Hämmerling (Chasmarhynchus tricarunculatus)

[601] Von dieser zuerst beschriebenen Art der Sippe unterscheidet sich der Glöckner (Chasmarhynchus carunculatus) dadurch, daß das ebenfalls reinweiße Männchen auf der Schnabelwurzel einen hohlen, schwarzen, muskeligen Zipfel trägt, welcher mit einigen weißen Federchen besetzt ist, willkürlich ausgedehnt und eingezogen werden kann, und in ersterem Falle wie ein Horn nach oben, im letzteren wie die sogenannte Nase des Truthahnes an der Seite des Schnabels herabhängt. Bei einer dritten Art, welcher wir den in Südamerika üblichen Namen Araponga lassen wollen (Chasmarhynchus variegatus, Ampelis variegatus), ist das nackte Kehlfeld mit Hautröhrchen bündelartig besetzt; bei dem Hämmerling (Chasmarhynchus tricarunculatus) endlich zieren die Stirnmitte und die Schnabelwurzel jederseits je ein fünf bis sieben Centimeter langer Hautkegel.

Die Glockenvögel sind in Südamerika heimisch. Der Schmied bewohnt Brasilien und ist hier in den Waldungen sehr häufig; der Glöckner herbergt in Guayana, die Araponga im nördlichen Südamerika, der Hämmerling in Costarica. Aus den bisher bekannt gewordenen Mittheilungen der reisenden Forscher scheint hervorzugehen, daß sich die Lebensweise dieser Vögel im wesentlichen ähnelt. Allerdings haben wir bis jetzt, Dank den Forschungen Watertons, des Prinzen von Wied und Richard Schomburgks, nur über Betragen und Sitten des Schmiedes und des Glöckners ausführlichere Berichte erhalten; sie aber stimmen so vollkommen überein, daß wir die eben ausgesprochene Ansicht wohl hegen dürfen.

»Dieser merkwürdige Vogel«, sagt der Prinz vom Glockenvogel, »ist sowohl durch sein blendendweißes Gefieder sowie durch seine laute, hell klingende Stimme eine Eigenheit der prachtvollen brasilischen Waldungen und fällt dem Fremdling gewöhnlich sogleich und zuerst auf. Er ist überall verbreitet, wo Urwaldungen sind, in deren dunkelsten Verflechtungen er sich am meisten zu gefallen scheint. Doch kommt er nicht überall in gleicher Häufigkeit vor, scheint vielmehr gebirgigen Urwald besonders zu lieben. Seine Stimme ähnelt dem Tone einer hell klingenden Glocke, wird einzeln ausgestoßen, eine Zeit lang ausgehalten und auch öfters kurz hinter einander wiederholt. Dann gleicht sie den Lauten, welche der Schmied hervorbringt, wenn er mit dem Hammer wiederholt auf den Amboß schlägt. Man vernimmt diese Stimme zu allen Stunden des Tages sehr häufig und auf weithin. Gewöhnlich halten sich mehrere der Vögel in einer und [601] derselben Gegend auf und reizen sich wechselseitig. Der eine schallt laut und hell mit einem einfachen Tone; der andere läßt das oft wiederholte, klingende Getön hören, und so entsteht an Stellen, wo viele dieser Vögel vereinigt sind, ein höchst sonderbares Konzert. Gewöhnlich wählt der Schmied seinen Stand auf einem der oberen dürren Aeste eines gewaltigen Waldstammes und läßt von dort oben seine klingende, metallische Stimme erschallen. Man sieht alsdann den blendendweißen Vogel gegen den dunkelblauen Himmel gemalt, kann ihn aber von jener Höhe nicht herabschießen. Auch fliegt er gewöhnlich sogleich ab, sobald er etwas fremdartiges bemerkt. An Stellen, wo der Wald niedriger ist, sitzen diese Vögel in einer dichten, dunklen Laubmasse, wo man ihre Stimme vernimmt, ohne das schneeweiße Ziel erspähen zu können.«

»Inmitten der ausgedehnten Wildnisse«, schildert Waterton, »gewöhnlich auf dem dürren Wipfel einer alten Mora und fast immer außer aller Schußhöhe wird man den Glöckner bemerken.


Glockenvogel (Chasmarhynchus nudicollis). 3/8 natürl. Größe.
Glockenvogel (Chasmarhynchus nudicollis). 3/8 natürl. Größe.

Kein Laut oder Gesang von irgend einem geflügelten Bewohner der Wälder, nicht einmal das deutlich ausgesprochene ›Whip-poor-will‹ des Ziegenmelkers kann so in Erstaunen setzen wie das Geläute des Glöckners. Wie so viele der gefiederten Klasse, bezahlt er dem Morgen und dem Abend durch Gesang seinen Zoll; aber auch, wenn die Mittagssonne Stillschweigen geboten und den Mund der belebten Natur geschlossen, ruft er noch sein heiteres Getön in den Wald hinaus. Man hört das Geläute, dann tritt eine minutenlange Pause ein, hierauf folgt wieder ein Glockenschlag und wiederum eine Pause, und so wechselt es zum dritten Male ab. Dann schweigt er sechs oder acht Minuten lang, und hierauf beginnt er von neuem. Aktäon würde seine eifrigste Jagd unterbrechen, Maria ihr Abendlied verzögern, Orpheus selbst seinen Gesang aufgeben, um diesen[602] Vogel zu belauschen, so süß, so neu, so romantisch ist der Klang seiner Stimme.« »Ich vernahm«, sagt Schomburgk, wohl Waterton benutzend, »aus dem nahen Walde wunderbare Töne, wie ich sie noch nie gehört. Es war, als schlüge man zugleich an mehrere harmonisch gestimmte Glasglocken. Jetzt hörte ich sie wieder und nach einer minutenlangen Pause wieder und wieder. Dann trat ein etwas längerer Zwischenraum von etwa sechs bis acht Minuten ein, und von neuem erschallten die vollen harmonischen Töne. Eine ganze Zeit stand ich, vor Erstaunen gefesselt und lauschte, ob sich die fabelhaften Klänge nicht abermals hören lassen würden: sie schwiegen, und voller Begierde wandte ich mich mit meinen Fragen an meinen Bruder, von dem ich nun erfuhr, daß dies die Stimme des Glöckners sei. Kein Gesang, keine Stimme irgend eines der befiederten Bewohner der Wälder Guayanas, selbst nicht die so deutlich ausgesprochenen Worte der Ziegenmelker, hatten mich in gleiches Erstaunen versetzt, wie die Glockentöne des Hämmerlings. Daß die Vögel in Guayana die Gabe der Sprache besaßen, hatte ich ja bei meinem ersten Schritte auf diesem merkwürdigen Erdtheile schon erfahren; solche Töne aber waren mir bisher noch gänzlich unbekannt geblieben, und meine Aufmerksamkeit konnte jetzt auf nichts anderes gerichtet, durch nichts anderes von diesem wunderbaren Sänger abgezogen werden.

In der Nähe der Küste gehört der Glöckner zu den Strichvögeln; am Demerara und Berbice erscheint er gewöhnlich im Mai und Juni; die unmittelbare Küste besucht er nie. Hohe Gebirgswaldungen scheint er am meisten zu lieben, jedoch nur bis zu einer Meereshöhe von vier- bis fünfhundert Meter emporzusteigen. Seine zauberhaften, glockenreinen Töne läßt er meist von dem äußersten Gipfel der riesigen Morabäume erschallen, welche er besonders dann gern aufzusuchen scheint, wenn sich dort ein dürrer Zweig findet. Zwei Männchen habe ich nie auf einem und demselben Baume bemerkt, wohl aber beantworten sie sich gern von verschiedenen Bäumen her. Jeden Morgen begrüßen sie den jungen Tag mit ihren metallreinen Tönen und nehmen unter allen Sängern am spätesten Abschied von der scheidenden Sonne. In der Ruhe hängt der Schnabelzipfel seitlich herab; läßt der Glöckner aber seine Laute erschallen, so bläst er den Zipfel auf, welcher sich dann zugleich mit der Spitze um seine eigene Wurzel herumdreht. Stößt er bloß einen einzelnen Ton aus, so richtet sich der Zipfel augenblicklich empor, fällt aber unmittelbar nach dem Ausstoßen des Tones wieder um, beim nächsten Schreie abermals sich emporrichtend. Die Weibchen mit ihrem bescheidenen zeisiggrünen Gefieder sitzen nie so hoch wie die Männchen und halten sich stets in dem niederen Gezweige der Waldbäume auf. Mir sind überhaupt nur wenige vorgekommen, was wohl darin seinen Grund haben mag, daß das Weibchen vollkommen schweigsam ist und sich zugleich infolge seines grünen Gefieders nur sehr schwer aus dem ebenso grünen Laub der Bäume herausfinden läßt. Merkwürdig sehen die jungen Männchen in ihrem Uebergangskleide von Grün zu Weiß aus. Im zweiten Jahre haben sie ein förmlich geschecktes Gefieder, und erst im dritten Jahre erhalten sie das Kleid ihres Vaters.«

Ich habe Gelegenheit gehabt, einen gefangenen Glockenvogel längere Zeit zu beobachten und bin daher im Stande, vorstehendes zu ergänzen. Das allerdings laute und metallische, in der Nähe gehört aber sehr rauhe, etwas kratzende und wenig wohllautende, eher unangenehme Geschrei erinnert am meisten an die Stimmlaute der Froschlurche. Der Laut, welchen man am häufigsten und nach oftmaliger Zählung in Zwischenräumen einer halben Sekunde sieben bis fünfundzwanzigmal nach einander vernimmt, klingt in der Nähe wie »Garrëi«, wobei der erste Selbstlauter nur angedeutet wird, die letzten beiden dagegen hell und vernehmlich, dem Schlage eines Hammers auf den Amboß ähnlich klingen. Zuweilen hört man auch piepende Laute, welche so schwach sind, daß sie schon in geringer Entfernung verklingen. Manchmal vertönt er seinen Hauptruf in ungewöhnlicher Weise, indem er ein heiseres »Grrr« als Vorschlag ausstößt und diesem ein lautes, helles, lang gezogenes »Jii« anhängt. Wenn er einmal schreit, stößt er die Hauptlaute in Absätzen von zehn bis funfzehn Sekunden Dauer aus, unterbricht sich jedoch manchmal, um mit verschiedenen Lauten abzuwechseln. Er bringt dann mehrere Male den Hauptlaut hervor, schweigt hierauf ein [603] Weilchen, ruft nunmehr eine halbe Minute lang fast ununterbrochen in gewöhnlicher Weise, schweigt wiederum ein wenig und läßt endlich die Laute mit dem heiseren Vorschlage vernehmen. Die piependen Laute hört man nur, wenn er zusammengekauert auf einem Aste hockt und tiefster Ruhe pflegt, die lauten, gellenden dagegen, wenn er aufgerichtet sitzt oder sich bewegt. Je länger er schreit, um so erregter scheint er zu werden, so daß man nicht verkennen kann, daß er sich währenddem in einem Liebesrausche befindet oder balzt. Mit Beginn des gellenden Geschreies hebt er den Kopf hoch empor, sperrt den Schnabel so weit auf, daß der Obertheil fast senkrecht, der Untertheil beinahe wagerecht steht, stößt, ohne den Schnabel zu schließen, die einzelnen Töne tief aus der Brust heraus, springt mit weit gespreizten Beinen rasch auf dem Zweige hin und her, hebt den Schwanz gestelzt über die Flügel, zittert auch auf Augenblicke mit letzteren und klappt erst mit dem letzten Laute die Kiefer wieder zusammen. Bei jedem Laute bewegt sich der Schnabel zuckend ein wenig, Hals, Brust und Unterleib aber erheblich; die Kehle wird gebläht, und das nackte Kehlfeld schwingt ersichtlich; die Brust hebt und senkt sich jählings, und die Erschütterung des ganzen Körpers ist so groß, daß man glauben möchte, die Brust müsse zerspringen. Erhöht sich die Erregung, so neigt er sich schief nach unten, bewegt schüttelnd den Kopf, insbesondere aber die Kehle, stelzt den Schwanz höher als je, streckt ein Bein aus, so weit er kann, krampft den Fuß des anderen zusammen, verdreht beide, wendet sich abwechselnd zur linken und rechten Seite und schnellt unter gleichzeitigem Ausstoßen des letzten, durch eine kurze Pause von den übrigen getrennten Hauptlautes zurück oder springt mit einem seitlichen Satze jählings auf eine andere Sitzstelle oder dreht sich auf einer und derselben Stelle mehrmals um sich selbst. Nach Verlauf von einer bis zwei Stunden ermattet er endlich und hockt dann schweigend auf einem Aste nieder, um zu ruhen. Daß er seinen Liebesrausch zu weilen mit seinem Tode besiegelt, hat der von mir beobachtete Glockenvogel, welcher beim Schreien todt von seiner Stange herabfiel, unwiderleglich bewiesen.

Beeren und Früchte scheinen die gewöhnliche Nahrung der Glockenvögel zu bilden. Prinz von Wied fand niemals Kerbthiere im Magen der vielen von seiner Gesellschaft erlegten Schmiede, welche er untersuchte; Schomburgk dagegen behauptet, Reste von Kerfen im Magen des Glöckners bemerkt zu haben. Rothe Beeren und rothe, den Kirschen ähnliche Früchte, zuweilen auch eine kleine Art von Bohnen, kurz, immer Baumfrüchte sind die Nahrung derer gewesen, welche der Prinz untersucht hat, dieselben Früchte, welche nach seinen Beobachtungen fast alle übrigen Schmuckvögel fressen.

»Es ist unbekannt«, sagt Waterton, »in welchem Theile Guayanas der Glöckner sein Nest macht.« Schomburgk bestätigt diese Behauptung. »Merkwürdig ist, daß die Indianer weder die Nester, noch die Brutzeit des Vogels kennen, vielmehr allgemein behaupten, daß er nicht in Guayana brüte, sondern erst nach seiner Brutzeit im Lande erscheine.« Auch der Prinz hat das Nest des Schmiedes nicht finden, noch von seinen brasilischen Jägern Nachricht über dasselbe erhalten können, vermuthet aber, daß es in den Zweigen eines dicht belaubten Baumes steht und kunstlos gebaut ist.

Gefangene Glockenvögel gelangen in der Neuzeit nicht allzuselten lebend in unsere Käfige, halten sich auch bei einfachem, aus gekochtem Reis, Möhren und Kartoffeln bestehendem Futter mehrere Jahre.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 601-604.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der Weg ins Freie. Roman

Der Weg ins Freie. Roman

Schnitzlers erster Roman galt seinen Zeitgenossen als skandalöse Indiskretion über das Wiener Gesellschaftsleben. Die Geschichte des Baron Georg von Wergenthin und der aus kleinbürgerlichem Milieu stammenden Anna Rosner zeichnet ein differenziertes, beziehungsreich gespiegeltes Bild der Belle Époque. Der Weg ins Freie ist einerseits Georgs zielloser Wunsch nach Freiheit von Verantwortung gegenüber Anna und andererseits die Frage des gesellschaftlichen Aufbruchs in das 20. Jahrhundert.

286 Seiten, 12.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon