Königsfischer (Alcedo ispida)

[294] Unser Eisvogel oder Königsfischer, der Ufer-, Wasser- oder Seespecht, Eisen gart und Martinsvogel (Alcedo ispida, subispida, advena und Pallasii), kennzeichnet sich durch folgende Merkmale: Der Schnabel ist lang, dünn, gerade, von der starken Wurzel an nach und nach zugespitzt, an der Spitze keilförmig oder etwas zusammengedrückt, an den scharfen Schneiden ein wenig eingezogen. Die Füße sind sehr klein und kurz; die mittlere der drei Vorderzehen ist mit der fast ebenso langen äußeren bis zum zweiten, mit der kürzeren inneren bis zum ersten Gelenke [294] verwachsen, die Hinterzehe sehr klein. In dem kurzen und ziemlich stumpfen Flügel überragt die dritte Schwinge die anderen. Der Schwanz besteht aus zwölf kleinen, kurzen Federn. Das Gefieder ist reich, aber glatt anliegend, zerschlissen, jedoch derb, prachtvoll gefärbt, oben metallisch, unten seidig glänzend. Die Federn des Hinterkopfes sind zu einer kleinen Holle verlängert. Mit einem anderen europäischen Vogel läßt sich der Königsfischer nicht verwechseln, mit ausländischen Arten seiner Familie aber wohl. Oberkopf und Hinterhals sind auf düster grünschwarzem Grunde mit schmalen, dicht stehenden, meerblauen Querbinden gezeichnet, Schultern, Flügeldecken und die Außenfahne der braunschwarzen Schwingen dunkel meergrün, die Flügeldeckfedern mit rundlichen, meerblauen Spitzenflecken geziert, die mittleren Theile der Oberseite schön türkisblau, ein Streifen über den dunkleren Zügeln und ein Längsfleck am unteren Augenrande bis hinter die Ohrgegend sowie die ganze Unterseite und die unteren Schwanz- und Flügeldecken lebhaft zimmetrostroth, Kinn und Kehle rostgelblichweiß, ein breiter Streifen, welcher sich von der Schnabelwurzel und unter dem Zimmetroth der Ohrgegend hinabzieht, die Enden der oberen Brustseitenfedern, die seitlichen Schwanzdecken und die Schwanzfedern endlich dunkel meerblau.


Eisvogel (Alcedo ispida). 2/3 natürl. Größe.
Eisvogel (Alcedo ispida). 2/3 natürl. Größe.

Die Iris ist tiefbraun, der Schnabel schwarz, die Wurzel der unteren Hälfte roth, der kleine Fuß lackroth. Die Länge beträgt siebzehn, die Breite siebenundzwanzig bis achtundzwanzig, die Fittiglänge sieben, die Schwanzlänge vier Centimeter.

Ganz Europa, von Jütland, Dänemark, Livland und Esthland an nach Süden hin, sowie der westliche Theil Mittelasiens sind die Heimat des Eisvogels. In Spanien, Griechenland und auf [295] den griechischen Inseln ist er noch häufig, am Jordan nach Tristrams Beobachtungen gemein, auf Malta schon ziemlich selten. In Ostasien wird er durch eine nahe verwandte Art vertreten, welche einzelne Naturforscher als Spielart ansehen. In Nordwestafrika dürfte er auch als Brutvogel vorkommen; Nordostafrika besucht er regelmäßig während des Winters, ohne jedoch daselbst zu brüten. Dasselbe gilt, so viel bis jetzt festgestellt, für die Kanarischen Inseln. Ja nicht einmal in Griechenland hat man bis jetzt Nest und Eier von ihm gefunden, so häufig man dem Vogel auch in den Wintermonaten begegnet. Aus diesem zeitweiligen Auftreten im Süden seines Verbreitungsgebietes geht hervor, daß ein beträchtlicher, wahrscheinlich der größte Theil der nordischen Eisvögel wandert, vielleicht sogar regelmäßig zieht. Auf Korfu erscheint er bereits gegen Ende August, treibt sich während des Winters in Menge an der Seeküste umher, verschwindet zu Anfange des April und fehlt während des Sommers gänzlich. In Egypten dürfte es nicht anders sein; in Spanien dagegen findet er sich bestimmt jahraus jahrein.

Bei uns zu Lande sieht man den prachtvollen Vogel überall, immer aber nur einzeln. Er fällt wegen seines schönen Gefieders ebenso auf als wegen seiner sonderbaren Lebensweise und ist deshalb wohl bekannt, obgleich seinerseits bemüht, den Blicken des Menschen möglichst sich zu entziehen. Am liebsten bewohnt er kleine Flüsse und Bäche mit klarem Wasser, und ihnen zu Liebe steigt er auch hoch im Gebirge empor, in den Alpen, laut Tschudi, bis zu eintausendachthundert Meter unbedingter Höhe. An trüben Gewässern fehlt er meist, wenn auch nicht immer. Flüsse oder Bäche, welche durch Wälder fließen oder wenigstens an beiden Ufern mit Weidicht bestanden sind, bieten ihm Aufenthaltsorte, wie er sie vor allen anderen leiden mag, und wenn sie so viel Fall haben, daß sie im Winter wenigstens nicht überall zufrieren, verweilt er an ihnen auch in dieser schweren Zeit. Sind die Verhältnisse nicht so günstig, so muß er sich wohl oder übel zum Wandern bequemen, und gelegentlich dieser Wanderungen eben fliegt er bis nach Nordafrika hinüber.

Gewöhnlich sieht man ihn nur, während er pfeilschnell über den Wasserspiegel dahineilt; denn der, welcher ihn im Sitzen auffinden will, muß schon ein Kundiger sein. Namentlich in der Nähe bewohnter Ortschaften oder überhaupt in der Nähe regen Verkehres wählt er sich zu seinen Ruhesitzen stets möglichst versteckte Plätzchen und Winkel aus, beweist darin ein großes Geschick, scheint sich auch sehr zu bemühen, bis er den rechten Ort gefunden hat. Daß der schließlich gewählte Platz der rechte ist, erkennt man bald, weil alle Eisvögel, welche einen Fluß besuchen, stets auch dieselben Sitzplätze sich erküren. »Solcher allgemeinen Lieblingsplätzchen«, sagt Naumann, »gibt es in einer Gegend immer mehrere, aber oft in ziemlicher Entfernung von einander. Sie liegen allemal tief unten, selten mehr als sechzig Centimeter über dem Wasserspiegel und stets an etwas abgelegenen Orten. In einsameren, von menschlichen Wohnungen weit entfernten Gegenden wählt er sich zwar auch oft freiere Sitze, auf welchen man ihn dann schon von weitem bemerken kann. Ganz auf höhere, freie Zweige oder gar auf die Wipfel höherer Bäume fliegt er nur, wenn er sich paaren will.« Die Nacht verbringt er unter einer überhängenden Uferstelle oder selbst im Innern einer Höhlung. Jeder einzelne Eisvogel, oder wenigstens jedes Paar, behauptet übrigens ein gewisses Gebiet und vertheidigt dasselbe mit Hartnäckigkeit: es duldet höchstens den Wasserschwätzer und die Bachstelze als Genossen.

Wenn irgend ein Vogel »Sitzfüßler« genannt werden darf, so ist es der Eisvogel. Er sitzt buchstäblich halbe Tage lang regungslos auf einer und derselben Stelle, immer still, den Blick auf das Wasser gekehrt, mit Ruhe einer Beute harrend, »kühl bis ans Herz hinan«, so recht nach Fischer Art. »Seine kleinen Füßchen«, sagt Naumann, »scheinen nur zum Sitzen, nicht zum Gehen geeignet; denn er geht äußerst selten und dann nur auf einige Schrittchen, etwa auf der kleinen Fläche eines Steines oder Pfahles, aber nie auf flachem Erdboden.« Ungestört wechselt er seinen Sitz bloß dann, wenn er verzweifelt, von ihm aus etwas zu erbeuten. Ist das Glück ihm günstig, so bringt er weitaus den größten Theil des Tages auf derselben Stelle zu. Wenn man ihn geduldig beobachtet, sieht man ihn plötzlich den Hals ausstrecken, sich nach vornüberbeugen, so daß der [296] Schnabel fast senkrecht nach unten gerichtet ist, und plötzlich wie ein Frosch oder richtiger wie ein Pfeil in das Wasser stürzen, ohne daß er dabei die Flügel gebraucht. Gewöhnlich verschwindet er vollkommen unter dem Wasser, arbeitet sich aber durch einige Flügelschläge bald wieder zur Oberfläche empor, schwingt sich von neuem zu seinem Sitze empor, schüttelt das Wasser vom Gefieder ab, putzt dieses vielleicht auch ein wenig und nimmt die vorige Stellung ein. Hat er sich mehreremal vergeblich bemüht, Beute zu gewinnen, oder gar keinen Fisch gesehen, so entschließt er sich endlich, seinen Platz zu wechseln. Das Fliegen erfordert, wie es scheinen will, alle Kraft und Anstrengung des Vogels; denn die kurzen Schwingen können den schweren Rumpf kaum fortschleppen und müssen so rasch bewegt werden, daß man die einzelnen Bewegungen nicht mehr unterscheiden kann. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb ist der Flug reißend schnell, aber auch sehr einförmig. Der Eisvogel schießt, so lange er kann, in einer geraden Linie dahin, immer gleich hoch über dem Wasser hinweg, und dreht und wendet sich nur mit dem Gewässer, entschließt sich wenigstens höchst ungern, den Fluß oder Bach zu verlassen. Weiter als fünf- oder sechshundert Schritte dehnt er einen solchen Flug nicht leicht aus: ungestört fliegt er nie weiter, als bis zu dem nächsten Sitzplatze. Doch treibt ihn der Hunger oder die Noth überhaupt zuweilen auch zu Flugkünsten, welche man ihm nicht zutrauen möchte. Manchmal sieht man ihn sich über das Gewässer erheben, plötzlich, flatternd oder rüttelnd, sich still halten, sorgsam nach unten schauen und mit einemmale von dieser Höhe aus in die Tiefe stürzen. Derartige Künste, welche bei anderen Gliedern seiner Familie üblich sind, betreibt er insbesondere über breiten Gewässern, deren Ufer ihm geeignete Warten nicht gewähren, zumal wenn es sich darum handelt, die zahlreiche Brut zu ernähren; sie scheinen also gewissermaßen das letzte Mittel zu sein, welches er anwendet, um Beute zu erringen. Wenn sich die Liebe in ihm regt, macht er von seiner Flugbegabung noch umfassenderen Gebrauch.

Die Nahrung besteht vorzugsweise aus kleinen Fischen und Krebsen, nebenbei aber auch aus Kerbthieren, mit denen namentlich die Brut groß gefüttert wird. Er ist gefräßig und bedarf zu seiner Sättigung mehr, als man anzunehmen pflegt. Zehn bis zwölf fingerlange Fischchen müssen ihm tagtäglich zum Opfer fallen, wenn den Erfordernissen seines Magens Genüge geschehen soll. Hinsichtlich der Art der Fische zeigt er sich nicht wählerisch, fängt vielmehr jeden, dessen er habhaft werden kann, und weiß selbst eine ziemlich große Beute zu bewältigen. Auf diese lauert er, nach Naumanns Ausdruck, wie die Katze auf die Maus. Er fängt nur mit dem Schnabel, stößt deshalb oft fehl und muß sich zuweilen sehr anstrengen, ehe ihm eine Beute wird. Die Art und Weise seines Fanges erfordert Umsicht in der Wahl seiner Plätze; denn das Wasser, in welchem er fischt, darf nicht zu seicht sein, weil er sich sonst leicht durch die Heftigkeit seines Stoßes beschädigen könnte, darf aber auch nicht zu tief sein, weil er sonst seine Beute oft fehlt. »Bei Hirschberg an der oberen Saale«, schreibt mir Liebe, »halten sich die Eisvögel gern auf, wenn sie dort auch wenig günstige Brutgelegenheit haben. Die Saale ist vielfach von steilen, hohen Felswänden eingefaßt, welche einen Fußpfad am Ufer entlang unmöglich machen. Sie fließt rasch und breit über eine Menge Steine und zwischen Felsblöcken hindurch und ist gerade hier sehr reich an kleinen Fischen. Dort halten die Vögel statt auf einem Aste von einem Steine aus ihre lauernde Rundschau, und auf gewissen Steinen kann man immer Gewölle finden. Hier habe ich auch gesehen, daß sie sehr gern Krebse verzehren. Obgleich kleine Fische, wie bemerkt, in Menge vorhanden sind, holen die Eisvögel doch oft kleine Krebse heraus, tragen sie auf den Felsblock und machen sie daselbst zum Verschlingen zurecht, indem sie dieselben öfter hart gegen den Stein stoßen, nicht aber mit einer Seitenbewegung des Kopfes gegen denselben schlagen. Die Krebse scheinen hier so zur Lieblingsnahrung geworden zu sein, daß die Gewölle oft nur aus Ueberresten derselben bestehen.« Anhaltender Regen, welcher das Gewässer trübt, bringt dem Eisvogel Noth, ja selbst den Untergang, und ebenso wird ihm der Winter nicht selten zum Verderben; denn seine Jagd endet, sobald er die Fische nicht mehr sehen kann. Im Winter muß er sich mit den wenigen offenen Stellen begnügen, welche die Eisdecke eines Gewässers enthält; aber er ist dann dem Ungemach ausgesetzt, unter das Eis zu gerathen und [297] die Oeffnung nicht wieder zu finden. Auf diese Weise verliert mancher Eisvogel sein Leben. Zuweilen wird ihm auch ein glücklicher Fang verderblich: er versucht einen zu großen Fisch hinabzuwürgen und erstickt dabei. Fischgräten, Schuppen und andere harte Theile seiner Nahrung speit er in Gewöllen wieder von sich.

Während der Paarzeit zeigt sich auch der Eisvogel sehr erregt. Er läßt dann seine Stimme ein hohes, schneidendes, oft und schnell wiederholtes »Tit tit« oder »Si si«, welches man sonst selten, meist von dem erzürnten Vogel vernimmt, häufig ertönen und fügt den gewöhnlichen Lauten noch besondere zu, beträgt sich auch in ganz eigenthümlicher Weise. »Das Männchen«, sagt mein Vater, »setzt sich dann auf einen Strauch oder Baum, oft sehr hoch, und stößt einen starken, pfeifenden, von dem gewöhnlichen Rufe verschiedenen Ton aus. Auf diesen kommt das Weibchen herbei, neckt das Männchen und fliegt weiter. Das Männchen verfolgt es, setzt sich auf einen anderen Baum und schreit von neuem, bis das Weibchen abermals sich nähert. Bei diesem Jagen, welches ich nur des Vormittags bemerkt habe, entfernen sich beide zwei- bis dreihundert Schritte vom Wasser und sitzen mit hoch aufgerichtetem Körper auf den Feldbäumen, was sie sonst nie thun.«

Das Brutgeschäft des Eisvogels ist erst durch die Beobachtungen Leislers und meines Vaters bekannt geworden; Bechstein war hierüber noch nicht unterrichtet. »Sobald sich der Eisvogel zu Ende März oder im Anfange des April gepaart hat«, fährt mein Vater fort, »sucht er sich einen Platz für das Nest aus. Dieser ist allemal ein trockenes, schroffes, vom Grase ganz entblößtes Ufer, an welchem keine Wasserratte, kein Wiesel und kein anderes Raubthier hinauf klettern kann. In dieses, einer senkrechten Wand ähnelnde Ufer hacken die Eisvögel dreißig bis sechzig Centimeter vom oberen Rande ein rundes Loch, welches gewöhnlich fünf Centimeter im Durchmesser hat, einen halben bis einen Meter tief ist, etwas aufwärts steigt und am Ausgange unten zwei Furchen zeigt. Am hinteren Ende erweitert sich dieses Loch zu einer rundlichen, backofenähnlichen Höhle, welche acht bis zehn Centimeter in der Höhe und zehn bis dreizehn Centimeter in der Breite hat. Diese Höhlung ist unten mit Fischgräten ausgelegt, wie gepflastert, wenig vertieft, trocken und oben glatt wie an ihrem Ausgange. Auf den Fischgräten liegen die sechs bis sieben, sehr großen, fast rundlichen, glänzend weißen, wegen des durchschimmernden Dotters rothgelb aussehenden Eier. Sie sind die schönsten unter allen, welche ich kenne, von einer Glätte, von einem Glanze und, ausgeblasen, von einer Weiße wie die schönste Emaille. An Größe kommen sie fast einem Singdrosselei gleich, so daß es mir unbegreiflich ist, wie sie der Eisvogel mit seinen kurzen und harten Federn alle bedecken und erwärmen kann.

Wenn der Eisvogel beim Aushacken des Loches, wozu er zwei bis drei Wochen braucht, auf Steine trifft, sucht er sie herauszuarbeiten. Gelingt dies nicht, so läßt er sie stehen und arbeitet um sie herum, so daß sie zuweilen halb in die Röhre vorragen. Der Steinchen wegen ist der Eingang zum Neste oft krumm. Häufen sie sich aber zu sehr, so verläßt der Vogel die Stelle und hackt sich nicht weit davon ein anderes Loch. In Hinsicht des Nestbaues zeigt sich der Eisvogel ganz als Specht, nur mit dem Unterschiede, daß dieser in morschen Bäumen, jener aber in der trockenen Erde sein Nest anbringt. Ein solches Loch bewohnt der Eisvogel mehrere Jahre, wenn er ungestört bleibt; wird aber der Eingang zum Neste erweitert, so legt er nie wieder seine Eier hinein. Daß ein Nest mehreremal gebraucht sei, erkennt man leicht an einer Menge von Libellenköpfen und Libellenflügeln, welche unter die Gräten gemischt sind, und an einer ungewöhnlichen Menge von Fischgräten, welche in einem frischen Neste weit sparsamer liegen und, so lange die Jungen noch nicht ausgekrochen, mit Libellenüberbleibseln nicht vermengt sind. Um zu erfahren, ob ein Eisvogelloch, welches von den Höhlen der Wasserratte und anderer Säugethiere auf den ersten Blick zu unterscheiden ist, bewohnt sei oder nicht, braucht man nur hinein zu riechen: nimmt man einen Fischgeruch wahr, so kann man fest überzeugt sein, daß man ein frisches Nest vor sich habe.

Merkwürdig ist es, wie fest ein brütender Eisvogel auf seinen Eiern oder seinen nackten Jungen sitzt. Man kann am Ufer pochen, wie man will, er kommt nicht heraus; ja, er bleibt noch [298] ruhig, wenn man anfängt das Loch zu erweitern, und verläßt seine Brut erst dann, wenn man ihm ganz nahe auf den Leib kommt.

Ich fand die Eier in der Mitte des Mai und zu Anfang des Junius.

Das Männchen hat ziemlich fern, hundert bis dreihundert Schritte von dem Neste, seinen Ruheplatz, auf welchem es die Nacht und auch einen Theil des Tages zubringt.«

Naumann gibt an, daß man in einzelnen Nestern bis elf Eier findet, und berichtet noch einiges über das Jugendleben der Vögel. »Das Weibchen«, sagt er, »brütet allein, und das Männchen bringt ihm, während jenes fast unausgesetzt vierzehn bis sechzehn Tage lang über den Eiern sitzt, nicht nur Fische zur Nahrung, sondern trägt auch beiläufig dessen Unrath aus dem Neste weg, was beide Gatten nachher auch mit dem der Jungen thun. Die unlängst aus den Eiern geschlüpften Jungen sind häßliche Geschöpfe. Sie sind ganz nackt, mehrere Tage blind und von so ungleicher Größe, daß ich sogenannte Nestküchlein gefunden habe, welche kaum halb so groß als die anderen waren. Ihr Kopf ist groß, der Schnabel aber noch sehr kurz und der Unterschnabel meistens zwei Linien länger als der Oberkiefer. Sie sind höchst unbehülflich, zittern öfters mit den Köpfen, sperren zuweilen den weiten Rachen auf, wispern leise, wenn sie hungrig sind oder wenn sie gefüttert werden und kriechen durch einander wie Gewürme. Zu dieser Zeit werden sie von den Alten mit Kerbthierlarven, und vorzüglich mit Libellen, denen diese zuvor Kopf und Flügel abstoßen, gefüttert. Später bekommen sie auch kleine Fische, und wenn ihnen nach und nach die Federn wachsen, so scheinen sie überall mit blauschwarzen Stacheln bekleidet zu sein, weil die Federn in sehr langen Scheiden stecken, und diese nicht so bald aufplatzen. Sie sitzen überhaupt lange im Neste, ehe sie zum Ausfliegen fähig werden, und ihre Ernährung verursacht den Alten viele Mühe, weshalb sie sich denn auch in dieser Zeit ungemein lebhaft und thätig zeigen. Die ausgeflogenen Jungen werden in die ruhigsten Winkel der Ufer, besonders in Gesträuch, Flechtwerk oder zwischen die ausgewaschenen Wurzeln am Ufer stehender Bäume geführt, so daß ein kleiner Umkreis die ganze Familie beherbergt, jeder einzelne also unweit des anderen einen solchen Sitz hat, wo er wenigstens von der Uferseite her nicht so leicht gesehen werden kann. Die Alten verrathen sie, wenn man sich zufällig naht, durch ängstliches Hin-und Herfliegen in kurzen Räumen und durch klägliches Schreien, während die Jungen sich ganz still und ruhig verhalten. Stößt man sie aus ihrem Schlupfwinkel, so flattert das eine da-, das andere dorthin, und die Alten folgen bald diesem, bald jenem unter kläglichem Schreien. Es währt lange, ehe sie sich Fische fangen lernen.«

Wie zärtlich die Alten ihre Brut lieben, geht aus einer Beobachtung Naumanns hervor. Er ging ernstlich darauf aus, ein Nest mit Jungen aufzusuchen, begab sich deshalb an eine Stelle, wo er ein solches wußte, überzeugte sich durch den Geruch von der Anwesenheit der Jungen und begann nun, am Aufbrechen der Höhle zu arbeiten. »Ich war nicht allein, und wir hatten nicht nur viel gesprochen, sondern auch tüchtig mit den Füßen oben über dem Neste auf den Rasen gestampft. Ich erstaunte daher nicht wenig, als ich mit einer dünnen Ruthe im Loche störte und mir der alte Eisvogel, welcher nunmehr die Jungen verließ, beinahe ins Gesicht flog. Der Untergang der Familie war einmal beschlossen, und so sollte denn auch ein Alter mit darauf gehen; da wir aber heute kein passendes Werkzeug zur Hand hatten, so wurde dies auf morgen verschoben und der Eingang mit Schlingen bestellt. Alle diese gewaltsamen Störungen hatten nicht vermocht, die unglückliche Mutter abzuhalten, einen Versuch zu wagen, zu ihren geliebten Kindern zu kommen, und sie hing am anderen Morgen todt in der Schlinge vor ihrem Neste, während das Männchen, als wir nun die Jungen ausgruben, mehrmals schreiend dicht an uns vorbeiflog.«

Die seit der Veröffentlichung der Mittheilungen meines Vaters und Naumanns gesammelten Beobachtungen haben ergeben, daß die Brutzeit des Eisvogels sich nicht auf die genannten Monate beschränkt. So erhielt Walter einmal schon am sechsten April, ein anderes Mal in der Mitte dieses Monats vollzählige Gelege. Ebenso können verschiedene Umstände das Fortpflanzungsgeschäft verzögern. Wenn das Frühjahr spät eintritt, wenn die Flüsse oder Bäche längere Zeit [299] Hochwasser haben, wenn die Brut geraubt oder die Nesthöhle zerstört wurde usw., muß der Eisvogel bessere Zeiten abwarten, und so kann es geschehen, daß man noch im September unerwachsene Junge in den Nesthöhlen findet. Nach den eingehenden Beobachtungen Kutters, welcher binnen drei Jahren nicht weniger als dreißig fast durchgängig besetzte Bruthöhlen untersuchen konnte, ist letzteres nur dann der Fall, wenn die erste Brut vernichtet wurde. Denn ungestört brütet der Eisvogel bloß einmal im Jahre. Die Wahrheit dieser Angabe konnte Kutter überzeugend beweisen, da er die Eisvögel, welche er auf dem Neste fing, mittels eingefeilter Striche am Schnabel zeichnete und somit späterhin wieder erkannte. Aus seinen sorgsam niedergeschriebenen Beobachtungen nun geht nachstehendes hervor. Die Brutröhre wird stets in einer senkrecht abfallenden oder überhängenden glatten Uferwand eingegraben; doch braucht die Wand nicht immer unmittelbar vom Wasser bespült zu werden. Die Höhe, in welcher die Röhre über dem Wasserspiegel angebracht wird, ändert mit der jeder Uferwand ab und wird bloß an solchen Stellen so nahe als oben angegeben unter dem Uferrande angelegt, wo dies die Beschaffenheit des Brutplatzes erfordert. An hohen Wänden findet man sie ebenso häufig in der Mitte der Wand oder etwas unter derselben. Erst mit Beginn des Eierlegens fängt der Vogel an, die Höhlung mit den als Gewölle ausgespieenen Gräten und Schuppen der verzehrten Fische auszupolstern. Fertige, neu gearbeitete Kessel ohne Eier enthalten nicht eine Spur dieser Niststoffe, welche im Verlaufe des Eierlegens und Brütens allmählich angesammelt werden und schließlich eine sehr gleichmäßig vertheilte fast centimeterhohe Schicht bilden. Die bebrüteten Eier findet man niemals auf bloßer Erde, sondern stets auf besagten Niststoffen, welche als schlechte Wärmeleiter die Eier vor schädlicher Abkühlung schützen. Die durchschnittliche Anzahl der Eier aller von Kutter gefundenen vollen Gelege betrug sieben, niemals mehr, in seltenen Fällen weniger. Siedelartiges Beisammensein verschiedener Eisvögel hat Kutter nie beobachtet. Wo mehrere Brutröhren in unmittelbarer Nachbarschaft angebracht sind, ist stets nur eine wirklich besetzt, und die geringste Entfernung zwischen zwei bewohnten Röhren beträgt etwa funfzig Schritte. Das Ausgraben der Röhre wird, eine so ungeheuere Arbeit für den kleinen Vogel es zu sein scheint, in verhältnismäßig kurzer Zeit vollendet. In einzelnen Fällen konnte Kutter nachweisen, daß ein Zeitraum von kaum einer Woche dazu genügte. Ein so eifriges Hacken und Graben zum Theil in rauhem Kiessande greift den Schnabel merklich an; insbesondere der Oberschnabel, auf welchem die Last der Arbeit ruht, zeigt sich nicht selten um einen halben Centimeter verkürzt.

Zur weiteren Vervollständigung des gesagten mag eine Mittheilung, welche ich der Freundlichkeit Liebe's verdanke, hier Platz finden. »Eisvögel haben einige Jahre hintereinander in der Lehmwand eines Erdfalles genistet und dort mir treffliche Gelegenheit zum Beobachten gegeben. Dieser Erdfall, ein Wasserloch mit tiefem, kaltem Wasser, welches keine Fische und nur wenig Kerbthiere beherbergt, liegt, von etwas Gebüsch umgeben, in größter Nähe eines sehr besuchten Spazierganges und gegen tausend Schritte von der Elster entfernt, die hier allerdings von dichtem Gebüsche eingefaßt und ziemlich einsam ist. Die Vögel mußten tausend Schritte weit über Wiesen und Felder fliegen, um ihren Jungen Nahrung zu holen und wurden oft durch Vorübergehende und Feldarbeiter gestört. Dennoch suchten sie jene Lehmwand öfter wieder auf, um dort zu schlafen und zu nisten. Es glückte mir einmal, ein Weibchen zu belauschen, welches das Loch einer ausgefaulten Baumwurzel zur Wohnstätte erkiest hatte. Ich hörte beständig kleine Gegenstände in das Wasser fallen und entdeckte endlich, daß es Erdklümpchen waren, welche in immer größerer Anzahl aus jenem engen Loche herabfielen. Zuletzt kam scharrend und unter schwer zu erkennenden, wunderlichen Bewegungen der Vogel rückwärts heraus und beförderte dabei eine ganze Menge Erde in das Wasser. Sobald er mich erblickt hatte, strich er ab, war aber nach einer Viertelstunde wieder in der Röhre und kroch in derselben Weise rückwärts heraus. Später, als wohl der Zugang hinlänglich erweitert und hinten der kleine Kessel ausgeweitet war, habe ich die Thiere nie anders als mit dem Kopfe voran herauskommen sehen.«

[300] Es ist nicht bekannt, daß irgend ein Raubthier dem Eisvogel nachstellt. Der erwachsene entgeht durch seine Lebensweise vielen Verfolgungen, denen andere Vögel ausgesetzt sind, und die Nesthöhle ist in seltenen Fällen so angelegt, daß ein Wiesel oder eine Wasserratte zu ihr gelangen kann. Auch der Mensch behelligt unseren Fischer im ganzen wenig, nicht etwa aus Gutmüthigkeit oder Thierfreundlichkeit, sondern weil sich der scheue Gesell vor jedermann in Acht nimmt und seine Jagd den Sonntagsschützen zu schwer fällt. Der Kundige, welcher seine Gewohnheiten kennt, erlegt ihn ohne sonderliche Mühe und weiß sich auch des lebenden Vogels zu bemächtigen. Nicht immer gelingt es, das schöne Geschöpf an die Gefangenschaft zu gewöhnen. Jung aus dem Neste genommene Eisvögel lassen sich mit Fleisch und Fischen groß füttern und dann auch längere Zeit am Leben erhalten; alt eingefangene sind ungestüm und ängstlich, verschmähen oft das Futter und flattern sich bald zu Tode. Doch fehlt es auch bei ihnen nicht an Ausnahmen. Mir wenigstens ist es mehr als einmal gelungen, alt eingefangene Vögel einzugewöhnen und lange Zeit am Leben zu erhalten. Ja, ich habe dieselben immer nur durch Unglücksfälle verloren. Ohne alle Umstände gehen alte Eisvögel an das Futter, wenn man sie gleichzeitig mit den Jungen einfängt. Aus Liebe zu diesen vergessen sie den Verlust der Freiheit, fischen von der ersten Stunde an eifrig und gewöhnen sich und ihre Jungen an den Käfig und die ihnen gereichte Kost. An solchen gefangenen nimmt man mit Erstaunen wahr, wie gefräßig sie sind. Hat man sie endlich gezähmt und kann man ihnen einen passenden Au fenthalt gewähren, so sind sie wirklich reizend. Im Thiergarten zu London sind für die Königsfischer und andere Wasservögel besondere Vorkehrungen getroffen worden. Man hat hier einen großen Käfig errichtet, dessen Boden theilweise ein tiefes Wasserbecken ist, und dessen Wandungen alle Bequemlichkeiten bieten, wie Fischer sie verlangen. In dem Becken wimmelt es von kleinen Fischen, über demselben sind bequeme Warten: kurz, das ganze ist so behaglich eingerichtet wie nur möglich. In diesem Käfige befinden sich die dort lebenden Eisvögel vortrefflich. Sie können es hier beinahe wie an ihren Bächen treiben, führen ihre Fischerei wenigstens ganz in derselben Weise aus wie in der Freiheit. Ich darf wohl behaupten, daß mich dieser deutsche Vogel, den ich vor Jahren hier zum erstenmale in der Gefangenschaft sah, damals ebenso angezogen hat wie irgend ein anderes Thier der so außerordentlich reichhaltigen Sammlung.


*


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 294-301.
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