Rasse (Viverra indica)

[23] Eine Schleichkatze, welche man in der Neuzeit öfters in Thiergärten zu sehen bekommt, ist die Rasse (Viverra indica, V. oder Viverricula malaccensis, gunda, leveriana, Genetta manilensis und indica), Vertreter der von Gray aufgestellten Untersippe der Zibetkätzchen (Viverricula). Sie ist bedeutend kleiner, aber langschwänziger als die vorstehend beschriebenen; ihre Leibeslänge beträgt etwa 60 Centim., die Schwanzlänge nicht viel weniger. Ihr sehr schmaler Kopf mit den verhältnismäßig großen Ohren zeichnen sie aus. Der rauhe Pelz ist graugelbbräunlich und schwarz gewässert, reihenweise dunkel gefleckt, der Schwanz mehrfach geringelt.

Die Rasse bewohnt einen großen Theil Indiens und wird außerdem auf Java, Sumatra und anderen südasiatischen Inseln gefunden, soll auch in China vorkommen. Der Name ist indischen Ursprungs und bedeutet so viel wie »Schnupperthier«. In ihrer Heimat steht sie in sehr hohem Ansehen wegen des von den Malaien in der ausgedehntesten Weise benutzten Zibets. Man verwendet diesen wohlriechenden Stoff, welchen man mit anderen duftigen Dingen versetzt, nicht bloß zum Besprengen der Kleider, sondern auch zur Herstellung eines für europäische Nasen geradezu unerträglichen Geruches in Zimmern und auf Betten. Die Rasse wird in Käfigen gehalten, mit Reis und Pisang oder zur Abwechselung mit Geflügel gefüttert und regelmäßig ihres Zibets beraubt, indem man sie gewaltsam gegen die Latten des Käfigs andrückt und ihre Zibetdrüse mit [23] einem entsprechend geformten Löffel aus Bambusrohr entleert. Bis zum Gebrauche bewahrt man den Zibet dann unter Wasser auf. Nach reichlicher Fütterung von Pisang soll er besonders wohlriechend werden.

Eigentlich zahm wird die Rasse nicht. Sie verträgt zwar die Gefangenschaft längere Zeit, fügt sich in ihr Loos aber niemals mit Geduld und läßt ihre Tücken und Mucken nicht. Ich habe sie wiederholt in verschiedenen Thiergärten gesehen und ein Paar längere Zeit gefangen gehalten. Sie ist ein überaus schmuckes, bewegliches, gelenkes, biegsames und gewandtes Geschöpf, welches seinen Leib drehen und wenden, zusammenziehen und ausdehnen kann, daß man bei jeder Bewegung ein anderes Thier zu sehen glaubt. Ihre gewöhnliche Haltung ist die der Katzen, an welche sie überhaupt vielfach erinnert.


Linsang (Viverra gracilis). 1/4 natürl. Größe.
Linsang (Viverra gracilis). 1/4 natürl. Größe.

Sie geht sehr hochbeinig, setzt sich wie Katzen oder Hunde, erhebt sich oft nach Nagerart auf die Hinterbeine und macht ein Männchen. Ihre feine Nase ist ohne Unterlaß in Bewegung. Sie beschnüffelt alles, was man ihr vorhält und beißt sofort nach den Fingern, welche sie als fleischige, also freßbare Gegenstände erkennt. Auflebende Thiere aller Art stürzt sie sich mit Gier, packt sie mit dem Gebisse, würgt sie ab, wirft sie vor sich hin, spielt eine Zeitlang mit den todten und verschlingt sie dann so eilig wie möglich. Ihre Stimme ist ein ärgerliches Knurren nach Art der Katzen, auch faucht sie ganz wie diese. Im Zorne sträubt sie ihr Fell, so daß es borstig aussieht, und verbreitet einen sehr heftigen Zibetgeruch.

Die Rasse ist ein Nachtthier, welches nur in den Morgen- und Abendstunden sich lebendig zeigt. Durch Vorhalten von Nahrung kann man sie freilich jederzeit munter machen, und namentlich ein in ihren Käfig gebrachter lebender Vogel oder eine Maus erweckt sie augenblicklich. Doch legt sie sich dann immer bald wieder auf ihr weiches Heulager hin; wenn ihrer mehrere sind, eine dicht neben die andere, wobei sie sich gegenseitig mit den Schwänzen bedecken. Ein Pärchen pflegt sich sehr gut zu vertragen; gegen andere Thiere aber zeigt sie sich höchst unfriedfertig. Auf Katzen und Hunde, welche man ihr vorhält, fährt sie mit Ingrimm los. Aber auch, wenn viele ihresgleichen zusammengesperrt werden, gibt es selten Frieden im Raume. Eine Gesellschaft dieser Thiere, welche [24] ich im Thiergarten von Rotterdam beobachtete, lag fortwährend im Streite. Eine hatte das Schlupfhäuschen im Käfige eingenommen und fauchte, sobald sich eine ihrer Gefährtinnen demselben nahte; eine andere, welche an heftigen Krämpfen litt und dabei jammervoll stöhnte, wurde von den übrigen zuerst aufmerksam betrachtet, hierauf berochen und endlich wüthend gebissen. Auch diese Art hat sich wiederholt in unseren Thiergärten fortgepflanzt.


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Zweiter Band, Erste Abtheilung: Säugethiere, Dritter Band: Hufthiere, Seesäugethiere. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1883., S. 23-25.
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