Tigerkatze (Fellis tigrina)

[446] Bestimmt unterschiedene Verwandte sind zwei andere Katzen Amerikas: der Marguay und die Mbaracaya. Man hat beide oft als Spielarten von jenem angesehen; sie unterscheiden sich aber hinlänglich durch ihre Größe. Erstgenannter, die Tigerkatze der Naturforscher, Thiergärtner und Händler (Fellis tigrina, F. Margay und Guigna, Leopardus tigrinus), erreicht höchstens die Größe unserer Hauskatze. Ihre Körperlänge beträgt 50, die des Schwanzes 30 Centim. Der weiche und schöne Katzenpelz hat oben und an den Seiten eine fahlgelbe Grundfarbe und ist unten, wie bei den meisten übrigen Katzen, weiß. Ueber die Wangen laufen zwei Streifen, zwei andere vom Augenwinkel über den Kopf bis ins Genick. Hier schieben sich nun noch andere ein, und so ziehen sich über den Nacken sechs derselben, welche weiter hinten in breitere Flecken sich auflösen. An der Kehle stehen zwei schwarze Tupfflecke, vor der Brust breite Halbringe. In der Mitte des Rückens verläuft ein ununterbrochener Streifen und jederseits daneben mehrere Reihen Vollflecken, von denen viele einen helleren Hof umschließen. Die Beine und der Unterleib sind gefleckt, die Ohren schwarz mit weißen Flecken. Der Schwanz ist an der Spitze buschiger als an der Wurzel.


Tigerkatze (Felis tigrina). 1/6 natürl. Größe.
Tigerkatze (Felis tigrina). 1/6 natürl. Größe.

In ihrer Lebensweise ähnelt diese Katze dem Ozelot fast in allen Stücken. Jung eingefangen und ordentlich gehalten, wird sie zu einem höchst gelehrigen und anhänglichen Thiere; alt eingefangen, beträgt sie sich allerdings sehr wild und ungestüm, nimmt jedoch nach einiger Zeit auch einen gewissen Grad von Zähmung an. Waterson hatte in Guiana einen jungen Mar guay mit großer Sorgfalt aufgezogen, welcher in kurzer Zeit mit ihm auf das innigste befreundet wurde und ihm später wie ein Hund folgte. Gegen die Ratten und Mäuse, welche das Haus in Masse bevölkerten, lag er in einem ewigen Streite und wußte das von den verderblichen Nagern wahrhaft gepeinigte Haus in kurzer Zeit nach Möglichkeit zu reinigen. Er ging von Anfang an [446] mit angeerbter Kenntnis der Ratten und ihrer Sitten zu Werke. Während der letzten Stunden des Tages, seiner besten Jagdzeit, schlich er im ganzen Hause umher, vor jeder Oeffnung lauschend und jeden Winkel untersuchend. Seine Hülfe wurde außerordentlich werthvoll; denn die Ratten hatten vor seiner Zeit nicht weniger als zweiunddreißig Thüren zerfressen, und lustwandelten im ganzen Hause nach Belieben umher. Diesem Vergnügen that die Tigerkatze den gründlichsten Eintrag und gewann sich auch aus diesem Grunde immer mehr die Liebe ihres Erziehers.

Gefangene Marguays gelangen zuweilen auch nach Europa, gehören jedoch in den Käfigen unserer Thiergärten immer zu den Seltenheiten. Diejenigen, welche ich sah und beziehentlich pflegte, waren stille, anscheinend friedliche Geschöpfe, als entschiedene Nachtthiere übertages aber auch langweilig, weil sie die meiste Zeit in sich zusammengerollt auf ihrem Lager liegen, ohne sich um die Außenwelt viel zu kümmern. Ihr sanftes Wesen, die Anmuth ihrer Bewegungen und die Schönheit ihres Felles machen sie übrigens doch dem Pfleger lieb und werth.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. CDXLVI446-CDXLVII447.
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