Baumnachtigall (Aëdon galactodes)

[165] Die Baumnachtigall (Aëdon galactodes, minor, rubiginosa, pallens und meridionalis, Sylvia galactodes und rubiginosa, Turdus rubiginosus, Agrobates, Erythropygia, Salicaria und Calamoherpe galactodes), ist auf der Oberseite rostrothgrau, auf dem Scheitel dunkler, im Nacken mehr graulich, auf der Unterseite graugelblich oder schmutzig weiß, mit röthlichem Anfluge an den Halsseiten und rostgelblichem an den Weichen, die Wange weißbräunlich, ein weit nach hinten reichender Brauenstreifen weiß; die Schwingen, Flügeldeckfedern und Oberarmschwingen sind braun, erstere schmal lichtbräunlich, letztere breit rostgelb gesäumt, die Steuerfedern, mit Ausnahme der mittleren dunkleren schön rostroth, an der Spitze weiß, vorher durch einen rundlichen Fleck von schwarzbrauner Farbe gezeichnet. Das Auge ist dunkelbraun, Schnabel und Füße sind röthlich. Die Jungen ähneln den Alten.


Baumnachtigall (Aëdon galactodes) und Meistersänger (Sylvia orphea). 1/2 natürl. Größe.
Baumnachtigall (Aëdon galactodes) und Meistersänger (Sylvia orphea). 1/2 natürl. Größe.

Die Länge beträgt achtzehn, die Breite [165] siebenundzwanzig, die Fittiglänge acht, die Schwanzlänge über sieben Centimeter, beim Männchen, wie beim Weibchen.

Unser Vogel bewohnt Spanien und Nordwestafrika, besucht von hier aus zuweilen Italien, Deutschland und Großbritannien und wird in Griechenland, Kleinasien und Egypten durch eine ihm nahestehende Verwandte (Aëdon familiaris und Bruchii, Sylvia, Erythropygia, Salicaria und Calamoherpe familiaris) vertreten, welche sich durch merklich geringere Größe, rostgraue Oberseite und Oberflügeldeckfedern, lebhaft rostrothen Bürzel und braune Innenfahne der beiden mittleren Schwanzfedern unterscheidet. Die eine wie die andere bevölkert vorzugsweise jene dürren, nur vom Regen befeuchteten Stellen des Südens, welche spärlich mit niederem Buschwerke bestanden sind, ohne jedoch bebaute Oertlichkeiten und bezüglich die Nähe menschlicher Wohnsitze zu meiden. Dies bleibt sich gleich in Spanien wie in Griechenland, in Egypten wie in der bereits wiederholt erwähnten Samhara oder der innerafrikanischen Steppe. In Spanien und Griechenland sind es vor allem anderen die Weinberge und Oelbaumpflanzungen, welche ihnen Herberge geben; in Kleinasien leben sie in dünn bestandenen, parkartigen Baumbeständen bis zu zweitausend Meter unbegrenzter Höhe aufwärts; in Nordostafrika siedelt eine ihnen verwandte Art in trockenen Gärten, Mimosenhainen, Baumwollfeldern, Rohrdickichten oder zwischen den Hütten der Dörfer sich an, vorausgesetzt, daß es hier an dichten Büschen nicht fehlt. Im Urwalde habe ich keine Baumnachtigall gesehen; im dünn bestandenen Steppenwalde ist sie häufig; hohe Gebirgs-, nicht aber Bergwaldungen scheint sie zu meiden.

In Mittelafrika sind die Baumnachtigallen Standvögel, in Nordafrika und Südeuropa Zugvögel. Sie erscheinen in Griechenland und Spanien um die Mitte oder zu Ende des April, in Egypten kaum früher, und verlassen das Land zu Ende des September wieder. Die Männchen kommen zuerst an, die Weibchen folgen einige Tage später nach. Während des Zuges macht sich der muntere Vogel allerorten bemerklich: später muß man ihn auf seinen Lieblingsplätzen aufsuchen. Hier freilich fällt er jedem auf, welcher Augen hat, zu sehen: in Spanien ist der »Rosardo« (Röthling) oder »Alzarabo« (Schwanzaufheber) ebenso bekannt wie bei uns zu Lande das Rothkehlchen. Die Baumnachtigall macht einem ihrer Namen: »Agrobates«, alle Ehre; denn sie liebt es in der That, auf die Spitzen zu gehen. Der höchste Zweig des Lieblingsbusches, der Pfahl, an welchem die Rebe befestigt ist, ein Baumwipfel oder ein Telegraphendraht sind Warten, wie sie solche haben mag. Hier sitzt sie, den Schwanz gestelzt, die Flügel gesenkt, mit eingeknickten Beinen, aber ziemlich aufgerichtet; von hier herabträgt sie ihr Lied vor, von hier aus späht sie nach Beute aus. Entdeckt sie einen Wurm, ein Kerbthier oder etwas ähnliches, so stürzt sie sich rasch auf den Boden herab, bückt sich, wippt mit dem Schwanze und breitet ihn aus, seine volle Schönheit zeigend, rennt dann eilig ein Stück auf dem Boden dahin, fängt den Raub, ruft dabei behaglich ihr lockendes »Tak, tak« und kehrt nach demselben Ruhepunkte, welchen sie früher einnahm, wieder zurück. Dasselbe geschieht so regelmäßig, daß der Schütz sie unfehlbar erlegt, wenn er in der Nähe einer ihrer Warten sich anstellt und sie durch einen Jagdhelfer treiben läßt. Sie nimmt ihre Nahrung hauptsächlich vom Boden auf und sucht deshalb alle nackten Stellen ab, kommt auch auf freie Blößen heraus und läuft namentlich oft auf Wegen und Straßen umher. »Durch ihr wenig schüchternes und doch lebhaftes Wesen, welches in mancher Beziehung an das der Schwarzdrossel erinnert«, sagt Heuglin, »erfreut sie den Bewohner der Landhäuser und Gärten. Oft flattert sie unruhig und häufig von Zweig zu Zweig, selbst bis in die höheren Kronen der Bäume, den Schwanz beständig bewegend, ausbreitend und aufschlagend; bald wieder sieht man sie emsig auf dem kahlen Boden oder im Gestrüppe und trockenem Grase umherlaufen und auf Würmer und Raupen jagen. Plötzlich stößt sie einen drosselartigen Angstruf aus und flüchtet scheltend in die Büsche.« Sie ist klug und vorsichtig, ja selbst scheu, wo sie es nöthig hat, zutraulich da, wo sie es sein darf, unstet, flüchtig und bewegungslustig in hohem Grad. In Spanien fanden wir sie überall scheu; in Mittelafrika läßt sie den braunen Eingeborenen dicht neben sich vorüber gehen, weicht aber dem ihr fremdartig [166] erscheinenden Europäer sorgsam aus. Anderen Vögeln gegenüber friedfertig; liegt sie mit ihresgleichen oft im Streite. Zwei Männchen verfolgen sich mit großem Ingrimme, wirbeln zusammen hoch empor, stürzen sich rasch wieder in die Tiefe und jagen sich pfeilschnell zwischen den Büschen umher, dabei eine auffallende Gewandtheit beweisend und den prächtigen Schwanz bald breitend, bald wieder zusammenlegend. Ebenso häufig, als in ernster Absicht, mag dieses Jagen ein Spiel, ein Schäkern sein, welches aus reiner Lust an der Bewegung ausgeführt wird.

In einer Hinsicht stehen sie weit hinter ihrer Namensverwandten zurück: ihr Gesang kann sich mit dem der Nachtigall nicht vergleichen. Von der Mühle nennt ihn »einförmig« und vergleicht ihn mit dem Liede der Grasmücke; ich muß beistimmen, will aber ausdrücklich bemerken, daß er mir, trotz seiner Einfachheit, stets wohlgefallen hat. Gerade weil die Baumnachtigall an solchen Orten lebt, welche die Nachtigall meidet, und weil sie durch fleißiges Singen das zu ersetzen sucht, was ihr im Vergleiche zu ihrer hochbegabten Schwester abgeht, wird sie dem Thierfreunde lieb und werth. Sie singt auf ihrer Warte sitzend, am Boden dahinlaufend, selbst fliegend, fast ununterbrochen, und die einzelnen Töne sind immerhin wohllautend genug, um zu gefallen.

Die Brutzeit beginnt im zweiten Drittel des Mai. Das große, aber unschöne Nest wird auf Baumstrunken zwischen den stärkeren Aesten oder im dichten Gebüsche aus Reisig, Moos, Grasblättern oder weichen Pflanzenstengeln erbaut und seine Mulde mit Haaren, Wolle, Baumwolle und Federn ausgelegt. Tristram meint, der Vogel »scheine nicht eher zu legen, als bis er ein Stück Schlangenhaut gefunden und damit seinen Bau vollendet habe«, und in der That enthalten die meisten Nester ein Stück Schlangenhemde. Die vier bis sechs Eier sind sehr verschieden in Größe, Gestalt und Färbung, durchschnittlich etwa zweiundzwanzig Millimeter lang und funfzehn Millimeter dick, auf trübweißem oder blaugrauem Grunde mit wenig hervortretenden Schalenflecken dunklerer Färbung und außerdem mit braunen Pünktchen und Flecken gezeichnet. Ueber die Aufzucht der Jungen mangelt mir jede Kunde; ich kann nur sagen, daß wir noch Anfang September, während die meisten Alten bereits in voller Mauser standen, flügge Nestjungen antrafen.

Ob wirklich, wie Tristram angibt, Eier und Junge »die beständige Beute der Kriechthiere« und diese deshalb die schlimmsten Feinde der Baumnachtigallen sind, steht dahin. Sicher werden letztere auch von dem gesammten Raubzeuge der beiden ersten Klassen nicht verschont werden, überhaupt mit ihren Verwandten dieselben Gefahren theilen. Der Mensch tritt wohl nur in Spanien als Verfolger der anmuthigen Geschöpfe auf: der Spanier jagt sie, wie alle an deren Sänger, um ihr Fleisch für die Küche zu verwerthen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 165-167.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Gellert, Christian Fürchtegott

Die Betschwester. Lustspiel

Die Betschwester. Lustspiel

Simon lernt Lorchen kennen als er um ihre Freundin Christianchen wirbt, deren Mutter - eine heuchlerische Frömmlerin - sie zu einem weltfremden Einfaltspinsel erzogen hat. Simon schwankt zwischen den Freundinnen bis schließlich alles doch ganz anders kommt.

52 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon