[440] Der Irbis (Leopardus Irbis, Felis Uncia, tulliana und uncioides), von Buffon ungerechtfertigerweise Unze genannt, steht an Größe dem Panther kaum nach; seine Gesammtlänge beträgt 2,20 Meter, die Schwanzlänge 90 Centimeter. Die Grundfärbung des Pelzes ist weißlichgrau mit lichtgelblichem Anfluge, wie gewöhnlich auf dem Rücken dunkler und an der Unterseite weiß. Die schwarzen Flecken, welche sich deutlich abzeichnen, sind auf dem Kopfe klein und voll, am Halse größer und ringförmig, und am Rumpfe endlich zu einem Tüpfelringe mit dunkler Mitte ausgedehnt. Auf dem Rücken verläuft eine dunkle Linie, welche sich auf dem mattschwarz gefleckten Schwanze unterbrochen fortsetzt; auf der Unterseite stehen Vollflecken. Die kurzen, stumpfen Ohren sind am Grunde und an der Spitze schwarz, in der Mitte aber weiß, die in vier Reihen geordneten Schnurren theils weiß, theils schwarz. Schon durch seine Bekleidung bekundet der Irbis, das er in kälterer Gegend lebt als der Leopard. Seine Heimat ist das mittlere Asien bis nach Sibirien hinauf; er soll an den Quellen des Jenisei und am Baikalsee nicht gerade selten, häufiger aber in Thibet und noch an den Küsten des Persischen Golfs zu finden sein. »Der Irbis«, bemerkt Radde, »ist selbst in denjenigen Gegenden Südostsibiriens, in denen der Tiger häufig auftritt, sehr selten.
Ueber das Vorkommen desselben im östlichen Sajan, den Baikalgebirgen und in Transbaikalien hat sich während meiner Reise nichts ermitteln lassen. Erst bei den Birar-Tungusen gewannen die Erkundigungen solche Gewißheit, daß ich den Irbis als ein sehr seltenes Thier der Fauna des Burejagebirges zuzählen darf. Er scheint demnach in Westsibirien in größerer Häufigkeit verbreitet zu sein, da nach Lessings mündlichen Mittheilungen er sich einzeln sogar in der Umgegend von Krasnajarsk zeigen und im südlichen Altai nicht gar selten sein soll. Die Birar-Tungusen weisen ihm die hochgrasigen, steppenartigen Flächen am Sungari als eine Gegend an, wo er nicht selten lebt. Es war diesen Leuten bekannt, daß der Irbis gern auf Bäume klettert und von ihnen aus die Beute überfällt, wie es der [440] Luchs auch thut; sie gaben aber sogleich zum Unterschiede von letzterem den langen Schwanz an. Von seiner List wußten sie manches Beispiel zu erzählen. Man fürchtet ihn bei weitem nicht so wie den Tiger und versichert, daß mehrere gute Hunde ihn auf einem Baume stellen.«
Hierauf beschränkt sich das mir über das Freileben des Irbis Bekannte. Von seinem Betragen in Gefangenschaft weiß ich nichts zu berichten.
Sicherem Vernehmen nach gelangten zwar im Jahre 1871 zwei lebende Irbis in den Thiergarten zu Moskau, wurden dort aber meines Wissens nicht beobachtet, auch so erbärmlich behandelt, daß sie, wie der größte Theil aller dort lebenden Thiere überhaupt, binnen kurzem ihr Dasein endigten.
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