Bullenbeißer (Canis familiaris molossus)

[605] Bei dem Bullenbeißer (Canis familiaris molossus) ist der Leib gedrungen, dick, gegen die Weichen nur wenig eingezogen, der Rücken nicht gekrümmt, die Brust breit und tiefliegend, der Hals ziemlich kurz und dick, der Kopf rundlich, hoch, die Stirne stark gewölbt, die Schnauze kurz, nach vorn verschmälert und sehr abgestumpft. Die Lippen hängen zu beiden Seiten über (klaffen vorn aber nicht) und triefen beständig von Geifer; die ziemlich langen und mittelbreiten Ohren sind gerundet, halb aufrecht stehend, gegen die Spitze umgebogen und hängend. Die kräftigen Beine haben mittlere Höhe; an den Hinterpfoten fehlt die Afterzehe. Der Schwanz ist am Grunde dick, gegen das Ende zu verschmälert, ziemlich lang und reicht bis an das Fersengelenk, wird selten gerade oder nach rückwärts gestreckt, sondern meistens in die Höhe gerichtet und vorwärts gebeugt. Die Färbung ist entweder fahl oder bräunlichgelb, bisweilen mit schwärzlichem Ueberfluge, oder auch bräunlich; die Schnauze, die Lippen und die äußeren Enden der Ohren sind schwarz; doch gibt es wie bei allen Hunden vielfache Abänderungen.

Als muthmaßliche Heimat des Bullenbeißers kann Irland betrachtet werden; wenigstens finden sich dort die ausgezeichnetsten Rassen, welche man überhaupt kennt. Entsprechend der Schwere und Plumpheit dieser Thiere ist ihr Lauf weder anhaltend noch rasch. Dagegen besitzen sie eine überaus große Stärke, viel Entschlossenheit und einen unglaublichen Muth, ja, man kann sagen, daß sie mit wenigen Ausnahmen als die muthigsten aller Thiere angesehen werden können. Ihrer Stärke wegen sind die Bullenbeißer zu schwerer und gefährlicher Jagd und zu Kämpfen mit wilden Thieren besonders geeignet. Noch im Anfange dieses Jahrhunderts veranstalteten die Engländer Kampfspiele zwischen Bullenbeißern und Stieren; selbst gegen Bären und Löwen kämpften die Hunde mit vielem Glück: man rechnete nur drei Doggen auf einen Bären, vier auf einen Löwen.

Die geistigen Fähigkeiten des Bullenbeißers sind nicht so ausgezeichnet wie die der übrigen gescheiten Hunde, keineswegs aber so tiefstehend, wie man gewöhnlich angenommen hat. Man glaubte, in dem Bullenbeißer ein Thier der rohen Stärke vor sich zu sehen, und gab sich vom Anfange an dem Glauben hin, daß es in geistiger Hinsicht durchaus nichts leisten könne. Doch ist diese Ansicht unbegründet; denn jeder Bullenbeißer gewöhnt sich an den Menschen und opfert ohne Bedenken sein Leben für ihn auf. Er eignet sich vortrefflich zum Wachen und Hüten des Hauses und vertheidigt das ihm Anvertraute mit wirklich beispiellosem Muthe. Als Reisebegleiter in gefährlichen, einsamen Gegenden ist er gar nicht zu ersetzen. Man erzählt, daß er seinen Herrn gegen fünf bis sechs Räuber mit dem größten Erfolge vertheidigt hat, und kennt Geschichten, in denen er als Sieger aus solchen ungleichen Kämpfen hervorging, trotz unzähliger Wunden, welche er erhalten hatte. Auch als Wächter bei Rinderherden wird er verwendet und versteht es, selbst [605] den wildesten Stier zu bändigen; denn er ist geschickt genug, sich im rechten Augenblicke in das Maul des Gegners einzubeißen und so lange sich dort fest zu hängen, bis sich der Stier geduldig der Uebermacht des Hundes fügt.


Bullenbeißer (Canis familiaris molossus). 1/8 natürl. Größe.
Bullenbeißer (Canis familiaris molossus). 1/8 natürl. Größe.

Zum Kampfe gegen große Raubthiere, wie Bären und Wölfe, Wildschweine, Löwen usw., läßt er sich leicht abrichten und steht deshalb bei allen Völkern, welche mit derlei Raubgezüchte zu thun haben, in hohem Ansehen. In den alten Thierhetzen auf Auerochsen und anderes schweres Wild wurde er vielfach verwendet, und in Amerika wird er noch heutigen Tages bei den Stiergefechten benutzt. Anderen Hunden gegenüber beträgt er sich sehr anständig. Er sucht nur selten Streit und läßt sich besonders von kleineren Hunden viel gefallen. Auch erträgt er Neckereien lange Zeit; bei fortgesetzter Reizung aber greift er, ohne vorher zu warnen oder viel zu bellen und ohne zu irgend welcher List seine Zuflucht zu nehmen, von vorn an, begnügt sich jedoch gewöhnlich, seinen Gegner zu Boden zu werfen und ihn festzuhalten, falls dieser keinen ferneren Widerstand versucht. Gegen seinen Herrn ist er treu und anhänglich; gegen Fremde bleibt er immer gefährlich, er mag frei sein oder an der Kette liegen, und wenn er auf Leute gehetzt wird, ist er wahrhaft furchtbar.

Ihm sehr nahe stehen die eigentlichen Doggen (Canis familiaris molossus), sehr große und starke Thiere mit kurzer, dicker, vorn gerade abgestumpfter Schnauze, deren Oberlippen, [606] obgleich sie an den Seiten herabhängen, vorn den Mund nicht schließen und so beständig das Gebiß sehen lassen. Die Nase ist nicht selten gespalten, der Pelz kurzhaarig und gewöhnlich von Farbe einfach roth, oft aber auch bunt. In früheren Zeiten, in denen das Land unsicherer war als gegenwärtig, hielt man die Doggen noch in ziemlicher Menge, gegenwärtig findet man sie nur bei Liebhabern. »Die Englischen Docken«, sagt von Flemming in seinem Vollkommenen teutschen Jäger, »welche große Herren anfänglich aus England und Irland mit vielen Unkosten bringen lassen, werden jetziger Zeit in Teutschland auferzogen. Und geben denen allergrößten und schönsten den Namen Cammer-Hunde, weil sie solche meistens des Nachts in ihrem Schlaff-Gemach bei sich haben, damit, wann Mörder einfallen sollten, diese solche Bösewichte niederreißen, ihren Herrn aber erretten möchten. Nächst diesen werden andere Englische Docken Leib-Hunde genennet, welche an Hirsche, Schweine und Wölfe gehetzt werden; sonderlich müssen dieselben angewiesen werden, daß sie ein wildes Thier ja nicht vor den Kopff anfallen, sondern zur Seite an die Ohren fassen und zu beiden Seiten sich anlegen. Denn sonst ein Bär sie zerreißen, ein Hirsch sein Gehörn vorwerffen und dieselben spießen, das wilde Schwein hauen, der Wolf aber stetig umb sich schnappen und herrumb beißen würde. Im Stall liegen sie ein jeder besonders vor sich an Ketten, und hat jeder seinen Fraß absonderlich vor sich stehen. Die Bären- oder Bollbeißer sind von dieser vorgemeldeten Art eine besondere Gattung, welche zwar dicke und schwer, zum fangen aber ungemein hitzig erbittert sind. Sie sehen böse und tückisch auf, und werden insgemein zur podolischen und ungarischen Büffel-Ochsen-Hatz, wie auch zuweilen die Bäre damit zu hetzen, gebraucht. Sie werden anfänglich an mäßige Sauen gehetzt, endlich an kleine Bären. Man muß die selben, wenn sie sich fest einbeißen und verfangen, geschwind mit einer starken rauhen Gänsefeder in die Kehle kützeln, alsdann lassen sie selbst loß. Der Bär schmeisset mit Ohrfeigen umb sich, bis die Herrschaft überdrüssig wird, sodann werden die Hunde an sich angeruffen, und der Bär entweder in einen Kasten gethan, oder von der Herrschaft ihme mit dem Fang-Eysen der Rest gegeben, nachdem die Cammer- oder Leibhunde vorgerücket und denselben gefangen, darzu dann von anwesenden Jägern mit Wald- und Hüffthörnern geblasen wird.«

Mit diesen Worten sind die Doggen fast hinlänglich beschrieben. Bei uns sieht man gewöhnlich nur eine mittelgroße Rasse, welche höchstens die Größe eines mäßigen Hühnerhundes erreicht, oft aber nur halb so groß ist. Die Farbe dieses Thieres ist regelmäßig ein lichtes Isabellgelb; es finden sich aber auch, obwohl selten, Doggen, welche dunkler gefärbt sind. Die starken Knochen, die breite Brust und vor allem der ausgezeichnete Bau des Kopfes lassen die Doggen nie verkennen. Der Kopf ist hinten breit und dick, die Schnauze kurz, die Nase eingedrückt und deshalb häßlich, oder aber gespalten, so daß jedes Nasenloch fast für sich besonders zu liegen scheint; die Schneidezähne stehen oft unregelmäßig, z.B. einige hinter den anderen; die Spitze der Unterkinnlade tritt vor die der Oberkinnlade; Eck- und Backenzähne sind gewaltig; die großen Augen haben einen düsteren Ausdruck.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. DCV605-DCVII607.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Anonym

Tai I Gin Hua Dsung Dschi. Das Geheimnis der Goldenen Blüte

Tai I Gin Hua Dsung Dschi. Das Geheimnis der Goldenen Blüte

Das chinesische Lebensbuch über das Geheimnis der Goldenen Blüte wird seit dem achten Jahrhundert mündlich überliefert. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Richard Wilhelm.

50 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon