Kappenblaurabe (Cyanocorax chrysops)

[459] Der Kappenblaurabe (Cyanocorax chrysops und pileatus, Pica chrysops und pileata, Corvus und Cyanurus pileatus, Uroleuca pileata), eine der verbreitetsten Arten der Sippe, erreicht eine Länge von fünfunddreißig bis siebenunddreißig und eine Breite von fünfundvierzig Centimeter; sein Fittig mißt funfzehn, sein Schwanz siebzehn Centimeter. Stirn, Zügel und Oberkopf, Halsseiten, Kehle und Vorderhals bis zur Brust herab sind kohlschwarz, Nacken, Rücken, Flügel- und Schwanzfedern, soweit letztere nicht von den Schwingen bedeckt werden, ultramarinblau, an der Wurzel schwarz, die Untertheile von der Brust an bis zum Steiße, die Unterflügeldeckfedern und die Schwanzspitze gilblichweiß; über und unter dem Auge steht ein breiter, halbmondförmiger Fleck von himmelblauer Färbung, an der Wurzel des Unterschnabels ein ähnlicher; ersterer ist oben silbern gesäumt. Das Auge ist gelb, der Schnabel wie der Fuß schwarz.

Das Verbreitungsgebiet umfaßt das ganze wärmere Südamerika und erstreckt sich nach Süden hin bis Paraguay. Hier hat unser Vogel an Hudson einen trefflichen Beschreiber gefunden. Der Blaurabe, welcher von den Spaniern »Uracca« oder Elster genannt wird, bekundet durch die kurzen Fittige, den langen Schwanz und das knappe Gefieder sowie endlich durch die zum Klettern wohl eingerichteten Beine, daß er kein Vogel der Pampas ist, vielmehr von seinen heimischen Waldungen aus allmählich das letztere Gebiet sich erobert hat. In der That findet er sich hier auch nur da, wo Bäume gedeihen. Während des Winters ist er hier ein beklagenswerther Vogel; denn mehr als irgend ein anderer scheint er von der Kälte zu leiden. Ein Schwarm, welcher aus zehn bis zwanzig Stück besteht, sucht allabendlich dichte Zweige vor dem Winde geschützter Bäume auf und setzt [459] sich hier, um zu schlafen, so dicht nebeneinander nieder, daß er nur einen einzigen Klumpen bildet. Nicht selten hocken einige buchstäblich auf den Rücken der anderen, und der Klumpen bildet so eine vollständige Pyramide. Demungeachtet wird mehr als einem von ihnen die Kälte verhängnisvoll; denn nicht selten findet man erstarrte oder erfrorene Blauraben unter den Schlafplätzen. Wenn der Morgen schön ist, begibt sich der Trupp auf einen hohen, der Sonne ausgesetzten Baum, wählt hier die Zweige der Ostseite, breitet die Schwingen und reckt sich mit Vergnügen in den Sonnenstrahlen, verweilt auch in dieser Stellung fast regungslos eine oder zwei Stunden, bis das Blut sich wieder erwärmt hat und das Federkleid vom Thaue trocken geworden ist.


Kappenblaurabe (Cyanocorax chrysops). 3/5 natürl. Größe.
Kappenblaurabe (Cyanocorax chrysops). 3/5 natürl. Größe.

Auch während des Tages sieht man die Vögel oft sich sonnen und gegen Abend auf der Westseite der Bäume die letzten Strahlen des wärmenden Gestirnes auffangen. Nur ihre Fruchtbarkeit und der Ueberfluß an Nahrung befähigt sie, ihre Stelle unter den Pampasvögeln zu behaupten; entgegengesetztenfalls würde die Kälte, ihr einziger Feind, sie sicherlich ausrotten.

Mit Beginn des warmen Frühlingswetters zeigt sich die Uracca ganz anders als früher. Sie wird lebendig, laut, heiter und lustig. Ununterbrochen wandert der Schwarm von einem Platze [460] zum anderen, ein Vogel einzeln und unstet hinter dem anderen herfliegend, jeder einzelne aber fortwährend in kläglicher Weise schreiend. Dann und wann läßt auch wohl einer seinen Gesang vernehmen: eine Reihe lang gedehnter, pfeifender Töne, von denen die ersten kräftig und laut, die anderen matter und immer matter ausgestoßen werden, bis das ganze plötzlich in einem innerlichen, dem tiefen Athmen oder Schnarchen des Menschen ähnelnden Gemurmel sein Ende findet. Naht jemand dem Schwarme, so schreit derselbe so unerträglich laut, schrillend und anhaltend, daß der Eindringling, heiße er Mann oder Thier, in der Regel froh ist, der Nachbarschaft der Schreihälse wieder zu entrinnen. Gegen die Brutzeit hin vernimmt man übrigens, wahrscheinlich von den Männchen, auch sanfte und zarte, plaudernde oder schwatzende Laute. Nunmehr theilen sich die Schwärme in Paare und zeigen sich mißtrauisch in ihrem ganzen Auftreten. Ihr Nest wird in der Regel auf langen, dornigen Bäumen aus sehr starken Reisern errichtet, meist aber nur lose und so liederlich gebaut, daß die Eier durchscheinen, zuweilen sogar durchfallen. Nester von besserer Bauart, welche innen mit Federn, trockenen oder grünen Blättern ausgekleidet sind, werden schon seltener gefunden. Das Gelege enthält sechs bis sieben, im Verhältnisse zur Größe des Vogels umfangreiche Eier, manchmal auch ihrer mehr: einmal fand Hudson sogar deren vierzehn in einem Neste und konnte, da er die Vögel von Beginn des Baues an beobachtete, feststellen, daß sie von einem Paare herrührten. Ihre Grundfärbung ist ein schönes Himmelblau; die Zeichnung besteht aus einer dicht aufgetragenen, weißen, zarten, kalkartigen Masse, welche anfänglich leicht abgewischt oder abgewaschen werden kann. Die Häßlichkeit der jungen Blauraben ist sprichwörtlich und der Ausdruck »Blaurabenkind« zur Bezeichnung eines Menschen geworden, welcher aller Anmuth entbehrt. Abgesehen von ihrer Häßlichkeit zeichnen sich die Jungen auch durch ihre Unsauberkeit aus, so daß ein mit sechs oder acht von ihnen gefülltes Nest ebensowenig vor den Augen als vor der Nase Gnade findet. Dagegen ist der Eindruck des Geschreies der Jungen stets ein erheiternder, weil ihre Stimmlaute an das schrillende Gelächter eines Weibes erinnern. Ein in unmittelbarer Nähe von Hudsons Hause errichtetes Nest gab Gelegenheit, das Betragen der Alten zu beobachten. Bei Ankunft der futterbringenden Alten brachen die Jungen in ein so zügelloses, wild tobendes Geschrei aus, daß man ihnen ohne Lächeln kaum zuhören konnte.

Jung dem Neste enthobene Blauraben werden bei einiger Pflege bald außerordentlich zahm und benehmen sich in der Gefangenschaft etwa nach Art unserer Dohlen oder Elstern, zeichnen sich aber dadurch zu ihrem Vortheile aus, daß sie mit ihresgleichen auch jetzt noch Frieden halten. Im Freien verzehren sie zwar vorzugsweise Kerbthiere, rauben aber doch auch allerlei kleine Säugethiere, Vögel und Kriechthiere; in Gefangenschaft ernährt man sie mit dem, was auf den Tisch kommt. Dank ihrer Anspruchslosigkeit gelangen sie neuerdings recht oft in unsere Käfige.


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 459-461.
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