Klippenvogel (Rupicola crocea)

[595] Die bekannteste Art ist der Klippenvogel (Rupicola crocea, aurantia, elegans und cyana, Pipra rupicola). Das reiche Gefieder des Männchens ist lebhaft orangeroth; die Federn des Scheitelkammes sind dunkel purpurroth, die großen Flügeldeckfedern, die Schwingen und die Schwanzfedern, deren Grundfarbe braun ist, am Ende weißlich gerandet, alle Schwingen und Schwanzfedern außer dem am Grunde breit weiß gefleckt. Die Weibchen und die jungen Vögel sind einfarbig braun, die unteren Flügeldeckfedern orangeroth, die Bürzel- und Schwanzfedern lichtroth gelbbraun; der Stirnkamm ist kleiner. Das Auge ist orangeroth, der Schnabel blaß horngelb, der Fuß gelblich fleischfarben. Die Länge des Männchens beträgt einunddreißig, die Fittiglänge achtzehn, die Schwanzlänge zehn Centimeter. Das Weibchen ist erheblich kleiner.

Gebirgsgegenden Guayanas und des nordöstlichen Theiles von Brasilien, welche von Flüssen durchschnitten werden, sind die Heimat des Klippenvogels; Bergwälder und Gebirgsthäler, welche reich an Felsen sind, bilden seinen Aufenthalt. In der Ebene findet er sich nie. Besonders gern hält er sich in der Nähe von Wasserfällen auf, und je zerklüfteter ein Flußthal ist, um so mehr [595] scheint es ihm zu behagen. Im Juni und Juli kommt er von seinen Felsenzinnen herunter in den Wald, um sich an den jetzt gereiften Früchten gewisser Waldbäume zu sättigen.

Viele Reisende haben über die Lebensweise dieses sonderbaren Vogels berichtet. Humboldt beobachtete ihn an den Ufern des Orinoco, die Gebrüder Schomburgk fanden ihn an zwei Oertlichkeiten von Britisch-Guayana, auf dem felsenreichen Kanukugebirge und an den Sandsteinfelsen des Wenamu, an beiden Orten häufig und gesellschaftlich lebend, aber nähere Verbindung mit anderen Vögeln entschieden meidend. »Nachdem wir abermals eine steile Anhöhe erstiegen hatten«, sagt Richard Schomburgk, »welche durch die riesigen, mit Moos und Farnkräutern überwachsenen Granitblöcke fast unwegsam gemacht wurde, trafen wir auf einen kleinen, fast ganz ebenen, von Gras und Gebüsche leeren Platz.


Klippenvogel (Rupicola crocea). 3/10 natürl. Größe.
Klippenvogel (Rupicola crocea). 3/10 natürl. Größe.

Ein Zeichen der Indianer hieß mich schweigen und mich in das angrenzende Gebüsch verstecken, wie auch sie sich vollkommen geräuschlos dort verbargen. Kaum hatten wir einige Minuten hier ruhig gelegen, als ich aus ziemlicher Entfernung her eine Stimme vernahm, welche dem Geschrei einer jungen Katze ähnelte, was mich auch zu der Annahme verleitete, daß es hier auf den Fang eines Vierfüßlers abgesehen sei. Eben war der Ton verklungen, als ich ihn unmittelbar neben mir von einem meiner Indianer täuschend wiederholen hörte. Der aus der Ferne antwortende kam immer näher, bis endlich der Ruf von allen Seiten her erwidert wurde. Obgleich mir die Indianer bemerklich gemacht, daß ich im Anschlage liegen bleiben möchte, überraschte mich der erste Klippenvogel doch so unerwartet, daß ich wirklich zu schießen vergaß. Mit der Schnelligkeit unserer Waldschnepfe kamen die reizenden Vögel durch das Gebüsch herbeigeflogen, setzten sich einen Augenblick nieder, um sich nach dem lockenden Genossen umzusehen, und verschwanden [596] ebenso schnell wieder, als sie ihren Irrthum erkannt. Wir waren so glücklich gewesen, sieben Stück zu erlegen. Aber hatte ich auch die Vögel in meinen Besitz bekommen, noch war ich nicht Augenzeuge ihrer Tänze gewesen, von denen mir sowohl der Bruder wie auch die mich begleitenden Indianer schon so viel erzählt hatten.

Nach mehreren mühevollen, aber reich lohnenden Tagereisen erreichten wir endlich eine Gegend, in welcher uns dieses Schauspiel werden sollte. Während einer Pause zum Athemschöpfen hörten wir seitwärts von uns Töne mehrerer lockenden Klippenvögel, denen augenblicklich zwei der Indianer mit den Gewehren zuschlichen. Bald darauf kehrte einer derselben zurück und gab mir durch Zeichen zu verstehen, daß ich ihm folgen möchte. Nachdem wir etwa einige tausend Schritte mit der größten Vorsicht und von meiner Seite zugleich unter der gespanntesten Neugier durch das Gebüsch gekrochen, sah ich den anderen platt auf dem Boden liegen und zugleich das glänzend orangene Gefieder des Klippenvogels durch das Gebüsch leuchten. Vorsichtig legte ich mich neben dem Indianer nieder und wurde nun Zeuge eines der anziehendsten Schauspiele. Eine ganze Gesellschaft jener herrlichen Vögel hielt eben auf der glatten und platten Oberfläche eines gewaltigen Felsblockes ihren Tanz. Auf dem den Block umgebenden Gebüsche saßen offenbar einige zwanzig bewundernde Zuschauer, Männchen und Weibchen, während die ebene Platte des Blockes von einem der Männchen unter den sonderbarsten Schritten und Bewegungen nach allen Seiten hin überschritten wurde. Bald breitete der neckische Vogel seine Flügel halb aus, warf dabei den Kopf nach allen Seiten hin, kratzte mit den Füßen den harten Stein, hüpfte mit größerer oder minderer Geschwindigkeit immer von einem Punkte aus in die Höhe, um bald darauf mit seinem Schwanze ein Rad zu schlagen und in gefallsüchtiger Haltung wieder auf der Platte herumzuschreiten, bis er endlich ermüdet zu sein schien, einen von der gewöhnlichen Stimme abweichenden Ton ausstieß, auf den nächsten Zweig flog und ein anderes Männchen seine Stelle einnahm, welches ebenfalls seine Tanzfertigkeit und Anmuth zeigte, um ermüdet nach einiger Zeit einem neuen Tänzer Platz zu machen.« Robert Schomburgk erwähnt noch außerdem, daß die Weibchen diesem Schauspiele unverdrossen zusehen und bei der Rückkehr des ermatteten Männchens ein Beifall bezeichnendes Geschrei ausstoßen. »Hingerissen von dem eigenthümlichen Zauber«, fährt Richard Schomburgk fort, »hatte ich die störenden Absichten der neben mir liegenden Indianer nicht bemerkt, bis mich plötzlich zwei Schüsse aufschreckten. In verwirrter Flucht zerstob die harmlose Gesellschaft nach allen Seiten hin und ließ vier getödtete Genossen auf dem Platze ihres Vergnügens zurück.«

Es unterliegt keinem Zweifel, daß dieser Tanz nur mit der Balze unseres Hahnes verglichen werden kann und zu Ehren des Weibchens ausgeführt wird. Doch scheint das Brutgeschäft nicht an einen bestimmten Jahresabschnitt gebunden zu sein, da Schomburgk ebensowohl im April und Mai wie auch im December die jungen Vögel sah, welche die Indianer eben erst aus den Nestern genommen haben konnten; weil aber das Gefieder im Monat März am schönsten und vollkommensten ist, dürfte wenigstens die Mehrzahl in den erstgenannten Monaten brüten. Das Nest steht an Felsenwänden, nach Humboldt gewöhnlich in den Höhlungen kleiner Granitfelsen, wie sie so häufig sich durch den Orinoco ziehen und so zahlreiche Wasserfälle bilden, nach Schomburgk in Spalten und Vertiefungen, wo es wie das Nest der Schwalbe befestigt und zwar mit Harz angeklebt wird. Es scheint, daß ein und dasselbe Nest mehrere Jahre nach einander benutzt und nach jeder Brutzeit nur durch einige Wurzeln, Fasern und Flaumenfedern ausgebessert und außen mit jener harzigen Masse überzogen wird. In einzelnen Spalten findet man mehrere Nester neben einander, ein Zeichen für große Verträglichkeit dieser Vögel. Das Gelege besteht aus zwei weißen, mit schwärzlichen Punkten gesprenkelten Eiern, welche etwas größer sind als die unserer Tauben. Die Jungen werden wahrscheinlich nur mit Früchten groß gezogen, welche wohl auch das ausschließliche Futter der Alten bilden.

Gefangene Klippenvögel scheinen zu den Lieblingen der Indianer zu gehören. In Pararuma wurden solche Humboldt angeboten. Sie staken in kleinen, niedlichen Bauern, welche aus Palmblattstielen verfertigt waren. Schomburgk fand häufig die gezähmten Jungen, nie aber ein [597] Männchen im Hochzeitskleide und glaubt daraus schließen zu dürfen, daß die Klippenvögel längere Gefangenschaft nicht ertragen. Daß diese Annahme falsch ist, beweisen alte Vögel, welche man dann und wann in unseren Thiergärten sieht. Die prachtvollen Bälge sind überall geschätzt; die Indianer bereiten sich aus ihnen einen phantastischen Federschmuck, und der Kaiser von Brasilien trägt bei besonderen Festlichkeiten einen Mantel, welcher aus den Bälgen des Klippenvogels verfertigt ist. Nach Schomburgks Versicherungen sollen die Indianer gewisser Gegenden verpflichtet sein, alljährlich eine gewisse Anzahl dieser Bälge als Zwangssteuer einzuliefern und dadurch wesentlich zur Verminderung des schönen Vogels beitragen. Das orangeroth gefärbte Fleisch ist wohlschmeckend.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 595-598.
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