Kolsum (Canis dukhunensis)

[521] Oberst Sykes beschrieb einen längst bekannten Wildhund Indiens, den Kolsum oder Dole (Canis dukhunensis, Cuon dukhunensis, Canis dhola), in welchem er den Stammvater aller Haushunde zu erkennen meinte. Das Thier, welches, nach seiner Angabe, größere Aehnlichkeit mit dem Windspiele als mit dem Wolfe oder Schakal haben soll, besitzt ungefähr die Verhältnisse eines mittelgroßen Windhundes, bei 1,2 Meter Gesammt- und 20 Centim. Schwanzlänge, 45 bis 50 Centim. Höhe am Widerrist, und ist bekleidet mit einem gleichmäßig dichten, aus ziemlich kurzen, nur an der Ruthe verlängerten Haaren bestehenden Pelze von schön braunrother, unterseits lichterer, auf der Schnauze, den Ohren, an den Füßen und der Schwanzspitze dunklerer Färbung.

Der Kolsum bewohnt Indien, insbesondere Dekan, die Gebirge Nilgiri, Balaghat, Hyderabad und die östlich der Küste Coromandel gelegenen Waldgegenden; in anderen Theilen des großen Reiches scheint er nicht vorzukommen. Auch in Gegenden, welche er bevorzugt, ist er nicht eben eine häufige Erscheinung; viele Besucher Indiens haben ihn daher als ein fabelhaftes Wesen, als ein Märchen der Eingeborenen angesehen. Als ein sehr scheues Thier hält er sich fern von dem Menschen und seinen Wohnungen, dafür jene dunklen Rohrwaldungen vorziehend, welche uns unter dem Namen von Dschungeln bekannt sind, jene Dickichte, welche sich über Hunderte von Meilen ausdehnen und dem Menschen nur hier und da Zutritt gestatten.

In seinen Sitten und Gewohnheiten zeigt der Kolsum viel eigenthümliches. Er schlägt sich wie seine Sippschaftsverwandten in stärkere oder schwächere Meuten, deren durchschnittliche Anzahl aber doch fünfzig bis sechszig sein soll, jagt, abweichend von den anderen Hunden, ganz still oder läßt wenigstens nur in großen Zwischenräumen seine Stimme ertönen. Diese ist kein Bellen, sondern eher ein ängstliches Wimmern, welches dem Geheule des Haushundes ähnelt. Alle Berichte stimmen überein, daß er ein außerordentlich geschickter Jäger ist. Williamson, welcher ihn mehrmals bei der Verfolgung einer Beute beobachtet hat, glaubt, daß kein einziges Thier bei einer längeren Jagd diesem Urhunde entkommen könne. Hinsichtlich der Jagd ähnelt er im ganzen dem Wolfe, unterscheidet sich von ihm aber durch seinen ungewöhnlichen Muth und sein freundschaftliches Zusammenhalten. Sobald die Meute ein Thier aufgestöbert hat, jagt sie ihm mit der größten Ausdauer nach, theilt sich auch wohl, um ihm den Weg nach allen Seiten hin abzuschneiden. Dann packt es der eine an der Kehle, reißt es nieder, und alle stürzen über den Leichnam her und fressen ihn in wenigen Minuten auf. Mit Ausnahme des Elefanten und des Nashorn soll es, wie man sagt, kaum ein einziges indisches Thier geben, welches mit dem Kolsum es aufnehmen könne. Der wüthende Eber fällt ihm zum Opfer, trotz seines gewaltigen Gewehres, der schnellfüßige Hirsch ist nicht im Stande, ihm zu entrinnen. Am besten soll noch der Leopard daran sein, weil die Meute des Kolsum ihm nicht in die Zweige folgen kann, welche er augenblicklich aufsucht, sowie er sich angegriffen sieht; wird ihm aber sein Zufluchtsort in den Baumkronen abgeschnitten, so ist auch er ein Kind des Todes, trotz aller Gegenwehr. Man versichert, daß es der Meute vollkommen [521] gleichgültig sei, wenn ihre muthigsten Genossen bei einem Angriffe auf ein gefährliches Thier, wie es der Tiger oder der Bär ist, gelichtet würden: es können zehn und mehr unter den Tatzenschlägen des Tigers verbluten oder an der Bärenbrust erdrückt werden, die übrigen verlieren den Muth nicht, sondern stürzen sich immer von neuem mit solcher Kühnheit und solchem Geschick auf ihren Gegner, daß sie ihn zuletzt doch ermüden und dann sicher noch erwürgen. Diesen blutigen Kämpfen zwischen größeren Raubthieren und dem Kolsum schreibt man die Seltenheit des Thieres zu; außerdem dürfte diese Hundeart, so glaubt man, in einer Weise sich vermehren, daß es in Indien bald gar keine Jagd mehr geben würde.


Buansu (Canis primaevus). 1/8 natürl. Größe.
Buansu (Canis primaevus). 1/8 natürl. Größe.

Den Menschen soll unser Wildhund niemals angreifen, ihm vielmehr, so lange er kann, ängstlich aus dem Wege gehen; wird er aber angegriffen, dann beweist er seinen Muth auch dem Menschen gegenüber und ist kein zu verachtender Gegner.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. DXXI521-DXXII522.
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