Zweite Familie: Gürtelthiere (Dasypodina)

[498] Die Gürtelthiere (Dasypodina) sind, wie die Faulthiere, eine verkommene Familie. Im Vergleiche zu dem, was in der Vorzeit sie waren, kann man sie höchstens Zwerge nennen. Das Glyptodon oder Riesengürtelthier erreichte die Größe des Nashorns, dieser und jener Vertreter anderer Sippen wenigstens des Umfang des Ochsen, während in der Jetztzeit die Gürtelthiere im ganzen höchstens 11/2 Meter, ohne Schwanz aber nur 1 Meter lang werden. Alle Gürtelthiere sind plumpe Geschöpfe mit gestrecktem, langschnäuzigem Kopfe, großen Schweinsohren, langem, starkem Schwanze und kurzen Füßen, welche sehr starke Grabklauen tragen. Ihren Namen haben sie von der eigenthümlichen Beschaffenheit ihres Panzers; derselbe ist nämlich durch die, mitten[498] auf dem Rücken aufliegenden Gürtelreihen besonders ausgezeichnet und unterscheidet sich gerade durch die Reihenordnung der Schilder von dem Schuppenkleide anderer Säugethiere. Die mittelsten Gürtel, welche zur Unterscheidung der Arten dienen, obgleich sie auch bei einer und derselben Art nicht immer in gleicher Anzahl vorkommen, bestehen aus länglich viereckigen Tafeln, während das Schulter- und Kreuzschild aus Querreihen vier- oder sechseckiger Platten gebildet wird, zwischen denen sich kleine unregelmäßige Platten einschieben. Auch der Scheitelpanzer ist aus meist fünf- oder sechseckigen Schildchen zusammen gesetzt.


Geripp des Gürtelthieres. (Aus dem Berliner anatomischen Museum.)
Geripp des Gürtelthieres. (Aus dem Berliner anatomischen Museum.)

Unsere Thiere tragen übrigens nur auf ihrer Oberseite einen Panzer; die Unterseite ihres Leibes wird von gröberen oder feineren borstenartigen Haaren bedeckt, und solche Borsten treten auch überall zwischen den Schildern hervor.

Der innere Leibesbau zeigt manches eigenthümliche. Die Rippen, deren Anzahl zwischen zehn und zwölf schwankt, haben außerordentliche Breite und berühren sich bei manchen Arten gegenseitig. In der Wirbelsäule verwachsen oft die Halswirbel, mit Ausnahme des Atlas und Epistropheus, mehr oder weniger mit einander. Die Anzahl der rückenlosen Wirbel schwankt zwischen eins und sechs; das Kreuzbein besteht aus acht bis zwölf, und der Schwanz aus sechszehn bis einunddreißig Wirbeln. Bemerkenswerth ist ferner die Stärke der Gliedmaßenknochen und Zehen. Das Gebiß ändert so ab, daß man nach ihm mehrere Unterfamilien gebildet hat. Bei keiner einzigen Familie schwankt die Anzahl der Zähne so außerordentlich wie bei den Gürtelthieren. Einige Arten haben so viele Zähne, daß der Name Zahnarme für sie nur dann nicht unverständlich wird, wenn man festhält, daß der Zwischenkiefer immer zahnlos ist, oder wenn man die Bedeutungslosigkeit der Zähne erwägt. Man hat bis jetzt kaum mit hinreichender Sicherheit feststellen können, wie viele Zähne dieses oder jenes Gürtelthier eigentlich besitze; denn auch innerhalb derselben Art schwankt die Anzahl erheblich. Im allgemeinen läßt sich sagen, daß diese Anzahl nie unter acht in jeder Reihe beträgt und bis sechsundzwanzig in der einen und vierundzwanzig in der andern Reihe steigen kann, wodurch dann ein Gebiß von sechsundneunzig bis hundert Zähnen gebildet wird. Hier kann man allerdings nicht von Armut reden; allein die Werthlosigkeit dieser Unmasse ist so groß, daß sie eigentlich aufgehört haben, Zähne zu sein. Sie haben die Form seitlich zusammengedrückter Walzen, besitzen keine echten Wurzeln, sind nur von einer dünnen Schmelzschicht umgeben und ändern auch in der Größe außerordentlich ab. Gewöhnlich nehmen sie vom ersten bis gegen den mittelsten hin an Größe zu und dann wieder nach hinten allmählich ab; aber auch dies Verhältnis ist nicht regelmäßig. Zudem sind die Zähne ungemein schwach. Sie greifen zwar in einander ein, allein das Thier ist nicht im Stande, kräftig zuzubeißen oder zu kauen. Die Zunge ähnelt bereits der bandförmigen der Ameisenfresser, kann jedoch nicht soweit aus dem Maule hervorgestreckt werden und ist auch viel kürzer als bei diesem, dreikantig zugespitzt und mit kleinen pilz- und fadenförmigen Wurzeln besetzt. Außerordentlich große Speicheldrüsen im Unterkiefer überziehen sie beständig mit klebrigem Schleime. Der Magen ist einfach, der Darm hat die acht- bis elffache Leibeslänge. Die Schlagadern bilden hier und da noch Wundernetze, aber nicht mehr in der Ausdehnung wie bei den Faulthieren. Gewöhnlich sind zwei, seltener vier Milchdrüsen vorhanden.

Alle Gürtelthiere sind Bewohner Amerikas, namentlich des Südens. Sie leben in freien und sandigen Ebenen, auf Feldern und dergleichen, und kommen bloß am Saume der Wälder vor, [499] ohne in dieselben einzudringen. Nur während der Paarung finden sich mehrere der gleichen Art zusammen; während der übrigen Jahreszeit lebt jedes Gürtelthier für sich, ohne um die übrigen Geschöpfe, mit Ausnahme derer, welche zu seiner Nahrung dienen sollen, sich viel zu kümmern. Alle Arten verbergen sich bei Tage soviel als möglich und wühlen sich deshalb Gänge, die meisten nicht eben solche von großer Ausdehnung; eine Art aber lebt wie der Maulwurf unterirdisch. Die übrigen graben sich ihre Baue am allerliebsten am Fuße großer Ameisen- und Termitenhaufen, und dies aus dem sehr leicht einleuchtenden Grunde, weil ihre Nahrung vorzugsweise in Kerbthieren und deren Larven, namentlich auch in Ameisen, besteht. Würmer und Schnecken werden gelegentlich mit aufgenommen; in Fäulnis übergegangenes Aas wird ebensowenig verschmäht; bloß die allergrößte Noth aber treibt sie, Wurzeln und Samen zu genießen.

Mit Beginn des Abenddunkels erscheinen die gepanzerten Feiglinge vor ihren tiefen unterirdischen Bauen und strolchen eine Zeitlang umher, langsamen Schrittes von einem Orte zu dem andern sich bewegend. Der flache Boden ist ihr eigentliches Element; hier sind sie zu Hause wie wenig andere Thiere. So langsam und träge sie scheinen, wenn sie gehen oder sich sonst bewegen, so schnell und behend sind sie, wenn es gilt, sich in die Erde zu graben. Aufgescheucht, erschreckt und verfolgt wissen sie nichts anderes zu thun, als sich so recht im eigentlichen Sinne des Wortes der Erde anzuvertrauen. Und sie verstehen das Graben wirklich so meisterhaft, daß sie buchstäblich vor sichtlichen Augen sich versenken können. Ihre außerordentliche Wehrlosigkeit würde sie ihren Feinden schutzlos überliefern, wenn sie nicht diese Art der Flucht auszuführen verständen. Eine Art besitzt das Vermögen, sich in eine Kugel zusammenzurollen, wie unser Igel, thut dies jedoch bloß im alleräußersten Nothfalle und beginnt wieder sobald als möglich sich in die Erde zu vergraben und zu verstecken. Im Wasser wissen die anscheinend so ungefügen Thiere übrigens ebenfalls sich zu behelfen: Hensel sagt, daß sie sogar recht gut schwimmen und zwar mit schnellem Rudern nach Art eines Maulwurfs.

Die Gürtelthiere sind harmlose, friedliche Geschöpfe von stumpfen Sinnen, ohne irgendwelche hervorragende geistige Fähigkeiten, also durchaus nicht geeignet, mit den Menschen zu verkehren. Jeder, welcher sie gesehen hat, muß nach kurzer Beobachtung überzeugt sein, daß sich mit solchen gleichgültigen, dummen und langweiligen Geschöpfen nichts anfangen läßt. Entweder liegen sie stumpf auf einer und derselben Stelle, oder sie kratzen und scharren, um sich bald eine Höhle in die Erde zu graben. Ihre Stimme besteht in knurrenden Lauten, ohne Klang und Ausdruck.

Auch die Gürtelthiere gehen ihrer gänzlichen Ausrottung entgegen. Ihre Vermehrung ist gering. Einige Arten werfen zwar bis neun Junge; allein das Wachsthum derselben geht so außerordentlich langsam vor sich, und die Thiere sind den vielen Feinden, welche sie haben, so wenig gewachsen, daß an häufigwerden der Arten nicht gedacht werden kann.

Die Familie zerfällt nach den Eigenthümlichkeiten des Gebisses und der Anzahl der Zehen, der Beschaffenheit der Krallen und der Anzahl der Panzergürtel in zwei Sippen, von denen die eine in mehrere Untersippen getheilt wurde.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 498-500.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Auerbach, Berthold

Schwarzwälder Dorfgeschichten. Band 1-4

Schwarzwälder Dorfgeschichten. Band 1-4

Die zentralen Themen des zwischen 1842 und 1861 entstandenen Erzählzyklus sind auf anschauliche Konstellationen zugespitze Konflikte in der idyllischen Harmonie des einfachen Landlebens. Auerbachs Dorfgeschichten sind schon bei Erscheinen ein großer Erfolg und finden zahlreiche Nachahmungen.

640 Seiten, 29.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon