Hirschhund (Canis familiaris sagax acceptorius)

[625] Dem glatthaarigen Hühnerhunde ähnelt am meisten der Hirschhund (Canis familiaris sagax acceptorius), wie man sagt, ein Abkömmling von dem Bluthunde und Windhunde, deren beider Eigenschaften er in sich vereinigen soll. Er zeichnet sich aus durch sein scharfes Spürvermögen und seine außerordentliche Schnelligkeit. Gegenwärtig befinden sich nur noch wenig Ueberreste im Besitze der Königin von England. Früher war es anders. Georg III. war ein leidenschaftlicher Liebhaber der Hirschhetze, an welcher er oft persönlich theilnahm. Nicht selten hetzte man mit solchem Eifer, daß von den hundert berittenen Jägern, welche anfangs hinter dem Hirsche drein ritten, zuletzt nur noch zehn oder zwanzig übrig waren, wenn das flüchtige Wild von den Hunden gepackt wurde.


Hirschhund (Canis familiaris sagax acceptorius). 1/10 natürl. Größe.
Hirschhund (Canis familiaris sagax acceptorius). 1/10 natürl. Größe.

Man durchritt in Windeseile unglaubliche Entfernungen und setzte die Jagd oft so lange fort, daß ein großer Theil der Pferde und selbst viele Hunde dabei zu Grunde gingen. Fünfzig englische Meilen hinter einem Hirsche herzureiten war keineswegs ein seltener Fall. Gegenwärtig ist es freilich anders, da die Bebauung des Bodens dieser Jagd viel zu große Hindernisse in den Weg legt.

Ein ungleich wichtigeres Thier als der Hirschhund ist der ihm nahe verwandte Fuchshund. Berühmte Männer haben sich mehr mit ihm als mit anderen Dingen beschäftigt, dicke Bücher sind über ihn geschrieben worden, und noch heutigen Tages erwecken Fuchshundmeuten bei den Großen [626] Englands weit mehr Theilnahme als ganze Völkerschaften. Auf die Zucht, Veredlung und Erhaltung von Fuchshunden verwendet man Summen, mit denen man Tausende von verarmten, im Elende verkommenden Menschen zu glücklichen und nützlichen Staatsbürgern machen könnte; ihnen errichtet man Ställe, welche die gerade in Großbritannien so tiefstehenden Schulen weit in Schatten stellen; für sie hält man Abrichter und Erzieher, die mehr als doppelt so viel Gehalt bekommen als Lehrer, welche das im Schmutze der Unwissenheit und Lasterhaftigkeit liegende Volk der »Fuchsgegenden« zu Menschen erwecken und bilden könnten, wären sie vorhanden, hätte man für menschliche Untergebene ebensoviel Theilnahme als für die thierischen Unterthanen. Der Jagdfreund mag den Fuchshund mit Entzücken betrachten: dem Menschenfreunde, welcher seinen Blick von den jagenden Hunden auf die durchjagten Gegenden und ihre Bewohner schweifen läßt, kommen Gedanken wie die vorstehend angedeuteten.

Eine Meute Fuchshunde zu pflegen und sie auf gleicher Höhe zu halten, gilt, so viel Geld das Vergnügen auch kosten mag, als Ehrensache in den Augen des reichen Grundbesitzers. Der gewöhnliche Preis für eine Meute von etwa sechszig Hunden schwankt zwischen 500 bis 1000 Pfund Sterling; besonders schöne, auserwählte Thiere gleicher Anzahl werden mit 2000 Pfund und darüber bezahlt. Ungefähr ebensoviel, wenn nicht mehr, beansprucht die Einrichtung der Ställe, welche mit allen erdenklichen Bequemlichkeiten und Annehmlichkeiten ausgerüstet sind; kaum weniger beträgt der jährliche Aufwand für Erhaltung und Ersatz der Hunde, Besoldung ihrer Abrichter und dergleichen. Die Ställe sind wahre Paläste, geräumig, hoch, luftig, warm und sauber wie Putzzimmer; zu ihnen gehören außerdem wohl umhegte, stets reinlich gehaltene Vorhöfe, Tummelplätze für die Hunde, auf denen sie unter Aufsicht ihrer Pfleger Luft und Licht genießen dürfen, eigens hergerichtete Küchen, in denen das Futter bereitet wird, sowie endlich die Wohnungen der Beamten. Der Boden der Ställe ist mit verglasten Fließen gepflastert, von denen jede Unreinlichkeit abläuft oder leicht entfernt werden kann; die Lager befinden sich auf erhöhten, stets mit frischem Stroh belegten Pritschen; für fließendes Wasser hat man im Stalle und auf dem Erholungsplatze, für Baumschatten auf letzterem Sorge getragen. Es fehlt an nichts, was zum Wohlsein der Thiere beitragen könnte.

Obgleich der Fuchshund schon seit vielen Geschlechtern ausgebildet und zu dem gemacht wurde, was er ist, arbeitet man doch ununterbrochen an seiner Vervollkommnung. Zur Nachzucht wählt man nur die ausgezeichnetsten Hunde, sorgt auch gebührend für Erneuerung des Blutes, um alle nachtheiligen Folgen der Inzucht möglichst zu vermeiden. Die jungen Fuchshunde werden unter häufiger Anwendung der Peitsche von eigenen Lehrmeistern in besonderer Weise abgerichtet, schlechte, d.h. ungelehrige oder störrische, vielleicht durch die Erziehung selbst verdorbene Hunde, unnachsichtlich entfernt, in der Regel sogar getödtet. Vorbild und Unterweisung älterer, eingeschulter und erfahrungsreicher Hunde thut das übrige, um den Unterricht des jungen Nachwuchses zu vollenden.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. DCXXV625-DCXXVII627.
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