Neufundländer (Canis familiaris terrae novae)

[633] Während wir die letzterwähnten Rassen die Zwerge der Gruppe nennen können, müssen wir den Neufundländer (Canis familiaris terrae novae) als den Riesen unter den Seidenhunden ansehen. Das gewaltige, prächtige Thier soll ein doppelter Bastard des großen Pudels mit dem französischen Fleischerhunde sein und in Neufundland seine Rasse bis zur Stunde in ihrer ursprünglichen Reinheit erhalten haben. Es ist sehr ungewiß, um welche Zeit sich diese Rasse in Neufundland gebildet und wer hierzu Veranlassung zunächst geboten hat. Man weiß gewiß, daß die Engländer bei ihrer ersten Niederlassung in Neufundland im Jahre 1622 diese Hunde noch nicht vorfanden, und nimmt deswegen mit großer Wahrscheinlichkeit an, daß die Stammeltern, jedenfalls vortreffliche und ausgezeichnete Hunde, nach der Ansiedlung gebracht worden sind. »Der Neufundländerhund«, sagt Fitzinger, »trägt wie alle Bastarde die Kennzeichen seiner elterlichen Abstammung unverkennbar an sich. Er vereinigt mit der Gestalt, Größe und Stärke des französischen Fleischerhundes, welcher selbst ein Bastard des großen Windhundes und Jagdhundes ist, zum Theil die Behaarung und Gestalt der Ohren, welche zu den klimatischen Abänderungen des großen Seidenhundes gehört. Es ist ein gewaltiges, starkes und kräftiges Thier mit breitem, langem Kopfe, etwas verdickter Schnauze, mittelgroßen, hängenden, zottig behaarten Ohren, starker Brust, kräftigem Halse, mit ziemlich hohen, starken Beinen, mit dichter, langer, zottiger, krauslicher, weicher, fast seidenartiger Behaarung, mit ziemlich langem, zottigem Schwanze und mit stark ausgebildeten Schwimmhäuten zwischen den Zehen. Seine Färbung ist sehr verschiedenartig. Viele sind schwarz mit einem lebhaften, rostgelben Flecken über jedem Auge und rostgelben Flecken an der Kehle und an den Fußgelenken. Etwas weniger häufig ist er schwarz und weiß, oder braun und weiß gefleckt, oder einförmig schwarzbraun und weiß.«

Mit Recht gilt der Neufundländer für eine der schönsten Rassen und wird sehr gesucht; denn auch seine Eigenschaften stehen mit seiner äußeren Schönheit im Einklange und verkünden den guten Stamm, von welchem er herrührt. Seinem Herrn ist er im höchsten Grade treu und anhänglich, dabei verständig und außerordentlich gelehrig. Selbstverständlich muß man darauf sehen, seine natürlichen Begabungen bei der Abrichtung auszubilden, um das Thier zu dem in seiner Art vollkommensten zu machen. Der Neufundländer ist der beste aller Wasserhunde; das Wasser scheint sein eigentlich heimisches Element zu sein. Er schwimmt leidenschaftlich gern und mit der größten[633] Leichtigkeit, taucht wie ein Seethier und kann stundenlang im Wasser aushalten. Einmal fand man einen dieser Hunde in einer weiten Meeresbucht, Meilen vom Lande entfernt, und mußte wohl annehmen, das er viele Stunden lang im Meere herumgeschwommen war. Dem Neufundländer ist es vollkommen gleichgültig, in welcher Weise er schwimmen muß; denn er geht ebensogut gegen den Strom oder Wellenschlag als mit beiden. Ohne irgendwelche vorausgegangene Abrichtung holt er unermüdlich jeden Gegenstand aus dem Wasser, selbst bei der strengsten Kälte, und bringt ihn seinem Herrn. Der Mensch kann ihm überhaupt nicht mehr Vergnügen bereiten, als wenn er ihm Gelegenheit gibt, sich viel im Wasser aufzuhalten. Geht man mit ihm ins Wasser, so erhöht man sein Vergnügen noch bedeutend. Der Hund scheint außer sich vor Freude zu sein, daß auch der Mensch gleich ihm mit dem Wasser vertraut ist, und bemüht sich nach Kräften, diese Freude an den Tag zu legen. Er schwimmt bald vor seinem Herrn, bald hinter ihm her, taucht unter ihm weg, thut, als wolle er ihn ein Stückchen tragen oder stützen, kurz, spielt förmlich im Wasser. Und wenn endlich der Herr ermüdet sich nach dem Ufer wendet, bemüht sich der Hund, ihn noch zum neuen Wettschwimmen aufzufordern.


Neufundländerhund (Canis familiaris terrae novae). 1/12 natürl. Größe.
Neufundländerhund (Canis familiaris terrae novae). 1/12 natürl. Größe.

Diese außerordentliche Befähigung des Neufundländers für das Wasser macht ihn zu einem sehr nützlichen Thiere an allen Seeküsten. Man kennt Hunderte von Beispielen, daß durch den Muth und die Kraft des vortrefflichen Geschöpfes ertrinkende Menschen gerettet worden sind. Viele Schiffer haben ihn stets bei sich, weil er vorkommenden Falls die ganze Mannschaft zu retten im Stande ist. Bei Schiffbrüchen ist er oft mit einem Seile im Maule ans Land geschwommen und hat so die Rettung der Mannschaft vermittelt, oder aber er ist vom Lande aus in die See gegangen und hat einen der Schiffbrüchigen nach dem anderen herüberbugsirt. In Ortschaften, welche in der [634] Nähe tiefer Gewässer liegen, macht er sich als unübertrefflicher Kinderwärter sehr verdient. Man darf dreist das kleinste Kind seiner Wachsamkeit und Treue anvertrauen, weil man sicher ist, daß dem Kinde, solange der Hund sich bei ihm befindet, nicht das geringste zu Leide geschieht. Die Beispiele, in denen er sich bei diesen Geschäften bewährt hat, sind nicht zu zählen. Sobald er einen Menschen im Wasser in Gefahr sieht, stürzt er sich augenblicklich in das ihm befreundete Element, eilt zu jenem hin, schiebt ihm die Schnauze unter die Achsel und hebt ihn mit derselben über den Wasserspiegel empor. Auch halberfrorene Leute hat er mehrmals vor dem sicheren Tode bewahrt, indem er ganz nach Weise der Bernhardinerhunde handelte. Das Land wittert er von Schiffen aus in großer Entfernung, zuweilen auf mehr als zehn englische Meilen, und gibt dies durch Bellen zu erkennen. Zu diesen vortrefflichen Eigenschaften kommt noch seine große Gutmüthigkeit und Sanftheit, sowie die unauslöschliche Dankbarkeit für empfangene Wohlthaten; – ebenso bewahrt er freilich auch erlittene Unbill und Strafe in seinem Gedächtnisse auf und wird Leuten, welche ihn mit Absicht quälen, manchmal gefährlich.

In Neufundland wird das edle Thier sehr schlecht behandelt. Man spannt ihn vor einen kleinen Wagen oder Schlitten, läßt ihn Holz schleppen und beladet seinen breiten Rücken mit Eselsbürden, nährt ihn auch nur mit dem erbärmlichsten Futter, welches es geben kann, mit alten, halbverfaulten oder verdorbenen Fischen und dergleichen. Viele der schönen Thiere gehen unter der elenden Behandlung zu Grunde, und andere lassen sich, wenn sie einmal von ihren Tyrannen sich befreien können, mancherlei Vergehen zu Schulden kommen, indem sie die Herden überfallen und sonstwie Schaden anrichten. Außer zu jenen Arbeiten benutzt man sie in Neufundland auch noch zur Vertreibung des amerikanischen Wolfes, und zwar mit dem besten Erfolge, weil das starke Thier jenen feigen und erbärmlichen Räuber mit leichter Mühe bewältigt und gewöhnlich im Kampfe todtbeißt.

Gegen andere Hunde benimmt er sich mit sehr großer Würde und läßt sich erstaunlich viel gefallen; doch spielt er den kleinen Kläffern, wenn es ihm zu bunt wird, manchmal einen schlimmen Streich. So erzählt man, daß ein Neufundländer einen kleinen Hund, der ihn beständig ärgerte, plötzlich beim Kragen faßte, mit ihm ins Meer sprang und ihn wohl eine halbe Meile weit hinausschleppte, ihn dann aber in das Wasser warf und es ihm überließ, sich mit Mühe und Noth selbst wieder an das Land zu haspeln. Noch schlimmer erging es einem kampflustigen Bulldoggen, welcher den Neufundländer eines Schiffers ohne Ursache angriff und sich in dessen Kehle verbiß. Vergebens versuchte der Große, das wüthende Vieh abzuschütteln. Da kam er auf einen guten Gedanken. Er lief mit ihm nach dem Theerkessel, dessen Inhalt gerade lustig brodelte, und tauchte den Bulldoggen gelind mit den Hinterbeinen dahinein. Daß dieser augenblicklich losließ, kann man sich denken, und schwerlich hat er jemals wieder einen Neufundländer angegriffen, nachdem ihn der erste, an dem er seinen Uebermuth versuchen wollte, für sein Leben gezeichnet hatte.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Neunter Band, Vierte Abtheilung: Wirbellose Thiere, Erster Band: Die Insekten, Tausendfüßler und Spinnen. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1884., S. DCXXXIII633-DCXXXV635.
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