Streifenwolf (Canis adustus)

[542] Ein ähnlich gebauter, aber merklich kleinerer und anders gefärbter Wildhund ist der Streifenwolf (Canis adustus, C. lateralis), ein Mittelglied zwischen Wolf und Schakal. Der Leib ist gestreckt, der Kopf nach der Schnauze hin kegelförmig zugespitzt, die sehr spitze Schnauze auch seitlich wenig oder nicht abgesetzt, daher der unseres Fuchses nicht unähnlich; die Augen, welche hellbraune Regenbogenhaut und länglichrunden Stern haben, sind schief gestellt, die wie beim Schakal weit getrennten Ohren, deren Länge über ein Viertel und weniger als ein Drittheil der Kopflänge beträgt, an der Spitze sanft gerundet, die Läufe auffallend hoch und schlank; die nicht besonders buschige Lunte reicht ungeachtet der hohen Läufe bis auf den Boden herab. Der Balg besteht aus langen, locker aufliegenden, straffen Grannen, welche das dünne Wollhaar vollständig bedecken.

Sundevall, der erste Beschreiber des seltenen Streifenwolfes, gibt dessen Gesammtlänge zu 1,1 Meter, die Schwanzlänge zu 33 Centim., die Höhe am Widerrist zu 45 Centim. an; diese Maße stimmen mit denen einer Streifenwölfin, welche ich pflegte, im großen und ganzen überein. Die allgemeine Färbung, ein bräunliches Hellgrau, geht auf den Seiten in Dunkel- oder Schwärzlichgrau, auf den Rücken ins Rothbraune, auf der Brust ins Fahle, auf Kehle und Bauch ins Lichtgelbe über; der Kopf ist röthlichfahl mit lichterem, durch die weißlichen Haarspitzen hervorgebrachten Schimmer, die Stirne fahlbräunlich, die Oberlippe seitlich dunkelgrau, der Lippenrand weiß, ein von ihm aus nach den Ohren verlaufender, verwischter Streifen dunkelgrau, ein die Brust in der Schlüsselbeingegend umgebendes Band und ein dreieckiger Flecken zwischen den Vorderläufen schwärzlich, ein über die Seite sich ziehender breiter Längsstreifen gelblichfahl, unten schwarz gesäumt, ein von hinten und oben nach vorn und unten über den Hinterschenkel verlaufender Streifen tiefschwarz; die Läufe sehen bis auf einen vorn längs der Vorderläufe hervortretenden dunklen Streifen lebhaft rostroth aus; der Schwanz hat an der Wurzel graue, seitlich fahle, an der Spitze rein weiße, übrigens schwarze Färbung.

Vom Kaffernlande aus verbreitet sich der Streifenwolf über einen großen Theil Afrika's. Ich erhielt die Wölfin, von welcher vorstehende Beschreibung entnommen wurde, aus Sansibar, der Thiergarten zu London einen anderen lebenden, genau ebenso gefärbten Streifenwolf vom Fernado-Vapflusse, südlich vom Gabon in Westafrika. Wahrscheinlich ist unser Wolf derselbe Wildhund, welchen Du Chaillu mit dem Namen Mboyo bezeichnet, und von dem er erzählt, daß er ein sehr scheues, jagdlustiges und jagdtüchtiges Raubthier sei. »Ich habe«, sagt er, »oft zugesehen, wenn diese [542] Wölfe Kleinwild jagten. Sie laufen in geschlossenen Meuten, kreisen nach allen Richtungen, spüren so rasch eine Beute auf, verfolgen und fangen jedes Wild von mäßiger Ausdauer.« Jedenfalls besitzen die Streifenwölfe die Jagd- und Raublust ihrer Verwandtschaft in vollem Maße. Meine Gefangene folgte jedem von ihrem Käfige aus sichtbaren Wilde mit größter Theilnahme, gleichsam mit verklärtem Auge. Ein vorüberfliegender Vogel, ein am Käfige vorbeispazierendes Huhn beschäftigten sie auf das lebhafteste.


Streifenwolf (Canis adustus). 1/8 natürl. Größe.
Streifenwolf (Canis adustus). 1/8 natürl. Größe.

Das Betragen meiner Streifenwölfin war übrigens im wesentlichen dasselbe wie das der Schakale und anderer Wölfe ähnlicher Größe. Auch sie zeigte sich Menschen und größeren Thieren gegenüber scheu und furchtsam, obgleich sie ihrer Haut sich zu wehren wußte. Anfangs setzte sie meinen Liebkosungen Mißtrauen entgegen, allgemach aber verlor sich ihre übergroße Vorsicht, und nach einigen Wochen hatte ich ihr Vertrauen wirklich gewonnen. Sie kam auf meinen Ruf herbei und gestattete, daß ich sie berührte, und wenn auch anfangs bedenkliches Nasenrümpfen zur Vorsicht mahnte, erreichte ich endlich doch meinen Zweck und durfte sie streicheln. Später wurde sie zahm und freundlich, mir jedenfalls sehr zugethan, obgleich sie ihr Mißtrauen niemals vollständig überwinden konnte. Mit den Genossen ihres Käfigs hielt sie ihrerseits Frieden; Zudringlichkeiten derselben wies sie entschieden zurück. Eine Stimme habe ich nicht von ihr vernommen. Auf kleine Thiere, z.B. Ratten und Sperlinge, war sie sehr gierig, nicht minder gern fraß sie Früchte: Pflaumen, Kirschen, Birnen und Milchbrod gehörten zu ihren ganz besonderen Leckereien. Gegen die rauhe Witterung unseres Nordens schien sie höchst empfindlich zu sein, lag an kalten Tagen, nach Hundeart zusammengerollt, regungslos und erhob sich dann, auch wenn man sie rief, nur ungern, während sie sonst augenblicklich ans Gitter kam. Am lebendigsten war sie an warmen Sommerabenden.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. DXLII542-DXLIII543.
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