Riesenschwalk (Nyctibius grandis)

[353] Der Riesenschwalk (Nyctibius grandis), die größte Art der Sippe, ist von den Guaranern »Ibijau«, zu deutsch »Erdfresser«, genannt worden, und jener Name in unsere Lehrbücher übergegangen. Seine Länge beträgt nach den Messungen des Prinzen von Wied 55 Centimeter, die Breite 1,25 Meter, die Fittiglänge 40, die Schwanzlänge 27 Centimeter. Das Gefieder der Oberseite zeigt auf fahlweißlichem Grunde sehr feine, dunkle Zickzackquerbinden, rostbraune Endsäume und dunkle Schaftstriche; Kinn und Kehle sind rostrothbraun, schmal schwarz in die Quere liniirt, Kehle und Brustmitte durch braunschwarze Spitzenflecke unregelmäßig getüpfelt, die unteren Schwanzdecken weiß mit schmalen, dunklen Zickzackquerlinien, die oberen Flügeldecken längs des Unterarmes rothbraun mit dichtstehenden schwarzen, die Unterflügeldecken schwarz mit fahlweißen Querbinden geziert; die braunschwarzen Handschwingen und deren Deckfedern zeigen außen bräunlichgraue dichtstehende Querbänder, innen undeutliche Flecke, welche sich nur im Spitzendrittheil zu zwei oder drei breiten, silbergrauen, dunkel gepunkteten Querbändern gestalten, die silbergrauen Armschwingen und Steuerfedern rostbraune, schwarz gemarmelte Ränder und schwarze Fleckenquerbinden. Der Schnabel ist gelblichhorngrau, das Auge dunkel schwarzbraun, der Fuß gelblichgrau.

Es scheint, daß der Ibijau in allen Wäldern Südamerikas gefunden wird: man hat ihn ebensowohl in Cayenne wie in Paraguay erlegt. Wahrscheinlich ist er nicht so selten, als man gewöhnlich annimmt; es hält aber schwer, ihn bei Tage zu entdecken oder des Nachts zu beobachten. Prinz von Wied und Burmeister geben übereinstimmend an, daß er übertages immer in dicht belaubten Kronen der höchsten Bäume sitzt, nach anderer Nachtschatten Art der Länge nach auf einen starken Ast gedrückt. Sein Baumrindengefieder ist sein bester Schutz gegen das suchende Auge des Jägers oder eines anderen Feindes, und seine Regungslosigkeit erschwert noch außerdem das Auffinden. Azara beschreibt unter dem Namen »Urutau« einen verwandten Schwalk und sagt, daß er seinen Sitz gewöhnlich am Ende eines abgestorbenen Astes wähle, so daß er mit dem Kopfe über demselben hervorsehe und den Ast dadurch gleichsam verlängere, demungeachtet aber außerordentlich schwer zu entdecken sei. Ist solches einmal geschehen, so verursacht es keine Mühe, den schlafenden Vogel zu erbeuten, vorausgesetzt, daß er sich nicht einen sehr hohen Ruhesitz erwählt hat. Von einer anderen Art erzählt der Prinz, daß seine Leute sie mit einem Stocke todtgeschlagen haben, und bestätigt dadurch Azara's Angabe, nach welcher die Jäger Paraguays um die Mittagszeit dem Urutau eine Schlinge über den Kopf werfen und ihn dann vom Baume herabziehen. Auch Burmeister erfuhr ähnliches. Er sah einen Ibijau frei unter der Krone eines der höchsten Bäume sitzen und feuerte wiederholt nach ihm, ohne den Vogel auch nur zum Fortfliegen bewegen zu können. Gosse erhielt einen Urutau oder, wie der Vogel auf Jamaika genannt wird, einen Potu, welcher mit einem Steine von seinem Sitzplatze herabgeworfen worden war, und später einen anderen, welcher mit solcher Hartnäckigkeit den einmal gewählten Ruheplatz festhielt, daß er sich nicht nur nicht durch die Vorübergehenden stören, sondern ebenso wenig durch einen Schuß, welcher seine Federn stieben machte, vertreiben ließ. Nach dem gewaltsamen Angriffe war er allerdings krächzend weg und dem Walde zugeflogen; am nächsten Abend aber saß er wieder ruhig auf der beliebten Stelle und fiel unter einem besser gezielten Schusse als Opfer seiner Beharrlichkeit. Daß die größte Nachtschwalbe auch die dümmste ist, geht aus einer einfachen [353] Untersuchung ihres Schädels hervor; denn die Hirnmasse des fast rabengroßen Ibijau kommt nach den Untersuchungen des Prinzen nur einer Haselnuß an Umfang gleich. Ganz anders zeigt sich der Vogel in der Dämmerung. Er ist dann verhältnismäßig ebenso behend und gewandt wie alle übrigen. Eine ausführliche Beschreibung seines Betragens ist mir allerdings nicht bekannt; doch nehme ich keinen Anstand, dasjenige, was der Prinz von einer nahe verwandten Art anführt, auch auf den Ibijau zu beziehen. »Die unbeschreiblich angenehmen Mondnächte heißer Länder sind oft im höchsten Grade hell und klar und gestatten dem Jäger, auf weithin mit ziemlicher Schärfe zu sehen.


Riesenschwalk (Nyctibius grandis). 1/3 natürl. Größe.
Riesenschwalk (Nyctibius grandis). 1/3 natürl. Größe.

In solchen Nächten gewahrt man die Ibijaus, in großer Höhe gleich den Adlern dahinschwebend und weite Strecken durchfliegend, mit dem Fange großer Abend-und Nachtfalter sich beschäftigend. Es gibt in Brasilien eine Menge sehr großer Schmetterlinge, welche eben nur ein so ungeheuerer Rachen zu bewältigen weiß; diese Schmetterlinge aber haben in den Riesenschwalben ihre furchtbarsten Feinde und werden von ihnen in Menge verzehrt. Die Spuren der von den Mahlzeiten zurückbleibenden Schmetterlingsflügel, welche nicht mit verschluckt werden, findet man oft massenhaft auf dem Boden der Waldungen.« Bei diesen Jagden setzen sich, wie Azara mittheilt, die Riesenschwalke selten auf die Erde, und wenn es geschieht, breiten sie ihre Flügel aus und stützen sich auf sie und den Schwanz, ohne sich ihrer Füße zu bedienen (?). Gosse fand in den Magen der von ihm zergliederten Potus immer nur die Ueberreste verschiedener Käfer und anderer größeren Kerbthiere. Sie aber bilden nicht die einzige Beute, welcher der Schwalk nachstrebt. Von einer Art erfuhr Euler durch einen verläßlichen Beobachter, daß sie auch bei Tage und in absonderlicher Weise Jagd betreibt. Der Erzähler hatte den Vogel auf einer Viehweide [354] angetroffen, woselbst er auf einem Baumstamme anscheinend regungslos saß. Bei näherer Beobachtung wurde er gewahr, wie jener von Zeit zu Zeit seinen Rachen aufsperrte und dadurch Fliegen anlockte, welche sich an der kleberigen Schleimhaut in Menge ansetzten. Wenn ihm nun die Anzahl der Schmarotzer der Mühe werth erschien, klappte er sein Großmaul zu und verschluckte die so gewonnene Beute. Diese ergiebige Fangart wiederholte er längere Zeit bei beständig geschlossenen Augen, und erst als der Beobachter ihn beinahe berührte, flog er ab. Das lang gezogene und traurige Geschrei der Schwalke vernimmt man mit wenig Unterbrechungen während der ganzen Nacht, und einer der Gatten des Paares beantwortet den Ruf des anderen. Die Stimme des Potu gleicht, nach Gosse, den Silben »Hohu«, welche zuweilen laut und heiser, zuweilen wiederum leise ausgestoßen werden und aus tiefster Brust zu kommen scheinen. Obgleich der genannte es bezweifelt, mögen die Eingeborenen doch wohl Recht haben, wenn sie angeben, daß der Vogel auch noch andere Laute hören lasse, ein Miauen nämlich, so kläglich, daß der Aberglaube in ihm Nahrung findet, und der Schwalk infolge dessen Gefahr läuft, getödtet zu werden. Einer von ihnen, welchen Gosse erhielt, verlor wenigstens nur seines kläglichen Rufes halber das Leben: die Frau des Hauses, in dessen Nähe er sich umhertrieb, vermochte das Geschrei nicht mehr zu ertragen und forderte ihren Gatten auf, den gefürchteten Unhold todtzuschießen. In den Augen der Neger gilt der Schwalk, wohl seines weiten Rachens halber, als eines der häßlichsten Wesen und dient deshalb zu nicht gerade liebsamen Vergleichen. Der größte Schimpf, welchen ein Neger dem anderen anthun kann, besteht in den Worten: »du bist so häßlich wie ein Potu«.

Azara sagt, daß der Urutau in hohlen Bäumen, Burmeister, daß er in ausgehöhlten, offenen Baumästen niste und in eine kleine Vertiefung zwei braune, dunkler gefleckte Eier auf das bloße Holzlege. Letzterer erhielt auch eines der Eier. Es war länglich rund, am dicken Ende kaum stumpfer als am spitzen, glanzlos und auf reinweißem Grunde mit graubraunen, lederbraunen und schwarzbraunen Spritzpunkten besetzt, welche gegen das eine Ende hin am dichtesten sich zusammendrängten.

Ueber das Betragen gefangener Schwalke geben Azara und Gosse Auskunft. Zu Ende December erhielt erstgenannter einen altgefangenen Vogel dieser Art und fütterte denselben mit klein gehacktem Fleische, bei welcher Nahrung er bis zum März aushielt. Als um diese Zeit die Winterkälte eintrat, wurde er traurig und verweigerte eine ganze Woche lang jegliche Nahrung, so daß sich Azara entschloß, ihn zu tödten. Dieser gefangene saß den ganzen Tag über unbeweglich auf einer Stuhllehne, die Augen geschlossen; mit Einbruch der Dämmerung aber und in den Frühstunden flog er nach allen Richtungen im Zimmer umher. Er schrie nur, wenn man ihn in die Hand nahm, dann aber stark und unangenehm, etwa wie »Kwa, kwa«. Näherte sich ihm jemand, um ihn zu ergreifen, so öffnete er die Augen und gleichzeitig den Rachen, so weit er konnte. Einen Potu, welchen man in einem waldigen Moraste gefunden hatte, pflegte Gosse mehrere Tage. Der Vogel blieb sitzen, wohin man ihn setzte, auf dem Finger ebensowohl wie auf einem Stocke, nahm hierbei aber niemals die bekannte Längsstellung der Ziegenmelker ein, setzte sich vielmehr in die Quere und richtete sich so hoch auf, daß Kopf und Schwanz in eine fast senkrechte Linie kamen. So saß er mit etwas gesträubtem Gefieder, eingezogenem Kopfe und geschlossenen Augen. Wurde er angestoßen, so streckte er den Hals aus, um das Gleichgewicht wieder herzustellen, und öffnete die großen glänzend gelben Augen, wodurch er mit einem Male einen höchst eigenthümlichen Ausdruck gewann. Uebertages geberdete er sich in der Regel, als ob er vollkommen blind wäre; wenigstens übte, auch wenn er mit offenen Lidern dasaß, das Hin- und Herbewegen eines Gegenstandes vor seinen Augen nicht den geringsten Eindruck aus. Ein- oder zweimal aber bemerkte Gosse, daß der nach jäher Oeffnung der Lider meist stark vergrößerte Stern sich plötzlich bis auf ein Viertheil der früheren Ausdehnung zusammenzog, wenn man die Hand rasch gegen das Auge bewegte. Unser Gewährsmann hatte später, bei Beleuchtung mit Kerzenlicht, Gelegenheit, die ebensowohl hinsichtlich der Ausdehnung wie der Schnelligkeit außerordentliche Beweglichkeit des Auges kennen zu lernen. Hielt man die brennende Kerze ungefähr einen Meter vom Auge ab, so [355] war der Stern fast bis auf zwei Centimeter ausgedehnt und nahm den ganzen sichtbaren Kreis des Auges ein, so daß die Iris einen kaum wahrnehmbaren Kreis bildete. Brachte man dagegen das Licht bis dicht an das Auge, so zog sich der Stern bis auf einen Durchmesser von fünf Millimeter zusammen, und zwar mit derselben Schnelligkeit, mit welcher man die Bewegung des Lichtes ausführen konnte. »Als die Nacht anbrach«, erzählt Gosse weiter, »erwartete ich, daß er sich ermuntern würde. Allein er rührte sich weder, noch zeigte er irgend welche Regung des Lebens. Obgleich ich auf letztere bis zur vollen Dunkelheit wartete, auch im Laufe des Abends wiederholt in den ihm angewiesenen Raum ging, bemerkte ich doch bis zehn Uhr nachts keine Bewegung. Als ich gegen drei Uhr morgens wiederum mit einem Lichte in der Hand mich zu ihm begab, hatte er seine Stellung nicht verändert, und als endlich der Tag anbrach, saß er noch immer unbeweglich auf seinem Platze, so daß ich glauben mußte, er habe sich während der ganzen Nacht nicht gerührt. So verblieb er während des ganzen folgenden Tages. Ich steckte seinen Schnabel in das Wasser und ließ einige Tropfen davon auf denselben fallen: er weigerte sich zu trinken. Ich fing ihm Käfer und Schaben: er beachtete sie nicht; ich öffnete seinen Schnabel und steckte ihm die Kerbthiere in den breiten, schleimigen Mund: er warf sie augenblicklich mit ärgerlichem Schütteln des Kopfes aus. Gegen Abend jedoch begann er plötzlich warm zu werden, flog einige Male ab und flatterte dann auf den Boden oder zu einem Ruheplatze zurück. Verschiedene kleine Kerfe umflogen meine getrockneten Vogelbälge, und ich nahm an, daß er wohl einige von ihnen fangen möge, weil sein Auge dann und wann einen raschen Blick auf irgend einen Gegenstand warf und um sich schaute, als ob es dem Gange desselben folgen wollte. Die Behauptung Cuviers, daß die Verhältnisse der Schwalke sie vollständig untauglich machen, sich vom ebenen Boden zu erheben, sah ich widerlegt; denn mein Vogel erhob sich ungeachtet der Kürze seiner Fußwurzeln ohne alle Schwierigkeit von dem Fußboden des Raumes. Wenn er hier aß, waren seine Flügel gewöhnlich etwas gebreitet; wenn er auf einem Zweige hockte, erreichten sie ungefähr die Spitze des Schwanzes. Falls ich von dem wenigen, was ich über das Gebaren des freilebenden Potu beobachtet und meinem gefangenen abgelauscht habe, zu urtheilen wagen darf, muß ich annehmen, daß er ungeachtet seiner kräftigen Schwingen wenig fliegt, vielmehr von einer Warte aus seine Jagd betreibt und nach geschehenem Fange nächtlicher Kerbthiere wiederum zu seinem Sitze zurückkehrt. Da mein Potu nichts fressen wollte, entschloß ich mich ihn zu tödten, um ihn meiner Sammlung einzuverleiben. Um ihn umzubringen, drückte ich ihm die Luftröhre zusammen, fand aber, daß ich mit aller Kraft meiner Finger sie nicht so weit zusammenpressen konnte, um ihn am Athemholen zu verhindern. Ich war deshalb genöthigt, ihm einige Schläge auf den Kopf zu versetzen. Während er, sehr gegen mein Gefühl, diese Streiche empfing, stieß er ein kurzes, heiseres Krächzen aus. Mit dieser einzigen Ausnahme war er bis dahin während der ganzen Zeit vollkommen stumm gewesen. Jede Belästigung hatte ihn gleichgültig gelassen und nur, wenn ich ihn wiederholt dadurch erregt hatte, daß ich ihm irgend einen Gegenstand vorhielt, öffnete er zuweilen seinen ungeheueren Rachen, anscheinend um mich zurückzuschrecken, zeigte jedoch niemals die Absicht, irgend etwas zu ergreifen.«

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 353-356.
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