Halsbandfliegenfänger (Muscicapa collaris)

[520] Der merklich größere Halsbandfliegenfänger (Muscicapa collaris, albicollis, albifrons, streptophora und melanoptera) ist oft mit dem Trauervogel verwechselt worden, und die Weibchen beider Arten sind auch in der That schwer zu unterscheiden. Das alte Männchen des letztgenannten erkennt man an seinem weißen Halsbande; dem Weibchen fehlen die lichten Säume an den Schwungfedern. Die Länge beträgt einhundertsechsundfunfzig, die Breite zweihundertvierundfunfzig, die Fittiglänge vierundachtzig, die Schwanzlänge fünfundfunfzig Millimeter.

Der Trauervogel bewohnt alle Länder Europas südlich von Großbritannien und dem mittleren Skandinavien und wandert im Winter durch Kleinasien, Palästina und Nordafrika bis in die Waldländer jenseit des Wüstengürtels; der Halsbandfliegenfänger dagegen bevölkert mehr den Süden unseres Erdtheiles, namentlich Italien und Griechenland, verbreitet sich von dort aus bis in das südöstliche Deutschland, gehört im Norden unseres Vaterlandes zu den Seltenheiten und wandert etwa ebenso weit wie der Verwandte. Diesen sieht man bei uns zu Lande in allen ebenen Gegenden, wenigstens während seines Zuges. Er trifft in der letzten Hälfte des April bei uns ein und zieht zu Ende des August und im Anfange des September wieder von uns weg. Die Männchen pflegen eher zu erscheinen als die Weibchen und uns früher zu verlassen.

Im Betragen scheinen sich die beiden so nahe verwandten Arten nicht zu unterscheiden. Die Trauerfliegenfänger sind muntere, gewandte Vögel, welche während des ganzen Tages sich bewegen und auch dann, wenn sie auf einem Zweige ruhen, noch mit dem Flügel zucken oder mit dem Schwanze auf- und niederwippen. Nur wenn das Wetter sehr ungünstig ist, sitzen sie traurig und still auf einer und derselben Stelle; bei günstiger Witterung dagegen bethätigen sie ihre ungemein heitere Laune, flattern munter von Zweig zu Zweig, erheben sich spielend in die Luft, necken sich harmlos mit ihresgleichen, lassen ihre sanfte, kurz abgebrochene Lockstimme, ein angenehmes »Pittpitt« oder »Wettwett«, häufig vernehmen und begleiten jeden Laut mit einer entsprechenden Flügel- und Schwanzbewegung. Im Frühjahre singt das Männchen fleißig und gar nicht schlecht. Der einfache, schwermüthig klingende Gesang erinnert einigermaßen an den des Gartenrothschwanzes. Eine Strophe, welche hell pfeifend wie »Wutiwutiwu« klingt, ist besonders bezeichnend. Der [520] Trauerfliegenfänger beginnt schon lange vor Sonnenaufgang, wenn die meisten Stimmen anderer Waldsänger noch schweigen, und wird dadurch dem, welcher ihn hört, um so angenehmer.


Halsband- und Zwergfliegenfänger (Muscicapa collaris und parva). 2/3 natürl. Größe.
Halsband- und Zwergfliegenfänger (Muscicapa collaris und parva). 2/3 natürl. Größe.

Der Ruf des Halsbandfliegenfängers ist ein gedehntes »Zieh«, der Lockton ein einfaches »Tak« der Gesang laut und abwechselnd, aus den Gesängen anderer Vögel entlehnt, dem des Blaukehlchens, durch mehrere hervorgewürgte Töne dem des Rothschwanzes ähnlich. Einer, welchen Gourcy besaß, »fing sein Lied mit ›Zih, zih, zih‹ an, worauf ein schwermüthig klingender Pfiff folgte; dann hörte man die Töne, ›Zizizi‹ so scharf hervorgestoßen, daß man glaubte, eine Nachtigall wollte anfangen zu schlagen. Nach diesen wurde der Gesang ganz blaukehlchenartig; das ›Zizi‹ schien als Grundstimme fortzutönen, während man mehrere tiefe Töne hörte, von denen einige flötend klangen, die anderen aber hervorgewürgt wurden, als wenn sie der Vogel mit Gewalt hervorstoßen müßte. Auch kam dann und wann ein gewisses, dem der Meisen ähnliches ›Zizitä‹ und ein dem der Grillen fast gleichlautendes Gezirpe vor. Nur einige der Strophen wurden schnell durchgeschlagen, die anderen aber langsam vorgetragen. Jemand, welcher mehrere dieser Vögel besaß, sagte, daß sie in ihrem Gesange viel Rothschwanzartiges hätten und, je nachdem sie in den Auen neben guten oder schlechten Sängern gewohnt, bessere oder schlechtere Strophen hören ließen, was ganz mit meinen Erfahrungen übereinstimmt«. Der Flug ist schnell, gewandt und, wenn er länger fortgesetzt wird, wellenförmig, der Gang auf dem Boden ebenso schwerfällig wie bei irgend einem anderen dieser kaum gehfähigen Vögel.

Beide Fliegenfänger jagen derselben Beute nach wie ihr gefleckter Verwandter, beide jagen in der gleichen Weise, und beide fressen im Nothfalle Beeren. Bei trübem Wetter durchflattern sie die Baumkronen und nehmen fliegend die sitzenden Kerfe von den Blättern weg; bei günstiger Witterung erheben sie sich oft hoch in die Luft, um eine erspähte Fliege, Mücke, Schnake, Bremse, [521] einen Schmetterling, eine Heuschrecke usw. aufzunehmen; selbst vom Boden erheben sie zuweilen ein Kerbthier, aber auch dies geschieht nur fliegend. Wie alle Vögel, welche sich viel bewegen, sind sie sehr gefräßig und deshalb fast ununterbrochen in Thätigkeit.

Laubwaldungen, in denen alte, hohe und theilweise hohle Bäume stehen, sind die liebsten Brutorte der Trauerfliegenfänger. Sie suchen sich hier eine passende Höhlung und füllen diese liederlich mit Moos und feinen Wurzeln aus, welche innen durch Federn, Wolle, Haare eine sorgfältig geordnete Ausfütterung erhalten. In Ermangelung solcher Höhlen bauen sie ihr Nest auch wohl in dicht verworrene Zweige nahe am Schafte oder auf alte Baumstumpfe. Das Gelege besteht aus fünf bis sechs, achtzehn Millimeter langen, dreizehn Millimeter dicken, zartschaligen, blaß grünspanfarbigen Eiern, welche von beiden Geschlechtern abwechselnd bebrütet werden. Im Verlaufe von etwa vierzehn Tagen sind die Eier gezeitigt, in weiteren drei Wochen die Jungen ausgeflogen; sie werden dann aber noch lange Zeit von den Eltern geführt und geleitet. In Gegenden, in denen die Trauerfliegenfänger regelmäßig brüten, kann man sie durch zweckmäßig eingerichtete Nistkästchen in bestimmten Gärten oder Baumpflanzungen festhalten, und sie werden dann oft überraschend zahm. »Ein Trauerflie genfänger«, erzählt Baldamus, »welcher in einem Nistkasten meines Gartens brütete, hatte sich durch mein öfters wiederholtes Beobachten seiner Brutgeschäfte dermaßen an außergewöhnliche Störungen gewöhnt, daß er ruhig auf dem Neste sitzen blieb, wenn ich den Kasten in die Stube brachte und den Deckel abnahm, um das trauliche Thierchen zu zeigen.« Derselbe Vogel gab, wie Baldamus später berichtet, einst zu einem anmuthigen Scherze Veranlassung. Zwei Vogelkundige ersten Ranges, Lucian Bonaparte und Schlegel, besuchten Baldamus und stritten sich mit ihm über diesen Fliegenfänger und seinen Verwandten. Die weltberühmten Gelehrten vertraten den Standpunkt der Balgforscher, ohne jedoch Baldamus, einen hochbegabten Beobachter des Thierlebens, überzeugen zu können. Zum Beweise für seine Ansicht holte letzterer das Nistkästchen mit dem brütenden Fliegenfängerweibchen vom Baume herab, brachte es ins Zimmer, öffnete den Deckel des Kästchens und entschied dadurch augenblicklich den Streit zu seinen Gunsten.

Trauerfliegenfänger werden gern im Käfige gehalten, zählen auch zu den angenehmsten Stubenvögeln und erfreuen ebensowohl durch ihr zahmes und artiges Wesen, wie durch ihren Gesang. Wenn man sie frei im Zimmer umherfliegen läßt, säubern sie dasselbe gründlich von Fliegen und Mücken und werden so zahm, daß sie ihrem Pfleger die vorgehaltenen Fliegen aus der Hand nehmen.

In Deutschland verfolgt die nützlichen Vögel glücklicherweise niemand; in Italien findet leider das Gegentheil statt. Während des Herbstzuges lauert hier vornehm und gering mit allerlei Netzen und Fallen auch auf sie, und leider ist ihr Fang nur zu ergiebig. Auf jedem Markte sieht man während der Zugzeit hunderte dieser Vögel, welche meuchlings gemordet wurden, um die abscheuliche Schleckerei zu befriedigen. Es wird erzählt, daß ehedem auf der Insel Cypern die so erbeuteten Fliegenfänger und ähnliche Vögel mit Weinessig und Gewürz eingemacht und in besonderen Töpfen oder Fässern verpackt wurden. Solche Gefäße sollen zu hunderten nach Italien versandt worden sein. Gegenwärtig scheint man sich nicht mehr so viel Mühe zu geben, der alte Unfug aber steht noch in voller Blüte.


*


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 520-522.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Knigge, Adolph Freiherr von

Über den Umgang mit Menschen

Über den Umgang mit Menschen

»Wenn die Regeln des Umgangs nicht bloß Vorschriften einer konventionellen Höflichkeit oder gar einer gefährlichen Politik sein sollen, so müssen sie auf die Lehren von den Pflichten gegründet sein, die wir allen Arten von Menschen schuldig sind, und wiederum von ihnen fordern können. – Das heißt: Ein System, dessen Grundpfeiler Moral und Weltklugheit sind, muss dabei zum Grunde liegen.« Adolph Freiherr von Knigge

276 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon