Steppenschuppenthier (Manis Temminckii)

[534] Das wichtigste Merkmal der Breitschwanzschuppenthiere (Phatages) ist der verhältnismäßig kurze, breite, an der Spitze mehr oder weniger stumpf abgerundete Schwanz, der Vertreter dieser Gruppe das Steppenschuppenthier (Manis Temminckii, Phatages und Smutsia Temminckii, Ph. Hedenborgii). Das Thier wurde von dem Reisenden Smuts zuerst in der Nähe von Lattaku, dem nördlichsten Sitze der englischen Missionäre am Kap, aufgefunden und von Smith mit großer Genauigkeit in seinen Beiträgen zur südafrikanischen Thierkunde beschrieben. In der Größe und Gestalt ähnelt es am meisten dem indischen Verwandten. Der Schwanz, welcher fast die Länge des Körpers erreicht, nimmt erst gegen das Ende zu ab, wo er sich plötzlich abrundet und abstutzt. Der Rumpf ist breit und der Kopf kurz und dick. Eiförmige Schuppen bedecken den Kopf, sehr große, an der Wurzel sein längsgefurchte, an der Spitze glatte, ordnen sich am Rücken in elf bis dreizehn, am Schwanze in fünf und hinten in vier Reihen. Die Mittelreihe zählt am Kopfe neun, am Rücken dreizehn und am Schwanze sechs Schuppen. Auch auf der untern Seite des Schwanzes liegen zwei Reihen dieser Horngebilde. Ihre Färbung ist ein blasses Gelblichbraun, die Spitze lichter, oft mit einem länglichen, gelben Strich umrandet. Die nackten Theile sind dunkelbräunlich, die Augen röthlichbraun. Die Schnauzenspitze ist schwarz. Erwachsene Männchen erreichen eine Gesammtlänge von ungefähr 80 Centim., wovon der Schwanz etwa 30 Centim. wegnimmt.

Der Abu-Khirfa oder »Rindenvater«, wie die Nomaden Kordofâns das Steppenschuppenthier nennen, findet in den termitenreichen Steppen Afrikas hinlängliche Nahrung und erwünschte Einsamkeit. Erdlöcher bilden seine Wohnungen; doch gräbt es sich niemals so tief ein wie das Erdferkel. Wie dieses ein Nachtthier, kommt es erst nach Einbruch der Dämmerung zum Vorscheine, [534] ist weder behend noch flüchtig und vermag nicht, gegen Feinde sich zu vertheidigen. Ameisen, Termiten, Heuschrecken, Käfer, vielleicht auch Würmer, bilden seine Nahrung. Das einzige (?) Junge, welches es wirft, kommt schon völlig beschuppt zur Welt; doch sind die Schuppen noch weich und gegen die Schwanzspitze hin wenig entwickelt. Die Nomaden jagen es nirgends, und deshalb ist es schwer, es zu erhalten. Ein uns gebrachtes Stück, und zwar ein vollkommen erwachsenes Männchen, war von einem Türken zufällig erlegt worden, als es aus seiner Höhle kam. Der durch die sonderbare Erscheinung aufs höchste überraschte Osmane hatte nichts eiligeres zu thun, als mit seinem Säbel einen fürchterlichen Hieb auf den Panzer des Ungeheuers zu führen und mußte zu noch größerer Ueberraschung bemerken, daß dieser Hieb kaum eine Wirkung geäußert hatte. Wir fanden nur den dritten Theil einer Schuppe abgehauen und einige andere etwas verletzt.


Steppenschuppenthier (Manis Temminckii). 1/6 natürl. Größe.
Steppenschuppenthier (Manis Temminckii). 1/6 natürl. Größe.

Ein den Türken begleitender Araber tödtete das ihm bekannte Wesen mit einem einzigen Schlage auf den Kopf und hing es dann als Siegeszeichen an das Pferd seines Herrn, welcher sich ein Vergnügen daraus machte, seine Beute uns als Geschenk zu übergeben.

Später sah ich das merkwürdige Geschöpf lebend bei einem Kaufmann in Chartum, welcher es mit Milch und Weißbrod ernährte. Es war vollkommen harmlos wie seine übrigen Sippschaftsverwandten; man konnte mit ihm machen, was man wollte. Bei Tage lag es zusammengerollt in irgend einer Ecke, nachts kam es hervor und fraß, indem es die Zunge wiederholt in die Milch eintauchte und schließlich auch das Weißbrod anleimte. Ein Steppenschuppenthier, welches Heuglin gefangen hielt, war sehr reinlich und eifrig bemüht, seinen Unrath immer sorgfältig zu verbergen. Ehe es seinem Bedürfnisse genügte, grub es nach Art der Katzen jedesmal ein Loch und deckte dies dann sorgfältig mit Erde wieder zu. In der Mittagszeit schwitzte es außerordentlich stark und verbreitete dann einen höchst unangenehmen Geruch. Mit Läusen und Flöhen war es sehr geplagt; denn es konnte diesen Schmarotzern nirgends beikommen und machte oft die allersonderbarsten Anstrengungen, um sich von den lästigen Gästen zu befreien. Seine Kost bestand in Milch, Eiern und Merísa, einem dicken, bierartigen Getränke der Innerafrikaner.

Nach Heuglins Angaben bewohnt das Steppenschuppenthier eine selbstgegrabene Höhle, welche jedoch minder tief ist als die des Erdferkels. Hier schläft es über Tags in zusammengerollter [535] Stellung, wobei es den Kopf unter dem Schwanze verbirgt. Gewöhnlich geht es nur auf den Hinterfüßen, ohne mit dem sehr beweglichen Schwanze den Boden zu berühren, ist auch im Stande, den Oberkörper fast senkrecht in die Höhe zu richten. Weder rasch noch behend, vermag es seinen Feinden durch die Flucht nicht zu entkommen, und wehrlos, wie es ist, bleibt ihm nur das eine Mittel übrig, angegriffen sich zu einem festen Knäuel zusammenzurollen und sich so dem Gegner preis zu geben, in der Hoffnung, daß es sein fester Panzer genügend vor Zahn und Klaue schützen werde. Seine Nahrung besteht aus verschiedenen Ameisenarten, Käfern und Heuschrecken; nach Aussage der Eingeborenen soll es jedoch auch Durrah oder Kafferhirse fressen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 534-537.
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