Nachtfalk (Chordeiles virginianus)

[379] Der bekannteste Vertreter dieser Sippe ist der Nachtfalk der Nordamerikaner (Chordeiles virginianus, Caprimulgus popetue, americanus und virginianus), ein unserem Nachtschatten an Größe ungefähr gleichkommender Vogel. Die Länge beträgt zweiundzwanzig, die Breite fünfundfunfzig, die Fittiglänge zwanzig, die Schwanzlänge elf Centimeter. Das Gefieder ist oberseits braunschwarz, auf Oberkopf und Schultern durch rostfarbene Federränder, auf den Schläfen und den Deckfedern durch fahlgelbe Querbinden gezeichnet; Zügel, Kopf und Halsseiten haben rostrothe Färbung und schwarze Schaftflecke; Kinnwinkel und Kehlseiten sind auf rostfarbenem Grunde schwarz in die Quere gefleckt, Kropf und Brust braunschwarz, durch rostfarbige Schaftflecke, die übrigen Untertheile rostfarben, durch schwarze Querbinden, die Kehle ist wie üblich durch ein weißes, sich verschmälernd bis auf die Halsseiten ziehendes Schild geziert. Die erste und zweite der schwarzen Schwingen zeigen auf der Innen-, die dritte bis fünfte auf beiden Fahnen eine weiße Mittelquerbinde, die Armschwingen auf der Innenseite verloschen rostfahle, die schwarzen Steuerfedern sechs bräunlichgraue Fleckenquerbinden, welche auf den beiden mittelsten Federn breiter und dunkler gefleckt sind als auf den übrigen, wogegen die äußersten, im Enddrittheile einfarbig schwarzen Steuerfedern auf der Innenfahne eine weiße Querbinde tragen. Die Iris ist braun, der Schnabel schwarz, der Rachenrand gelb, der Fuß horngelblich.

Wilson, Audubon, Prinz von Wied, Ridgway und andere haben das Leben des Nachtfalken ausführlich geschildert. »Etwa am ersten April«, sagt Audubon, »erscheint der nach Osten wandernde Vogel in Louisiana; denn kein einziger brütet in dem gedachten Staate oder in Mississippi. Er reist so schnell, daß man wenige Tage, nachdem man den ersten bemerkte, keinen mehr zu sehen bekommt, während er gelegentlich seines Herbstzuges sich oft wochenlang in den südlichen Staaten aufhält und vom funfzehnten August bis zum Oktober beobachtet werden kann. Gelegentlich seiner Wanderung sieht man ihn über unsere Städte und Dörfer fliegen, zuweilen auch wohl auf Bäumen in unseren Straßen oder auch selbst auf Schornsteinen sich niederlassen, und gar nicht selten hört man ihn von dort seine scharfen Laute herunterschreien zum Vergnügen oder zur Verwunderung [379] derer, welche die ungewohnten Töne gerade vernehmen.« Seit Audubons Zeiten hat der Vogel sein Betragen nicht unwesentlich geändert, indem er sich in größeren Städten selbst ansiedelte.


Nachtfalk (Chordeiles virginianus). 3/5 natürl. Größe.
Nachtfalk (Chordeiles virginianus). 3/5 natürl. Größe.

Nach Ridgway nimmt die Anzahl der in Boston wohnenden Nachtfalken von Jahr zu Jahr merklich zu, und während des Juni und Juli sieht man ihn zu allen Stunden des Tages, insbesondere aber des Nachmittags hoch in der Luft seiner Jagd obliegen, gerade als ob er zu einem Segler geworden wäre. Das reiche Kerbthierleben, welches sich, nach Versicherung des ebengenannten, in der Nähe der großen Städte, vielleicht infolge der sie umgebenden Gärten, entwickelt, und ebenso die flachen Dächer der Häuser mögen wohl in gleicher Weise dazu beigetragen haben, das Kind des Waldes zu fesseln. Schon Audubon wußte, daß der Nachtfalk weit nach Norden hinaufgeht; denn er selbst hat ihn in Neubraunschweig und Neuschottland gesehen. Durch die seitdem gewonnenen Erfahrungen anderer amerikanischen Forscher, welche namentlich in der Neuzeit mit Eifer der Thierkunde sich widmen, ist festgestellt, daß unser Nachtschatten alle Vereinigten Staaten von Florida und Texas bis zum höheren Norden und von der Atlantischen Küste bis zu der des Stillen Meeres sich verbreitet, ebenso in Westindien brütet und gelegentlich seines Zuges auch Südamerika besucht. In den mittleren Staaten erscheint er gegen den ersten Mai, in den nördlichen selten vor Anfang Juni, verläßt dementsprechend sein Brutgebiet auch schon ziemlich früh im Jahre, meist bereits zu Anfang des September, spätestens zu Ende dieses Monats. Auf Cuba trifft er, laut Gundlach, vom Süden kommend, im April ein, belebt von dieser Zeit an alle Steppen in namhafter Menge, verschwindet aber im August oder Anfang September unmerklich wieder, wogegen er auf Jamaika schon überwintern soll. Zu seinem Aufenthalte wählt er sich die verschiedensten Oertlichkeiten, schwach bewaldete Gegenden, Steppen, freie Blößen oder Städte und Ortschaften überhaupt, die Niederung wie das Gebirge, in welchen er, wie schon oben bemerkt, bis zu einer Höhe von etwa dreitausendfünfhundert Meter über dem Meere aufsteigt.

Die Verschiedenheit der Lebensweise des Nachtfalkens und der eigentlichen Nachtschatten ist so bedeutend, daß Ridgway sich wundert, wie man den einen mit dem anderen überhaupt [380] vereinigen kann. Der Nachtfalk verdient eigentlich seinen Namen nicht; denn er ist nichts weniger als ein nächtlicher, sondern höchstens ein Dämmerungsvogel, welcher in seinem Thun und Lassen weit mehr an die Segler als an die Nachtschwalben erinnert. In den Morgen- und Abendstunden betreibt er seine Jagd, und sie gilt ganz anderer Beute als solcher, wie sie die Nachtschatten erstreben. Sobald die Dämmerung in das Dunkel der Nacht übergeht, endet diese Jagd, und der Vogel zieht sich zur Ruhe zurück. Aehnliche Angaben, obschon ohne die hieran geknüpften Folgerungen, sind bereits von Audubon gemacht worden. »Der Nachtfalk«, sagt dieser ferner, »hat einen sicheren, leichten und ausdauernden Flug. Bei trübem Wetter sieht man ihn während des ganzen Tages in Thätigkeit. Die Bewegungen seiner Schwingen sind absonderlich anmuthig, und die Spiellust, welche er während seines Fluges bekundet, fesselt jedermann. Der Vogel gleitet durch die Luft mit aller erdenklichen Eile, steigt rasch empor oder erhält sich rüttelnd in einer gewissen Höhe, als ob er sich unversehens auf eine Beute stürzen wolle, und nimmt erst dann seine frühere Bewegung wieder auf. In dieser Weise beschreibt er gewisse Kreise unter lautem Geschrei bei jedem plötzlichen Anlaufe, welchen er nimmt, oder streicht niederwärts oder fliegt bald hoch, bald niedrig dahin, jetzt dicht über der Oberfläche der Gewässer, dann wieder über den höchsten Baumwipfeln oder Bergesgipfeln dahin streichend. Während der Zeit seiner Liebe wird der Flug noch in besonderem Grade anziehend. Das Männchen bemüht sich durch die wundervollsten Schwenkungen, welche mit der größten Zierlichkeit und Schnelligkeit ausgeführt werden, der erwählten Gattin seine Liebe zu erklären oder einen Nebenbuhler durch Entfaltung seiner Fähigkeiten auszustechen. Oft erhebt es sich über hundert Meter vom Boden, und sein Geschrei wird dann lauter und wiederholt sich häufiger, je höher es empor steigt; dann wieder stürzt es plötzlich mit halb geöffneten Schwingen und Schwanze in schiefer Richtung nach unten, und zwar mit einer Schnelligkeit, daß man glauben möchte, es müsse sich auf dem Boden zerschmettern: aber zur rechten Zeit noch, zuweilen nur wenige Meter über dem Boden, breitet es Schwingen und Schwanz, und fliegt wieder in seiner gewöhnlichen Weise dahin.« Bei diesem Niederstürzen vernimmt man ein sonderbares Geräusch, welches nach Gundlachs Meinung ganz in ähnlicher Weise hervorgebracht wird, wie das bekannte Meckern der Heerschnepfe, durch einfache Schwingungen der Flügel- oder Schwanzfedern nämlich. »Zuweilen«, fährt Audubon fort, »wenn mehrere Männchen vor demselben Weibchen sich jagen, wird das Schauspiel höchst unterhaltend. Das Spiel ist bald vorüber; denn sobald das Weibchen seine Wahl getroffen hat, verjagt der glücklich Erwählte seine Nebenbuhler. Bei windigem Wetter und bei vorschreitender Dämmerung fliegt der Nachtfalk tiefer, schneller und unregelmäßiger als sonst, verfolgt dann auch die von fern erspähten Kerbthiere längere Zeit auf ihrem Wege. Wenn die Dunkelheit wirklich eintritt, läßt er sich entweder auf ein Haus oder auf einen Baum nieder und verbleibt hier während der Nacht, dann und wann sein Geschrei ausstoßend.« Auch er hockt sich, nach anderer Nachtschwalben Art, mit aufgelegter Brust nieder. Das Geschrei soll wie »Preketek« klingen. Die Nahrung besteht vorzugsweise aus sehr kleinen Kerbthieren, namentlich aus verschiedenen Mückenarten, welche in unglaublicher Masse vertilgt werden. »Schoß man einen dieser Vögel«, sagt der Prinz, »so fand man in seinem weiten Rachen eine teigartige Masse, wie ein dickes Kissen, welche nur aus Mücken bestand.« In dieser Beziehung wie in der Art und Weise seines Jagens verhält sich der Nachtfalke ganz wie die Segler; die Zwischenstellung, welche er letzteren und den Nachtschwalben gegenüber einnimmt, spricht sich also nicht allein in seiner Gestalt, sondern auch in seiner Lebensweise aus.

Die Brutzeit fällt in die letzten Tage des Monats Mai; die zwei grauen, mit grünlichbraunen und violettgrauen Flecken und Punkten gezeichneten Eier werden ohne jegliche Unterlage auf den Boden gelegt. Im freien Lande wählt das Weibchen hierzu irgend einen ihm passend erscheinenden Platz, auf Feldern, grünen Wiesen, in Waldungen und dergleichen, in den Städten einfach die flachen Dächer, welche selten besucht werden. Das Weibchen brütet und bethätigt bei [381] Gefahr nicht allein wirklichen Muth, sondern auch die bekannte List der Verstellung, in der Absicht, die Feinde durch vorgespiegelte Lahmheit von der geliebten Brut abzuhalten. Die Jungen kommen in einem Dunenkleide von dunkelbrauner Färbung zur Welt und werden von beiden Eltern gefüttert. Wenn sie erst größer geworden sind, sitzt die ganze Familie neben einander, aber so still und bewegungslos, daß es sehr schwer hält, sie von dem gleichfarbigen Boden, ihrem besten Freunde und Beschützer, zu unterscheiden.

Nach und nach bricht sich auch in Amerika die Erkenntnis Bahn, daß der Nachtfalk wie alle seine Verwandten zu den nützlichen Vögeln zählt, und es deshalb Unrecht ist, ihn zu verfolgen. Letzteres geschieht freilich noch immer und eigentlich mehr aus Muthwillen, in der Absicht, im Flugschießen sich zu üben, als um Gebrauch von den erlegten Vögeln zu machen. Das Fleisch derselben soll, wie schon Audubon versichert, eßbar und im Herbste, wenn die Nachtfalken gemästet und fett sind, sogar recht schmackhaft sein, bezahlt jedoch die Mühe und den Aufwand der Jagd in keiner Weise. Abgesehen vom Menschen gefährden wohl nur die gewandtesten Falken den sinnesscharfen und fluggewandten Vogel.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 379-382.
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