Rattenpintscher (Canis familiaris Gryphus)

[641] Wenden wir unsere Aufmerksamkeit einer anderen, sehr merkwürdigen Gruppe zu, den Pintschern (Canis familiaris Gryphus) nämlich. Mehrere Naturforscher zählen sie noch zu der vorigen Abtheilung, und in der That haben wenigstens einige wegen ihres Haarkleides und der Bildung der Schnauze, der Ohren und des Schwanzes, wegen ihrer Gutmüthigkeit und Treue, ihrer Munterkeit und Spiellust vieles mit dem Pudel gemein; der Bau des Schädels und des Gerippes weicht jedoch entschieden ab und läßt sie als eigenthümliche Hunde erscheinen. Man unterscheidet hauptsächlich die glatthaarigen und sta chelhaarigen oder die Ratten- und Affenpintscher. Erstere ähneln in ihrem Gesammtbau dem Dachshunde, unterscheiden sich von ihm aber durch die höheren und geraden Beine und die ganz aufrechtstehenden oder nur mit der Spitze überhängenden Ohren. Die meisten sind dunkelfarbig; gefleckte kommen schon seltener vor. Ihr Körper ist ziemlich schlank, der Kopf stark, die Schnauze lang und gerade abgestumpft, der Schwanz, welcher nach rückwärts oder vorwärts gekrümmt getragen wird, glatt, die Beine sind mittelhoch und gerade. In [641] der Jugend schneidet man den Pintschern gewöhnlich den Schwanz und die Ohren ab und verhäßlicht hierdurch die Thiere in unverantwortlicher Weise.

Alle Pintscher sind äußerst kluge, höchst muntere und über alle Maßen jagdbegierige Hunde. Sie fangen mit der größten Liebhaberei Ratten, Mäuse, aufwühlende Maulwürfe, und sind geradezu unermüdlich in der Verfolgung dieser Thiere. Als Hausgenosse des Menschen können sie nicht immer empfohlen werden, weil sie wegen ihrer steten Unruhe ihrem Herrn oft mehr Verdruß als Freude machen; dagegen eignen sie sich vortrefflich für Leute, welche reiten oder mit schnellen Pferden fahren: denn am allerliebsten begleitet der Pintscher seinen Herrn, wenn er tüchtig rennen und laufen muß. Doch selbst bei den schnellsten Ritten macht er sich noch immer Zeit, jedes Mauseloch zu untersuchen und jeden Maulwurf im Aufwerfen seiner Haufen zu stören. Die Nase hoch gegen den Wind getragen, späht er nach allen Seiten hin, und wo etwas raschelt, naht er sich vorsichtig und leise, steht eine Zeitlang unbeweglich, thut plötzlich einen Sprung, schlägt mit den Vorderfüßen in die Erde und hat im nächsten Augenblicke das unterirdisch lebende Geschöpf im Maule. Genau auf dieselbe Weise jagt er Maulwürfe, und zwar mit solchem Eifer, daß er bei einem längeren Spaziergange, wie Lenz sagt, regelmäßig vier bis fünf und zuweilen vierzehn und mehr Stücke fängt. Die Maulwürfe frißt er nicht, sondern begräbt sie; von den Mäusen dagegen frißt er soviel, bis er vollkommen gesättigt ist, die übrigen wirft er weg.

Die Fähigkeit im Fangen von Ratten hat natürlich die Aufmerksamkeit der Engländer besonders auf ihn gezogen, und so sind sie frühzeitig darauf verfallen, große Rattenjagden abzuhalten und dabei ihre Hunde in Thätigkeit zu setzen. Damit die Sache doch auch nach etwas Klang hat, werden dabei außerordentlich hohe Wetten gemacht, und das Vergnügen bekommt hierdurch das Gepräge des Glückspiels. Man kreuzt den Pintscher noch mit dem kleinen Bulldoggen und erhält dann den wahren Rattenpintscher, welcher unter dem englischen Namen »Bullterrier« oder Bulldoggpintscher bekannt geworden ist. Dieser leistet allerdings unglaubliches im Fangen und Todtbeißen der Ratten; denn seine Ausdauer und Geschicklichkeit ist wirklich bewunderungswürdig. Gewisse Leute der City Londons übernehmen es, für die vornehmen jungen Nichtsthuer die nöthige Anzahl von Ratten herbeizuschaffen. Mit diesen Thieren begibt man sich in eine alte Niederlage, in einen Keller oder andere derartige Orte, stellt sich ringsum an den Wänden auf, um dem Wilde und seinen Verfolgern größtmöglichen Spielraum zu gewähren, und läßt nun die Ratten zu Dutzenden, oft zu Hunderten auf einmal laufen. Eine bestimmte Anzahl von Hunden, gewöhnlich aber doch nur zwei, werden hierauf ausgesetzt. In einigen verrufenen Stadtvierteln Londons gibt es förmliche Kampfbühnen für diese Ratten: Sandplätze, ringsum mit Planken umhegt, hinter denen die Zuschauer sich aufstellen. Der Besitzer derselben gehört regelmäßig den untersten Volksschichten an und empfängt von den Zuschauern außer einem gewissen Eintrittsgeld auch noch eine Summe für jeden Rattenkopf. Sobald sich eine Anzahl von Zuschauern gesammelt hat, bringt er seine Rattenkäfige herbei und läßt die Thiere laufen. Es gibt zunächst ein unerhörtes Durcheinander; die unglückseligen Ratten durchstöbern den ganzen Raum des Sandplatzes, in der Hoffnung einen Ausweg zu finden, rennen schreckerfüllt an einander und geberden sich, als empfänden sie eine Vorahnung ihres gräßlichen Endes. Sobald sie sich einigermaßen beruhigt haben, bringt der Vorsteher der Arena die Pintscher herbei und läßt sie laufen. Und nun beginnt ein Schlachten und Morden ohne Gleichen. Wood berichtet, daß er einen dieser Bulldoggpintscher gekannt habe, welcher unter dem Namen Tiny wahrhaft berühmt geworden ist. Derselbe wog bloß 51/2 Pfund, und gleichwohl war er der allerärgste Feind der Ratten, den man sich denken konnte. In einem Zeitraume von 28 Minuten 5 Sekunden – mit solcher Gewissenhaftigkeit beobachteten die Zuschauer das großartige Schauspiel! – hatte er fünfzig Ratten erbissen, und man berechnet, daß dieses ausgezeichnete Thier während seines Lebens über fünfzigtausend Ratten erlegt habe, eine Menge, welche, wie mein Berichterstatter hinzufügt, anderthalb Tonnen an Gewicht gehabt haben mag. Er konnte nicht zurückgescheucht werden, weder durch die Anzahl, noch durch die Größe seines Wildes, [642] und freute sich am meisten, wenn er recht starken Ratten zu Leibe konnte. Seine Jagd betrieb er in einer sehr regelrechten und klugen Weise. Zuerst suchte er sich die stärksten und kräftigsten Ratten aus, um so die schwierigste Arbeit zu verrichten, während seine Kräfte noch frisch waren; dann wurde es ihm leicht, die übrigen zu vertilgen, selbst wenn er schon etwas angegriffen von seiner Arbeit war. In seinen jungen Jahren rannte er mit solch außerordentlicher Behendigkeit auf dem Sandplatze herum, daß es hieß, man könne den Schwanz von seinem Kopfe nicht unterscheiden; in seinen alten Tagen saß er jeden Abend an günstigen Stellen, wie eine Katze, lauernd an den Rattenlöchern und paßte an ihnen mit großer Sorgfalt auf. Selten blieb seine Jagd erfolglos. Die Jagdbegierde auf sein Wild wurde der Grund zu seinem Tode. Er war in einem Zimmer eingesperrt und hörte in einem anderen Raume eine Ratte nagen, welche er nicht bekommen konnte. Dies versetzte ihn in solche große Aufregung, daß er schließlich ein hitziges Fieber davon trug und daran zu Grunde ging.

Dieser Hund gehörte einem Reichen und hatte es deshalb verhältnismäßig gut, während es den gewöhnlichen Schaustellerhunden oft, nachdem sie ihre Pflicht und Schuldigkeit im vollsten Maße gethan haben, ebenso zu ergehen pflegt, wie es den Ratten durch sie erging. Die biederen Engländer sind nämlich noch nicht zufrieden, die Mörderei unter den Ratten mit angesehen zu haben, sondern verlangen noch mehr und kaufen am Ende des Schauspiels regelmäßig dem Besitzer seinen Hund ab, verschaffen sich einen größeren Bulldoggen und lassen durch diesen nunmehr den kleinen Hund zerreißen. Daß an solcher Barbarei nicht gewöhnliche Leute, nicht bloß die niederen Volksklassen, sondern zumeist die Vornehmen und Hochstehenden besonderen Gefallen finden, versteht sich von selbst; denn gerade sie pflegen der Barbarei und Unmenschlichkeit nach besten Kräften Vorschub zu leisten.

Die geistigen Fähigkeiten aller Pintscher sind sehr beachtenswerth. Sie zeigen einen hohen Verstand, viel Selbstüberlegung und Geschicklichkeit, sich in alle Lagen möglichst gut zu finden. Man kennt Beispiele, daß solche Hunde den Werth des Geldes zu würdigen und sich daher Münzen zu verschaffen wußten, um dafür Eßwaaren zu kaufen. Ein Hund mit Namen Peter stahl kleine Geldmünzen, wo er sie nur finden konnte, und lief damit zum Bäcker hin, um sich dort Gebäck zu kaufen. Als ihm einmal der Bäcker, dessen eifriger Kunde er war, einen angebrannten Zwieback hinlegte, verließ er ihn im Augenblick und besuchte fortan einen auf der anderen Seite der Straße, welcher seinen neuen Kunden nach Verdienst ehrte.

Der Muth der Pintscher ist wirklich großartig, und zumal der Bulldoggpintscher beweist sich hierin ganz als echter Abkömmling des Bulldoggen. Anderson erzählt in seinem Werke über den See Ngami einige sehr anziehende Thatsachen. Einer dieser Hunde, Namens Venus, wagte sich sogar an ein verwundetes Nashorn, welches fliehen wollte, und verbiß sich so geschickt in dessen Oberlippe, daß der gewaltige Riese nicht im Stande war, den kleinen Kläffer abzuschütteln, und so den Jägern zu einem zweiten Schusse, welcher tödtlich wurde, Gelegenheit geben mußte. In einer sehr jagdreichen Gegend, in welcher es namentlich viele Schakale gab, erlegte dieser kleine Hund einen seiner wilden und bedeutend stärkeren Vettern auf sehr listige Art. An demselben Orte, welchen er sich zum Baden und Trinken auserkoren hatte, streifte eines Tages ein Schakal vorbei und erblickte den kleinen Hund. Dieser verkroch sich augenblicklich vor ihm und sah so kläglich aus, daß dem Schakal der Gedanke kommen mochte, hier sei mit leichter Mühe eine Mahlzeit zu gewinnen. Er nahte sich also kühn seiner vermutheten Beute, mußte aber sehr bald einsehen, daß er es mit einem Wesen zu thun hatte, das ihm nicht nur gewachsen, sondern überlegen war. Denn kaum war er nahe genug, als Venus ihm mit einem geschickten Satze an die Gurgel sprang und sich hier so fest verbiß, daß der Schakal nach wenigen Minuten erstickend verendete.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. DCXLI641-DCXLIII643.
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