Tamariskenrohrsänger (Acrocephalus melanopogon)

[217] Im Süden Europas und ebenso in Südwestasien vertritt ihn der einzeln schon in Südungarn und Nordfrankreich, häufig aber in Italien auftretende gleich große Tamariskenrohrsänger (Acrocephalus melanopogon, Sylvia melanopogon und melampogon, Calamodyta, Salicaria, Lusciniola, Cettia und Amnicola melanopogon).


Uferschilfsänger (Acrocephalus phragmitis), Seidenrohrsänger (Bradypterus Cettii) und Cistensänger (Cisticola cursitans). 1/2 natürl. Größe.
Uferschilfsänger (Acrocephalus phragmitis), Seidenrohrsänger (Bradypterus Cettii) und Cistensänger (Cisticola cursitans). 1/2 natürl. Größe.

Er ist oberseits röthlichbraun, auf Mantel und Schultern mit verwaschenen dunklen Schaftflecken, auf dem braunschwarzen Oberkopfe längs der Mitte durch die verwaschenen helleren Seitensäume der Federn gezeichnet, vom Nasenloche bis zur Schläfe durch einen breiten rostgelblichen, in der Zügelgegend durch einen braunschwarzen Streifen geziert, unter den Augen dunkelbräunlich, auf Kinn, Kehle und den unteren Flügeldecken weiß, auf dem übrigen Untertheile rostgelblich, seitlich dunkler gefärbt. Die Schwingen und Schwanzfedern sind dunkelbraun mit schmalen rostfahlen Außensäumen, welche an den hinteren Armschwingen sich verbreitern und ins Röthlichbraune übergehen.

Unser Uferschilfsänger bewohnt vorzugsweise die Sümpfe oder die Ufer des Gewässers, am liebsten diejenigen Stellen, welche mit hohem Seggengrase, Teichbinsen und anderen schmalblätterigen Sumpfpflanzen bestanden sind, sonst aber auch Felder in den Marschen, zwischen denen schilfbestandene Wassergräben sich dahin ziehen, mit einem Worte, das Ried und nicht das Röhricht. Rohrteiche und Gebüsche oder in Afrika die mit Halfa bestandenen dürren Ebenen besucht er nur während seiner Winterreise. Er erscheint bei uns im letzten Drittel des April und verläßt uns erst im Oktober wieder; einzelne sieht man sogar noch im November. Den Winter verbringt er in Mittelafrika; doch ist zur Zeit noch nicht bekannt, wie weit er in das Innere vordringt. Versprengte sind [218] auf hohem Meere beobachtet worden: so erhielt Burmeister einen, welcher auf der Höhe von Buena Vista auf das Schiff geflogen kam.

Der Uferschilfsänger übertrifft als Schlüpfer alle bisher genannten Arten und kommt hierin den Heuschreckensängern vollständig gleich. Mit mäuseähnlicher Gewandtheit bewegt er sich in dem Pflanzendickichte oder auf dem Boden; weniger behend zeigt er sich im Fluge, da er bald schnurrend, bald flatternd, förmlich hüpfend, in Schlangenlinien dahinzieht, selten weitere Strecken durchfliegend und meist plötzlich in gerader Linie in das Ried herabstürzend. Letzteres gewährt ihm das Bewußtsein so vollständiger Sicherheit, daß er durchaus nicht scheu ist, einen sich nahenden Menschen gar nicht beachtet, in zehn Schritt Entfernung von demselben auch wohl die Spitze eines Busches erklettert und von dort aus unbesorgt sein Lied zum besten gibt, und ebenso plötzlich wieder erscheint, als er aus irgend welchem Grunde in der Tiefe verschwand. Die Lockstimme ist ein schnalzender Laut, der Ausdruck des Unwillens ein schnarchendes »Scharr«, der Angstruf ein kreischendes Quaken, der Gesang sehr angenehm, durch einen langen, flötenartigen, lauten Triller, welcher oft wiederholt wird, ausgezeichnet, dem Liede anderer Rohrsänger zwar ähnlich, aber auch wieder an das der Bachstelze oder der Rauchschwalbe erinnernd, seine Abwechselung überhaupt so groß, daß man ihn dem Gesange einzelner Grasmücken gleichstellen darf.

In der Regel hält sich der Uferschilfsänger so viel wie möglich verborgen; während der Begattungszeit aber kommt er auf die Spitzen hoher Pflanzen oder auf freie Zweige empor, um zu singen oder einen Nebenbuhler zu erspähen, dessen Lied seine Eifersucht reizte. Neugier veranlaßt ihn zu gleichem Thun. Wenn man den Hühnerhund das Gestrüpp durchsuchen läßt, und dieser sich ihm nähert, sieht man ihn oft an einem Binsen- oder Rohrhalme in die Höhe kommen, sich umschauen und dann blitzschnell wieder in die Tiefe verbergen. Erschreckt erhebt er sich, fliegt aber, so lange er in der Heimat weilt, nie weit und immer sehr niedrig über den Boden oder über dem Wasser dahin. Ununterbrochen in Bewegung, hält er sich nur, so lange er singt, minutenlang ruhig auf einer und derselben Stelle, und wählt hierzu bestimmte Halme oder Zweige, zu denen er oft zurückkehrt. Andere Vögel, welche sich auf denselben Sitzplätzen niederlassen wollen, werden mit Heftigkeit angegriffen und vertrieben. Wenn das Weibchen brütet, singt das Männchen zu allen Tageszeiten sehr eifrig, am meisten in der Morgendämmerung, aber auch in hellen Nächten, und belebt dann in anmuthender Weise Gegenden, in denen man sonst kaum Klang und Sang vernimmt. Je eifriger er wird, um so mehr ändert er sein Betragen. Wenn er recht im Feuer ist, geberdet er sich so, daß ihn der Ungeübte kaum für einen Rohrsänger halten kann; denn er fliegt jetzt, zumal bei schönem Wetter und um die Mittagszeit, sehr häufig mit langsamen Flügelschlägen von seinem Sitzpunkte aus in schiefer Richtung singend in die Höhe und schwebt, die Schwingen so hoch gehalten, daß die Spitzen sich oben berühren, langsam wieder herab oder stürzt sich gerade von oben hernieder, dabei aber immer aus voller Kehle singend und sich noch außerdem ballartig aufblähend.

Ungefähr dieselben Kerbthiere, welche anderen Rohrsängern zur Speise dienen, bilden auch die Nahrung dieses Schilfsängers; Beeren frißt er ebenfalls. Das Nest steht an sehr verschiedenen, in der Regel wohl schwer zugänglichen Orten, im Seggengrase und ziemlich tief im Sumpfe, oft aber auch auf ganz trockenem Gelände in der Nähe und ebenso hundert bis zweihundert Schritte entfernt vom Wasser, sogar auf sandigem, aber mit Buschwerk und Gräsern bewachsenem Grunde, entweder auf dem Boden selbst oder in niedrigen, kleinen Weidenköpfchen, zwischen Weidenruthen, Nesselstielen und anderen derben Stengeln verwoben. Erst in der zweiten Woche des Mai beginnt der Bau, welcher aus dürren Gräsern, Stoppeln, Hälmchen, feinen Wurzeln, grünem Laube, Moos und dergleichen hergestellt, innen aber mit Pferdehaaren und anderen weichen Stoffen ausgepolstert und ausgelegt wird. Die fünf, bis sechs, siebzehn Millimeter langen, zwölf Millimeter dicken, an dem einen Ende stark abgerundeten, an dem anderen auffallend spitzigen Eier, welche man Anfang Juni findet, sind auf schmutzigem oder graulichweißem Grunde mit matten und undeutlichen Flecken, kritzeligen Punkten von braungrauer und grauer Färbung gezeichnet und gemarmelt. Beide Eltern brüten in [219] der unseren Schilfsängern überhaupt üblichen Weise mit großer Hingebung, sind während der Brutzeit noch weniger scheu als sonst und fliegen, wenn sie ihre Jungen füttern, unbekümmert um einen dicht neben dem Neste stehenden Beobachter, mit Schmetterlingen und Wasserjungfern im Schnabel ab und zu, verlassen das Nest bei Störung überhaupt nur in den ersten Tagen der Brutzeit. Nähert man sich dem brütenden Weibchen mit Vorsicht, so kann man bis unmittelbar zum Neste gelangen, bevor es letzteres verläßt. Hat es Junge, so geberdet es sich meist sehr ängstlich; das Männchen dagegen singt, laut Naumann, »sein Lied und treibt seine Gaukeleien im Fluge ununterbrochen fort, auch wenn dem Neste Gefahr droht oder dieses gar sammt dem Weibchen vor seinen Augen zu Grunde geht«, wogegen es, wenn die Jungen ausgeschlüpft sind, ängstlich in einem engen Umkreise von einem Halme zum anderen fliegt, einzelne Strophen seines Gesanges vernehmen läßt und dazwischen sein laut warnendes, »Err« unabläßig ausstößt. Die Jungen verlassen das Nest, wenn sie vollkommen flügge sind, gebrauchen aber ihre Schwingen in der ersten Zeit gar nicht, sondern kriechen wie Mäuse durch die dichtesten Wasserpflanzen dahin.

Gefangene Uferschilfsänger gehören zu den Seltenheiten, nicht weil sie sich schwer halten, sondern weil sie schwer zu erlangen sind. Auch sie gewöhnen sich bald an ihre neue Lage, sind nicht so zärtlich und weichlich wie andere Familienverwandte und wegen ihrer Munterkeit, Gewandtheit, schlanken Haltung und lieblichen Gesanges sehr geschätzt.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 217-220.
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