Mohrenlerche (Melanocorypha yeltonensis)

[268] In den asiatischen Steppen gesellt sich der Kalanderlerche die ungefähr gleich große Mohrenlerche oder Tatarenlerche (Melanocorypha yeltonensis und tatarica, Alauda yeltonensis, tatarica, mutabilis und nigra, Tanagra nigra, Saxilauda tatarica), welche sich ebenfalls einige Male nach Westeuropa verflogen hat. Das Herbstkleid ist tiefschwarz, Mantel, Schultern, hintere Armschwingen und Schwanzfedern am Ende deutlich, die Brustseitenfedern undeutlich isabellweißlich gesäumt. Diese Säume reiben sich bis zum Frühjahre hin ab, und der Vogel erscheint dann fast rein schwarz. Das Auge ist dunkelbraun, der Schnabel horngrau, der Fuß schwarz. Beim Weibchen sind die Obertheile blaßbräunlich und durch dunkle Schaftflecke, die Untertheile fahlweiß und durch schwärzliche, an den Halsseiten zu einem größeren Fleck zusammenlaufende Strichelchen, die Leibesseiten bräunlich und durch schwarze Schaftstriche gezeichnet, die Schwingen und Schwanzfedern braunschwarz, außen schwarzbraun gesäumt, die ersten Schwing- und Schwanzfedern jederseits außen weiß. Die Länge beträgt dreißig, die Fittiglänge vierzehn, die Schwanzlänge acht Centimeter.

Alle Salzsteppen Mittelasiens beherbergen diese Lerche in Menge jahraus jahrein; denn, wie es scheint, wandert sie nicht weit, sondern sucht sich höchstens die Stellen auf, wo der Schnee nicht liegen bleibt. Eversmann sah sie im Winter in ungeheueren Scharen; Radde traf sie ebenfalls sehr häufig an. Während unserer Reise durch die Steppen Südsibiriens und Turkestans sind auch wir oft ihr begegnet, und ich habe so aus eigener Anschauung ein, wenn schon unvollständiges, Bild ihres Sommerlebens gewinnen können. Sie bewohnt keineswegs ausschließlich schwarzerdigen [268] Boden, wie man voraussetzen möchte, nimmt vielmehr auf sehr verschiedenartigem Gelände, obwohl keineswegs überall, ihren Aufenthalt. Nach meinem Dafürhalten darf man sie als eine der anmuthigsten, falls nicht als die reizendste Erscheinung der Steppe ansehen.


Mohrenlerche (Melanocorypha yeltonensis), Spiegellerche (Alauda sibirica) und Stummellerche (Calandritis brachydactyla). 1/2 natürl. Größe.
Mohrenlerche (Melanocorypha yeltonensis), Spiegellerche (Alauda sibirica) und Stummellerche (Calandritis brachydactyla). 1/2 natürl. Größe.

Da, wo sie vorkommt, wohnt ein Paar ziemlich nahe neben dem anderen, und der große, schwarze Vogel, welcher auf lichtem Grunde schon von fern sichtbar wird, ziert dann die Erde ebenso wie die Luft. Im Laufen und im niedrigen Fluge durchaus Lerche, trippelnd dahinrennend oder eilfertig mit vielen Schwenkungen unter raschen Schwingenschlägen fliegend, zeigt sie sich bei ihrem Hochfluge sehr eigenartig. Obgleich sie am meisten noch der Kalanderlerche ähnelt, unterscheidet sie sich doch stets durch ganz absonderliches, nur ihr eigenthümliches Flattern beim Niedergehen aus der Höhe. Die breiten Flügel kommen beim Schweben besonders zur Geltung, und das Flugbild läßt sie schon daran unter allen Umständen erkennen. Mehr aber noch fällt sie dadurch auf, daß sie, nachdem sie die Höhe gewonnen, beide Flügel schief nach unten senkt, einige Sekunden lang ohne Flügelschlag gleitet, dann wiederum sich hebt und durch einzelne in längeren Zeiträumen sich folgende Flügelschläge auf einer und derselben Stelle sich erhält, hierbei an eine große Fledermaus nicht allein erinnernd, sondern ihr thatsächlich ähnelnd. Beim Niederfallen fliegt sie zunächst wagerecht fort, senkt sich hierauf allmählich und stürzt endlich, nicht gleich einem fallenden Steine senkrecht, sondern im flachen Winkel zum Boden oder lieber noch auf einen erhöhten Gegenstand, [269] die Spitzenzweige eines gestrüpparti gen Busches oder selbst eine Telegraphenstange hernieder. Vor dem reitenden oder fahrenden Reisenden scheut sie sich nicht, weicht dem herankommenden Wagen meist nur soweit aus, als unbedingt erforderlich und fliegt auch, so lange nicht auf sie geschossen wurde, selten weit, ebenso als sie beim Singen nur ausnahmsweise zu größeren Höhen aufsteigt. Ihr Gesang hat mich am meisten an den der Kalanderlerche erinnert; ich bin jedoch zweifelhaft geblieben, ob ich von ihr eigene oder nur angelernte Lieder vernommen habe. Ein Nest haben wir nicht gefunden, wohl aber schon am vierten Mai flügge Junge erhalten, woraus hervorgehen dürfte, daß sie wenigstens in Südwestsibirien schon früh im Jahre zur Fortpflanzung schreitet. Das Nest, ein höchst kunstloser Bau, ist, laut Pallas, auch auf dürrem, kaum mit Pflanzen bewachsenem Boden so vortrefflich versteckt, daß man es schwer findet. Das Gelege besteht aus vier Eiern, welche auf bläulichem Grunde mit grauen Unter- und braungrauen Oberflecken gezeichnet sind und bei achtundzwanzig Millimeter Länge einen Querdurchmesser von achtzehn haben. Genaueres hierüber ist mir und, wie es scheint, auch anderen nicht bekannt.

Während der Brutzeit ernährt sich die Mohrenlerche hauptsächlich von allerlei Kerbthieren; später dienen ihr und ihren Jungen die Samen der Salzpflanzen fast zur alleinigen Nahrung. Gegen den Herbst hin verläßt sie ihr Brutgebiet, gewöhnlich in Gesellschaft von Kalanderlerchen, um südlich zu reisen, wandert aber nicht weit, sondern überwintert bereits in den Steppen Südrußlands am unteren Djnepr und Don, häufig auch in der Nähe von Odessa. Einzelne dehnen ihre Reise weiter aus und erscheinen gelegentlich in westlichen Gebieten, gehören hier, insbesondere in unserem Vaterlande, aber stets zu den größten Seltenheiten.

Gefangene, welche ich aus Südrußland erhielt, betrugen sich wie Kalanderlerchen.


*


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 268-270.
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