Rachenrake (Eurystomus orientalis)

[338] Wohl die verbreitetste Art der Gruppe ist die Rachenrake, der »Roller« oder »Dollarvogel« der Europäer Australiens, »Tiong-Batu« oder »Tiong-Lampay« der Malaien (Eurystomus orientalis, cyanicollis, fuscicapillus, pacificus, gularis und calorynx, Coracias orientalis, Galgulus pacificus und gularis). Der Vogel hat mit der Blaurake ungefähr gleiche Größe, erscheint aber kürzer und gedrungener als diese. Seine Länge beträgt zweiunddreißig bis fünfunddreißig, die Fittiglänge einundzwanzig, die Schwanzlänge zehn Centimeter. Kopf und Hinterhals sind olivenbraun, Mantel und Schultern heller meergrün, Flügel und Unterseite düster seegrün, ein großer Fleck auf Kinn und Kehle hat tiefblaue Färbung. Die schwarzen Schwingen und Schwanzfedern zeigen sehr schmale tiefblaue Außensäume, die ersten sechs Schwingen aber blaue Wurzelflecken, wodurch ein Flügelspiegel entsteht. Die Steuerfedern endlich sehen unterseits tief indigoblau aus. Der Schnabel bis auf die schwarze Spitze und der Fuß sind roth, die Nägel schwarz, ein nackter rother Kreis umgibt das braune Auge. Beide Geschlechter haben gleiche Färbung. Das Kleid der Jungen ist düsterer als das der Alten und entbehrt noch des schönen blauen Kehlflecks.

Die Rachenrake verbreitet sich über ein außerordentlich weites Gebiet. Sie bewohnt ganz Indien und Südasien überhaupt, das Festland wie die großen Inseln, Ceylon, die Sundaeilande, Philippinen, sowie das Inselmeer der Molukken und kommt nach Osten hin durch Siam und China bis zum Amurlande, nach Süden hin über Neuguinea bis zum südlichen Australien vor. Auf dem Festlande Indiens findet man sie, laut Jerdon, am Fuße des Himalaya, im unteren Bengalen und Assam, nicht aber oder doch nur selten im südlichen Theile des Landes, auf Ceylon, laut Layard, in verschiedenen Gegenden der Insel. In dem übrigen Verbreitungsgebiete tritt sie hier und da ebenfalls stellenweise und nicht selten auf. Gould fand sie nur in Neusüdwales, erfuhr aber durch Elsey, daß sie auch im Victoriabecken sehr häufig wäre. In Neusüdwales ist sie Zugvogel, erscheint im Frühlinge und zieht, sobald sie ihre Jungen aufgefüttert hat, wieder nach Norden. Für andere Stellen ihres Wohngebietes wird mehr oder weniger dasselbe Gültigkeit haben.

Von der Rake unterscheidet sich der Roller und alle seine Verwandten durch größere Fluggewandtheit. Seine Sitten und Gewohnheiten stimmen jedoch in allem wesentlichen mit denen der ihm so nahe verwandten Vögel überein. Layard beobachtete eine Rachenrake, welche sich wie ein Specht an die Bäume hing und das vermorschte Holz mit dem Schnabel bearbeitete, um zu verborgenen Kerbthieren zu gelangen; die übrigen Beobachter schildern sie als einen Vogel, welcher vom erhabenen Sitze aus seine Jagd betreibt und darin besondere Gewandtheit entfaltet. Nach Gould ist unser Dollarvogel am thätigsten bei Sonnenauf- und Untergang oder an düsteren Tagen, wogegen er bei schwülem Wetter ruhig auf den abgestorbenen Zweigen sitzt. Er ist immer ein kühner Vogel; aber während der Brutzeit greift er mit wahrer Wuth jeden Ruhestörer an, welcher sich seiner Nisthöhle nähert.


Rachenrake (Eurystomus orientalis). 1/2 natürl. Größe.
Rachenrake (Eurystomus orientalis). 1/2 natürl. Größe.

[338] Wenn er Kerbthiere fangen will, sitzt er gewöhnlich auf einem abgestorbenen Zweige eines Baumes in sehr aufrechter Stellung, am liebsten in der Nähe von einem Wasser, und schaut in die Runde, bis ein Kerbthier seine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Auf dieses stürzt er zu, versichert sich seines Opfers und kehrt zu demselben Zweige zurück. Zu anderen Zeiten sieht man ihn fast nur im Fluge, gewöhnlich paarweise. Dann umschwebt er die Wipfel der Bäume und ergötzt durch die Schnelligkeit seiner Wendungen. Während des Fluges sieht man den silberweißen Fleck in der Mitte des Flügels sehr deutlich, und daher eben rührt der Name Dollarvogel. Bei düsterem Wetter verursacht er viel Lärm, und namentlich im Fluge läßt er dann ein eigenthümlich zitterndes Geschrei vernehmen. Es wird gesagt, daß er junge Papageien aus ihren Nisthöhlen hervorziehe und tödte; Gould kann dies aber nicht bestätigen, sondern hat immer nur die Ueberreste von Käfern in seinem Magen gefunden.

Die Brutzeit währt vom September bis zum December. Die drei oder vier perlweißen Eier werden in Baumhöhlen abgelegt, Niststoffe in dieselben jedoch nicht eingetragen.

[339] Die Unfertigkeit des Systems oder, mit anderen Worten, die Schwierigkeit, gewisse Vögel unter den übrigen passend einzuordnen, beweist unter anderen die kleine Gruppe der Rachenvögel (Eurylaiminae). Horsfield, welcher eine Art entdeckte, vereinigt sie mit den Plattschnäblern Amerikas; Swainson zählt sie zu den Fliegenfängern, Sclater mindestens zu den Sperlingsvögeln; Blyth, Wallace und Sundevall bringen sie unter die Schmuckvögel; van Hoeven weist ihnen in der Nähe der Ziegenmelker ihre Stellung an; Gray, Bonaparte und Reichenbach sehen in ihnen nahe Verwandte der Raken, und Cabanis, ihnen folgend, betrachtet sie als Verbindungsglieder zwischen den Raken und den Schwalmen, weshalb er sich auch berechtigt glaubt, aus ihnen, den Raken und den Schwalmen eine einzige Familie zu bilden. Nach der Ansicht von Cabanis nehmen sie den Rang einer Unterfamilie, nach Meinung Gray's und Wallace's den einer Familie ein. Welcher von den genannten Forschern der Wahrheit am nächsten gekommen, ist fraglich. Streng genommen, sind die Rachenvögel so eigenthümlich gestaltet, daß sie kaum mit anderen verglichen werden können; die Auffassung der beiden letzterwähnten Forscher verdient also immerhin Beachtung. Ich habe mich Cabanis angeschlossen, weil ich, wie er, in ihnen Verbindungsglieder der Raken und Schwalme sehe, und weiche nur insofern von ihm ab, als ich den letzteren eine selbständigere Stellung zugestehe.

Die bis jetzt bekannten Arten sind gedrungen gebaute Vögel mit kurzen, breiten Schnäbeln, ziemlich kräftigen Füßen, mittellangen Flügeln und kurzen oder ziemlich langen Schwänzen. Der Schnabel ist kürzer als der Kopf, stark und niedrig, an der Wurzel sehr breit, nahe der Spitze rasch verschmälert, mit deutlichem Kiel auf dem Oberschnabel und hakig gekrümmter Spitze; die Schnabelränder sind nach innen umgeschlagen; die Spalte reicht bis unter das Auge, und die Mundöffnung ist deshalb fast ebenso groß wie bei den Schwalmen. An den mittellangen und ziemlich kräftigen Füßen ist der Lauf wenig länger als die Mittelzehe, die äußere mit dieser bis zum zweiten Gelenk, die innere mit der Mittelzehe bis zum ersten Gelenk verwachsen. Der Flügel ist kurz und gerundet, in ihm die dritte oder vierte Schwinge die längste. Der Schwanz ist entweder gerundet oder abgestuft, bei einigen Arten auch seicht ausgeschnitten. Das Gefieder zeigt lebhafte Farben; die Vertheilung derselben und die Zeichnung scheint bei beiden Geschlechtern ziemlich gleich zu sein.

Indien und die Malaiischen Inseln sind die Heimat der Rachenvögel. Die wenigen Arten, welche man bis jetzt kennen gelernt hat, bewohnen düstere Waldungen und, wie es scheint, mit Vorliebe solche, welche fernab von dem menschlichen Verkehr liegen. Ueber die Lebensweise wissen wir noch sehr wenig.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 338-340.
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