Gürtelmaus (Chlamydophorus truncatus)

[510] Der Amerikaner Harlan entdeckte im Jahre 1824 unweit Mendoza, einer Stadt am westlichen Ende der Pampas in dem Freistaate Rio de la Plata, und zwar zu dem höchsten Erstaunen der Landeseinwohner, welche von dessen Dasein kaum Kunde hatten, ein höchst merkwürdiges Mitglied der Familie, die Gürtelmaus (Chlamydophorus truncatus). Nur einige wenige wußten ihr einen Namen zu geben, sie nannten sie Bicho ciego (blindes Thierchen). Lange Zeit kannte man bloß zwei Stücke, welche in den Sammlungen von Philadelphia und London aufbewahrt wurden, glücklicherweise aber aufs genaueste untersucht werden konnten. Später erhielt Hyrtl noch einige, und somit konnte der innere Leibesbau und die äußere Beschreibung des Thieres vollständig gegeben werden. Die Gürtelmaus wird mit Recht als Vertreterin einer eigenen Sippe angesehen, denn sie unterscheidet sich himmelweit von den übrigen Gürtelthieren.

Fitzinger gibt nach eigenen Untersuchungen folgende Beschreibung von dem noch in allen Museen seltenen Thiere: »Das chilesische Mantelgürtelthier oder, wie es einige Naturforscher auch nennen, der Schildwurf oder die Gürtelmaus zeigt eine der abweichendsten Gestalten in der Ordnung der Scharrthiere und gehört rücksichtlich der höchst eigenthümlichen Bildung seines den Körper deckenden, fast lederartigen Hornpanzers zu den merkwürdigsten Schöpfungen der ganzen Thierwelt. Dieses sonderbare Wesen, welches mit den Gürtelthieren noch die größte Aehnlichkeit hat, ist gegen dieselben und im Verhälntisse selbst zu den kleinsten bis jetzt bekannten Arten von wahrhaft zwerghafter Gestalt, während es anderseits sowohl in Bezug auf seine Form als noch mehr auf seine Lebensweise lebhaft an die Maulwürfe erinnert. Sein Kopf, welcher ganz und gar zum Wühlen geschaffen zu sein scheint, ist kurz, in der hintern Hälfte breit, in der vordern aber zugespitzt und endigt in eine ziemlich kurze, abgestumpfte Schnauze, mit knorpeliger, fast schweinähnlicher Nasenkuppe, an deren vorderem und unterem Rande die nach abwärts gerichteten kleinen, rundlichen Nasenlöcher liegen, die an ihrem Innenrande mit sehr kurzen, steifen Härchen besetzt sind und durch einen daselbst hervortretenden kleinen Höcker beinahe vollständig geschlossen werden können. Die Augen sind klein und liegen unter den über dieselben herabhängenden Haaren verborgen. Die nahe hinter den Augen stehenden Ohren haben keine äußere Ohrmuschel, der enge Gehörgang ist bloß von einem erhöhten Hautrande umgeben und wird gleichfalls durch das Haar völlig überdeckt. Die Mundspalte ist klein, reicht bei weitem nicht bis unter die Augen, und wird von harten, rauhen und aufgetriebenen Lippen umschlossen; die ziemlich lange, fleischige Zunge hat kegelförmige Gestalt und trägt auf ihrer Oberfläche kleine Wärzchen. Der Zahnbau ist einfach. Vorder-und Eckzähne fehlen gänzlich, und die Backenzähne, von denen [510] jederzeit sowohl im Ober- als Unterkiefer acht sich vorfinden, sind von einer Schmelzschicht umgeben, ohne Wurzeln und in der untern Hälfte hohl, haben eine walzenförmige Gestalt und erscheinen, mit Ausnahme der beiden vordersten in jedem Kiefer, welche etwas spitzig sind, auf der Kaufläche abgeflacht. Sie nehmen von vorne nach rückwärts bis zum vierten Zahne an Größe allmählich zu, werden von diesem an bis zum letzten aber wieder kleiner. Der Hals ist kurz und dick, der Leib langgestreckt, hinten am breitesten, an den Schultern schmäler und in der Mitte längs der Seiten etwas eingezogen. Die ganze vordere Hälfte des Körpers ist weit kräftiger als die hintere gebaut. Die Beine sind kurz, die vorderen Gliedmaßen sehr stark, plump und kräftig und beinahe maulwurfartig gebildet, die hinteren dagegen weit schwächer als die vorderen, mit langem und schmalem Fuße. Beide sind fünfzehig, die nur unvollkommen beweglichen Zehen an den Vorderfüßen bis zur Krallenwurzel mit einander verbunden, an den Hinterfüßen aber frei.


Gürtelmaus oder Schildwurf (Chlamydophorus truncatus). 1/2 natürl. Größe.
Gürtelmaus oder Schildwurf (Chlamydophorus truncatus). 1/2 natürl. Größe.

An den Vorderfüßen ist die zweite Zehe am längsten, die Außenzehe am kürzesten und an ihrer Wurzel mit einer hornigen Scharrplatte versehen. An den Hinterfüßen dagegen ist die dritte Zehe am längsten, während die Außenzehe wie an den Vorderfüßen die kürzeste ist. Alle Zehen tragen stumpfspitzige Krallen, von denen die sehr großen und starken der Vorderfüße mächtige Scharrwerkzeuge bilden. Sie sind durchgehends lang, stark zusammengedrückt, schwach gekrümmt und am äußern Rande scharf, nehmen von der zweiten bis zur Außenzehe an Breite allmählich zu, so daß diese am breitesten erscheint, sowie sie auch am Außenrande scharfschneidig und beinahe schaufelförmig ist. Die Krallen der Hinterfüße dagegen sind bedeutend kleiner, fast gerade und abgeflacht. Der Schwanz, welcher am untern Rande des den Hintertheil des Körpers deckenden Panzers zwischen einer Auskerbung desselben angeheftet ist, macht plötzlich eine Krümmung nach abwärts und schlägt sich längs des Unterleibes zwischen den Hinterbeinen zurück, so daß er völlig am Bauche aufliegt. Er ist kurz, vollkommen steif und fast ohne alle Bewegung, an der Wurzel dicker, dann allmählich verschmälert und zusammengedrückt und gegen das Ende plötzlich in eine längliche, plattgedrückte Scheibe erweitert, welche an ihren Rändern eingekerbt ist und beinahe; spatelförmig erscheint. Die ganze Oberseite des Körpers wird von einem fast lederartigen, hornigen Schildpanzer bedeckt, welcher ziemlich dick und weniger biegsam als Sohlenleder ist, auf dem Kopfe nahe an der Schnauzenspitze beginnt, über den ganzen Rücken bis auf den Hintertheil sich erstreckt und daselbst senkrecht abfällt, wodurch das Thier wie abgestutzt und gleichsam wie verstümmelt erscheint. Dieser Panzer, welchen meist regelmäßige Querreihen oder Gürtel von größtentheils rechteckigen, zum Theil aber auch rautenförmigen und selbst unregelmäßigen [511] höckerartigen Schildern zusammensetzen, ist keineswegs so wie bei den Gürtelthieren allenthalben fest mit der Körperhaut verbunden, sondern liegt größtentheils nur lose auf derselben auf, indem er bloß längs seiner Mitte an den Dornfortsätzen der Wirbelsäule mittels einer Haut befestigt und auch am Scheitel nur mittels zweier Schilder an den beiden halbkugeligen Vorragungen des Stirnbeines angeheftet ist, daher er auch an den Seiten des Körpers klafft und aufgehoben werden kann. Dagegen ist er am Vordertheile des Kopfes fest mit den Knochen verbunden und ebenso am Hintertheile des Körpers, wo er eine abgestutzte Fläche bildet. Der nicht bewegliche Theil des Kopfpanzers enthält nur fünf Querreihen von Schildchen, deren Zahl in den beiden vordersten Reihen vier, in den drei hinteren fünf beträgt. Der Rückenpanzer dagegen, dessen vorderste Gürtel das Hinterhaupt decken und dasselbe äußerlich nicht unterscheiden lassen, ist aus vierundzwanzig, meist regelmäßigen Querreihen zusammengesetzt, von denen die beiden dem Kopfe zunächst liegenden Reihen aus sieben bis acht unregelmäßigen, höckerartigen Schildchen verschiedener Größe bestehen, während die übrigen Reihen durchaus regelmäßige rechteckige Schildchen enthalten, deren Anzahl von 15 oder 17 bis 24 steigt und in den drei hintersten Reihen bis auf 22 herabfällt. Alle diese Querreihen oder Gürtel sind durch eine Haut von einander geschieden, welche unter und über den einzelnen Schilderreihen so angewachsen und zurückgeschlagen ist, daß der Vorderrand jeder Reihe unter dem Hinterrande der vorangehenden liegt. Obgleich die Zwischenräume, welche hierdurch entstehen, nicht besonders groß sind, so gestatten sie doch den einzelnen Gürteln einen ziemlichen Grad von Beweglichkeit, welche sogar auf die Fähigkeit des Thieres schließen läßt, seinen Leib kugelförmig zusammenrollen zu können. Der vollkommen unbewegliche, mit dem Schwanze bloß durch eine Haut verbundene Panzer des Hintertheils endlich, welcher in einem rechten Winkel von dem Körper abfällt und völlig flach ist, besteht aus fünf bis sechs halbkreisförmig gestellten Reihen von Schildchen, theils rechteckiger, theils rautenförmiger Gestalt, und zeigt an seinem untern Rande einen Ausschnitt, zwischen welchem der Schwanz an den Körper angeheftet ist. Die erste oder oberste dieser Reihen enthält zwanzig, die letzte aber nur sechs Schildchen. Der ganze Schilderpanzer ist auf seiner Oberseite sowohl, wie auch an seiner freien Unterseite unbehaart und völlig glatt; nur an den unteren Rändern desselben befinden sich zahlreiche und ziemlich lange, seidenartige Haare. Dagegen ist die Haut des Thieres allenthalben und selbst unterhalb des Panzers, mit alleiniger Ausnahme des Schwanzes, der Sohlen, der Schnauzenspitze und des Kinnes, welche vollkommen nackt sind, ziemlich dicht von langen, feinen und weichen, fast seidenartigen Haaren bedeckt, welche viel länger als bei den Maulwürfen, aber keineswegs so dicht wie bei diesen stehen. Am längsten sind die Haare an den Seiten und den Beinen, am kürzesten und spärlichsten auf der Oberseite der Füße, wo sie zwischen einigen hornartigen, warzenförmigen Erhabenheiten hervortreten. Der Schwanz wird von einer lederartigen Haut umhüllt, welche auf der Oberseite ziemlich glatt ist und vierzehn bis sechzehn fast schildähnliche Querwülste zeigt, während er auf der Unterseite mit zahlreichen warzenartigen Rauhigkeiten besetzt ist. Die beiden Zitzen liegen auf der Brust. Die Farbe des Bandes wie der Haare ist schmuzig gelblich-weiß, auf der Unterseite des Körpers etwas heller. Die Augen sind schwarz. Die Länge des Körpers beträgt 13 Centim., die des Schwanzes 3,5 Centim., die Höhe am Widerrist 5 Centim.«

In den Werken über Thierkunde findet sich über die Lebensweise des Schildwurfs bloß folgendes: Das Thier lebt in sandigen Ebenen und gräbt sich, ganz wie unser europäischer Maulwurf, lange Gänge unter dem Boden, vermeidet es sorgsam, diesen Palast unter der Erde zu verlassen und kommt wahrscheinlich bloß durch Zufall an die Oberfläche herauf. Es soll mit der größten Schnelligkeit den Boden durchwühlen oder wie der Maulwurf geradezu durchlaufen, auf der Oberfläche der Erde dagegen langsam und ungeschickt sich bewegen. Höchst wahrscheinlich jagt es Kerfen und Würmern nach, vielleicht nimmt es auch mit zarten Wurzeln vorlieb. Ueber die Fortpflanzung weiß man nur soviel, daß die Vermehrung eine geringe ist. Die Eingebornen behaupten, das Weibchen trage seine Jungen versteckt unter der Gürteldecke.

[512] Man sieht, wie dürftig diese Mittheilungen und wie viele von ihnen bloße Vermuthungen sind. Um so angenehmer war es mir, von meinem Freunde Göring noch einiges zu erfahren. »Der Schildwurf«, so berichtet er mir, »lebt nicht bloß in der Provinz Mendoza, sondern auch in San Luis, und zwar nach den Versicherungen eines alten glaubwürdigen Landwirtes in weit größerer Anzahl als in Mendoza, obwohl er hier bekannter ist, jedenfalls weil die Naturforscher öfter nach ihm gefragt haben. Die Spanier nennen ihn Bicho ciego, weil sie glauben, daß er ganz blind wäre; einzelne aber geben ihm den Namen Juan calado (Hans mit Spitzenbesatz). Unter ersterem Namen kennt ihn jeder Mendozino, welcher sich einigermaßen um die Thiere seiner Heimat bekümmert.

Das Thierchen bewohnt sandige, trockene, steinige Gegenden, hauptsächlich solche, welche mit dornigem Gestrüpp und Kaktus bewachsen sind. Den Tag überhält es sich stets im Innern der Erde versteckt; nachts aber erscheint es auch auf der Oberfläche, und namentlich bei Mondscheine läuft es außen umher, am liebsten unter Gebüschen. Nach allen sicheren Angaben verweilt es niemals lange vor seinem Baue und entfernt sich auch immer nur auf wenige Schritte von der Mündung der Höhle. Die Fährte, welche es zurückläßt, ist so eigenthümlich, daß man unsern ›Spitzenhaus‹ augenblicklich daran erkennen kann. Der Gang ist nämlich nur ein Fortschieben der Beine; das Thier vermag es nicht, die schwerbewaffneten Füße hoch genug zu erheben, und schleift sie bloß auf dem Boden dahin. So bilden sich zwei neben einander fortlaufende Streifen im Sande, welche noch besonders dadurch sich auszeichnen, daß sie immer in den mannigfaltigst verschlungenen Windungen sich dahinziehen. Die Mündungen des Baues sind auch noch an Einem kenntlich: Der Schildwurf schleudert beim Herausgehen, wahrscheinlich mit den nach außen gedrehten Vorderpfoten, wohl nach Art des Maulwurfes, die Erde weg, welche ihn hindert, und diese fällt in zwei kleinen Häufchen zu beiden Seiten hin, so daß in der Mitte gewissermaßen ein Gang bleibt. Kein anderer Höhlenbauer Südamerikas verfährt in dieser Weise.«

Ueber die Fortpflanzung weiß man gar nichts. Man jagt das Thier nirgends regelmäßig, sondern fängt es nur zufällig, vorzugsweise beim Auswerfen der Bewässerungsgräben, welche man da zieht, wo man Felder anlegen will. Einige Male ist es auch beim Fange anderer Gürtelthiere mit gefunden worden. In der letztern Zeit hat man, der häufigen Nachfragen wegen, sich etwas mehr Mühe gegeben, Bicho ciegos zu erlangen; doch muß dies sehr schwer sein, da Göring, welcher sich sieben Monate dort aufhielt, trotz aller Anstrengungen und der lockendsten Versprechungen nicht ein einziges lebend oder frisch getödtet erhalten konnte. Noch heutigen Tages bildet der Bicho ciego einen Gegenstand der Bewunderung der Eingeborenen. Man läßt jeden Gefangenen so lange leben, als er leben kann, und bewahrt ihn dann als große Merkwürdigkeit auf, sogut es eben gehen will, wie es überhaupt den Südamerikanern eigen ist, Thiere, welche ihnen merkwürdig vorkommen, in der Gefangenschaft zu halten, ohne daß sie jedoch daran dächten, sie auch zu pflegen. Da die Leute das Abbälgen und Ausstopfen nicht verstehen, findet man Schildwürfe als Mumien in ihren Händen, und zwei solcher Mumien erhielt auch Göring, beziehentlich Burmeister, während der genannten Zeit des Aufenthaltes in Mendoza.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 510-513.
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