschweifend. In Kordofân fand ich die Baue des Abu-Khirfa der Araber in großer Anzahl; doch nur einmal gelang es uns, ein Schuppenthier zu erhalten. Bei weitem die meisten Höhlen waren unbewohnt, woraus hervorgehen dürfte, daß auch die Schuppenthiere wie die Ameisenfresser oder Gürtelthiere mit Anbruch des Tages eine neue Höhle sich graben, wenn es ihnen zu weit und unbequem ist, in[529] die alte zurückzukehren. Wie man an Gefangenen beobachtete, schlafen sie bei Tage in zusammengerollter Stellung, den Kopf unter dem Schwanze verborgen. Mit Anbruch der Dämmerung erwachen sie und streifen nun nach Nahrung umher. Der Gang ist langsam und höchst eigenthümlich. Das Schuppenthier geht nicht auf allen Vieren, sondern bloß auf den beiden Hinterfüßen, streckt den stark gekrümmten Körper fast wagerecht nach vorwärts, senkt den Kopf zur Erde nieder, läßt die Vorderbeine hängen, daß die Krallen fast die Erde berühren, und stützt sich hinten mit dem Schwanze auf. Oft wird letzterer nicht einmal benutzt, sondern gerade ausgestreckt oder selbst mit der Spitze nach oben gekrümmt getragen; aber dennoch bleibt das Thier immer im Gleichgewichte. Bisweilen richtet es beim Gehen den Körper senkrecht in die Höhe, um sich weiter umzuschauen. Alle Bewegungen sind langsam und werden bloß manchmal durch einige schnelle, aber ungeschickte Sprünge unterbrochen; gleichwohl sind diese trägen Thiere im Stande zu klettern, wenigstens beobachtete dies Tennent an dem Pangolin der Malaien. »Ich hatte«, sagt er, »immer geglaubt, daß der Pangolin ganz unfähig wäre, Bäume zu besteigen, wurde aber von meinem zahmen eines bessern belehrt. Auf seiner Ameisenjagd bestieg er häufig die Bäume in meinem Garten und kletterte ganz geschickt mit Hülfe der kralligen Füße und des Schwanzes, vermittels dessen er den Baum in schiefer Richtung faßte.« Auch ein Schuppenthier, welches Burt beobachtete, wollte immer an den Wänden emporklettern. Von anderen Reisebeschreibern erfahren wir, daß das Thier geradezu die etwas gesträubten Schuppen des Schwanzes benutzt, um sich an die Rinde der Bäume anzustemmen. »Um die Lebensweise zu beobachten«, schreibt mir Haßkarl, »habe ich mir auf Java mehrmals Schuppenthiere gekauft, sie aber niemals lange besessen, weil mir kein passender Raum zu ihrer Unterbringung zur Verfügung stand und ich sie, nach Art der Eingeborenen, mittels einer Schnur an einer ihrer Schuppen befestigen und an einem Baume anbinden mußte. Auf letzern kletterten sie sehr schnell und geschickt; sie müssen aber auch auf dem Boden gut fortkommen können, weil ich diejenigen, welche mit Verlust ihrer durchbohrten Schuppen entflohen, niemals wieder zu erlangen vermochte.«

Eine Stimme hat man von Schuppenthieren noch nicht gehört; der einzige Laut, den man vernommen, bestand in einem Schnarren. Gesicht und Gehör scheinen sehr schwach entwickelt zu sein, und der Geruch ist wohl auch nicht besonders, wenn auch dieser Sinn das Thier bei seiner Jagd leitet. Ueber die Fortpflanzung weiß man nur so viel, daß das Weibchen ein einziges Junges in seiner Höhle wirft, welches etwa 30 Centim. lang und gleich bei der Geburt beschuppt ist; doch sind die Schuppen weich und namentlich gegen die Schnauzenspitze hin nur wenig entwickelt. Swinhoe erhielt eine Familie, welche aus beiden Alten und drei Jungen bestand; es geht also hieraus hervor, wie geringes Gewicht auf die älteren Angaben gelegt werden darf, und wie wenig die Fortpflanzungsgeschichte der merkwürdigen Thiere noch beobachtet worden ist.

Die Gefangenschaft können die Schuppenthiere längere Zeit bei geeigneter Pflege ertragen. Sie gewöhnen sich auch so ziemlich leicht an Milch, Brod, ja selbst an Getreidekörner, wenn auch Kerbthiere immer ihre Lieblingsnahrung bleiben. Das Fleisch wird von den Eingebornen gegessen und als wohlschmeckend gerühmt, der Panzer von diesem und jenem Volksstamme zum Schmucke verschiedener Geräthschaften verwendet; die Schuppen gelten bei verschiedenen innerafrikanischen Völkerschaften als Zaubermittel oder Talismane und dienen den Chinesen in der Heilkunde zu allerlei Quacksalbereien. Hier und da klagt man über den Schaden, welchen Gürtelthiere durch Unterwühlen von Nutzpflanzen verursachen; im allgemeinen aber machen sich die harmlosen Geschöpfe durch Aufzehren von Ameisen und Termiten nur verdient um das Besitzthum des Menschen.

Man hat die Gruppe der Gürtelthiere, so übereinstimmend auch die verschiedenen Arten gebaut sind, in Sippen und Untersippen getheilt und zur Begründung derselben Eigenthümlichkeiten der Beschup pung und andere untergeordnete Merkmale hervorgehoben, ohne jedoch durchgreifende Unterschiede aufstellen zu können.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 527-530.
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