Baumpieper (Anthus arboreus)

[251] Der Baumpieper, Holz-, Garten-, Busch-, Weiden- oder Waldpieper, Lein-, Kraut-, Stoppel- oder Schmalvogel, die Baum-, Spieß-, Holz-, Busch- und Spitzlerche (Anthus arboreus, Alauda trivialis, Motacilla spipola, Pipastes und Dendronanthes arboreus), ähnelt dem Wiesenpieper sehr, ist jedoch etwas größer, sein Schnabel stärker, der Lauf kräftiger und der Nagel der Innenzehe kürzer und gekrümmter.


Baumpieper (Anthus arboreus). 2/3 natürl. Größe.
Baumpieper (Anthus arboreus). 2/3 natürl. Größe.

Die Obertheile sind auf gelb braungrauem oder schmutzig ölgrünem Grunde streifenartig dunkler in die Länge gefleckt, Unterrücken und Bürzel fast einfarbig, ein Augenstreifen, die Gurgel, der Kropf, die Brustseiten, die Schenkel und Unterschwanzdeckfedern bleichrostgelb, Kropf, Oberbrust und Seiten schwarz in die Länge gefleckt, die Flügelstreifen und die Säume der Schulterfedern lichter als beim Wiesenpieper. Das Auge ist braun, der Schnabel hornschwarz, der Fuß röthlich hornfarben. Die Länge beträgt einhundertundsiebzig, die Breite zweihundertundneunzig, die Fittiglänge fünfundachtzig, die Schwanzlänge fünfundsechzig Millimeter.

Waldungen Europas und Sibiriens beherbergen den Baumpieper im Sommer, die Steppenwälder Afrikas und die des unteren Himalaya im Winter; baumarme Landstriche besucht er nur während seines Zuges. Blößen im Walde, lichte Gehaue, frische Schläge und andere wenig bewachsene Stellen des Waldes, auch solche, welche alljährlich überschwemmt werden, bilden sein Brutgebiet. In Mitteldeutschland ist er häufig, und sein Bestand nimmt von Jahr zu Jahr, hier und da zum Nachtheile der Heidelerche, erheblich zu. In seinem Wesen erinnert er vielfach an [251] seinen Verwandten, hält sich jedoch nicht so viel am Boden auf wie dieser, flüchtet bei Gefahr vielmehr stets den Bäumen zu und läuft auch, was jener niemals thut, auf den Aesten schrittweise dahin. Minder gesellig als der Wiesenpieper, lebt er meist einsam und bloß im Herbste familienweise, zeigt wenig Anhänglichkeit gegen die Gesellschaft und wird im Frühjahre geradezu ungesellig. Der Lockton ist ein schwer wiederzugebender Laut, welcher ungefähr wie »Srit« klingt, der Ausdruck der Zärtlichkeit ein leises »Sib sib sib«, der Gesang besser als jeder andere Piepergesang, kräftig und lieblich, dem Schlage eines Kanarienvogels nicht unähnlich, ausgezeichnet durch Fülle und Klarheit des Tones, Abwechselung und Mannigfaltigkeit der Weise. Trillerartige, laut pfeifende, schnell aufeinander folgende Strophen, welche sich zu einem lieblichen Ganzen gestalten und gewöhnlich mit einem sanft ersterbenden »Zia zia zia« schließen, setzen ihn zusammen. Das Männchen singt sehr fleißig, setzt sich dazu zunächst auf einen hervorragenden Zweig oder auf die Spitze eines Baumes, steigt sodann in schiefer Richtung flatternd in die Luft empor und schwebt, noch ehe das Lied zu Ende gekommen, sanft wieder auf dieselbe Stelle oder auf den nächsten Baumwipfel nieder und gibt hier die letzten Töne zu hören.

Das Nest, welches, immer sorgfältig verborgen, auf dem Boden, in einer kleinen Grube unter Gebüsch oder tief im Grase und Heidekraute steht, ist schlecht gebaut und nur im Inneren einigermaßen sorgfältig ausgelegt. Die vier bis fünf, zwanzig Millimeter langen, funfzehn Millimeter dicken, in Gestalt, Färbung und Zeichnung vielfach abändernden Eier sind auf röthlichem, graulichem oder bläulichweißem Grunde mit dunkleren Punkten, Strichen, Kritzeln gezeichnet, geadert, gemarmelt und gefleckt. Das Weibchen sitzt sehr fest auf den Eiern; die Jungen werden von beiden Eltern zärtlich geliebt und verlassen das Nest ebenfalls, noch ehe sie flugfähig sind.

Gefangene Baumpieper halten sich leicht, werden überaus zahm und erfreuen durch die Zierlichkeit ihrer Bewegungen nicht minder als durch ihren trefflichen Gesang, welchen sie, auch wenn sie jung dem Neste entnommen wurden, genau ebenso vortragen wie in der Freiheit.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 251-252.
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