Laubenvogel (Ptilonorhynchus holosericeus)

[405] Die bekannteste Art der Unterfamilie ist der Laubenvogel (Ptilonorhynchus holosericeus und Mac-Leyii, Kitta holosericea, Corvus squamulosus, Pyrrhocorax violaceus), Vertreter einer nur aus ihm selbst bestehenden Sippe. Sein Leib ist gedrungen, der Schnabel kräftig, auf dem Oberkiefer ziemlich stark gewölbt, mit seichtem Haken über den unteren gebogen, vor der Spitze mit zwei seichten Einschnitten versehen, der Unterkiefer leicht gekrümmt, der Fuß ziemlich hoch, dünn- und kurzzehig, der Flügel in welchem die vierte Schwinge über alle anderen sich verlängert, lang und spitzig, der Schwanz mittellang, seicht ausgeschnitten. Das wie Atlas glänzende Gefieder des alten Männchens ist tiefblauschwarz; die Vorder- und Armschwingen, Flügeldeck- und Steuerfedern sind sammetschwarz, an der Spitze blau. Das Auge ist hellblau bis auf einen schmalen rothen Ring, welcher den Stern umgibt, der Schnabel lichtbläulich hornfarben, an der Spitze gelb, der Fuß röthlich. Das Weibchen ist auf der Oberseite grün, an den Flügeln und auf dem Schwanze dunkel gelbbraun, auf der Unterseite gelblichgrün, jede Feder hier mit dunkelbraunen Mondflecken nahe der Spitze, wodurch eine schuppige Zeichnung entsteht. Die Jungen ähneln dem Weibchen. Die Länge beträgt etwa sechsunddreißig, die Fittiglänge achtzehn, die Schwanzlänge zwölf Centimeter.

Gould hat uns über die Lebensweise des Atlasvogels ziemlich genau unterrichtet. Sein Vaterland ist der größte Theil des australischen Festlandes, sein Lieblingsaufenthalt das üppige, dicht beblätterte Gestrüppe der parkähnlich bestandenen Gebiete des Inneren wie der Küstenländer. Er lebt ständig an einem und demselben Orte, streicht jedoch in einem kleinen Umkreise hin und her, vielleicht in der Absicht, reichlichere Nahrung sich zu verschaffen. Im Frühjahre Australiens trifft man ihn paarweise, im Herbste in kleinen Flügen, dann oft in Flußbetten, namentlich da, wo sich Gebüsche auf einem Uferstreifen zur Wassergrenze hinabziehen. Die Nahrung besteht vorzugsweise aus Körnern und Früchten, nebenbei wohl auch Kerbthieren. Während des Fressens ist er so wenig scheu, daß er sich bequem beobachten läßt, sonst äußerst wachsam und vorsichtig. Die alten Männchen sitzen auf einem Baumwipfel und warnen, sobald sich etwas verdächtiges zeigt, ihre auf dem Boden oder im Gezweige beschäftigten Familienglieder durch ihren hellen Lockton, welchem bei Erregung ein rauher, unangenehmer Gurgelton folgt. Unter den Trupps sieht man immer nur wenige ausgefärbte Männchen; es scheint daher, daß diese erst spät ihr volles Kleid erhalten.

Das merkwürdigste in der Lebensweise der Atlasvögel ist der Umstand, daß sie sich zu ihrem Vergnügen laubenartige Gewölbe erbauen, in denen sie scherzend sich umhertreiben. Gould lernte diese Gebäude zuerst im Museum zu Sydney kennen, wohin eines von denselben durch einen Reisenden [405] gebracht worden war, nahm sich vor, der Sache auf den Grund zu kommen und beobachtete nun längere Zeit die Thiere bei ihrer Arbeit. »Bei Durchstreifung der Cedergebüsche des Liverpoolkreises«, so erzählt er, »fand ich mehrere dieser Lauben oder Spielplätze auf. Sie werden gewöhnlich unter dem Schutze überhängender Baumzweige im einsamsten Theile des Waldes, und zwar stets auf dem Boden, angelegt. Hier wird aus dicht durchflochtenem Reisige der Grund gebildet und seitlich aus feineren und biegsameren Reisern und Zweigen die eigentliche Laube gebaut.


Laubenvogel (Ptilonorhynchus holosericeus). 1/4 natürl. Größe. (Nach Wolf.)
Laubenvogel (Ptilonorhynchus holosericeus). 1/4 natürl. Größe. (Nach Wolf.)

Die Stoffe sind so gerichtet, daß die Spitzen und Gabeln der Zweige sich oben vereinigen. Auf jeder Seite bleibt ein Eingang frei. Besonderen Schmuck erhalten die Lauben dadurch, daß sie mit grellfarbigen Dingen aller Art verziert werden. Man findet hier buntfarbige Schwanzfedern verschiedener Papageien, Muschelschalen, Schneckenhäuser, Steinchen, gebleichte Knochen usw. Die Federn werden zwischen die Zweige gesteckt, die Knochen und Muscheln am Eingange hingelegt. Alle Eingeborenen kennen diese Liebhaberei der Vögel, glänzende Dinge wegzunehmen und suchen verlorene Sachen deshalb immer zunächst bei gedachten Lauben. Ich fand am Eingange einen hübsch gearbeiteten Stein von vier Centimeter Länge nebst mehreren Läppchen von blauem baumwollenem Zeuge, welche die Vögel wahrscheinlich in einer entfernten Niederlassung aufgesammelt hatten. Die Größe der Lauben ist sehr verschieden.«

Noch ist es nicht vollkommen erklärt, zu welchem Zwecke die Atlasvögel solche Gebäude aufrichten. Die eigentlichen Nester sind sie gewiß nicht, sondern nur ein Ort der Vergnügung für beide Geschlechter, welche hier spielend und scherzend durch und um die Laube laufen. Wie es scheint, werden die Lauben während der Paarungs- und Brütezeit zum Stelldichein benutzt und wahrscheinlich [406] mehrere Jahre nach einander gebraucht. Coxen berichtet, daß er gesehen habe, wie die Vögel, und zwar die Weibchen, eine Laube, welche er zerstört, wieder hergestellt haben. Der »alte Buschmann« erzählt, daß sie in dichten Theesträuchern und anderem Gebüsche, gewöhnlich in Vertiefungen unweit ihrer Lauben brüten; doch scheinen die Eier bis zur Stunde noch nicht bekannt zu sein. »Wenn das alte Männchen erlegt wird, findet das Weibchen sofort einen anderen Gefährten: ich habe von einer Laube kurz nach einander drei Männchen weggeschossen.«

Auch in der Gefangenschaft bauen die Vögel ihre Lauben. Strange, ein Liebhaber zu Sydney, schreibt an Gould: »Mein Vogelhaus enthält jetzt auch ein Paar Atlasvögel, von denen ich hoffte, daß sie brüten würden, als sie in den beiden letzten Monaten anhaltend beschäftigt waren, Lauben zu bauen. Beide Geschlechter besorgen die Aufrichtung der Lauben; aber das Männchen ist der hauptsächlichste Baumeister. Es treibt zuweilen sein Weibchen überall im Vogelhause herum; dann geht es zur Laube, hackt auf eine bunte Feder oder ein großes Blatt, gibt einen sonderbaren Ton von sich, sträubt alle Federn und rennt rings um die Laube herum, in welche endlich das Weibchen eintritt. Dann wird das Männchen so aufgeregt, daß ihm die Augen förmlich aus dem Kopfe heraustreten. Es hebt unablässig einen Flügel nach dem anderen, pickt wiederholt auf den Boden und läßt dabei ein leichtes Pfeifen vernehmen, bis endlich das Weibchen gefällig zu ihm geht, und das Spiel zunächst beendet wird.« In den letzten Jahrzehnten haben auch wir dann und wann lebende Atlasvögel, so viel mir bekannt, aber noch immer nicht Kunde über ihre Fortpflanzung erhalten.


*


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 405-407.
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