Madenhacker (Buphaga erythrorhyncha)

[409] Der Madenhacker, »Aretsch«, »Tscherna« und »Hurio« der Abessinier und Somali (Buphaga erythrorhyncha, habessinica und africanoides, Tanagra erythrorhyncha), die bekanntere der beiden Arten dieser Unterfamilie, ist oberseits olivenbraun, an den Kopfseiten, dem Kinne und der Kehle heller, unterseits licht rostgelblichfahl gefärbt; die Schwingen und Unterflügeldeckfedern sind dunkelbraun. Die Iris und ein nackter Ring ums Auge sind goldgelb; der Schnabel ist licht roth, der Fuß braun. Die Länge beträgt einundzwanzig, die Breite dreiunddreißig, die Fittiglänge elf, die Schwanzlänge neun Centimeter.

Das Verbreitungsgebiet des Madenhackers umfaßt ganz Mittelafrika. Hier und da lebt er mit seinem Verwandten zusammen. Im Bogoslande traf ich ihn häufig an, vermag daher aus eigener Anschauung über seine Lebensweise zu berichten.

Man sieht die Madenhacker in kleinen Gesellschaften zu sechs bis acht Stück, und zwar ausschließlich in der Nähe größerer Säugethiere, ohne welche sie, wie es scheint, gar nicht zu leben vermögen. Sie folgen den Herden der weidenden Rinder oder Kamele, finden sich aber auch auf einzelnen von diesen ein und lassen sich gewöhnlich auf einem und demselben Thiere nieder. Aus den Berichten der südafrikanischen Reisenden erfahren wir, daß sie, in gleicher Weise wie den Herdenthieren, Elefanten und Nashörnern ihre Dienste widmen. Ich habe im dritten Bande dieses Werkes (Seite 528) das Freundschaftsverhältnis zwischen ihnen und dem Nashorne bereits erwähnt. Nach Levaillant besuchen sie auch Antilopen, also wahrscheinlich alle größeren Säugethiere über haupt. Sie widmen ihre Thätigkeit namentlich solchen Herdenthieren, welche wunde Stellen haben und deshalb die Fliegen herbeilocken. Daher hassen sie die Abessinier, welche glauben, daß sie durch ihr Picken die aufgeriebene Stelle reizen und die Heilung verhindern; es sind aber vorzugsweise die Larven verschiedener Biesfliegen, die sich unter der Haut der Thiere eingebohrt haben, und die bluterfüllten Zecken, welche sie herbeiführen. Erstere wissen sie aus ihren Schlupfwinkeln hervorzuziehen, letztere von allen Stellen des Leibes abzulesen. Gesunde Säugethiere, welche sie von Jugend auf kennen, verrathen nicht, daß die Schmarotzerei der Vögel ihnen lästig werde, behandeln die Madenhacker vielmehr mit wirklicher Freundschaft und lassen sie gewähren, gleichviel wie sie es treiben, ohne auch nur mit dem Schwanze nach ihnen zu schlagen: Thiere hingegen, welche sie nicht kennen, geberden sich wie unsinnig, wenn sie plötzlich den Besuch der in bester Absicht erscheinenden Vögel erhalten. So erzählt Anderson, daß eines Morgens die Ochsen seines Gespannes in den lächerlichsten Sätzen und in der wildesten Unordnung davonrasten, weil ein Schwarm Madenhacker auf ihnen sich niederließ. Schwerer verletzte, zumal arg wundgedrückte Pferde, Esel oder Kamele, deren Wunden zu heilen beginnen, suchen sich ebenfalls von den Madenhackern zu befreien und diese, freilich meist erfolglos, durch rasches Laufen, Zucken mit der Haut, Peitschen mit dem Schwanze und Wälzen auf der Erde zu vertreiben, und sie mögen in der That empfindlich von ihnen gequält, die Heilung ihrer Wunden vielleicht auch gehemmt werden.

Ein mit Madenhackern bedecktes Pferd oder Kamel gewährt einen lustigen Anblick. Ehrenberg sagt sehr richtig, daß die Vögel an den Thieren herumklettern wie die Spechte an den Bäumen. [409] Der Madenhacker weiß jede Stelle an dem Körper auszunutzen. Er hängt sich unten am Bauche zwischen den Beinen an, steigt an diesen, kopfunterst oder kopfoberst herab, klammert sich sogar an den Geschlechtstheilen fest, setzt sich auf den Rücken, auf die Nase, kurz, sucht so recht buchstäblich den ganzen Leib ab. Fliegen und Bremsen nimmt er geschickt vom Felle weg, Maden zieht er unter der von ihm gespaltenen Haut hervor. Aber er mag arbeiten, wie er will, die Thiere verharren ganz ruhig, weil sie wissen, daß der augenblickliche Schmerz nur zu ihrem besten ist.

Der Madenhacker seinerseits vertraut übrigens auch nur dem Thiere; vor dem Menschen nimmt er sich sehr in Acht. Bei Annäherung eines solchen, und namentlich eines Fremden, klettert die ganze Gesellschaft, welche an dem Thiere saß, rasch zu der Firste des Rückens empor, setzt sich fest und schaut nun vorsichtig dem Ankömmlinge entgegen.


Madenhacker (Buphaga erythrorhyncha). 1/2 natürl. Größe.
Madenhacker (Buphaga erythrorhyncha). 1/2 natürl. Größe.

Alle, welche ich beobachtete, ließen mich nicht näher als vierzig Schritte an sich herankommen. Gewöhnlich erheben sie sich schon viel früher, steigen zuerst in die Höhe, streichen mit leichtem Fluge, die Flügel weit ausgebreitet, oft auf ziemliche Strecken weg und kehren in einem größeren Bogen wieder zurück. Wenn sie Gefahr vermuthen, setzen sie sich aber dann nicht nochmals auf ein Thier, sondern immer auf hochgelegene Punkte, namentlich auf Steinblöcke. Auf Bäumen habe ich sie nie gesehen. Daß wild lebende Thiere sich nach und nach gewöhnen, auf die Warnung des Madenhackers zu achten, wie ich dies am angegebenen Orte mit Gordon Cummings Worten beschrieb, ist sehr erklärlich.

Ueber das Fortpflanzungs- und Brutgeschäft habe ich nichts erfahren können, wie denn die Lebensgeschichte dieser merkwürdigen Vögel noch sehr ausführlicher Beobachtungen bedarf.

[410] Erst in den letztvergangenen Jahren ist uns ausführlichere Kunde geworden über wunderbar prächtige Vögel Neuguineas und der umliegenden Inseln, welche schon seit Jahrhunderten als theilweise verstümmelte Bälge bei uns eingeführt wurden und eigenthümliche Sagen ins Leben gerufen haben. Paradiesvögel nannte und nennt man sie, weil man annahm, daß sie unmittelbar dem Paradiese entstammten und in eigenthümlicher Weise lebten. Sie kamen ohne Füße zu uns; man übersah die ihnen durch die Eingeborenen zugefügte Verstümmelung und meinte, daß sie niemals Füße besessen hätten. Ihre fast einzig dastehende Federbildung und ihre prachtvollen Farben gaben der Einbildung freien Spielraum, und so kam es, daß die unglaublichsten Fabeln wirklich geglaubt wurden. »Es läßt sich denken«, sagt Pöppig, »mit welchem Staunen die vom Auslande abgetrennten Bewohner des europäischen Festlandes die erste Kunde von jenen wunder baren Thieren erhalten haben mögen, als Pigafetta, Magalhaens' überlebender Begleiter, 1522 in Sevilla wieder eintraf. Man liest nicht ohne eine gewisse Rührung, wie einige der eifrigen, aber in ihren Mitteln unendlich beschränkten Naturforscher des sechzehnten Jahrhunderts es als eines der größten Ereignisse ihres Lebens, als eine Erfüllung eines lange umsonst gehegten Wunsches bezeichnen, daß ihnen endlich der Anblick der verstümmelten Haut eines Paradiesvogels zu Theil geworden. Entschuldigung mag es daher verdienen, wenn in jenem Zeitabschnitte Fabeln entstanden, welche ungewöhnlich lange Zeit vollen Glauben fanden. Man betrachtete jene Vögel als lustige Sylphen, welche ihre Heimat allein in dem unendlichen Luftmeere fänden, alle auf Selbsterhaltung zielenden Geschäfte fliegend vornahmen und nur während einiger flüchtigen Augenblicke ruhten, indem sie sich mit den langen fadenförmigen Schwanzfedern an Baumästen aufhingen. Sie sollten gleichsam als höhere Wesen von der Nothwendigkeit, die Erde zu berühren, frei sein; von ätherischer Nahrung, vom Morgenthaue, sich nähren. Es half zu nichts, daß Pigafetta selbst die Fußlosigkeit jener Wundervögel als eine Fabel erklärte, daß Marcgrave, Clusius und andere Forscher jener Zeit die letztere als gar zu ungereimt bekämpften: das Volk blieb bei seiner vorgefaßten Ansicht.«

Jahrhunderte vergingen, bevor das Leben der Paradiesvögel uns bekannt wurde. Verschiedene Reisende lieferten wichtigere oder unwichtigere Beiträge zur Kunde ihres Lebens; kaum einer aber blieb frei von dem nun einmal herrschenden Wunderglauben. Erst Lesson, welcher gelegentlich seiner Weltumsegelung dreizehn Tage auf Neuguinea verweilte, berichtet aus eigener Anschauung über lebende Paradiesvögel. Nach ihm haben uns in den letzten Jahren Bennett, Wallace und von Rosenberg werthvolle Mittheilungen über das Frei- und Gefangenleben der märchenhaften Vögel gegeben.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 409-411.
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