Wickelbär (Cercoleptes caudivolvulus)

[211] Der Wickelbär, Kinkaju, Hupurá, Manaviri oder Cuchumbi, wie das Thier in seiner Heimat, dem nördlichen Brasilien, genannt wird, erscheint gleichsam als Mittelglied zwischen Bär und Marder, wie der Coati als solches zwischen Bär und Schleichkatze oder der Waschbär als solches zwischen Bär und Affe betrachtet werden kann.


Wickelbär (Cercoleptes caudivolvulus). 1/4 natürl. Größe.
Wickelbär (Cercoleptes caudivolvulus). 1/4 natürl. Größe.

Der sehr gestreckte, aber plumpe Leib steht auf niederen Beinen; der Kopf ist ungemein kurz, dick und sehr kurzschnäuzig; die Augen sind mäßig groß, die Ohren klein, die fünf Zehen halb verwachsen und mit starken Krallen bewehrt, die Sohlen nackt. Der mehr als körperlange Schwanz ist ein ebenso vollkommener Wickelschwanz wie der mancher Beutelthiere oder der Brüllaffen. Erwachsen, mißt der Wickelbär (Cercoleptes caudivolvulus, Viverra, Ursus und Potos caudivolvulus, C. brachyotus, Caudivolvulus und Lemur flavus) 90 Centim., wovon 47 Centim. auf den Schwanz kommen, bei 17 Centim. Schulterhöhe. Die sehr dichte, ziemlich lange, etwas gekrauste, weiche, sammetartig glänzende Behaarung ist auf der Ober- und Außenseite licht graulichgelb mit einem schwachröthlichen Anfluge und schwarzbraunen Wellen, welche namentlich am Kopfe und am Rücken deutlich hervortreten, das einzelne Haar an der Wurzel grau, sodann gelblichröthlich und an der Spitze schwarzbraun. Vom Hinterhaupte zieht sich ein breiter und sicher begrenzter, dunkler Streifen längs des Rückgrates bis zur Schwanzwurzel. Die Unterseite ist röthlichbraun, gegen den Bauch hin lichter, die Außenseite der Beine schwarzbraun. Auch über die Mitte des Bauches verläuft ein dunkelrostbrauner Streifen. Der Schwanz ist an der Wurzel braun, in der letzten Hälfte fast schwarz.

[211] Gegenwärtig wissen wir, daß der Wickelbär weit verbreitet ist. Er findet sich im ganzen nördlichen Brasilien, in Neugranada, Peru, Guayana, Mejiko, ja noch im südlichen Luisiana und Florida. Nach Humboldt ist er besonders am Rio Negro und in Neugranada häufig. Er lebt in den Urwäldern, zumal in der Nähe von großen Flüssen, und zwar auf Bäumen. Seine Lebensweise ist eine vollkommen nächtliche; den Tag verschläft er in hohlen Bäumen, des Nachts aber zeigt er sich sehr lebendig und klettert außerordentlich gewandt und geschickt in den hohen Baumkronen umher, seiner Nahrung nachgehend. Dabei leistet ihm sein Wickelschwanz vortreffliche Dienste. Er gibt kaum einem Affen an Kletterge wandtheit etwas nach. Alle seine Bewegungen sind äußerst behend und sicher. Er kann sich mit den Hinterfüßen oder mit dem Wickelschwanze an Aesten und Zweigen festhalten und so gut an einen Baum klammern, daß er mit dem Kopfe voran zum Boden herabzusteigen vermag. Beim Gehen tritt er mit der ganzen Sohle auf.

»Eines Nachts«, erzählt Bates, »schliefen wir vor dem Hause einer eingeborenen Familie, welche mitten in den Wäldern sich angesiedelt hatte, uns aber wegen einer Festlichkeit nicht in der Hütte selbst beherbergen konnte. Als nach Mitternacht alles still geworden war, lenkte Geräusch meine Blicke auf eine aus den Wäldern kommende Gesellschaft von schlanken, langgeschwänzten Thieren, welche, im klaren Mondlichte gegen den reinen Himmel deutlich erkennbar, mit flugähnlichen Sprüngen von einem Zweige zum anderen setzten. Viele von ihnen hielten sich auf einer Papunhapalme auf, und bald bewies das Drängen, Zwitschern und Kreischen sowie das Fallen von Früchten, mit was sie hier beschäftigt waren. Ich hielt die Thiere zuerst für Nachtaffen, bis mich am nächsten Morgen der Hauseigenthümer durch ein von ihm gefangenes Junge der nächtlichen Gesellen belehrte, daß ich es mit Wickelbären zu thun gehabt hatte.«

Obwohl vorzugsweise Pflanzenfresser, verschmäht der Wickelbär doch auch kleine Säugethiere, Vögel und deren Eier oder Kerbthiere und deren Larven nicht. Dem Honig soll er mit besonderer Liebhaberei nachstellen und viele wilde Bienenstöcke zerstören; er wird deshalb von den Indianern gehaßt und hat von den Missionären den Namen Oso melero (Honigbär) erhalten. Zur Ausbeutung der Bienenstöcke soll er seine merkwürdig lange und vorstreckbare Zunge, mit welcher er in die schmalste Ritze, in das kleinste Loch greifen und die dort befindlichen Gegenstände herausholen kann, benutzen, sie durch die Fluglöcher der Bienen bis tief in den Stock stecken, mit ihr die Waben zertrümmern und dann den Honig auflecken.

Ueber die Fortpflanzung des sonderbaren Gesellen wissen wir noch gar nichts; doch schließt man aus seinen zwei Zitzen, daß er höchstens zwei Junge werfen kann. In der Gefangenschaft hat er meines Wissens noch nirgends sich fortgepflanzt.

Alle, welche den Wickelbären bis jetzt beobachteten, stimmen darin überein, daß er dem Menschen gegenüber sanft und gutmüthig ist und sehr bald sich ebenso zutraulich und schmeichelhaft zeigt wie ein Hund, Liebkosungen gern annimmt, die Stimme seines Herrn erkennt und die Gesellschaft desselben aufsucht. Er fordert seinen Pfleger geradezu auf, mit ihm zu spielen oder mit ihm sich zu unterhalten, und gehört deshalb in Südamerika zu den beliebtesten Hausthieren der Eingeborenen. Auch in der Gefangenschaft schläft er fast den ganzen Tag. Er deckt dabei seinen Leib, vor allem aber den Kopf, mit dem Schwanze zu. Legt man ihm Nahrung vor, so erwacht er wohl, bleibt aber bloß so lange munter, als er frißt. Nach Sonnenuntergang wird er wach, tappt anfangs mit lechzender Zunge unsicheren Schrittes umher, späht nach Wasser, trinkt, putzt sich und wird nun lustig und aufgeräumt, springt, klettert, treibt Possen, spielt mit seinem Herrn, läßt das sanfte Pfeifen ertönen, aus welchem seine Stimme besteht, oder knurrt kläffend wie ein junger Hund, wenn er erzürnt wird. Oft sitzt er auf den Hinterbeinen und frißt wie die Affen mit Hülfe der Tatzen, wie er überhaupt in seinem Betragen ein merkwürdiges Gemisch von den Sitten der Bären, Hunde, Affen und Zibetthiere zur Schau trägt. Auch seinen Wickelschwanz benutzt er nach Affenart und zieht mit ihm Gegenstände an sich heran, welche er mit den Pfoten nicht erreichen kann. Gegen das Licht sehr empfindlich, sucht er schon beim ersten Tagesdämmern einen dunkeln Ort auf, [212] und sein Augenstern zieht sich zu einem kleinen Punkte zusammen. Reizt man das Auge durch vorgehaltenes Licht, so gibt er sein Mißbehagen durch eine eigenthümliche Unruhe in allen seinen Bewegungen zu erkennen. Er frißt alles, was man ihm reicht: Brod, Fleisch, Obst, gekochte Kartoffeln, Gemüse, Zucker, eingemachte Sachen, trinkt Milch, Kaffee, Wasser, Wein, sogar Branntwein, wird von geistigen Getränken betrunken und mehrere Tage krank. Ab und zugreift er auch einmal Geflügel an, tödtet es, saugt ihm das Blut aus und läßt es liegen. Nach recht lebhafter Bewegung nießt er zuweilen öfters hintereinander. Im Zorne zischt er wie eine Gans und schreit endlich heftig. So zahm er auch wird, so eifrig ist er bedacht, seine Freiheit wieder zu erlangen. Ein alter Wickelbär, welchen Humboldt besaß, entfloh während der Nacht in einen Wald, erwürgte aber noch vorher zwei Felsenhühner, welche zu der Thiersammlung des großen Forschers gehörten, und nahm sie gleich als Nahrungsmittel für die nächste Zeit mit sich fort.

Ich kann vorstehende Schilderung, welche im wesentlichen Humboldt nacherzählt ist, durchaus bestätigen. Der Wickelbär kommt neuerdings nicht gerade selten lebend zu uns herüber, und ich habe somit vielfach Gelegenheit gehabt, ihn zu beobachten. Beim Schlafen liegt er zusammengerollt auf der Seite, den Rücken nach dem Lichte gekehrt. Gegen Abend, immer ungefähr zu derselben Zeit, wird er munter, dehnt und reckt sich, gähnt und streckt dabei die Zunge lang aus dem Maule heraus. Dann tappt er geraume Zeit bedächtig und sehr langsam im Käfige umher. Sein Gang ist eigenthümlich und entschieden ungeschickt. Er setzt seine krummen Dachsbeine so weit nach innen, daß er den Fuß der einen Seite beim Ausschreiten fast, oft wirklich, über den der anderen wegheben muß. Den Wickelschwanz benutzt er fortwährend. Zuweilen hält er sich mit ihm und den beiden Hinterfüßen frei an einem Aste, den Leib wagerecht vorgestreckt. Er frißt alles genießbare, am liebsten Früchte, gekochte Kartoffeln und gesottenen Reis. Wenn ich ihm einen kleinen Vogel vorwerfe, naht er sich höchst bedächtig, beschnuppert ihn sorgfältig, beißt dann zu und hält den erfaßten beim Fressen mit beiden Vorderfüßen fest. Er frißt langsam und, ich möchte so sagen, liederlich, zerreißt und zerfetzt die Nahrung, beißt auch, anscheinend mit Mühe, immer nur kleine Stücken von ihr ab und kaut diese langsam vor dem Verschlingen. Eigentlich blutgierig ist er nicht, obgleich er seine Raubthiernatur nicht verleugnet.

Schwer dürfte es halten, einen gemüthlicheren Gesellen als ihn zum Hausgenossen zu finden. Er ist hingebend wie ein Kind. Liebkosungen machen ihn glücklich. Er schmiegt sich zärtlich dem an, welcher ihm schmeichelt, und scheint durchaus keine Tücke zu besitzen. Unwillig wird er nur dann, wenn man ihn ohne weiteres aus seinem süßesten Schlafe weckt. Ermuntert man ihn durch Anrufen und läßt ihm Zeit zum Wachwerden, so ist er auch bei Tage das liebenswürdige Geschöpf wie immer.

Mehrere Wickelbären vertragen sich ausgezeichnet zusammen. Von den ewigen Streitigkeiten, wie sie unter Nasenbären an der Tagesordnung sind, bemerkt man bei ihnen nichts. Männchen und Weibchen behandeln einander ungemein zärtlich. Zu einem Weibchen, welches ich pflegte, ließ ich ein neu erworbenes, noch etwas ängstliches Männchen bringen. Jenes war, unter meiner Pflege wenigstens, mit keinem anderen Thiere vereinigt gewesen, schien daher sehr überrascht zu sein, Gesellschaft zu erhalten. Eine höchst sorgfältige, anfangs etwas ängstliche Beschnupperung unterrichtete es nach und nach von dem ihm bevorstehenden Glück. Sobald es den Genossen erkannt hatte, überhäufte es ihn verführerisch mit Zärtlichkeiten. Der Ankömmling schien noch unerfahren zu sein und bekundete anfänglich mehr Furcht als Entgegenkommen, kreischte auch heiser auf, so oft das Weibchen liebkosend ihm sich näherte. Dieses aber ließ sich nicht abweisen. Es begann zunächst, den spröden Schäfer zu belecken, drängte sich zwischen ihn und das Gitter, an welchem er sich angeklammert hatte, rieb sich an ihm, umhalste ihn plötzlich und leckte ihn küssend am Maule. Noch immer benahm sich der Geliebkoste zurückhaltend, wehrte zumal die Küsse ab, indem er den Kopf nieder, mit dem Gesicht gegen die Brust bog, und bot dem Weibchen so nur das Ohr, welches dieses, sich vorläufig begnügend, leckte. Das Männchen ließ solches gutwillig [213] geschehen, änderte sein Benehmen aber nicht. Endlich riß dem Weibchen der Geduldsfaden: es packte plötzlich den Kopf des Genossen, krallte die Pfotenhand fest ein in das rauhsammtene Haar, zog ihn in die Höhe, legte ihm den anderen Arm umhalsend in den Nacken und liebkoste ihn nunmehr so lange, bis er alle Scheu verloren zu haben und gutwillig in das Unvermeidliche sich zu fügen schien. Dieser Hergang wurde durch Pausen unterbrochen, welche nach jeder Abweisung seitens des Männchens eintraten. Während derselben verließ das Weibchen manchmal den Genossen, durchkletterte rasch den Käfig, stieg an dem in ihm befindlichen Baumstamme in die Höhe und sprang sodann geraume Zeit auf einem wagerechten Aste hin und her, wie Marder zu thun pflegen. Als das Einvernehmen endlich hergestellt worden war, umschlangen sich beide Thiere, förmlich sich verknäuelnd, und nahmen die wunderlichsten Stellungen an. Am nächsten Tage wurde das Lager noch nicht getheilt; wenige Tage später aber schliefen beide nur in inniger Umarmung zusammen. Bald begannen auch anmuthige Spiele, bei denen sie derartig sich umschlangen, daß man den einen von dem anderen nicht zu unterscheiden vermochte. Kugelnd wälzten sie sich auf dem Boden umher, umfaßten und umhalsten sich, bissen sich spielend und benutzten den Wickelschwanz in ausgiebigster Weise, bald als Angriffs-, bald als Befestigungswerkzeug. Meine Hoffnungen, sie zur Paarung schreiten zu sehen, erfüllten sich jedoch nicht, warum, vermag ich nicht zu sagen, da ihren Bedürfnissen anscheinend in jeder Hinsicht Rechnung getragen wurde.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 211-214.
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