Blauheher (Cyanocitta cristata)

[461] Die bekannteste Art der wenig artenreichen Gruppe ist der Blauheher (Cyanocitta cristata, Pica cristata, Corvus, Garrulus, Cyanurus, Cyanocorax und Cyanogarrulus cristatus). Das Gefieder der Oberseite ist der Hauptfarbe nach glänzend blau; die Schwanzfedern sind durch schmale dunkle Bänder und die Flügelfedern durch einzelne schwarze Endflecke gezeichnet, die Enden der Armschwingen, der größeren Flügeldeckfedern und die seitlichen Schwanzfedern aber wie die Unterseite von der Brust an weiß oder grauweiß gefärbt, die Kopfseiten blaßblau, ein ringförmiges Band, welches vom Hinterkopfe an über den Augen weg nach dem Oberhals verläuft, und ein schmales Stirnband, welches sich zügelartig nach den Augen zu verlängert, tiefschwarz. [461] Das Auge ist graubraun, der Schnabel und die Füße sind schwarzbraun. Die Länge beträgt achtundzwanzig, die Breite einundvierzig, die Fittiglänge vierzehn, die Schwanzlänge dreizehn Centimeter.

Alle Naturforscher stimmen darin überein, daß der Blauheher eine Zierde der nordamerikanischen Waldungen ist. Demungeachtet hat sich der Vogel wenig Freunde erwerben können. Er ist allerwärts bekannt und überall gemein, in den meisten Gegenden Standvogel, nur in den nördlichen Staaten Strich- oder Wandervogel. Sein Leben ist mehr oder weniger das unseres Eichelhehers. Er bevorzugt die dichten und mittelhohen Wälder, ohne jedoch die hochstämmigen zu meiden, kommt gelegentlich in die Fruchtgärten herein, schweift beständig von einem Orte zum anderen, ist auf alles aufmerksam, warnt durch lautes Schreien andere Vögel und selbst Säugethiere, ahmt verschiedene Stimmen nach, raubt nach Verhältnis seiner Größe im weitesten Umfange, kurz ist in jeder Hinsicht ebenbürtiger Vertreter seines deutschen Verwandten.


Blauheher (Cyanocitta cristata). 3/5 natürl. Größe.
Blauheher (Cyanocitta cristata). 3/5 natürl. Größe.

Die amerikanischen Forscher geben ausführliche Nachrichten über seine Lebensweise und theilen manche ergötzliche Geschichte mit. Wilson nennt ihn den Trompeter unter den Vögeln, weil er, [462] sobald er etwas verdächtiges sieht, unter den sonderbarsten Bewegungen aus vollem Halse schreit und alle anderen Vögel dadurch warnt. Sein Geschrei klingt, nach Gerhardt, wie »Titullihtu« und »Göckgöck«; der gewöhnliche Ruf ist ein schallendes »Käh«. Gerhardt erwähnt, daß er die Stimme des rothschwänzigen Bussard, Audubon, daß er den Schrei des Sperlingsfalken aufs täuschendste nachahmt und alle kleinen Vögel der Nachbarschaft dadurch erschreckt, daß er ferner, wenn er einen Fuchs oder ein Schupp oder ein anderes Raubthier entdeckt hat, dieses Ereignis der ganzen Vogelwelt anzeigt, jeden anderen Heher der Nachbarschaft und alle Krähen herbeiruft und dadurch die Raubthiere aufs äußerste ärgert. Eulen plagt er so, daß sie so eilig als möglich ihr Heil in der Flucht suchen müssen. Dagegen ist er selbst ein sehr gefräßiger und schädlicher Raubvogel, plündert rücksichtslos alle Nester aus, welche er finden kann, frißt die Eier und die Jungen auf und greift sogar verwundete Vögel von bedeutender Größe oder wehrhafte Säugethiere an. Alle Arten von kleinen Säugethieren und Vögeln, alle Kerbthiere, Sämereien und dergleichen bilden seine Nahrung. Er ist, wie Audubon sagt, listig im höchsten Grade, verschlagen und tückisch, aber mehr herrschsüchtig als muthig, bedroht die Schwachen, fürchtet die Starken und flieht selbst vor gleich Starken. Deshalb hassen ihn denn auch die meisten Vögel und beweisen große Angst, wenn er sich ihren Nestern nähert. Drosseln und dergleichen vertreiben ihn, wenn sie ihn gewahren; er aber benutzt ihre Abwesenheit, stiehlt sich sacht herbei und frißt die Eier oder zerfleischt die Jungen. »Ich habe ihn«, sagt Audubon, »einen ganzen Tag lang von einem Neste zu dem anderen fliegen sehen und beobachtet, daß er dieselben mit derselben Regelmäßigkeit besuchte wie ein Arzt, welcher von einem seiner Kranken zu dem anderen geht. Dies geschah einzig und allein in der Absicht, um die Eier auszutrinken. Auf junge Küchlein wagte er wiederholte Angriffe, ward aber von der Glucke zurückgescheucht.« Im Herbste erscheint er scharenweise auf Ahorn-, Eich- und ähnlichen Bäumen, um von deren Früchten zu schmausen, füllt sich dort die Kehle an und trägt auch wohl Massen der Körner oder Eicheln an bestimmten Plätzen zusammen, in der Absicht, im Winter von ihnen zu schmausen. Dabei befördert er allerdings die Besamung der Wälder; doch ist dieser Nutzen wohl kaum hoch anzuschlagen.

Je nach der Gegend brütet er ein- oder zweimal im Jahre. Sein Nest wird aus Zweigen und anderen dürren Stoffen aufgebaut und innen mit zarten Wurzeln ausgelegt. Vier bis fünf Eier, welche etwa dreißig Millimeter lang, zweiundzwanzig Millimeter dick und auf olivenbraunem Grunde mit dunklen Flecken bezeichnet sind, bilden das Gelege. Das Männchen hütet sich, während das Weibchen brütet, das Nest zu verrathen, ist still und lautlos und macht seine Besuche so heimlich als möglich. Die Jungen werden vorzugsweise mit Kerbthieren groß gefüttert.

Jung aus dem Neste genommene Blauheher werden bald zahm, müssen jedoch abgesondert im Gebauer gehalten werden, weil sie andere Vögel blutgierig überfallen und tödten. Ein Gefangener, welcher in einem Gesellschaftskäfige lebte, vernichtete nach und nach die sämmtliche Mitbewohnerschaft desselben. Auch alte Vögel dieser Art gewöhnen sich leicht an den Verlust ihrer Freiheit. Audubon erzählt, daß er einmal gegen dreißig habe fangen lassen, in der Absicht, sie mit sich nach Europa zu nehmen und ihnen hier die Freiheit zu geben. Die Vögel wurden in gewöhnlichen Fallen, welche mit Mais geködert waren, berückt und dem Forscher gebracht, sobald sie sich gefangen hatten. Audubon steckte die ganze Gesellschaft in einen Käfig. Der neuangekommene pflegte sich erschreckt und vorsichtig in eine Ecke zu drücken und verweilte gewöhnlich in dieser Stellung während des ersten Tages still und ruhig mit einem ihm sonst völlig fremden Ausdrucke von Dummheit; die anderen rannten neben ihm dahin und über ihn weg, ohne daß er sich rührte. Nahrungsmittel, welche man ihm vorhielt, beachtete er kaum. Berührte man ihn mit der Hand, so kauerte er sich nieder und blieb nun regungslos auf dem Boden hocken. Der nächste Tag änderte jedoch ein derartiges Benehmen; dann war auch der frisch gefangene wieder vollständig Heher, nahm sein Korn, hielt es hübsch zwischen den Füßen, hämmerte mit seinem Schnabel darauf, zersplitterte es, um zu den Körnern zu gelangen, und bewegte sich so ungezwungen als möglich. Als [463] der Käfig wohl besetzt war, gewährte das beständige Hämmern der Vögel erheiternde Unterhaltung. Es war, wie Audubon sagt, als ob eine Menge Schmiede beschäftigt wären. Außer dem Mais fraßen die Blauheher übrigens auch Früchte aller Arten und mit besonderem Wohlbehagen frisches Fleisch. Unter sich waren sie verträglich und überhaupt recht liebenswürdige Gesellen. Dann und wann erhob einer einen Lärmschrei, und dieser erregte auch unter den übrigen einen ebenso großen Aufruhr als unter Umständen draußen im Walde.

Audubon erreichte seinen Zweck, unsere europäischen Wälder mit Blauhehern zu bevölkern, nicht. Seine Vögel überstanden die Reise vortrefflich, bekamen zuletzt aber kleine Schmarotzer in solcher Menge, daß sie daran, aller Gegenmittel ungeachtet, zu Grunde gingen. So brachte er nur einen einzigen nach London. In der Neuzeit kommt der Blauheher öfter nach Europa und ist deshalb fast in jedem Thiergarten eine regelmäßige Erscheinung. Bis jetzt aber hat sich noch niemand gefunden, welcher Audubons Vorsatz ausgeführt und einige Vögel dieser Art in unseren Wäldern freigelassen hätte. Sicherlich würden sie diesen einen großen Schmuck verleihen; Verdienste aber um die Wälder dürften sie sich ebensowenig erringen wie ihr europäischer Vertreter.

Die größeren Falkenarten und wahrscheinlich auch mehrere Eulen Amerikas sind schlimme Feinde des Blauhehers. Mit dem kleinen Sperlingsfalken balgt er sich, wie Gerhardt berichtet, fortwährend herum; doch sollen seine Kämpfe mit diesen gewandten Räubern und mit den Sperbern unblutig sein, also mehr des Spieles wegen geschehen. Nach Gerhardts Meinung ist bald der Falk, bald der Heher der angreifende Theil.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 461-464.
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