Blaukehlchen (Cyanecula Wolfii)

[126] Die verschiedenen Arten sind hauptsächlich an der Kehlfärbung zu erkennen. So zeigt das Männchen des Tundrablaukehlchens (Cyanecula suecica, orientalis, suecioides, coerulecula, dichrosterna und cyane, Motacilla suecica und coerulecula, Sylvia suecica, cyanea und coeruligula, Calliope suecoides, Saxicola, Ficedula, Curruca, Phoenicura, Pandicilla, Ruticilla, Lusciola und Erithacus suecica) inmitten des blauen Kehlfeldes einen zimmetrothen, das Weißsternblaukehlchen (Cyanecula leucocyana und obscura) einen weißen Stern, während dieser dem Blau kehlchen (Cyanecula Wolfii) gänzlich fehlt. Zudem machen sich Größenunterschiede bemerklich: das Weißsternblaukehlchen ist das größte und stärkste, das Blaukehlchen das kleinste und schwächste unter seinen Verwandten. Die Weibchen entsprechen stets den Männchen; es hält aber schwer, sie zu unterscheiden.

Nun will man zwar an einem Blaukehlchen, welches im Käfige gehalten wurde, beobachtet haben, daß die weißsternige Kehle einfarbig blau wird, später auch wohl wieder einen weißen Stern erhält, und glaubt deshalb, die Artverschiedenheit wenigstens zweier Blaukehlchen bestreiten zu können; dann aber muß – vorausgesetzt natürlich, daß die Beobachtung richtig ist oder sich nicht auf die weißsternige Art allein bezieht – immer noch die Verschiedenheit des Weißstern- und Tundrablaukehlchens festgehalten werden, da ein Uebergang des weißen in den rothen Stern oder späteres Auftreten desselben auf einfarbig blauer Kehle noch nicht beobachtet worden ist. Uebrigens braucht uns der Streit über Arteinheit oder Artverschiedenheit der Blaukehlchen hier kaum zu kümmern; denn Leben und Betragen aller Arten sind im wesentlichen dieselben.

Die Blaukehlchen sind heimisch im Norden der Alten Welt und besuchen von hier aus Südasien und Nordafrika. Das Tundrablaukehlchen haust innerhalb der angegebenen Grenzen mit Vorliebe, falls nicht ausschließlich, in dem Wohngebiete, welches ich zur Bezeichnung seines Namens gewählt habe, brütet daher nicht in Deutschland, wohl aber in äußerst zahlreicher Menge im nördlichen Skandinavien, in Nordfinnland, Nordrußland und ganz Nordsibirien. Das Weißsternblaukehlchen dagegen gehört mehr dem Süden und dem Westen an, brütet, soviel erwiesen, nicht in den ebengenannten Gegenden, wohl aber in ganz Norddeutschland, insbesondere in Pommern, der Mark, Sachsen, Anhalt, Braunschweig, Mecklenburg und Hannover, ebenso in Holland. Das Blaukehlchen endlich bewohnt, wie es scheint, höhere Lagen, nistet bei uns nicht, ist meines Wissens überhaupt noch nicht am Brutplatze beobachtet worden. Auf ihrem Zuge durchwandern alle Arten ganz Deutschland und ebenso Südeuropa, Nord- und Mittelafrika, die ihr so ausgedehntes Wohngebiet verlassenden Tundrablaukehlchen selbstverständlich auch Mittel- und Südasien, hierbei erwiesenermaßen Gebirge von fünftausend Meter übersteigend, um in Indien und anderen südasiatischen [126] Ländern Herberge zu nehmen. Bei uns zu Lande erscheinen die Blaukehlchen im Anfange des April, selten früher, meist erst gegen die Mitte des Monats hin, und reisen im September ihrer Winterherberge zu. Busch- und gras- oder schilfreiche Fluß-, Bach- und Seeufer sind in unserem Vaterlande, die Tundren im Norden ihre Wohnsitze; während der Wintermonate nehmen sie in Gärten und Buschdickichten, auf Feldern, auf hochgrasigen Wiesen, in schilfreichen, nicht allzu wasserreichen Sümpfen und an ähnlichen Orten ihren Aufenthalt.


Tundrablaukehlchen (Cyanecula suecica) und Calliope (Calliope kamtschatkensis). 2/3 natürl. Größe.
Tundrablaukehlchen (Cyanecula suecica) und Calliope (Calliope kamtschatkensis). 2/3 natürl. Größe.

Sie dehnen ihre Wanderung nicht so weit aus wie andere Sänger, überwintern schon in Unter- und Mittelegypten oder in Mittelchina und in Nordindien, streifen aber einzeln doch bis in die südlichen Tiefebenen Ostindiens oder bis in die Waldungen des oberen Nilgebietes hinab. Auf ihrer Reise pflegen sie bestimmte Straßen, Fluß- und Bachthäler z.B., einzuhalten, und hier an gewissen Stellen regelmäßig zu rasten. Während des Frühlingszuges wandern die Männchen einzeln den Weibchen voraus, im Herbste zieht alt und jung gesellschaftlich; im Frühlinge folgen die Reisenden ausschließlich den Bach- oder Flußufern, im Herbste binden sie sich nicht an diese natürlichen Straßen, sondern wandern gerade durch das Land, übertages in Feldern rastend, deren Frucht noch nicht eingeheimst wurde, kommen dann auch wohl vereinzelt mitten in der Wüste vor.

Für den Sommeraufenthalt des Blaukehlchens sind feuchte Buschdickichte nahe am Wasser Bedingung. Deshalb meidet das Weißsternblaukehlchen in Deutschland während der Brutzeit Gebirge fast gänzlich, wogegen das Tundrablaukehlchen im Norden zwischen der Tiefe und Höhe [127] keinen Unterschied macht, in Skandinavien sogar Höhen vorzieht, weil hier auf den breiten Fjelds der Berge See an See, oder mindestens Pfuhl an Pfuhl, durch hunderte von kleinen Bächen verbunden und wie diese mit niederem Gestrüpp eingefaßt und umgeben, sich finden. Solche Oertlichkeiten sind Paradiese für unsere Vögel, und ihnen müssen diejenigen Niederungen Deutschlands ähneln, in denen es dem Weißsternblaukehlchen gefallen, in denen das nach Vermehrung seines Geschlechtes strebende Paar sich ansiedeln soll.

Das Blaukehlchen, gleichviel, um welche Art es sich handelt, ist ein liebenswürdiger Vogel, welcher sich jeden Beobachter zum Freunde gewinnt. Nicht seine Schönheit allein, auch, und wohl noch in höherem Grade, sein Betragen, seine Sitten und Gewohnheiten ziehen uns an und fesseln uns. Wie bei den meisten Erdsängern ist beim Blaukehlchen leibliche und geistige Begabung in glücklichster Weise vereinigt. Die größte Gewandtheit der Bewegung zeigt es auf dem Boden: es ist der Erdsänger im eigentlichen Sinne des Wortes. Sein Gang ist kein Schreiten, sondern ein Hüpfen; die einzelnen Sprünge folgen sich aber so rasch, daß man sie nicht unterscheiden kann und im laufenden Blaukehlchen eher einen Rennvogel als einen Sänger zu sehen glaubt. Dabei ist es ihm gleichgültig, ob es sein Weg über trockenen oder schlammigen Boden, über freie Stellen oder durch das verworrenste Busch- und bezüglich Grasdickicht führt; denn es versteht meisterhaft, überall fortzukommen. Im Gezweige selbst fliegt es höchstens von einem Aste zum anderen und bleibt da, wo es aufflog, ruhig sitzen. Auf dem Boden sitzend oder laufend, macht es einen sehr angenehmen Eindruck. Es trägt sich aufrecht und den Schwanz gestelzt, sieht deshalb selbstbewußt, ja keck aus. Der Flug ist schnell, aber nicht besonders rasch, geschieht in größeren oder kleineren Bogen, wird aber selten weit ausgedehnt. Gewöhnlich erhebt sich der Vogel nur einen bis zwei Meter über den Boden und stürzt sich beim ersten Verstecke, welches er auffindet, wieder zu ihm hernieder, um seinen Weg laufend fortzusetzen. Die Sinne stehen mit denen der Nachtigall ungefähr auf gleicher Stufe, der Verstand auf gleicher Höhe. Das Blaukehlchen ist klug und merkt bald, ob ihm ein anderes Wesen in freundliche oder wohlwollender Absicht entgegentritt. Gewöhnlich zeigt es sich harmlos, dem Menschen gegenüber zutraulich; erfährt es jedoch Nachstellungen, so wird es bald äußerst vorsichtig und scheu. Ungestört, legt es unendliche Lebensfreudigkeit und beneidenswerthen Frohsinn an den Tag, ist, so lange es sein tägliches Brod findet, beständig guter Laune, heiter, vergnügt und bewegungslustig, im Frühlinge auch singfertig. Mit anderen Vögeln lebt es im Frieden, mit seinesgleichen neckt es sich gern; aus solchem Spiele kann aber bitterer Ernst werden, wenn die Liebe und mit ihr die Eifersucht rege wird. Dann mag es geschehen, daß zwei Männchen einen Zweikampf beginnen und mit größter Erbitterung fortführen, ja, nicht eher von einander ablassen, als bis der eine Gegner erlegen ist. Zwei Blaukehlchen, welche zusammen ein Zimmer, einen Käfig bewohnen, gerathen oft miteinander in Zwiespalt und streiten sich zuweilen so heftig, das eines unter den Bissen des anderen verendet.

Das so vielen Sängern geläufige »Tak, tak« ist auch die Lockstimme des Blaukehlchens, ein sanftes »Fied fied« der Laut der Zärtlichkeit, ein unnachahmliches Schnarren der Ausdruck des Zornes. Der Gesang ist, nach der übereinstimmenden Versicherung meines Vaters, Naumanns, Päßlers und anderer, welche selbständig beobachteten, je nach der Art verschieden. Am besten und fleißigsten singt das Blaukehlchen, am schlechtesten das Tundrablaukehlchen. Bei ihm ist der Schlag, laut Naumann, sehr bezeichnend in mehrere kurze Strophen abgetheilt, zwischen denen kleine Pausen gehalten werden. Einige dieser Strophen sind aus hellpfeifenden, sanften und sehr angenehmen Tönen zusammengesetzt, welche aber dadurch sehr verlieren, daß sie sehr oft wiederholt werden, ehe eine neue Strophe anfängt. Die größte Eigenheit in diesem Gesange ist ein leises, nur in der Nähe vernehmbares Schnurren zwischen den lauten Tönen, wodurch man zu glauben verleitet wird, der Vogel sänge mit doppelter Stimme. Fast alle Männchen nehmen in ihren ursprünglichen Gesang Töne oder selbst Strophen aus den Liedern anderer Vögel, auch wohl Schreie und Rufe nicht singfähiger Thiere auf: so hat Naumann das »Biswit« der Rauchschwalbe, [128] das »Pikperwik« der Wachtel, den Lockruf des Finken und Sperlings, Töne aus dem Gesange der Nachtigall, der Grasmücken, Laub- und Schilfsänger, das Gekreisch des Fischreihers, das Quaken des Laubfrosches von singenden Weißsternblaukehlchen nachahmen hören. Daß diese Spöttergabe auch anderswo bemerkt worden ist, beweisen die Lappen, welche das Tundrablaukehlchen den »hundertzungigen Sänger« nennen. Zum Singen wählt das Männchen gewöhnlich einen erhabenen Sitzort; doch trägt es seine Lieder auch vom Boden aus vor, singt sogar im Laufen und, wie in der ersten Morgenfrühe, noch spät des Abends. Während des Singens wippt es viel seltener als sonst, begleitet wenigstens nicht jede Strophe mit einer Bewegung des Schwanzes, wie es beim Ausstoßen des Lockrufes regelmäßig zu thun pflegt.

Die Nahrung besteht in Gewürm und Kerfen allerlei Art, wie sie feuchte Oertlichkeiten beherbergen, im Herbste auch in Beeren. In der Tundra nährt sich die dort wohnende Art zeitweilig fast ausschließlich von Mücken und deren Larven.

Das Nest steht nahe am Wasser, meist am Ufer von Gräben oder Bächen, nach Hinz stets auf der Seite, welche die Morgen- oder Mittagssonne bescheint, auf oder dicht über dem Boden, in Erdhöhlen, welche es halb verdecken, zwischen Gewurzel oder Gestrüpp, ist ziemlich gut gearbeitet, verhältnismäßig groß, oben stets offen, auf einer Grundlage von dürrem Weidenlaube und Reisige aus Halmen und feinen Pflanzenstengeln erbaut und innen mit zarten Hälmchen, in nördlichen Gegenden auch wohl mit Haaren und Federn ausgefüttert. Mitte Mai findet man in ihm sechs bis sieben, zwanzig Millimeter lange, sechzehn Millimeter dicke, sehr zartschalige Eier von licht blaugrüner Grundfärbung, welche mit rothbraunen Punkten gefleckt oder am stumpfen Ende bräunlich gewölkt sind. Die Bebrütung währt etwa zwei Wochen und wird von beiden Alten abwechselnd besorgt; die Jungen, denen die Eltern allerlei Gewürm und kleine Kerfe zutragen, verlassen das Nest, ehe sie noch fliegen können und rennen anfänglich mit der Hurtigkeit der Mäuse auf dem Boden dahin. Die Eltern schreiten in günstigen Sommern wahrscheinlich zu einer zweiten Brut.

Die Oertlichkeit, welche das Blaukehlchen bewohnt, und seine Gewandtheit schützen es vor vielen Feinden, welche anderen Sängern gefährlich werden. Die brütenden Alten und noch mehr die Eier und die unbeholfenen Jungen fallen dem spürenden Fuchse, den kleinen schleichenden Raubthieren und den Ratten gewiß nicht selten zur Beute; sonst aber lebt alt und jung ziemlich unbehelligt. Eine Jagd mit dem Feuergewehre weiß der gewandte Vogel oft sehr zu erschweren, und seine unvergleichliche Fertigkeit, sich zu verstecken, kommt ihm dabei ausgezeichnet zu statten. Merkt er Gefahr, so pflegt er mit wahrer Schlauheit sich immer da aufzuhalten, wo dichte Gebüsche oder Hecken ihn dem Auge des Jägers entziehen. Dagegen kann er dem ködernden Mehlwurme kaum widerstehen und wird mit dem einfachsten Fangwerkzeuge berückt.

Gefangene Blaukehlchen sind eine wahre Zierde des Gebauers. Bei geeigneter Pflege werden sie bald und in hohem Grade zahm, so wild und scheu sie sich anfangs auch geberdeten, singen dann auch fleißig, verlangen aber die sorgfältigste Wartung, um ausdauern zu können.


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 126-129.
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