Spiegellerche (Alauda sibirica)

[258] In den Steppen Osteuropas und Nordasiens gesellt sich ihr die etwas größere Spiegellerche (Alauda sibirica und leucoptera, Melanocorypha, Phileremos und Calandrella sibirica, Bild S. 269), welche sich auch schon bis Deutschland verflogen hat. Die Obertheile, die hinteren Armschwingen und deren Deckfedern sind dunkelbraun, außen fahlbraun gesäumt, Oberkopf, Ohrgegend, Eckflügel, Handschwingen, Flügel- und Oberschwanzdecken zimmetroth, Zügel, undeutlicher Augenstreifen, Kopfseiten, Untertheile, Unterflügeldecken und die Armschwingen an der Spitze weiß, die Unterbacken und die rostfahl angeflogene Kropfgegend mit verwaschenen, dunklen Punkten, die zimmetrothen, gegen den Bauch hin ins Bräunliche übergehenden Brustseiten mit dunklen Schaftstrichen gezeichnet, die Armschwingen schwarzbraun, außen fahlbraun, am Ende weiß, die Schwanzfedern schwarz, fahl gesäumt, die äußersten ganz, die zweiten außen weiß. Das Auge ist braun, der Schnabel gelblichgrau, auf der Firste dunkler, der Fuß röthlichbraun.

[258] Uns gilt die Feldlerche als Frühlingsbote; denn sie erscheint zur Zeit der Schneeschmelze, bisweilen schon im Anfange des Februar, hat zu Ende dieses Monats meist bereits ihre Wohnplätze eingenommen, verweilt auf ihnen während des ganzen Sommers und tritt erst im Spätherbste ihre Winterreise an, welche sie bis Südeuropa, höchstens bis nach Nordafrika führt. Sie ist ein unsteter Vogel, welcher selten lange an einem und demselben Orte verweilt, vielmehr beständig hin- und herläuft, hin- und wiederfliegt, sich mit anderen ihrer Art streitet und zankt und dazwischen lockt und singt. Sie geht gut, bei langsamem Gange nickend, bei raschem Laufe fast wie ein Strandläufer, fliegt ausgezeichnet, je nach dem Zwecke welchen sie zu erfüllen trachtet, sehr verschiedenartig, bei eiligem Fluge mit bald angezogenen, bald wieder schwirrend bewegten Schwingen in weiten Bogenlinien dahin, im Singen endlich in der allbekannten langsamen, oft schwebenden Weise mit gleichmäßigen Flügelschlägen, welche sie höher und höher heben. Auf dem Boden zeigt sie sich gern frei, stellt sich deshalb auf Erdschollen, kleine Hügelchen oder Steine, zuweilen auch auf die Spitzen eines Strauches, Baumes oder Pfahles, und behauptet solche Lieblingsplätze mit zäher Beharrlichkeit.


Heide-, Feld- und Haubenlerche (Alauda arborea, arvensis und cristata). 2/5 natürl. Größe.
Heide-, Feld- und Haubenlerche (Alauda arborea, arvensis und cristata). 2/5 natürl. Größe.

Der Lockton ist ein angenehmes »Gerr« oder »Gerrel«, welchem ein hellpfeifendes [259] »Trit« oder »Tie« zugefügt wird. Bei dem Neste vernimmt man ein helles »Titri«, im Aerger ein schnarrendes »Scherrerererr«. Ihren allbekannten Gesang, welcher Feld und Wiese der Ebene und des Hügellandes, selbst nicht allzu nasse Sümpfe, in herzerhebender Weise belebt, beginnt die Lerche unmittelbar nach ihrer Ankunft und setzt ihn so lange fort, als sie brütet. Vom frühesten Morgengrauen an bis zur Abenddämmerung singt sie, ein um das andere Mal vom Boden sich erhebend, mit fast zitterndem Flattern allmählich höher und höher aufsteigend, dem Auge zuweilen beinahe verschwindend, ohne Unterbrechung, ausdauernder als jeder andere Vogel, beschreibt dabei weite Schraubenlinien, kehrt allmählich zur Aufgangsstelle zurück, senkt sich mehr und mehr, stürzt mit angezogenen Flügeln wie ein fallender Stein in die Tiefe, breitet hart vor dem Boden die Schwingen und läßt sich wiederum in der Nähe ihres Nestes nieder. Der Gesang besteht zwar nur aus wenigen hellen, reinen, starken Tönen, aber unendlich vielen Strophen, welche bald trillernd und wirbelnd, bald hell pfeifend erklingen, von den verschiedenen Sängern aber in mannigfach abändernder Weise vorgetragen, von einzelnen Meistern auch durch nachgeahmte Theile aus anderen Vogelliedern wesentlich bereichert werden. Selbst die Weibchen zwitschern, und schon die jungen, erst vor wenigen Wochen dem Neste entflogenen Männchen erproben ihre Kehle.

Mit anderen ihrer Art lebt die Feldlerche nur während der Zugzeit und in der Winterherberge im Frieden. So lange die Liebe in ihm mächtig ist, streitet das Männchen eines Paares mit jedem anderen, dessen es ansichtig wird, oft sehr hartnäckig. Beide Streiter packen und zausen sich; gar nicht selten aber schlägt sich noch ein drittes Männchen ins Spiel, und dann wirbeln alle drei vereint aus der Höhe zum Boden hernieder. Der Streit erreicht hier zunächst sein Ende, beginnt aber in der nächsten Minute von neuem wieder. Zuweilen gehen zwei Gegner auch zu Fuße auf einander los und nehmen dabei ähnliche Stellungen an wie kämpfende Haushähne; dabei wird wacker gefochten, freilich ohne wesentlichen Schaden für irgend einen der Streiter. Der Besiegte muß fliehen, der Sieger kehrt frohlockend zu seinem Weibchen zurück, welches, wie Naumann sagt, gar nicht selten »an den Prügeleien des Männchens« theilnimmt. Infolge dieser Zänkereien ist das Brutgebiet ausgedehnter als nothwendig wäre; denn während man bei uns auf den Hektar kaum zwei Lerchenpaare zählt, leben in der Steppe auf gleich großem Raume dreimal soviel, jedoch stets verschiedenartige Lerchenpaare, deren Männchen zwar ebenfalls untereinander hadern, aber doch verhältnismäßig friedlich nebeneinander hausen.

Das Nest findet man oft schon im Anfange des März, gewöhnlich auf Getreidefeldern und Wiesen, jedoch auch in Brüchen auf erhöhten Inselchen, welche mit Gras oder Seggen bewachsen, sonst aber ganz eng von Wasser umgeben sind. Die kleine Vertiefung, in welcher das Nest steht, wird im Nothfalle von bei den Lerchen selbst ausgescharrt oder wenigstens erweitert und bezüglich gerundet; dann baut sie das Weibchen unter Mithülfe des Männchens dürftig mit alten Stoppeln, Grasbüscheln, zarten Wurzeln und Hälmchen aus und bekleidet die Nestmulde vielleicht noch mit einigen Pferdehaaren. Das Gelege besteht aus fünf bis sechs Eiern, welche zweiundzwanzig Millimeter lang, funfzehn Millimeter dick und auf grüngelblichem oder röthlichweißem Grunde mit vielen Punkten und Flecken von graulichbrauner oder grauer Farbe sehr ungleichartig gezeichnet sind. Beide Geschlechter brüten abwechselnd und zeitigen die Eier binnen funfzehn Tagen. Die Jungen entschlüpfen, wenn sie laufen können, dem Neste. Sobald sie selbständig geworden sind, schreiten die Alten zur zweiten, und wenn der Sommer gut ist, zur dritten Brut.

Alle kleinen vierfüßigen Räuber, von der Hauskatze oder dem Fuchse an bis zum Wiesel und der Spitz-und Wühlmaus herab, und ebenso Weihen, Raben, Trappen und Störche gefährden die Lerchenbrut, Baumfalk, Merlin und Sperber auch die alten Vögel. Wie diese sich angesichts des Baumfalken, ihres schlimmsten Feindes, benehmen, habe ich bereits (Band IV, Seite 556) mitgetheilt; daß der Mensch, selbst wenn er Massenfang betreibt, nicht entfernt so schlimm unter den Lerchen haust als die genannten natürlichen Feinde, verdient hervorgehoben zu wer den. Die Feldlerche nimmt mit der gesteigerten Bodenwirtschaft an Menge zu, nicht aber ab.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 258-260.
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