Goldspecht (Colaptes auratus)

[497] Die bekannteste Art der Sippe ist der Goldspecht, »Flicker« der Nordamerikaner (Colaptes auratus, Cuculus und Picus auratus), ein Vogel, welcher unserem Grauspechte an Größe etwas[497] nachsteht.


Goldspecht (Colaptes auratus). 1/2 natürl. Größe.
Goldspecht (Colaptes auratus). 1/2 natürl. Größe.

Oberkopf und Hinterhals sind aschgrau, Zügel, Augenstreifen, Schläfe, Kopf- und Halsseiten, Kinn und Kehle isabell weinröthlich, ein ausgedehnter Bartstreifen und ein breites, halbmondförmiges Kropfschild schwarz, die Obertheile, mit Ausnahme des weißen Bürzels isabellbraun mit schwarzen Querbinden, die oberen Schwanzdecken breit schwarz in die Quere gebändert, die Untertheile vom schwarzen Kehlschilde an weiß, auf Brust und Seiten isabell weinröthlich mit großen, runden, schwarzen Tropfenflecken gezeichnet. Ein hufeisenförmiges Nackenfeld prangt in hochrother Färbung. Die schwarzen Schwingen zeigen auf der Außenfahne vier bis fünf isabellbraune Querflecken, welche sich zu Querbinden gestalten, innen in der Wurzelhälfte einen breiten gelblichweißen Rand und orangegelbe Schäfte, wogegen diese an den Schwanzfedern nur in der Wurzelhälfte dieselbe, übrigens schwarze Färbung haben. Die beiden äußersten Steuerfedern sind weiß an der Spitze, die äußerste jederseits wird durch drei helle Randflecke geschmückt, die Unterseite der Schwingen und Steuerfedern ist glänzend dunkel olivengelb, im Enddrittheil der letzteren aber schwarz. Das Auge ist lichtbraun, der Schnabel oben braun, unten bläulich, der Fuß graublau. Dem Weibchen mangelt der schwarze Zügelstreifen. Junge Vögel sind schmutziger gefärbt [498] und auch durch das schmälere blaßrothe Nackenband von den Alten unterschieden. Die Länge beträgt zweiunddreißig, die Breite zweiundvierzig, die Fittiglänge sechzehn und die Schwanzlänge zwölf Centimeter.

Der Goldspecht verbreitet sich von Texas an über den ganzen Osten der Vereinigten Staaten von Nordamerika bis zum äußersten Norden von Neuschottland, soll auch auf Grönland beobachtet worden sein. In den südlichen Staaten ist er ein Stand- oder Strich-, in den nördlichen ein Zugvogel, welcher je nach der mehr südlichen oder nördlichen Lage seines Brutortes im März oder im April und zwar in außerordentlich zahlreichen Wandergesellschaften eintrifft und hier bis zum September oder Oktober verweilt. Nach Versicherung Audubons geschehen seine Reisen des Nachts, wie man an den allbekannten Stimmlauten, welche die wandernden zeitweilig hören lassen, und ebenso an dem eigenthümlichen Geräusche, welches sie mit ihren Schwingen hervorbringen, mit genügender Sicherheit zu erkennen vermag. Wo der Goldspecht vorkommt, tritt er in außergewöhnlicher Anzahl auf und darf demgemäß wenn nicht als der häufigste, so doch bestimmt als der verbreitetste aller Spechte Nordamerikas bezeichnet werden.

Die Lebensweise haben Wilson, Audubon und andere geschildert. »Kaum hat der beginnende Frühling«, sagt Audubon, »zu der süßen Pflicht der Paarung gerufen, so vernimmt man die Stimme des Goldspechtes von der Höhe der Wipfel umgefallener Bäume, als ein Zeichen des Vergnügens, daß die willkommene Jahreszeit angebrochen. Diese Stimme ist jetzt die Freude selbst; denn sie ahmt gewissermaßen ein langes, heiteres, auf weithin hörbares Lachen nach. Verschiedene Männchen verfolgen ein Weibchen, nähern sich ihm, neigen ihr Haupt, breiten ihren Schwanz und bewegen sich seitlich, rückwärts und vorwärts, nehmen die verschiedensten Stellungen an und geben sich überhaupt die größte Mühe, der erkorenen Gattin die Stärke und die Innigkeit ihrer Liebe zu beweisen. Das Weibchen fliegt zu einem anderen Baume, immer verfolgt von einem, zwei und selbst einem halben Dutzend der verliebten Männchen, welche dort dieselben Liebesbewerbungen erneuern. Sie kämpfen nicht mit einander, scheinen auch nicht eifersüchtig zu sein, sondern verlassen, wenn das Weibchen einen von ihnen bevorzugt, ohne Umstände das glückliche Paar und suchen eine andere Gattin auf. So geschieht es, daß alle Goldspechte bald glücklich verehelicht sind. Jedes Paar beginnt nun sofort einen Baumstamm auszuhöhlen, um eine Wohnung zu erbauen, welche ihnen und den Jungen genügt. Beide arbeiten mit größtem Eifer und, wie es scheint, mit größtem Vergnügen. Wenn das Männchen beschäftigt ist, hängt sich die Gattin dicht daneben und beglückwünscht es über jeden Span, welchen sein Schnabel durch die Luft sendet. Wenn er ausruht, scheint er mit ihr auf das zierlichste zu sprechen, und wenn er ermüdet ist, wird er von ihr unterstützt. In dieser Weise, und Dank der beiderseitigen Anstrengung, wird die Höhle bald ausgemeiselt und vollendet. Nun liebkosen sie sich auf den Zweigen, klettern mit wahrem Vergnügen an den Stämmen der Bäume empor oder um sie herum, trommeln mit dem Schnabel an abgestorbene Zweige, verjagen ihre Vettern, die Rothköpfe, vertheidigen das Nest gegen die Purpurstaaren, kichern und lachen dazwischen, und ehe zwei Wochen verstrichen sind, hat das Weibchen seine vier oder sechs glänzend weißen, etwa sechsundzwanzig bis achtundzwanzig Millimeter langen und zweiundzwanzig bis fünfundzwanzig Millimeter breiten Eier gelegt und erfreut sich ohne Zweifel an ihrer Weiße und Durchsichtigkeit. Wenn es beglückt, eine zahlreiche Nachkommenschaft zu erzeugen, muß der Goldspecht in dieser Hinsicht zufrieden sein; denn er brütet zweimal im Jahre.«

Letztere Angabe gilt, falls sie überhaupt richtig ist, jedenfalls nur für die südlichen Vereinigten Staaten; denn im Norden derselben und zumal in den unter britischer Herrschaft stehenden weiten Strecken Nordamerikas, welche er ebenfalls bewohnt, dürfte der rasch vergehende Sommer nicht lang genug sein, um ihm Zeit zu zwei Bruten zu gewähren. Zur Vervollständigung des Berichtes unseres unvergleichlichen Audubon will ich hinzufügen, daß Paine für Randolph den zwanzigsten April, als den Tag der Ankunft unseres Spechtes, und den ersten bis funfzehnten Mai, als die Zeit des Beginnens seiner Arbeit, behufs Herstellung seiner Bruthöhle, bezeichnet, auch angibt, daß die [499] Anzahl des Geleges, welches in den letzten Tagen des Mai oder in den ersten des Juni vollzählig ist, sieben beträgt. Paine hat den Goldspecht niemals in geschlossenen Waldungen, sondern immer nur an den Rändern derselben brütend gefunden, ebensowenig aber bemerkt, daß ein Paar, wie trotzdem mit Bestimmtheit anzunehmen sein dürfte, eine alte Bruthöhle wieder benutzt. Abweichend von den meisten Verwandten ist der so häufige Goldspecht in der Nähe seines Nestes sehr scheu oder naht sich, wie wohl richtiger sein dürfte, demselben so verstohlen, daß man nicht leicht ein Nest entdeckt. Stört man das Paar an einem solchen, so umfliegen beide den Baum unter schrillenden und kreischenden Lauten, welche oft mit gurgelnden abwechseln. Die Jungen, welche Paine beobachtete, verließen das Nest so langsam nach einander, daß der jüngste von ihnen ungefähr vierzehn Tage später ausflog als der erste. Ehe einer dem Neste entflog, erschien er stets oben in der Höhle, deren ganzen Raum er ausfüllte und verrieth sich durch lautes zischendes Geschrei, wenn jemand dem Nistbaume nahte. Sobald er seine Flügel, wenn auch nur theilweise, gebrauchen konnte, kletterte und flatterte er in die Welt hinaus und wurde sogleich von den Alten nach dem tieferen Walde geleitet, hier aber noch eine Zeitlang gefüttert und im Gewerbe unterrichtet.

»Der Flug dieses Spechtes«, fährt Audubon fort, »ist schnell und ausdauernd, im Vergleiche zu dem anderer der Familie knapp und kurzbogig. Wenn er von einem Baume zum anderen fliegt, durcheilt er eine gerade Linie, senkt sich wenige Meter vor dem erwählten Baume nieder, hängt sich unten an und klettert nun wie andere Spechte rasch empor. Läßt er sich, wie es oft geschieht, auf einen Zweig nieder, so senkt er seinen Kopf und läßt die wohlbekannten Laute ›Flicker‹ aus, jedoch nur dann, wenn er sich vollkommen sicher weiß. Er klettert vortrefflich in allen Stellungen, welche Spechte annehmen können. Auf dem Boden, zu dem er öfter herabkommt, hüpft er mit großer Gewandtheit umher; doch geschieht dies gewöhnlich nur, um eine Beere, eine Heuschrecke oder einen Kern aufzunehmen, oder um die abgestorbenen Baumwurzeln nach Ameisen und anderen kleinen Kerfen zu untersuchen. Er liebt Früchte und Beeren mancher Art; namentlich scheinen ihm Aepfel, Birnen, Pfirsiche und verschiedene Waldbeeren höchst angenehm zu sein. Ebensowenig verschmäht er das junge Getreide auf dem Felde; im Winter pflegt er die Kornfeimen zu besuchen.«

»Waschbären und schwarze Schlangen sind gefährliche Feinde des Goldspechtes. Der erstere steckt eine seiner Vorderhände in die Nisthöhle, und wenn sie nicht allzu tief ist, holt er die Eier gewiß herauf und saugt sie aus; ja, häufig genug nimmt er auch den brütenden Vogel selbst in Beschlag. Die schwarze Schlange begnügt sich mit den Eiern oder Jungen. Verschiedene Falkenarten verfolgen unseren Specht im Fluge; ihnen aber entrinnt er in den meisten Fällen, indem er sich der nächsten Höhlung zuwendet. Es ist lustig, das Erstaunen eines Falken zu sehen, wenn der gejagte Vogel, den er eben zu ergreifen vermeinte, vor seinen Augen verschwindet. Sollte der Specht einen derartigen Zufluchtsort nicht erreichen können, so hängt er sich an einen Baum an und klettert in Schraubenlinien mit solcher Schnelligkeit rundum, daß er jenes Anstrengungen gewöhnlich ebenfalls vereitelt.

Das Fleisch wird von vielen Jägern hoch geschätzt und oft gegessen, namentlich in den mittleren Staaten. Dann und wann sieht man den Goldspecht auch auf den Märkten von New York und Philadelphia ausgestellt; ich meinestheils aber muß sagen, daß das Fleisch wegen seines Ameisengeruches mir höchst unangenehm war.

Auch in der Gefangenschaft verliert dieser Vogel seine natürliche Lebendigkeit und Heiterkeit nicht. Er geht leicht ans Futter, zerstört aber auch aus lauter Vergnügen in einem Tage mehr, als zwei Handwerker in zwei Tagen herstellen können. Jedenfalls darf niemand glauben, daß die Spechte so dumme, verlorene und vernachlässigte Geschöpfe sind, als man oft angenommen hat.«

Kein mir bekannter Specht hält sich so leicht in Gefangenschaft wie der Goldspecht, welcher keineswegs selten auch in unsere Käfige gelangt. Er stellt durchaus nicht besondere Ansprüche an das Futter, jedenfalls nicht mehr als ein anderer Kerbthierfresser; denn er begnügt sich mit einfachem Drosselfutter, falls dasselbe mit mehr Ameisenpuppen gewürzt ist, als es bei Drosseln nothwendig. [500] Von mir gepflegte Goldspechte zeichneten sich von Anfang an durch zahmes und zutrauliches Wesen aus. Sie lernten ihren Wärter kennen, kamen bald auf seinen Ruf herbei und nahmen ihm dargereichte Nahrung, besonders wenn dieselbe in noch lebenden Würmern bestand, aus der Hand. Für den Vogelkundigen ist ein von ihnen bewohnter Käfig ein höchst anziehender Gegenstand. Man kann hier in aller Muße die so auffallenden Bewegungen der Spechte überhaupt beobachten; man kann sehen, wie sie rasch und geschickt an den Baumstämmen innerhalb des Käfiges emporklettern, wie kräftig sie sich in die Rinde derselben einhaken, wie sicher sie sich zu befestigen wissen, wie umfassend sie ihren Schnabel zu gebrauchen verstehen; man kann selbst ihren Flug studiren: denn gar nicht selten machen sie wenigstens Versuche, in dieser Weise sich zu bewegen. An meinen Pfleglingen habe ich beobachtet, daß sie auch im Schlafe ihre liebste Stellung annehmen. Daß die Spechte Baumhöhlungen zu ihrer Nachtherberge wählen, war mir durch die Beobachtung unserer deutschen Arten bekannt geworden; nichtsdestoweniger überraschte es mich, zu sehen, daß sie nicht nach anderer Vögel Art sich einfach auf den Boden der Höhle niedersetzten, sondern, wie bereits bemerkt, an den Wandungen derselben in der Kletterstellung sich aufhängen. Ich ersah daraus, daß ihnen diese Stellung leichter wird als jede andere. Das überraschendste, was ich erfahren konnte, war, meine Goldspechte zur Fortpflanzung schreiten zu sehen. Sie haben mir dadurch bewiesen, daß sie sich in der Gefangenschaft so wohl befanden, wie sich ein seiner Freiheit beraubter Vogel überhaupt befinden kann. Der beginnende Frühling verfehlte auch auf sie seine Wirkung nicht. Das Männchen gab seinen Jubel durch jauchzendes Aufschreien und wiederholtes Trommeln kund. Es lockte in der von Audubon beschriebenen Weise, liebkoste das Weibchen wiederholt und trieb mit ihm überhaupt alle Spiele, wie sie der Paarung vorauszugehen pflegen. Eines Morgens fand der Wärter ein Ei am Boden des Käfigs, wenige Tage darauf ein zweites. Meine Hoffnung, möglicherweise Junge zu erzielen, ging aber leider nicht in Erfüllung. Das Weibchen begann zu kränkeln und lag eines Morgens todt im Käfige. Es war anscheinend an Erschöpfung, infolge allzuschneller Entwickelung der Eier, zu Grunde gegangen. Wahrhaft rührend war es, zu beobachten, wie traurig das Männchen fortan sich geberdete. Tagelang, ohne Unterbrechung fast, rief es nach dem Weibchen, trommelte im Uebermaße seiner Sehnsucht wie früher in der Jubellust seiner Liebe und hatte nicht einmal in den Nachtstunden Ruhe. Später milderte sich sein Kummer und zuletzt vernahm ich keine klagenden Laute mehr. Seine frühere Heiterkeit erlangte es jedoch nicht wieder. Als ihm die Gefährten gestorben waren, wurde es sehr schweigsam. In den letzten Jahren habe ich andere Goldspechte gepflegt und in verschiedenen Thiergärten gesehen; kein einziger aber hat sich gepaart und zum Nisten entschlossen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 497-501.
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