Braunpieper (Anthus ludovicianus)

[252] In Skandinavien, Dänemark und Großbritannien vertritt ihn der durch etwas dunklere, grünlich olivenbraun überhauchte Oberseite, minder lebhaft fleischröthliche Unterseite und bräunlich getrübten Endfleck der äußeren Schwanzfeder unterschiedene Felspieper, Strand- oder Uferpieper (Anthus obscurus, rupestris, littoralis, petrosus und immutabilis, Alauda obscura und petrosa, Spipola obscura); in Nordamerika ersetzt ihn der auch auf Helgoland vorgekommene Braunpieper (Anthus ludovicianus, pennsylvanicus, pipiens, rubens und Reinhardtii, Alauda ludoviciana, pennsylvanica, rubra und rufa), welcher an der dunkel olivenbraunen Ober- und stark gefleckten Unterseite sowie den fast bis an die Wurzel weißen Schwanzfedern kenntlich ist.

Während andere Pieperarten die Ebene entschieden bevorzugen und Berggegenden nur hier und da bewohnen, gehört der Wasserpieper ausschließlich dem Gebirge an. Er bevölkert in namhafter [252] Anzahl den Gürtel des Knieholzes der Alpen, Karpathen, des Schwarzwaldes, Harzes und des Riesengebirges und kommt bloß während seines Zuges in die Ebenen herab.


Sporen-, Wasser- und Brachpieper (Anthus Richardi, aquaticus und campestris). 2/3 natürl. Größe.
Sporen-, Wasser- und Brachpieper (Anthus Richardi, aquaticus und campestris). 2/3 natürl. Größe.

In der Schweiz gehört er zu den gemeinsten Alpenvögeln; das Riesengebirge bewohnt er zu tausenden. Hier erscheint er bereits mit der Schneeschmelze, zunächst in der Nähe der Bauden, und rückt allmählich weiter nach oben, so daß er in der letzten Hälfte des April auf seinen Brutplätzen anlangt. Ganz ähnlich ist es in der Schweiz. »Im Frühlinge«, sagt Tschudi, »sucht der Wasserpieper schon im Laufe des April die schneefreien Stellen der Alpen auf und verläßt sie nicht mehr. Im Sommer, wenn es auf den Höhen allzuheftig stürmt, sammelt er sich scharenweise in mehr geschützten Gründen; im Herbste geht er nach den Sümpfen, Seen und Flüssen der Ebene oder auf die Düngerstätten der Dörfer. Ein kleinerer Theil überwintert auch daselbst, der größere fliegt in losen Scharen nach Italien. Die anderen halten sich an seichten, wasserzügigen Stellen, an den Abzugsgräben der Wiesen und Weinberge auf und übernachten im dürren Laube der Eichenbüsche. Wenn die Kälte steigt, ziehen sie nach den tieferen Reisländern und gewässerten Wiesen.« Einzelne gehen gelegentlich ihrer Wanderung weiter nach Süden, bis Griechenland, Spanien und selbst Egypten. »Der Wasserpieper«, [253] sagt Gloger, dessen Lebensschilderung des Vogels ich nach eingehenden eigenen Beobachtungen als die vorzüglichste erklären muß, »findet sich weit oben auf den rauhen Hochgebirgen, wo schon die Baumwälder aufhören und fast bloß noch Knieholz wächst, oft auch noch höher. Er kommt hier unbedingt überall vor, wo letzteres irgend gedeiht und geht so weit gegen den Schneegürtel aufwärts, bis diese Holzarten gänzlich verschwinden; ja, er steigt in der Schweiz sogar noch weit darüber hinaus, auf ganz unbewachsene Felsen und wasserreiche Alpen, wo kalte Bäche unter den Gletschern und aus den schmelzenden Schneemassen hervorrinnen. Uebrigens wohnt er hier auf den dürrsten, kahlen Berggipfeln wie auf den moorigen, von unzähligen Bächen durchschnittenen Knieholzwäldern, ebenso auf den höchsten, fleckweise begrünten Felsen und an thurmhohen Steinwänden wie an solchen Orten, wo Gestein beinahe ganz, nicht aber das Zwergkiefergesträuch mangelt, ferner an den steilsten Thaleinschnitten und tiefsten Abgründen wie an ganz flachen Stellen der Bergfluren, am liebsten freilich da, wo er alle diese Ortsverhältnisse gemischt findet«. Hier nimmt er seine aus allerlei Kerbthieren, Gewürm und feinen Algen bestehende Nahrung vom Boden auf.

»Er sitzt außer der Fortpflanzungszeit selten, während derselben sehr gern auf verkrüppelten Fichtenbäumchen und Kiefergesträuchen, weniger gern auf Felsstücken und Klippen. Jeder schon sitzende räumt einem anderen, welchen er soeben erst herankommen sieht, stets unweigerlich seinen Platz ein: gewiß ein außerordentlicher Zug von Verträglichkeit und Friedsinn. Bald nach der Brutzeit vereinigt er sich zu hunderten auf den Bergwiesen, ohne sich jedoch eng aneinander zu halten. Solche Gesellschaften führen dann ihre Jungen vorzüglich des Morgens an die Bäche, an heißen, sonnigen Tagen aber während der brennendsten Mittagshitze auf die dürrsten Rücken. Bis zum Eintritte der strengen Jahreszeit sieht man die Wasserpieper vereinzelt; sie bleiben auch stets ungemein scheu. Bei ihrer Brut dagegen scheinen sie aus Zärtlichkeit für diese ihre sonstige Schüchternheit völlig bei Seite zu setzen: sie fliegen und springen höchst besorgt um ihren Feind herum, schreien nach Kräften heftig ›Spieb spieb‹, in höchster Angst ›Gehlick glick‹, schlagen zugleich den Schwanz hoch auf und nieder und sträuben traurig ihr Gefieder. Sonst rufen sie ›Zgipp zgipp‹. Ihr Gesang, welcher bis zu Ende des Juli vernommen wird, ist recht angenehm, obschon er dem des Baumpiepers nachsteht. Eine seiner Strophen ähnelt dem Schwirren einiger Heimchenarten. Das Lied wird mit stets zunehmend beschleunigtem und zuletzt in äußerst schnellem Gange vorgetragen, während eines rasch aufsteigenden Fluges begonnen, unter behaglichem Schwimmen und schnellem, schiefem Niedersinken mit ruhig ausgebreiteten Flügeln eine Zeitlang fortgesetzt, aber erst im Sitzen auf einer Strauchspitze, einem Steinblocke, Felsen oder auf dem Boden geendigt. Sehr selten, nur wenn trübe Wolken den ganzen Gesichtskreis in trüben Nebel verhüllen, singt der Wasserpieper im Sitzen. Während der ersten Nachmittagsstunden gibt keiner einen Laut von sich.

Sein Nest legt er viel freier und weniger verborgen an als andere Pieper. Es steht in weiten Felsenspalten, zwischen Steinen, unter hohen Rasenrändern, den großen alten Wurzeln und Aesten der Knieholzsträucher und in anderem alten Gestrüppe, so daß es oberhalb eine natürliche Decke gegen Schnee und Regen hat. Die vier bis sieben, dreiundzwanzig Millimeter langen, sechzehn Millimeter dicken Eier haben auf bläulicher oder schmutzigweißer Grundfarbe in Dunkelbraun, Graubraun, Schwarzbraun und Graulich, meist sehr dicht, die Zeichnung der Piepereier, sehen zum Theil auch manchen Haussperlingseiern täuschend ähnlich.« Im Mittelgebirge legt das Paar bei guter Witterung zweimal, und zwar im Anfange des Mai und zu Ende des Juni, im Hochgebirge nur einmal, und zwar um die Mitte des Mai. Auf den Alpen leiden die Brutvögel, laut Tschudi, oft sehr von der rauhen Frühlingswitterung. »In vielen Jahrgängen bedeckt ein später Schneefall das Nestchen mit den Eiern, vertreibt das brütende Weibchen, tödtet und begräbt es nicht selten oder zwingt es, später neu zu nisten. Auch die nicht flüggen Jungen werden oft von Schnee und Frost getödtet.«

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 252-254.
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