Eskimohund (Canis familiaris borealis)

[649] Nicht minder nützlich als die letztgenannten beiden macht sich der Eskimohund (Canis familiaris borealis), welcher im ganzen Norden der Erde von den hier hausenden ungesitteten Völkerschaften als das wichtigste aller Hausthiere angesehen werden muß. Er übertrifft unseren Schäferhund meist an Größe, unterscheidet sich von ihm auch sofort durch sein wolfsähnliches Ansehen, die aufrechtstehenden Ohren, den dicken Pelz, welcher im Winter förmlich wollig erscheint, und den listigen Gesichtsausdruck. Sein Auftreten bekundet Ungebundenheit und ein gewisses Maß von Freiheit, obgleich er diese nur zeitweilig genießt, da er andererseits auch in der allerschändlichsten Knechtschaft lebt, welche man sich denken kann. Der Eskimohund hat im ganzen Norden der alten Welt höchst ähnliche Verwandte und wird ebenso zum Hüten des Viehes wie zum Ziehen von Schlitten benutzt. Bei seinen Arbeiten als Renthierhirt wollen wir uns nicht aufhalten, sondern mehr auf letztere Beschäftigung Rücksicht nehmen.

Der Eskimohund bringt fast sein ganzes Leben unter dem Joche zu; denn entweder muß er Schlitten ziehen oder Lasten tragen. Im Norden von Amerika und seinen benachbarten Inseln ist er wirkliches oder einziges Jochthier, welches der Mensch dort sich zu eigen gemacht hat. Nur während der kurzen Sommerzeit gestattet ihm sein eigennütziger Herr eine gewisse Freiheit, während des Winters ist er vollendeter Sklave.

[649] Einen wohlgenährten Eskimohund darf man ein schönes Thier nennen; leider aber wird ihm die Nahrung, wenn er sich nicht selbst solche verschafft, von seinem Herrn so sparsam zugemessen, daß er viele Monate hindurch mehr einem Gerippe als einem lebenden Wesen ähnelt. Sein Verhältnis zu dem Menschen ist eigenthümlicher Art. Er weiß, daß er in Sklavenketten liegt, und versucht, diese Ketten zu brechen. Es ist etwas vom wölfischen Wesen in ihm, in leiblicher Hinsicht sowohl wie in geistiger. Dem arktischen Wolfe gleicht er so sehr durch seine dichte Behaarung, die aufrechtstehenden Ohren, die Breite des Oberkopfes und die spitzige Gestalt der Schnauze, daß beide, aus einiger Entfernung gesehen, gar nicht unterschieden werden können. Während Parry's zweiter Polarreise wagte einst eine Jagdgesellschaft nicht, auf einen Trupp von zwölf Wölfen zu feuern, welche einige Eskimos bedrohten, weil sie, über die Art der Thiere im Ungewissen, fürchteten, einige von den Hunden zu tödten, welche den einzigen Reichthum jener gutmüthigen Menschen ausmachen. Der Eskimohund raubt und stiehlt wie nur einer, ist auf der anderen Seite aber auch wieder so hündisch demüthig, wie nur ein von Furcht gepeinigter Sklave es sein kann. Vor den Schlitten wird immer ein ziemlich starker Trupp gespannt, welcher unter Leitung eines älteren und erfahrenen Hundes seinen Weg verfolgt; von einer Lenkung des Schlittens nach unseren Begriffen seitens des Menschen kann keine Rede sein. Jeder einzelne Hund ist an einen Lederriemen gespannt, welcher vermittels eines höchst einfachen Kummets an ihm befestigt wurde. Eine Weile geht alles gut. Plötzlich aber gerathen zwei von dem Gespanne aus irgend welcher Ursache in Feindschaft. Aus dem Knurren entsteht eine Beißerei; das ganze Gespann verwirrt sich in einen undurchdringlichen Knäuel; alles knurrt, bellt, beißt, wüthet durch einander, und nicht einmal die mit Macht geschwungene Peitsche des Schlittenführers bringt Ordnung in den Haufen. Endlich hat sich der Hundeballen so arg verwirrt, daß an keine freie Bewegung mehr zu denken ist, und nun liegt es dem Eskimo ob, die Thiere wieder zu entwirren und von neuem einzuspannen. Dann geht die Fuhre weiter, und die Peitsche wird etwas öfter gebraucht.

Ohne dieses Hausthier würden die Eskimos nicht bestehen können. Die Hunde leisten ihnen alle denkbaren Dienste. Mit einer Bürde von 30 Pfund beladen, begleiten sie ihre Herren, wenn diese zu ihren langdauernden Jagden aufbrechen. Ihrer sechs bis acht ziehen einen Schlitten, welcher mit fünf bis sechs Personen oder einem Gewichte von 600 bis 800 Pfund besetzt ist, acht bis zehn Meilen weit in einem Tage. Nach langer Ruhe und guter Fütterung vor einen Schlitten gespannt, sind sie kaum zu zügeln und durchlaufen auf ebener Bahn mehr als zwei geographische Meilen in einer Stunde. Spüren sie ein Ren unterwegs, so rennen sie wie rasend in der Richtung desselben und ruhen nicht eher, als bis sie den Jäger schußgerecht an das Wild gebracht haben. Außerdem helfen sie bei der Seehund-, Bären- und Otterjagd, halten Wache, vertheidigen ihren Herrn in Gefahr und leisten noch hundert andere Dienste. Und gleichwohl fühlen die Eskimos nicht die geringste Liebe zu ihnen, sondern betrachten sie höchstens als belebte Maschinen, welche einzig und allein zu dem Zwecke geschaffen wurden, ihnen Dienste zu leisten. Aus diesem Grunde sind sie auch die unnachsichtigsten und grausamsten Herren, welche die armen Thiere geradezu regelrecht quälen, sie Hunger und Durst leiden lassen, peitschen, mit Fußstößen behandeln und ihrer Geduld Dinge zumuthen, welche selbst einem Engel zu toll sein dürften. Daß die Hunde auch ihrerseits keine besondere Zuneigung zu ihrem Herrn zeigen, versteht sich ganz von selbst.

Wie gedachte Hunde und ihre Verwandten benutzt werden, hat trefflich schon Steller geschildert: »Unter den zahmen Thieren auf Kamtschatka gebührt den Hunden wegen Alterthums und Nutzens das Vorrecht, und machen sie allein die ganze Klasse der kamtschadalischen zahmen Thiere aus. Die Kamtschadalen behaupten, daß sich ihr Adam, Kuttka, vormals der Hunde nicht bedient, sondern den Schlitten selber gezogen habe. Damals hätten die Hunde wie Menschen geredet. Es sei aber einstmals geschehen, daß Kuttka's Nachkommen in einem Kahne den Fluß abwärts getrieben. Als sie nun am Ufer einige zottige Hunde erblickt und diese ihnen zugerufen: ›Was seid ihr für Leute?‹ so hätten sie nicht geantwortet, sondern wären hurtig vorbeigeschwommen.[650] Darüber hätten sich die Hunde dergestalt erzürnt, daß sie beschlossen, ins künftige kein verständiges Wort mehr mit irgend einem Menschen zu sprechen, welches sie auch bis zu dieser Stunde gehalten. Doch wären sie noch so neugierig, daß sie alle Fremden anbellten und befragen wollten, wer sie seien und woher sie kämen.

Ohne diese Hunde kann so wenig Jemand als an anderen Orten ohne Pferd und Rindvieh leben. Die kamtschatkischen Hunde sind verschiedenfarbig, hauptsächlich aber dreierlei: weiß, schwarz und wolfsgrau, dabei sehr dick- und langhaarig. Sie ernähren sich von alten Fischen. Vom Frühjahre bis in den späten Herbst bekümmert man sich nicht im geringsten um sie, sondern sie gehen allenthalben frei herum, lauern den ganzen Tag an den Flüssen auf Fische, welche sie sehr behend und artig zu fangen wissen. Wenn sie Fische genug haben, so fressen sie, wie die Bären, nur allein den Kopf davon, das andere lassen sie liegen. Im Oktober sammelt Jeder seine Hunde und bindet sie an den Pfeilern der Wohnung an. Dann läßt man sie weidlich hungern, damit sie sich von dem Fette entledigen, zum Laufen fertig und nicht engbrüstig werden mögen, und alsdann geht mit dem ersten Schnee ihre Noth an, so daß man sie Tag und Nacht mit gräßlichem Geheul und Wehklagen ihr Elend bejammern hört. Ihre Kost im Winter ist zweifach. Zur Ergötzung und Erstärkung dienen stinkende Fische, welche man in Gruben verwahrt und versäuern läßt, weil auf Kamtschatka nichts stinkend wird (denn wenn auch die Itälmen und Kosaken solche Fische mit großem Appetite verzehren, die wie Aas stinken, bei welchen ein Europäer in Ohnmacht fallen oder die Pest besorgen möchte, sprechen sie, es sei gut sauer, und pflegen daher zu sagen, daß in Kamtschatka nichts stinke). Diese sauern Fische werden in einem hölzernen Troge mit glühenden Steinen gekocht und dienen ebensowohl zur Speise der Menschen als zum Hundefutter. Die Hunde werden zu Hause, wenn sie ausruhen, oder auf der Reise des Abends, wenn sie die Nacht über schlafen, mit diesen Fischen allein gefüttert; denn wenn man sie des Morgens damit füttert, werden sie von diesen Leckerbissen so weichlich, daß sie auf dem Wege ermüden und nur Schritt für Schritt gehen können. Das andere Futter besteht in trockener Speise, von verschimmelten und an der Luft getrockneten Fischen. Damit füttert man sie des Morgens, um unterwegs ihnen Muth zu machen. Weil nun das meiste daran Gräten und Zähne, die Hunde aber mit der größten Begierde darüber herfallen, verrichten sie mehrentheils die Mahlzeit mit einem blutigen Maule. Uebrigens suchen sie sich selber Speise auf und stehlen grausam, fressen Riemen und ihrer Herrn eigne Reisekost, wo sie dazu kommen können, steigen wie Menschen auf den Leitern in die Balagans oder Wohnungen und plündern alles, ja, was das Lächerlichste: Niemand ist im Stande, seine Nothdurft zu verrichten, ohne immer mit einem Prügel um sich zu schlagen. Sobald man seine Stelle verläßt, sucht einer den anderen unter vielem Beißen um das Depositum zu übervortheilen. Demungeachtet frißt kein kamtschatkischer Hund Brod, wo er auch noch so hungerig. Der Koth von den Hunden ist wegen der vielen, unter beständigem Ziehen ausgepreßten Galle gelb und auch an Beschaffenheit von dem menschlichen nicht zu unterscheiden, stinkt dabei aber so heftig, daß man sich kaum davor auf dem Schlitten erhalten kann. Von dem heftigen Ziehen und Anstrengen wird das Geblüt sowohl in den inwendigen als äußerlichen Theilen mit solcher Gewalt gepreßt, daß auch die Haut zwischen den Zehen der Füße röthlich wie Blut wird, und man kann daran einen guten Hund erkennen, daß sein After so hochroth wie das schönste Scharlach ist. Dabei sind die kamtschatkischen Hunde sehr leutescheu, unfreundlich, fallen keinen Menschen an und bekümmern sich nicht im geringsten um des Herrn Güter, gehen auch auf kein Thier oder Wild, aber stehlen, was sie bekommen, sind sehr furchtsam und schwermüthig und sehen sich beständig aus Mistrauen um, sie mögen thun, was sie wollen. Sie haben nicht die geringste Liebe und Treue für ihren Herrn, sondern suchen denselben allezeit um den Hals zu bringen; mit Betrug muß man sie an die Schlitten spannen. Kommen sie an einen schlimmen Ort, an einen steilen Berg oder Fluß, so ziehen sie aus allen Kräften, und ist der Herr genöthigt, um nicht Schaden zu nehmen, den Schlitten aus den Händen zu lassen, so darf er sich nicht einbilden, solchen eher wieder zu erhalten, bis sie [651] an einen Ruheplatz kommen, es sei denn, daß der Schlitten zwischen den Bäumen stecken bleibt, wo sie jedoch keine Mühe sparen, alles in Stücke zu zerbrechen und zu entlaufen. Woraus man sieht, wie sehr die Lebensart unvernünftige Thiere verändert und welchen großen Einfluß sie auf die Hundeseele hat.

Man kann sich nicht genug über die Stärke der Hunde verwundern. Gewöhnlich spannt man nur vier Hunde an einen Schlitten; diese ziehen drei erwachsene Menschen mit anderthalb Pud Ladung behend fort. Auf vier Hunde ist die gewöhnliche Ladung fünf bis sechs Pud. Leicht beladen kann ein Mensch in einem Tage auf schlimmen Wegen und bei tiefem Schnee 30 bis 40 Werst zurücklegen, auf gutem Wege 80 bis 100 Werst, und hat man sich sowohl an dem Pentschinischen See als Werchnoi Ostrog und an den Flüssen Kamtschatka's landeinwärts nimmermehr Hoffnung zu machen, daß man bei dem größten Ueberflusse von Pferden sich derselben auf Winterrei sen werde bedienen können, obwohl im Sommer sich sowohl geschwinder als bequemer damit würde reisen lassen. Im Winter sind die Pferde nicht zu gebrauchen wegen des allzutiefen Schnees, über welchen die Hunde hinlaufen, ein Pferd aber bis an den Leib einfällt, wie auch wegen der vielen steilen Gebirge und engen Thäler, unwegsamen, dicken und grausen Wälder und vieler Ströme und Quellen, so entweder gar nicht zufrieren oder doch wenigstens nicht so hart, als daß es ein Pferd ertragen könne. Wegen der erschrecklichen und öfteren Sturmwinde hat man auch niemals oder selten auf einen gebahnten Weg zu hoffen. Allein auf dem Flusse Kamtschatka, so fest gefrieret, bleibet große Hoffnung übrig, daß daselbst die Pferde im Winter sehr nützlich können verwendet werden.

Dieser Ursachen wegen werden die Hunde allezeit nöthige und nützliche Thiere bleiben und ihnen niemals bei aller Kultivirung die Last, zu ziehen, abgenommen werden. Man findet ebenso große Liebhaber von Hunden als anderswo von Pferden, und kann leicht Jemand an einen kamtschadalischen Schlitten für Hund und Hundegeschirr 60 bis 80 Rubel anwenden.

Ungeachtet nun die Reise mit Hunden sehr beschwerlich und gefährlich und man fast mehr entkräftet wird, als wenn man zu Fuße ginge, und man bei dem Hundeführen und Fahren so müde wie ein Hund selber wird, so hat man doch dabei diesen Vortheil, daß man über die unwegsamsten Stellen damit von einem Orte zum anderen kommen kann, wohin man weder mit Pferden noch, wegen des tiefen Schnees, sonst zu Fuße kommen könnte. Sie sind außer dem Ziehen gute Wegweiser und wissen sich auch in den größten Stürmen, wo man kein Auge aufmachen kann, zurecht und nach den Wohnungen zu finden. Sind die Stürme so hart, daß man liegen bleiben muß, was sehr oft geschieht, so erwärmen und erhalten sie ihren Herrn, liegen neben demselben ein bis zwei Stunden ruhig und still, und hat man sich unter dem Schnee um nichts zu bekümmern, als daß man nicht allzutief vergraben und ersticket werde. Oft kommt es vor, daß ein Sturm einige Tage, ja eine ganze Woche fortwähret. Die Hunde liegen während dieser Zeit beständig still, wenn sie aber die äußerste Hungersnoth treibt, so fressen sie Kleider und alle Riemen vom Schlitten ab, und man kann sich nicht genug über ihre starke Natur verwundern, worin sie die Pferde bei weitem übertreffen. So hat man auch vor den Stürmen allezeit die sicherste Nachricht von dem herannahenden oder kommenden Ungewitter durch die Hunde; denn wenn sie im Schnee graben und sich dabei legen, mag man, wofern zu weit von Wohnungen entfernt, sicherlich einen Ort sich aufsuchen, wo man vor dem Sturme sich verbergen kann.

Die kamtschatkischen Schlitten sind nach Kräften der Hunde und nach der gebirgigen Gegend dergestalt ausgedacht, daß solche der geschickteste Mechanikus nicht besser hätte erfinden können. Sie scheinen ihren Grund aus der Anatomie und Bildung des menschlichen Körpers zu haben. Oben ist ein länglichhohler Korb, der aus lauter gebogenen Hölzern und zwei dünnen, langen Stöcken besteht, daran dieselben mit Riemen festgebunden sind. Dieses Gegitter nun ist überall und auf allen Seiten mit Riemen umwunden und biegt sich alles daran, ohne zu zerbrechen; bricht auch ein Hölzchen, so lassen doch die Riemen den Korb nicht auseinanderfallen. In diesen Korb packt man fünf Pud schwer, und wenn ein Mensch darauf sitzt, kann man noch zwei Pud sehr bequem [652] mit sich führen. Dieser Korb ist auf zwei krummgebogene Hölzer aufgebunden, welche wiederum auf den Schlittenläufern festgemacht sind. Letztere sind nicht über ein Drittel Zoll dick, der ganze Schlitten aber wiegt nicht über sechszehn Pfund. Obgleich nun daran alles so dünn und biegsam ist, so widerstehen die Schlitten doch solcher Gewalt, daß man sich nicht genug darüber wundern kann. Man fährt damit öfters dergestalt an Bäumen an, daß sich der Schlitten fast doppelt zusammenbiegt und doch keinen Schaden leidet. Man fährt damit über die höchsten Gebirge und steilsten Klippen und behält allezeit soviel Kräfte, daß man den Schlitten erhalten oder vor allem Sturz und Fall bewahren kann. Man sitzt darauf mehrentheils auf einer Seite, um zugleich bei einer gefährlichen Stelle von demselben herabspringen zu können. Zuweilen setzt man sich auf mehreren Orten darauf wie auf ein Pferd. Die Hunde laufen ihren Weg, will man zur Linken, so schlägt man mit dem Stocke zur rechten Seite an die Erde oder an den Schlitten, will man zur Rechten, schlägt man an die linke Seite des Schlittens; will man still halten, steckt man den Stock vor den Schlitten in den Schnee; fährt man einen steilen Berg hinab, so steckt man den Stock in Schnee zwischen das Vorderbogenholz und hemmt dadurch ein. Ungeachtet man nun fährt, so wird man doch ebenso müde, als wenn man zu Fuß ginge, weil man die Hunde beständig zurückhalten, bei schlimmen Wegen vom Schlitten abspringen, daneben herlaufen und den Schlitten halten muß; fährt man einen Berg hinauf, so muß man ohnedies zu Fuße gehen. Außer den Sturmwinden werden die Hundereisen gefährlich und beschwerlich wegen der vielen Flüsse, welche selten in dem härtesten Winter zufrieren, oder bei gelinder Witterung aller Orten gleich wieder aufthauen, und hat man folglich immer zu befürchten, hineinzufallen und zu ertrinken, welches auch alle Jahre geschieht. Noch eine Beschwerde verursachen die dichten Wälder, durch welche man fahren muß. Selten trifft man einen geraden Baum an, sondern fährt zwischen den Aesten und Zweigen dahin, dabei man immer in Sorge steht, Arme und Beine zu zerbrechen oder die Augen aus dem Kopfe zu verlieren. Ueberdies haben die Hunde die schelmische Eigenschaft, daß sie aus allen Kräften ziehen und laufen, wenn sie an einen solchen Wald, Fluß oder steilen Abhang kommen, weil sie wissen, daß sie ihren Herrn herabwerfen, den Schlitten zerbrechen und auf diese Art von der Last, zu ziehen, befreit werden können.

Der andere Hauptnutzen der Hunde, weshalb sie auch so häufig gehalten und gezogen werden, ist, daß man sowohl den abgelebten Schlittenhunden wie den zur Fahrt untauglichen die Häute abnimmt und zweierlei Kleider daraus macht, welche in dem ganzen Lande von großem Nutzen und großem Werthe sind. Diese Kleider haben vor dem übrigen Pelzwerke folgende Vorzüge: erstens sind sie die prächtigsten Staats- und Feiertagskleider von uralten Zeiten her, und pflegt sich Einer gegen den Anderen, seine Ehre zu retten, also vernehmen zu lassen, wo es zu Rangstreitigkeiten und Rühmen kommt. ›Wo warst Du Kerl, da ich und meine Vorfahren schon Hundskuklanken trugen? Was hattest Du dazumal für Kleider an?‹ Bis zur Stunde kann man allezeit einen Hundskuklanken für einen aus Fuchs oder Biber gemachten vertauschen. Zweitens sind die Hundefelle sehr warm, drittens sehr dauerhaft, da sie in den größten Strapazen wenigstens vier Jahre aushalten, während ein Renthier- oder Mufflonfell einen Winter dient und dann kahl wird; viertens brauchen diese Kleider nicht so sehr wie andere in Acht genommen zu werden: sie lassen die Haare nicht fahren und sind allezeit trocken.

Je längere Haare die Hunde haben, je höher werden sie geschätzt. Diejenigen Hunde aber, so hohe Füße, lange Ohren, spitzige Nasen, ein breites Kreuz, unten breite Füße und nach den Ohren zu dicke Köpfe haben, stark fressen und munter sind, werden von Jugend auf zu Schlittenhunden auserlesen und auf folgende Art belehrt und abgerichtet. Sobald sie sehen, werden sie sammt der Mutter in eine tiefe Grube gelegt, daß sie weder Menschen noch Thiere zu sehen bekommen, und ernähren selbe dadrinnen. Wenn sie von der Hündin abgewöhnt sind, legen die Kamtschadalen solche abermals in eine Grube, bis sie erwachsen. Nach einem halben Jahre spannen sie dieselben mit anderen gelernten an den Schlitten und fahren mit ihnen einen kurzen Weg. Weil die jungen [653] Thiere nun hunde- und leutescheu sind, so laufen sie aus allen Kräften. Sobald sie wieder nach Hause kommen, müssen sie wieder in die Grube, solange und soviel, bis sie von nichts anderem wissen, des Ziehens ge wohnt werden und eine weite Reise verrichtet haben. Alsdann werden sie unter den Wohnungen neben andere gebunden und erhalten als Ausstudirte im Sommer ihre Freiheit. Aus dieser Erziehung sind hernach ihre mores herzuleiten.

Der größte Verdruß bei der Hundefahrt ist der, daß sie, sobald sie angespannt werden, den Kopf gegen den Himmel erheben und erschrecklich zu heulen und zu wehklagen anfangen, nicht anders, als wenn sie den Himmel wegen ihrer harten Umstände anrufen wollten. Sobald sie aber in das Laufen kommen, schweigen sie auf einmal alle still. Darauf geht der andere Verdruß an, daß einer um den anderen zurückspringt, seine Nothdurft verrichtet, und während sie diese Zeit ausruhen, so brauchen sie hierin die List, daß allezeit einer nach dem anderen seine Nothdurft verrichtet, auch wohl manchmal nur halb, und geben sie öfters umsonst dieses Geschäft vor. Kommen sie an Ort und Stelle, so liegen sie ermüdet da, als wenn sie todt wären.

Diejenigen Hunde aber, welche die Kamtschadalen zur Hasen-, Zobel-, Fuchs- und Mufflonsjagd abrichten, füttern sie öfters mit Krähen, die man in Ueberfluß hat, wovon sie den Geruch bekommen und nach diesen wie nach allem Wild und Vögeln laufen. Mit solchen Hunden treiben die Kamtschadalen im Juli Enten, Gänse und Schwäne, wenn sie in die Felder fallen, und auch in den großen Inseen in ziemlicher Menge zusammen.«

Im übrigen Sibirien werden die Hunde etwas besser behandelt. »Der sibirische Hund«, sagt Wrangel, »hat auffallende Aehnlichkeit mit einem Wolfe, sein Gebell gleicht ganz dem Geheul desselben. Im Sommer bringt er, um gegen Stechfliegen in Sicherheit zu sein, die größte Zeit im Wasser zu, im Winter hat er sein Lager tief im Schnee. Das vollständige Gespann eines Schlittens besteht aus zwölf Köpfen. Ein besonders gut abgerichteter Hund befindet sich an der Spitze und leitet die übrigen. Hat dieses Thier nur ein einziges Mal einen Weg zurückgelegt, so erkennt es nicht nur aufs genaueste die zu nehmende Richtung, sondern auch die Orte, wo man zu verweilen pflegt, selbst wenn die Hütten tief unter dem Schnee verborgen sind. Er hält plötzlich auf der gleichförmigen Oberfläche still, wedelt mit dem Schwanze und scheint dadurch seinen Herrn einzuladen, die Schaufel zu ergreifen, um den engen Gang in die Hütte zu finden, welche einen Rastort gewähren soll. Im Sommer muß derselbe Hund Boote stromaufwärts ziehen; hindert ihn ein Felsen, weiter vorwärts zu gehen, so stürzt er sich ins Wasser und setzt seinen Weg am anderen Ufer fort. Dafür werden ihm täglich zehn halbverfaulte Häringe als Futter gereicht!

Der Hund ist den Sibiriern unentbehrlich. Als im Jahre 1821 eine Seuche unter den Thieren wüthete und eine jukagirische Familie alles verlor, mit Ausnahme von zwei ganz kleinen Hunden, welche noch nicht sehen konnten, da theilte die Hausfrau ihre eigene Milch zwischen diesen beiden Hündchen und ihrem Kinde und hatte die Freude, daß diese beiden Hunde die Stammeltern einer sehr starken Rasse wurden. Im Jahre 1822 waren die Einwohner am Kolymaflusse, nachdem sie ihre meisten Hunde durch die Seuche eingebüßt hatten, in die traurigste Lage versetzt. Sie mußten ihr Brennholz selbst herbeischleppen; dabei fehlte ihnen sowohl Zeit als Kräfte, die an verschiedenen, weit entfernten Orten gefangenen Fische nach Hause zu bringen. Endlich waren sie gezwungen, während aller dieser Arbeiten, welche äußerst langsam von Statten gingen, die Jagd der Vögel und Pelzthiere fast ganz zu verabsäumen. Eine furchtbare Hungersnoth, welche viele Menschen hinraffte, war die Folge des Mangels an Hunden, welche hier nie ersetzt werden können, weil es bei dem rauhen Klima und kurzen Sommer ganz unmöglich ist, das nöthige Futter für die Pferde anzuschaffen, und endlich, weil der Hund ganz flüchtig über den Schnee hinwegläuft, wo das schwere Pferd beständig versinken würde.«

Von diesen Thieren kann man in Wahrheit das Wort Zoroasters anwenden: »Durch den Verstand des Hundes besteht die Welt«.


*


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. DCXLIX649-DCLIV654.
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