Dolchstichtaube (Phlegoenas cruenta)

[657] Mehr durch auffällige Färbung als durch Gestalt und Wesen zeichnet sich die Dolchstichtaube (Phlegoenas cruenta, Columba cruenta, cruentata und luzonica, Caloenas luzonica) aus. Die Merkmale der von ihr vertretenen Sippe der Brandtauben (Phlegoenas) liegen in dem schwachen, auf der Firste eingesattelten, vor der Spitze sanft aufgeworfenen, mit ziemlich großem Haken herabgebogenen Schnabel, den sehr langläufigen und verhältnismäßig kurzzehigen Füßen, dem mäßig langen, im Fittigtheile aber spitzigen Flügel, unter dessen Schwingen die dritte die längste ist, und dem verhältnismäßig langen, deutlich abgerundeten Schwanze. Stirn und Scheitel der Dolchstichtaube sind licht aschgrau, nach hinten dunkel werdend, Hinterkopf und Nacken violett, Hinterhals, Mantel, Unterrücken und Bürzel bleigrau, alle Federn breit kupferroth gerandet, unter einfallendem Lichte röthlichviolett, unter durchgehendem Lichte hingegen prachtvoll smaragdgrün schillernd, die kleinen Oberflügeldeckfedern bis gegen die Wurzel, die großen Oberflügeldecken, die letzten Hand- und Schulterfedern an der Spitze aschgrau, an der Wurzel aber dunkel erdbraun, schwach violett überflogen, wodurch zwei gleich breite, hellgrau eingefaßte Querbinden über die Flügel entstehen, Kinn und Kehle reinweiß, die übrigen Untertheile, mit Ausnahme eines Kropfschildes und der grauen Kropfseiten, zart röthlichgrau überflogen. Dieser Kropfschild, das bezeichnendste Merkmal der Taube, ist, obgleich er gewöhnlich länger erscheint, etwa doppelt so lang als breit, in der Mitte lebhaft, von hier aus nach den Seiten hin abnehmend und sich lichtend, hell blutroth gefärbt. Die Schwingen sind dunkel erdbraun, außen schmal hellbraun, innen breit rothbraun gesäumt, die Steuerfedern aschgrau, durch ein breites, schwarzes Querband vor der Spitze geziert. Das Auge ist rothbraun, der Schnabel bräunlichschwarz, der Fuß schmutzig bläulichroth. Die Länge beträgt sechsundzwanzig, die Fittiglänge vierzehn, die Schwanzlänge neun Centimeter.

Ueber das Freileben der auf den Philippinen heimischen Dolchstichtaube ist weiter nichts bekannt, als daß sie in den Waldungen lebt, viel auf dem Boden sich bewegt und von den Eingeborenen sehr häufig in Schlingen gefangen und zahm gehalten wird. Alle Reisenden, welche ihrer Erwähnung thun, sprechen sich mehr oder minder eingehend über den Blutflecken auf dem Kropfe aus, vergleichen denselben mit einer durch einen Dolchstich hervorgebrachten Wunde, die Taube selbst sehr unpassenderweise auch wohl mit einem Pelekane, wissen aber über die Lebensweise nicht das geringste mitzutheilen. So bleibt nichts übrig, als das wiederzugeben, was sich angefangenen Vögeln beobachten läßt. Dank der Liebhaberei der Manilesen gerade für diese Art, bringt sicherlich jedes von den Philippinen nach Europa segelnde Schiff ein oder mehrere Paare lebender Dolchstichtauben nach Europa, und diese zählen daher in allen reichhaltigeren Thiergärten, wenn auch nicht zu den ständigen, so doch zu oft gesehenen Erscheinungen. Auch ich habe sie wiederholt gepflegt und beobachtet, meinen Pfleglingen aber wenig absehen können, da sie sich nie zum Brüten entschließen wollten. Das, was ich durch eigene Wahrnehmungen und Mittheilungen eines sehr befähigten, aufmerksamen Wärters des Berliner Zoologischen Gartens erfahren habe, ist kurz [657] zusammengestellt folgendes: Die Dolchstichtaube erweist sich in Haltung und Bewegung, Wesen und Gebaren als echte Erdtaube. Da sie ihre Flügel etwas vom Leibe ab und das Gefieder lässig zu tragen pflegt, macht sie den Eindruck eines sehr gedrungen gebauten Vogels. Sie geht leicht und mit großen Schritten und nickt bei jedem nach Taubenart mit dem Kopfe, fliegt aber auch rasch und auffallend gewandt, obschon anscheinend mit etwas Anstrengung. Bei ruhigem Gange pflegt der Blutfleck verschmälert zu sein; bei der geringsten Erregung aber wird er so weit ausgebreitet, daß er ein fast eiförmiges Feld bildet. Ruhend oder schlafend zieht die Taube den Hals so weit ein, daß der Schnabel gerade in die Mitte des Kropfschildes zu liegen kommt und von diesem fast verborgen wird. Ihre Nahrung sucht sie ausschließlich auf dem Boden und wirft dabei, nach Art ihrer Verwandtschaft, auf letzterem liegende Gegenstände, Blätter und dergleichen, aus einander. Außer der Brutzeit verhält sie sich still und gibt von der Lebhaftigkeit ihres Wesens nur dann Kunde, wenn irgend eine andere Taube oder ein ihr sonstwie unerwünschter Vogel in ihre Nähe gebracht wird; solche, wie alle Käfiggenossen überhaupt, treibt sie zänkisch in die Flucht.


Dolchstichtaube (Phlegoenas cruenta). 1/2 natürl. Größe.
Dolchstichtaube (Phlegoenas cruenta). 1/2 natürl. Größe.

Ganz anders geberdet sie sich während der Brutzeit, welche auch sie in hohem Grade zu erregen scheint.[658] Jetzt vernimmt man fortwährend ihre halb girrende, halb rucksende, den Silben »Turrrrru« etwa vergleichbar Stimme und sieht sie vom Morgen bis zum Abend fast ununterbrochen in Thätigkeit. Zärtlich der Täubin sich nahend, beugt der Tauber den Kopf tief herab, stelzt den Schwanz, bläht den Hals auf und stößt nun sein schallendes »Turrrrru« hervor. Zeigt sich ein anderer Tauber, insbesondere ein solcher derselben Art, so beginnt er sofort mit ihm zu kämpfen und bedient sich dabei vorzugsweise seiner Flügel, mit denen er so kräftige Schläge auszutheilen versteht, daß die Federn des Gegners davonstieben, rennt auch wohl mit vorgehaltenem Schnabel stoßend auf den Nebenbuhler los und ruht und rastet nicht, bis er als Sieger aus dem Kampfe hervorgegangen oder besiegt worden ist. So unfreundlich er sich einem Nebenbuhler gegenüber geberdet, so zärtlich benimmt er sich gegen die erkorene Täubin. Girrend oder rucksend und schmeichelnd kurz abgebrochen »Tu, tu, tu« lockend, umgeht er dieselbe, treibt sie nach einer gewissen Stelle hin, betritt sie schließlich und erntet nunmehr den Lohn seiner Zärtlichkeit dadurch, daß die begattete Täubin unmittelbar nach der Paarung in gleicher Weise um ihn herumläuft, wie er früher um sie. Zur Niststelle wählt sich das Paar stets einen Busch oder wenigstens dürres Gezweige seines Gebaues. Die Täubin entscheidet sich für die betreffende Stelle; der Tauber aber treibt sie sodann beständig lockend dieser Stelle zu und beginnt, Baustoffe herbeizutragen, welche von ihr verbaut werden. Hierbei springt er ihr nicht selten auf den Rücken und reicht ihr von oben herab die aufgelesenen Zweiglein oder Halme; sie ihrerseits aber breitet, sobald er naht, die Flügel ein wenig, um ihm einen festeren Standort zu bieten, und nimmt ihm die Reiser aus dem Schnabel, um sie an geeigneter Stelle anzubringen. Das Nest wird in der Regel fester und sauberer erbaut als das anderer Tauben. Biegsame Reiser bilden den Unterbau, Halme und Gräser die innere Auskleidung der wirklich vorhandenen, sogar ziemlich tiefen und mit einem mäßig hohen und breiten Rande umgebenen Nestmulde. Nachdem die Täubin ihre beiden Eier gelegt hat, brütet sie sehr eifrig, während der Tauber seinerseits in unmittelbarer Nähe des Nestes, nicht selten auf dem Rande selbst zu sitzen pflegt, wohl auch dann und wann der Gattin Nahrung zuträgt und ihr dieselbe in den Schnabel würgt. Am Brutgeschäfte selbst betheiligt er sich ebenfalls, immer aber nur sehr wenig; denn die Täubin kehrt, wenn sie von ihm abgelöst wurde, sofort, nachdem sie sich gesättigt, wiederum zu dem Neste zurück. Je länger die Brutzeit währt, um so ungeduldiger zeigt sich der Tauber, und dies mag einer der Hauptgründe sein, daß die Eier nicht immer gezeitigt werden und die Jungen noch seltener aufkommen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 657-659.
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