Alpensegler (Cypselus melba)

[387] Der Alpen- oder Felsensegler, Berg- und Münsterspyr, Alpenhäkler, die Alpen-, Berg- und Gibraltarschwalbe, und wie er sonst noch genannt werden mag (Cypselus melba, alpinus, gutturalis, gularis und Layardi, Hirundo melba und alpina, Apus und Micropus melba), erreicht eine Länge von 22, eine Breite von 55 bis 56 Centimeter; die Fittiglänge beträgt 20, die Schwanzlänge 8,5 Centimeter. Alle Obertheile, die Kopfseiten und unteren Schwanzdecken haben dunkel rauchbraune Färbung, die Federn äußerst feine, stahlbräunliche Endsäume. Ein ausgedehntes Kinn- und Kehlfeld sowie die Brust, Bauch- und Aftergegend sind weiß, so daß auf der Oberbrust nur ein braunes Band sichtbar wird, welches, beiderseits den Raum zwischen Schnabelwurzel und Schulter einnehmend, auf der Mitte der Brust merklich sich verschmälert. Die Schwingen sind dunkler braunschwarz als die Federn der Oberseite und durch deutlich erzgrünen Schimmer ausgezeichnet; ihre Unterseite wie die der Steuerfedern glänzt graubraun. Das Auge ist dunkelbraun, der Schnabel schwarz, der nackte Fuß ebenso gefärbt.

Als den Brennpunkt des Verbreitungskreises dieses stattlichen Seglers haben wir das Mittelmeerbecken anzusehen. Von hier aus erstreckt sich das Wohngebiet einerseits bis zu den Küsten Portugals, den Pyrenäen und Alpen, andererseits bis zum Atlas und den Hochgebirgszügen Kleinasiens, buchtet sich aber nach Osten hin, dem Kaspischen Meere und Aralsee folgend, bis zum nördlichen Himalaya aus. Demgemäß bewohnt der Vogel alle geeigneten Gebirge Spaniens, insbesondere die der Mittelmeerküste, die Alpen an vielen Stellen, sämmtliche höheren Gebirge Italiens und aller Inseln des Mittelländischen Meeres, die geeigneten Bergzüge der Balkanhalbinsel, die transsylvanischen Alpen, steile Felsenwände der Krim, des südlichen Ural und der Gebirge Turkestans bis Kaschmir, einzelne Stellen Persiens, wohl den größten Theil Kleinasiens, Syriens und Palästinas und endlich den Atlas als Brutvogel, siedelt sich als solcher aber gelegentlich auch weit jenseit der Grenzen dieses ausgedehnten Gebietes an: so, nach Heu glins Beobachtungen, in den Hochgebirgen von Habesch, namentlich in den unzugänglichsten senkrechten Basaltwänden von Tenta in Woro Heimano, ebenso, laut Jerdon, hier und da in Ostindien an Felsenwänden, welche seinen Anforderungen entsprechen. Auf keiner der genannten Oertlichkeiten aber ist der Alpensegler Standvogel, im Norden seines Gebietes vielmehr regelmäßiger Zug-, in den übrigen vielleicht Wander-, mindestens Strichvogel.

Er erscheint weit früher als sein Verwandter, der Mauersegler, an der Südküste des Mittelländischen Meeres, laut Tristram bereits um die Mitte des Februar in Syrien, nach Krüpers Beobachtungen zu Ende des März in Griechenland, nicht viel später auch in der Schweiz. Der Zeitpukt seines Kommens schwankt hier nach den jeweiligen Witterungsverhältnissen zwischen Ende März und Mitte April. Nach den von Girtanner mitgetheilten Beobachtungen des sehr zuverlässigen und verständnisvollen Reinhard, Oberwächters auf dem Münsterthurme zu Bern, zeigen sich im Frühjahre zwei bis drei Stück, welche mit gellendem Geschrei ihre alte Heimat umkreisen, um sofort mit der Ueberzeugung, daß dieselbe noch vorhanden und von stundan zu beziehen sei, wieder zu verschwinden, bald nachher schon in größerer Gesellschaft zurückkehren, bis nach Verlauf von etwa acht Tagen der ganze im Frühjahre auf einhundertundfunfzig Stück zu veranschlagende Schwarm eingerückt ist. Wenn aber, was nicht gerade selten, nach ihrer Rückkehr noch herber und einige Tage lang dauernder Frost oder gar Schneefall eintritt, gehen ihrer viele zu Grunde. So [387] berichtet Reinhard, daß er im Jahre 1860, gegen Ende April, nach einem heftigen Schneegestöber dreiundzwanzig todte Alpensegler von den Gallerien und Balkengerüsten des Berner Münsterthurmes habe aufnehmen können, erklärlicherweise aber nicht im Stande sei, weder die Anzahl jener, welche in unzugänglichen Winkeln verhungert und erfroren, noch derer, welche entfernt vom Münster aus der Luft herabgefallen und umgekommen seien, anzugeben. Vor mehreren Jahren fand auch Girtanner auf dem Rosenberge bei St. Gallen im Anfange des Sommers einen sehr ermatteten und äußerst abgemagerten Alpensegler auf der Erde liegen, welcher wahrscheinlich diesen Ausfall auf Nahrung von den mit neuem Schnee bedeckten Appenzeller Alpen aus unternommen hatte. Ebenso wie im Frühjahre richtet sich im Herbste der Abzug nach dem Süden nach den Witterungs- und Nahrungsverhältnissen, schwankt daher zwischen Mitte September und Anfang Oktober.


Alpensegler (Cypselus melba) und Mauersegler (Cypselus apus). 1/2 natürl. Größe.
Alpensegler (Cypselus melba) und Mauersegler (Cypselus apus). 1/2 natürl. Größe.

Das Berner Münster wurde im Jahre 1866 Anfang Oktober, im Jahre 1867 am siebenten Oktober verlassen. Dagegen waren die Vögel im Jahre 1867 am zwölften Oktober noch vorhanden, obwohl sie durch Kälte und Schneegestöber so viel zu leiden gehabt hatten, daß auch um diese Zeit wieder mehrere von ihnen verhungert vorgefunden wurden. In einem an Girtanner gerichteten, mir freundlichst überlassenen Briefe vom dreizehnten Oktober 1869 zeigt Reinhard den Abzug mit [388] folgenden Worten an: »Die Alpensegler haben am siebenten dieses Monats morgens um sieben Uhr die Reise nach Afrika angetreten. Einige Tage, bevor sie abzogen, sind sie alle Morgen ungefähr um dieselbe Stunde von dem Thurme weggeflogen, in der Höhe, wo sie sich gesammelt, in einem Kreise umhergezogen und so hoch emporgestiegen, daß sie nur mit dem Fernrohre zu sehen waren, abends bei Sonnenuntergang aber wiedergekommen, um zu schlafen und auszuruhen. In dieser Zeit waren sie bei Nacht immer ruhig und still, was früher nicht der Fall war, wahrscheinlich infolge ihrer großen Ermüdung nach dem langen Fluge. Andere Jahre hat man noch nach dem Abzuge einige gesehen, welche mehrere Tage um den Thurm herumgeflogen sind. Dieses Jahr ist es ganz anders gewesen. Seit dem siebenten Oktober sind sie alle verschwunden, und kein einziger hat sich mehr sehen lassen.«

Gelegentlich seines Zuges überschreitet der Alpensegler nicht allzu selten die nördlichen Grenzen seines Verbreitungsgebietes und ist demgemäß wiederholt im Norden Deutschlands und ebenso in Dänemark und auf den Britischen Inseln beobachtet worden. So wurde er am achten Juni 1791 von Bechstein auf dem Thüringer Walde gesehen, am zweiundzwanzigsten März 1841 von dem Oberlehrer Bromirski auf dem Thurme von Wittstock ergriffen, am funfzehnten September 1849 in der Nähe der Stadt Koburg herabgeschossen, ein anderes Mal auch bei Zella St. Blasii den Fängen eines erlegten Wanderfalkens entrissen. Noch ein anderer Alpensegler, welcher in Mecklenburg erlegt wurde, befand sich früher, wie mir Eugen von Homeyer mittheilt, im Museum zu Rostock, ist jedoch durch die Motten zerstört worden. Borggreve bezweifelt ohne allen Grund sein Vorkommen an den genannten Orten und scheint nur einen Fall gelten lassen zu wollen, hat aber unzweifelhaft die betreffenden Stellen nicht nachgeschlagen. Die Angabe Bechsteins namentlich ist so bestimmt, daß man folgenden Worten des trefflichen Beobachters wohl Glauben schenken muß: »Die drei Vögel flogen so nahe und so lange um mich herum, daß ich deutlich genug ihre Größe und Farbe unterscheiden und sie daher nicht mit der Mauerschwalbe verwechseln konnte. Schade, daß ich keine Flinte hatte. Ihre Stimme war ein helles, reines, flötendes ›Scri Scri‹. Ich habe sie in der Folge nicht wieder gesehen«. Nicht minder bestimmt sind die übrigen Angaben, und nur die von Gloger herrührende Mittheilung, daß der Alpensegler auch im Riesengebirge vorkomme, scheint auf einer Verwechselung mit dem dort, nach eigenen Beobachtungen, in Felsenspalten nistenden Mauersegler zu beruhen. Auch auf Helgoland hat man den Alpensegler erlegt, und mahrscheinlich durchfliegt er unbeachtet viel häufiger unser Vaterland, als die Vogelkundigen annehmen mögen. Noch ungleich weiter als nach Norden hin führt ihn seine Winterwanderung. Wie sein Verwandter durchreist er buchstäblich ganz Afrika, trifft regelmäßig im Süden und Südwesten, am Vorgebirge der Guten Hoffnung wie im Namakalande ein und treibt sich über dem Tafelberge ebenso munter umher wie über den höchsten Zacken des Säntisgebirges. Ebenso sah Jerdon an den prachtvollen Felsenabstürzen bei den Fällen von Gairsoppa in ungefähr dreihundert Meter senkrechter Höhe über der Thalsohle tausende von Alpenseglern, welche, wie er sich ausdrückt, den Süden Indiens rastlos durchkreisend allabendlich hier sich versammeln.

»Niemand«, sagt Bolle, »wird den Bewohnern Capris den uralten Glauben nehmen, welcher die Felsensegler anstatt wie andere Vögel übers Meer zu ziehen, in den Klüsten der Insel selbst überwintern läßt. Diese guten Leute sind in der Thierkunde so stark wie Aristoteles. Warum, fragen sie pfiffig, fangen denn die Segler des Tages über so viele Fliegen, wel che sie in ihre Löcher tragen, auch ohne Junge darin zu haben?« Dieselbe Ansicht hegen auch die Bewohner des Montserrat, welche den Alpensegler unter dem Namen »Falsia blanca« von dem Mauersegler, ihrer »Falsia negra«, sehr wohl unterscheiden. Sie behaupten, daß jener während des ganzen Winters an den Felsenwänden des Monserrat sich aufhalte, wogegen dieser regelmäßig wandere. Die Abreise wie die Ankunft des Mauerseglers gaben sie mir so genau an, daß ihre Angabe hinsichtlich des Alpenseglers mindestens Beachtung verdient. Unmöglich ist es nicht, daß der Alpensegler wirklich in Spanien überwintert: thut dies doch bestimmt die Felsenschwalbe (Cotyle rupestris), welche mit ihm oft [389] denselben Aufenthalt theilt, und beobachtete ich doch, wie ich weiter unten nochmals zu erwähnen haben werde, den Mauersegler im Süden des Landes noch im November. Falls die Angabe begründet sein sollte, handelt es sich vielleicht gar nicht um dieselben Alpensegler, welche an den Wänden des Montserrat ihre Jungen groß zogen, sondern um andere, welche vom winterlichen Norden her in jener Herberge einrückten, während die Sommerbewohner, gleichsam ihnen Platz machend, weiter nach Süden zogen und Afrika durchwanderten.

Wir haben Recht, unseren Vogel Alpensegler zu nennen, obgleich er in unseren Alpen nirgends in solcher Masse auftritt wie im Süden. Hier erst sammelt er sich an einzelnen Stellen zu staunenerregenden Scharen. In den Alpen begegnet man ihm überall weit spärlicher. Girtanner zählt eine Reihe von Brutplätzen auf, zu denen er regelmäßig zurückkehrt. Alle Hochgebirgszüge der Schweiz beherbergen nach seiner Angabe einzelne Siedelungen; am häufigsten aber tritt der Vogel auch hier im Süden der Alpen, insbesondere in Wallis auf. Bekannte Nistplätze liegen im Oberhasli, Gemmi, Pletschberg und in den Felsen des Entlibuchs, an den riesigen Wänden des Urbachthales im Kanton Bern und manchen Felseneinöden des Heremancethales. Seltener als in der West- und Mittelschweiz findet man solche in der Ostschweiz; doch besitzt deren auch Graubünden und das Appenzeller Gebirge. Mehr nach Osten hin wird der Vogel immer seltener. In Tirol und in Kärnten nistet er nur an wenigen Stellen, im Bairischen Hochgebirge meines Wissens nirgends mehr, und so fragt es sich sehr, ob eine Angabe, daß er auch schon in Deutschland brütend gefunden worden sei, auf Wahrheit beruht. Aber abgesehen von seinen Felswänden, unter denen er wiederum die unmittelbar oder nahe am Meere liegenden allen übrigen bevorzugt, siedelt er sich auch auf verschiedenen hohen Gebäuden an und kehrt, wenn er hier einmal Besitz genommen, mit der allen Seglern eigenen Zähigkeit alljährlich dahin zurück. Solche Brutansiedelungen sind, um nur einige zu nennen, die Kirchen zu Bern, Freiburg und Burgdorf, ebenso wie die Thürme Portugals, namentlich der Provinz Algarve, die Moscheen Konstantinopels und einzelne hervorragende, auf Höhen gelegene Klöster der Krim.

Obwohl das Thun und Treiben, das Wesen und Gebaren des Alpenseglers im wesentlichen mit den Sitten und Gewohnheiten unseres allbekannten Mauerseglers übereinstimmen, gestaltet sich doch das Lebensbild des ersteren in mannigfacher Hinsicht anders als jenes des wohl jedem meiner Leser bekannten Bewohners unserer Städte. Ueber seine Lebensweise liegen vielfache Berichte vor, und namentlich die neueste Zeit hat durch Beobachtungen deutscher, englischer und italienischer Forscher unsere Kenntnis des Vogels wesentlich bereichert: alles aber, was über den Alpensegler gesagt werden kann, ist in zwei köstlichen Schilderungen enthalten, welche wir Bolle und Girtanner verdanken. Sie sind es daher auch, welche ich dem nachfolgenden zu Grunde lege.

»Bald nach seiner Ankunft auf den alten Brutplätzen«, sagt der letzgenannte, durch seine trefflichen Beobachtungen hervorragende Forscher, »beginnt der Bau neuer und die Ausbesserung alter Nester. Die Neststoffe sammeln die Alpensegler, da sie wegen der Schwierigkeit, sich vom Erdboden wieder zu erheben, denselben wohl nie freiwillig betreten, in der Luft. Sie bestehen aus Heu, Stroh, Laub ±., Gegenständen, welche der Wind in die Lüfte entführt, und welche sie nun fliegend erhaschen. Andere gewinnen sie, indem sie, reißend schnell über einer Wasserfläche oder dem Erdboden dahinschießend, dieselben von ihm wegnehmen, oder sie klammern sich an Gemäuer an und lesen sie dort auf. Den Mörtel, welcher alle diese Stoffe zu einem Neste verbinden soll, müssen sie nicht wie ihre Verwandten, die Schwalben, vom Boden aufheben; sie tragen ihn vielmehr beständig bei sich: die Absonderung ihrer großen Speicheldrüsen nämlich, eine zähe, halb flüssige Masse, ähnlich einer gesättigten Gummilösung. Trotz vielfacher Bemühungen, ein dem Gebirge entnommenes Nest zu erhalten, gelang mir dies nicht. Was ich über Nest und Nestbau weiß, bezieht sich auf die Vergleichung von sechs aus dem Berner Münsterthurme stammenden Nestern der Sammlung Dr. Stölkers. Vor allem fällt die zum Verhältnisse des Vogels außerordentliche Kleinheit auf. Das Nest stellt im allgemeinen eine runde, wenig ausgehöhlte Schale dar, von zehn bis zwölf [390] Centimeter Durchmesser am oberen Rande, vier bis sechs Centimeter Höhe und, übereinstimmend an allen sechs Nestern, drei Centimeter Muldentiefe. Ist, wie es scheint, ein so kleines Nest unserem Vogel passend, so durfte es auch keine tiefe Mulde haben, da er sonst mit seinen kurzen Füßen und so verlängerten Flügeln in Zwiespalt kommen mußte. Bei dieser geringen Tiefe der Mulde ist es nun aber trotz der langen Flügel möglich, mit den Füßen den Boden des Nestes zu erreichen. Sitzen beide Eltern oder eine Brut selbst sehr junger Vögel im Neste, so verschwindet es vollständig unter ihnen. Für den kleinen Körper allein bedarf der Alpensegler keines großen Nestes, und gegen das Herausfallen schützt sich alt und jung vermittels der tief in den Netzfilz eingegrabenen scharfen Nägel. Die sorgfältige Zerlegung eines solchen Nestes in seine einzelnen Bestandtheile ergibt, daß der Aufbau in folgender Weise geschieht. Auf die gewählte Niststelle, sei dieselbe nun ein Balken, eine Mauernische oder Felsenspalte, werden Stroh und dürre Grashalme, Laubtheilchen ±., theils in Kreisform, theils kreuz und quer, hingelegt, nachdem die Unterlage mit Speichel gehörig bestrichen und durch den Kitt so fest mit demselben verbunden worden ist, daß beim Wegnehmen eines ganzen Nestes nicht selten Späne eines morschen Balkens mitgenommen werden müssen. Dichter und aus starken Halmen geflochten wird nur der untere Nestrand, welcher sich dem gegebenen Raumverhältnisse anpaßt und die Vögel oft die ursprünglich runde Form zu verlassen zwingt, und auch dieser Theil mit der Unterlage verkittet. Auf dem Unterbau wird das Nest weiter errichtet. Stößt es seitlich an, so wird es auch dort angeleimt und besteht bei den vor mir liegenden Nestern fast ausschließlich aus einem äußerst dichten Filze von Gras, Knospenhüllen und Alpenseglerfedern. Papierschnitzel, Wurzelfasern und dergleichen werden äußerst selten angewendet. Sehr fest wird der obere Rand aus feinen, stark ineinander verfilzten Grashalmen und Federn, womöglich kreisrund, im Nothfalle aber halbrund oder eckig geflochten. Auch die innere Oberfläche erhält keine weitere Auskleidung. Wo sich die Niststoffe nicht ordentlich ineinander fügen wollen, wird immer gekittet und eine starke Alpenseglerfeder geknickt und gebogen. Der Speichel wird hauptsächlich angewendet bei Befestigung des Nestes auf die Unterlage, dem oberen Rande und dem Unterbaue und zu gänzlichem Ueberziehen des inneren Muldenrandes. Der obere Nestrand wird dadurch gleichzeitig gekittet und gehärtet, sowie übrigens das ganze Nest durch diesen an der Luft sehr bald hart und glänzend werdenden Leim an Derbheit sehr gewinnt. Bei einem der Nester ist in den Unterbau ein junger Alpensegler mit Ausnahme eines Flügels vollständig eingebaut worden. Daraus, daß er im untersten Theile des Nestes als Baustoff benutzt wurde, läßt sich schließen, daß es ein junger aus einem früheren Jahrgange war, welcher, aus einem Neste herausgefallen, an dieser Stelle zu Grunde ging, dort ein- und antrocknete und deshalb von den später gerade hier ihr Nest bauen wollenden Vögeln nicht entfernt werden konnte. Die Einbauung des Leichnams ist so vollkommen, daß selbst der weit offen stehende Rachen mit Heu und dergleichen vollgestopft wurde. Auf eine andere Eigenthümlichkeit, welche auch an einem dieser Nester zu beobachten ist, macht Fatio aufmerksam, daß nämlich der bauende Alpensegler offenbar häufig die Gelege der in seiner Nachbarschaft brütenden Sperlinge zur Vollendung seines eigenen Nestes mitbenutzt. Das betreffende Nest ist außen nicht selten stellenweise mit einem gelben Ueberzuge versehen, welcher nur von jenen Eiern herrühren kann. Zum Ueberflusse kleben oft noch große Stücke von Sperlingseierschalen an den Wänden des eben fertig gewordenen Seglernestes.« Ich will hier einmal vorgreifen und bemerken, daß der Mauersegler genau ebenso rücksichtslos mit der Brut anderer Vögel umgeht, glaube daher, daß der Alpensegler nicht anders verfährt als er, nämlich ein vom Sperlinge bereits gebautes und belegtes Nest einfach in Beschlag nimmt, nur mit dem ihm beliebten Baustoffe überdeckt und bei der Verkittung derselben die Eier zerbricht, nicht aber sie aus einem benachbarten Neste herbeiträgt.

Gewöhnlich Anfang Juni, oft schon bevor das Nest halb vollendet wurde, beginnt das Eierlegen, und zwar folgt eines dem anderen in je zwei Tagen, bis das Gelege mit drei bis vier Eiern vollzählig wurde. Das Ei ist, laut Girtanner, immer milchweiß, glanzlos wie ein Gipsmodell und auch so anzufühlen, das Korn mittelfein. Gegen das breite Ende des Eies und auf demselben zeigen [391] sich gröbere, kalkige Auflagerungen, und ebenso sind ziemlich zahlreiche Poren überall sichtbar. Die Form wechselt von der lang gestreckten, allmählich spitz zulaufenden des Eies bis zum fast vollständigen eirund. Der Längendurchmesser von zehn Eiern, welche Girtanner aus einer Reihe von vierzig Stück auswählte und maß, schwankt zwischen neunundzwanzig und dreiunddreißig, der Breitendurchmesser zwischen neunzehn und zweiundzwanzig Millimeter. Jedoch ist meist nur der eine Durchmesser auf Kosten des anderen größer und der Inhalt wie das Gewicht des Eies daher fast immer gleich. Wie der Verwandte, so brütet auch der Alpensegler nur einmal im Jahre.

Wohl kein einziger Beobachter, welcher den Alpensegler im Freien sieht, vermag sich des tiefen Eindruckes zu erwehren, welchen der Vogel auf jedes unbefangene Gemüth ausüben muß. Erhöht wird der Eindruck noch wesentlich durch die Großartigkeit der Umgebung, die erhabene Landschaft des Wohngebietes dieses stolzen und gewaltigen Fliegers. Anziehend und fesselnd wie immer schildert Bolle sein Zusammentreffen mit dem Alpensegler. Er befand sich auf Ischia, und es war am achten Juni nachmittags. »›Tritetirrrrrrr‹ erklang es in der Sommerluft über mir. Spielend jagte sich ein Pärchen durch den hohen Aether. Wie konnte ich den Vogel verkennen! Vaterland, Größe und die blendendweiße Unterseite verriethen ihn mir augenblicklich. Bald gewahrte ich, ohne meinen Dünensitz zu verändern, ihrer mehrere. In außerordentlicher Menge bewohnen sie den hohen Felsberg, welcher inselartig, obwohl mit dem Festlande durch einen Damm verbunden, das Kastell der Stadt Ischia auf seinem Scheitel trägt. Sie mögen aber wohl alle Vorgebirge der Insel in Beschlag genommen haben. Die Punta del Imperatore, welche die Westklippe der Insel bildet, ist ein wundervoller Ort mit seinen schaumspritzenden Brandungen, hoch über dem purpurblauen Meere voller Lavatrümmer, weit hinausschauend bis gegen das Vorgebirge der Circe und die Ponzainseln. Von der Höhe dieser Punta del Imperatore aus sieht man, ein prachtvoller Anblick, die Alpenseglerflüge scheinbar ganz niedrig über der See kreisend. Sich abhebend von dem Dunkelblau der Fluten, erscheinen sie dem Auge silberweiß; ich weiß nicht, ob durch irgend eine optische Täuschung erzeugt, durch eigenthümliche Brechung der Lichtstrahlen auf ihrem doch nicht metallischen Gefieder, oder weil sie schiefen Fluges den hellfarbigen Unterkörper etwas nach oben wenden. Aber auch auf Capri habe ich sie wiedergefunden, die Segler der Lüfte, und als alte Freunde begrüßt. In manch einsamer Stunde sind sie dort meine alleinige Gesellschaft gewesen. Ueberall, wo man an den schwindelnden Rand der Felsenriesen tritt und unten im Boote an ihrem vom Meere umspülten Fuße entlang fährt, sieht man sich von den lauten Schwärmen dieser Vögel umringt. Eine Siedelung derselben reiht sich an die andere wie ein ununterbrochener, das Eiland umschlingender Gürtel. Oft habe ich auf der Ostklippe, welche durch die Trümmer ihres Kaiserpalastes das Andenken an die düstere und einsiedlerische Imperatorengestalt des Tiberius in die Gegenwart hinüberträgt, stundenlang gesessen. Wenn so das Auge zurückkehrte aus den lichten Fernen der gegenüber sich ausbreitenden Landschaftsbilder, vom Vesuv und von Somma, vom Vorgebirge der Minerva oder jenseit der Sirenen, von dem verschwindenden Horizonte des Salernobusens, und ich, über die Böschung gelehnt, voll wollüstigen Schauderns den Grund der ungeheueren Tiefe mit den Augen suchte, ohne ihn anders als in dem Schimmern der Meeresfläche zu finden, über welche wohl wie ein Punkt auf himmelblau gemarmeltem Grunde ganz langsam eine Möve hinglitt: da waren es unwandelbar die Felsensegler, welche das Luftmeer unter mir belebten. Unter der fast vierhundert Meter hohen Klippe Salto di Tiberio schienen sie mir des Gesetzes der Schwere zu spotten.«

Auch ich habe die Alpensegler einmal in einer so großartigen Landschaft gesehen, wie sie solche nur irgendwo bewohnen können: auf dem Gipfel des Montserrat in Katalonien. Bis zu etwa anderthalbtausend Meter über das ihn umgebende Land erhebt sich dieser einzeln stehende Berg. Tausende von Felskegeln der eigenthümlichsten Art setzen ihn zusammen, bauen sich übereinander und ragen endlich wie gewaltige Obelisken nebeneinander empor. Tiefe Schluchten, welche furchtbare Abgründe bilden, senken dazwischen sich ein. Ueber ein weites reiches Land schweift das Auge, bis die Seele trunken wird im Schauen. Von Norden her glänzen die schneeigen Gipfel der [392] Pyrenäen herüber, flimmernd und schimmernd in glühender Beleuchtung; nach Osten hinschweift der Blick über das tiefblaue Mittelmeer, aus welchem in weiter Ferne, vom leichten Dufte halb verhüllt, die Balearen aufsteigen; nach den übrigen Seiten hin haftet das suchende Auge an zerrissenen Bergen und Gebirgsketten ohne Zahl. An einem der gewaltigen Obelisken hat der Alpensegler eine Siedelung gegründet und auch dem verwandten Mauersegler gestattet, an derselben Felswand sich einzunisten. Kein einziger unserer kleinen vogelsammelnden und beobachtenden Gesellschaft konnte dem Gelüste widerstehen, auf die Alpensegler zu jagen, welche das »Roß des heiligen Ferdinand«, wie der erwähnte säulenartige Felsblock im Munde des Volkes genannt wird, zu tausenden umschwirrten. Ihre Nester befinden sich in einer mächtigen Felsenburg hoch über dem Fuße der senkrecht abfallenden Wand. Ich betrat das durch eine schmale Felsenzunge mit dem übrigen Berge zusammenhängende, wie eine Insel aus dem Meere oder wie der Eckthurm einer Riesenfeste aufstrebende Felsstück, um auf die flüchtigen Segler zu fahnden, und schaute in den ungeheueren Abgrund hinab, welcher sich zu meinen Füßen öffnete und erst in dem felsigen, vom Llobregat rauschend durchtobten Flußthale sein Ende zu finden schien. Auf der anderen Seite meines schmalen Standortes wagte ich, der ich nie Schwindel gekannt habe, nicht hinabzusehen. Mir grauste. Ein herabgeworfener Stein brauchte lange Zeit, ehe er wieder auf Felsen fiel; der Schall des durch den Aufprall bewirkten Geräusches drang erst neun Sekunden nach dem Wurfe des Steines zu uns hinauf. Viele, viele Alpensegler in förmlichen Reihen hinter einander durchflogen den engen Paß, welcher sich zwischen dem einzelnen Felskegel und den übrigen Gebirgsmassen einsenkte und die alleinige Stelle war, welche uns erlegte Beute auch bewahrt haben würde. Aber es gelang mir nicht, einen einzigen der Vögel herabzuschießen: die ungeheuere Ausdehnung der mich umgebenden Massen raubte den sicheren Blick des Schützen, indem sie mir jedes Maß zur Vergleichung nahm. Nach einigen vergeblichen Versuchen setzte ich mich nieder, legte das Gewehr auf den Boden und begnügte mich, den herrlichen Vögeln mit den Augen zu folgen, bis längst überwundene Flugessehnsucht wieder einmal über mich kam und des Dichters Worte mir über die Lippen flossen:


»Ach, zu des Geistes Flügeln wird so leicht

Kein körperlicher Flügel sich gesellen.«


Weit hinaus aufs Meer wagen sich außer der Zugzeit die Felsensegler nicht. Bolle versichert, mehrmals zu Schiff an der großen Felsenhalbinsel des Monte Argentaro im südlichen Toscana vorübergekommen zu sein, ohne sie, welche dort sehr häufig sind, das Fahrzeug umkreisen zu sehen. »Und dennoch verdient der Vogel den Namen ›Rondone marino‹, zu deutsch ›Meersegler‹, welchen er in Toscana trägt, weil er felsige Meeresufer jedem anderen Aufenthalte vorzieht und in Italien niemals zum Städtebewohner wird wie in der Schweiz oder in Portugal. Häufig sieht man ihn in Italien in ganz niedrig gelegene Grotten schlüpfen und durch Schaum und Gischt der Wellen seinen Flug nehmen.

Sieht man die Vögel hoch über sich schweben, so hat ihr Flug etwas entschieden Falkenartiges. Lange segeln sie, ohne einen Flügelschlag zu thun. Dann folgen ein paar hastige, unterbrochen von plötzlichem geraden und schiefen Herabstürzen aus der Höhe. Oefters sondert sich aus einer Gesellschaft, welche sich überhaupt abwechselnd zerstreut und zusammenfindet, ein Pärchen ab, umspielend in die Luft emporzusteigen. Bis in die tiefe Abenddämmerung hinein sind sie in Bewegung, wechseln dann jedoch den Platz und die Beschäftigung. Ueber allen Massarien, den sehr mannigfaltig und reizend gemischten, bebauten Strecken des der Küste nicht zu fern gelegenen Landes, namentlich in den Wein- und Obstgärten, sieht man sie jetzt ruhigen, schwimmenden Fluges und niedrig wie Schwalben hingleiten, jeden Vogel für sich, lautlos, nicht mehr tändelnd mit seinesgleichen, sondern eifrig mit dem Aufsuchen von Kerbthiernahrung beschäftigt. Um Sonnenuntergang sind sie bereits vollständig dieser Thätigkeit anheimgegeben, welche auf eine besondere Vorliebe für nächtliche Kerfe hindeutet. Wie ganz anders doch der Mauersegler, welcher [393] gerade um diese Stunde truppweise am lautesten lärmt. Wäre nicht die Größe und wären nicht die langen spitzigen Flügel nebst der dunkleren Oberbrust, man könnte den Felsensegler dann der leicht und deutlich sichtbaren Unterseite halber für eine Hausschwalbe ansehen. Er gaukelt förmlich durch die Luft. Man gewahrt, wie er inne hält, um nach einer Beute zu schnappen; manchmal rüttelt er auch. Wie unedel erscheint doch neben dem Vogel die ihm zur Seite flatternde kleine Fledermaus, welche hier und in den Straßen Neapels so häufig ist und nachmittags oft schon bei hellem Tageslichte fliegt.«

In demselben Grade wie der Alpensegler das Luftmeer beherrscht, zeigt er sich unbehülflich, wenn er durch Zufall auf flachen Boden fiel. Girtanner hat über das viel besprochene Unvermögen dieses Seglers, vom Erdboden aus zum Fluge sich zu erheben, Versuche angestellt, aus denen folgendes hervorgeht. In einem großen Zimmer möglichst nahe an die Decke desselben gebracht, ließen sie sich fallen, breiteten dann schnell die Flügel aus und kamen in einem gegen den Boden gewölbten Bogen diesem nahe, erhoben sich nun allmählich wieder und waren im Stande, einige Kreise zu beschreiben, hängten sich jedoch bald irgendwo an, da ihnen zu größeren Flugübungen der Raum zu mangeln schien. Der gleiche Versuch in einem kleinen Zimmer ausgeführt hatte zur Folge, daß sie die entgegengesetzte Zimmerwand berührten, ehe sie sich wieder erhoben hatten, anstießen und immer zu Boden fielen. Von diesem aus waren sie nie im Stande, frei sich zu erheben. Denselben mit den ausgebreiteten Flügeln peitschend, die Füße an den Körper angezogen, stoben sie dahin, bis sie die Wand erreichten. Hier, selbst an einer rauhen Mauer, hinaufzuklettern, vermochten sie nicht. »Es besteht wohl kein Zweifel«, meint Girtanner, »daß sie, wenn sie in der Freiheit auf die Erde gelangten, dieselben Bewegungen ausführen. War der Vogel so glücklich, auf ein Hausdach oder die Oberfläche eines Felsens zu fallen, so hilft er sich auf die genannte Weise bis an den Rand, über welchen er sich, um freien Flug zu gewinnen, einfach hinabstürzt. Auf weiter Fläche aber, deren Ende er flatternd nicht zu erreichen vermag, oder in einem von senkrechten Wänden umgebenen Raume ist er unfehlbar dem Tode preis gegeben. Es wird indessen versichert, daß ihm, wie auch einem hülflos auf der Erde liegenden Mauersegler, durch seinesgleichen in der Weise aus der Noth geholfen werde, daß andere seiner Art pfeilschnell an dem verunglückten hinschießen, diesen nicht selten vom Boden aufzureißen und wieder in Flug zu bringen vermögen. Ich bezweifle die Möglichkeit einer solchen Hülfeleistung nicht, um so weniger, als ich mich mit Vergnügen einer mit stark beschnittenen Flügeln frei umhergehenden Dohle erinnere, auf welche eine Gesellschaft in der Abreise begriffener wilder auf das Geschrei der gestutzten herbeieilte und sie vor meinen Augen mit großer Beharrlichkeit in die Lüfte zu entführen versuchte, indem sie dieselbe zu wiederholten Malen mit dem Schnabel an die Flügel faßten, ziemlich hoch in die Luft hoben und von ihrem edlen Vorhaben erst abstanden und abzogen, als sie sich von der Nutzlosigkeit ihrer Anstrengungen überzeugt hatten.« Ich meinestheils will Girtanners Zweifel nicht bestreiten, kann aber seiner Meinung, daß ein auf den Boden gerathener Segler dem Tode preis gegeben sei, nicht beitreten. Er behilft sich unzweifelhaft in derselben Weise wie der Mauersegler in gleichem Falle. Aber freilich darf man ihn nicht im engen Raume eines Zimmers auf den Boden legen, um letzteres zu erfahren, muß sich vielmehr im Freien einen Ort erwählen, welcher dem geängstigten Thiere weite Umschau und dadurch wohl das nöthige Selbstvertrauen gewährt.

»Sind viele Alpensegler zusammen«, bemerkt Bolle, »so wird ihr Ruf zu einem lang gezogenen Trillern, in welchem ein deutliches R vorwaltet und am Anfange und zu Ende etwas vom I sich einmischt. Es ist dies ein Naturlaut, welcher sehr gut zu dem wilden, aber lichtumflossenen Gepräge der von diesem Segler bewohnten Uferlandschaften paßt, je nach dem Kommen und Gehen der Vögel sich verstärkend oder verklingend, um immer aufs neue wieder an das Ohr des Beobachters zu schlagen. Es gewinnt an Deutlichkeit durch seine anhaltende Dauer, ich möchte sagen, durch seine einförmige Unaufhörlichkeit.« Einzeln fliegende Felsensegler rufen in der Luft »Ziep ziep«. Es ist dies wohl der Lockton, ihresgleichen zu sich einzuladen; sind ja doch auch stets mehrere in Sicht.

[394] Fesselnd, wie der erste Eindruck, ist auch die Beobachtung des täglichen Lebens und Treibens der Alpensegler. »Die Umgebung eines alten Thurmes, ja eines ganzen Gebirgszuges, welcher einer größeren Gesellschaft dieser zwar geselligen und doch immer streitsüchtigen, außerordentlich wilden und stürmischen Vögel zur Heimat dient«, so schildert Girtanner, »wird durch ihr Leben und Treiben ungemein belebt. War schon während der ganzen Nacht des Lärmens und Zankens in den Risthöhlen kein Ende, so daß schwer zu begreifen ist, wie sie die so nöthig erscheinende Ruhe finden, so entfaltet sich doch mit Anbruch des Tages erst recht ihr wildes Treiben. Noch sieht der junge Tag kaum in die dunkle Felsenspalte hinein, so schicken sich deren Bewohner auch schon an, sie zu verlassen. Mühsam kriechend, die Brust fest auf den Boden gedrückt und mit den Flügeln eifrig nachhelfend, streben sie, die Oeffung der Höhle zu erreichen. Dort angekommen, hat alle Noth für die Dauer des Tages ein Ende. Mit gellendem Geschrei, welches von Zeit zu Zeit in einen schrillenden Triller übergeht, in die lautlose Dämmerung hinausrufend, auf die düstere Stadt, die dunkle Waldschlucht hinabjauchzend, schwebt jetzt die wunderliche Schar räthselhafter Gestalten durch die frische Morgenluft dahin, im Fallen erst die nie ermüdenden Schwingen zum Fluge ausbreitend. Bis in Höhen kreisend, in denen das unbewaffnete Auge sie nicht zu erreichen vermag, scheint sie plötzlich der Gegend ihres nächtlichen Aufenthaltes entrückt zu sein. Doch schon ist sie wieder sichtbar. In unendlicher Höhe flimmern die tadellos weißen Bäuche, die glänzenden Flügel, wie Schneeflocken im Sonnenglanze. Jetzt umtobt sie wieder, bald jagend, bald spielend, immer aber lärmend, das heimatliche Felsrevier. So bringt sie, inzwischen der klaren Morgenluft Nahrung abjagend, bei freundlicher Witterung den ganzen langen Morgen zu. Wird später die Hitze drückend, so zieht sie sich ihren Höhlen zu, und still werden die Segel eingezogen. Denn sie läßt die größte Hitze lieber in den kühlen, schattigen Felsnischen liegend vorübergehen. Offenbar schläft dann die ganze Bande; wenigstens ist in dieser Zeit fast kein Laut zu hören, und erst der Abend bringt wieder neues Leben. In großen, ruhigen Kreisen bewegt sich der Schwarm durch einander, im vollen Genusse unbedingter Freiheit. Von Beginn der Abenddämmerung bis zu ihrem Erlöschen hat wilde, zügellose Fröhlichkeit die Oberhand, und noch spät, wenn die Straßen der Stadt und die belebten Alpentriften schon lange öde geworden sind, müssen sie noch diesen wilden Gesellen der Lüfte zum Tummelplatze dienen. Bei unfreundlichem, regnerischem Wetter würde unser Lärmmacher freilich lieber zu Hause bleiben; der Nahrung wegen aber muß er doch einen Flug unternehmen. Unter solchen Umständen zieht er mehr einzeln, eifrig Kerbthiere fangend, über die Alpenweiden hin oder verfolgt stillschweigend den Lauf eines Flüßchens, welches ihm Libellen und dergleichen liefern soll, und der stolze Gebirgsbewohner ist dann froh und zufrieden, schweigsam durch die Thalsohle streichend, seinen Hunger stillen zu können. Tritt in dem höheren Alpengürtel starke Wetterkühlung ein, oder tobt eines jener majestätischen Hochgewitter durch das Gebirge, so läßt er sich wohl auch im Thale sehen. Nach langer Trockenheit ist ihm ein warmer Regen sehr willkommen; trinkend, badend und gleichzeitig seiner lästigen Schmarotzer sich entledigend, schwärmt er dann im Kreise über seiner Wohnstätte, und selbst der dem Brutgeschäfte obliegende soll sich diesen Genuß nicht versagen können.

Dieses ungebundene Leben dauert fort, bis das Nest mit Eiern besetzt ist, deren Bebrütung der freien Zeit schon Abbruch thut. Ist aber das Gelege ausgeschlüpft, so ist einzig die volle Thätigkeit auf Herbeischaffung der nöthigen Nahrung gerichtet. Mit wahrer Wuth, den Rachen weit aufgesperrt, schießt der Vogel jetzt nach allen Richtungen dahin, und wo ein Kerbthier seinen Weg kreuzt, hängt es im nächsten Augenblicke auch schon an dem kleberigen Gaumen. Weiter stürmt er in wilder Jagd, bis so viele Kerfe gesammelt worden, daß sie im Rachen einen großen Klumpen bilden. Mit ihm eilt er dem Neste zu und stößt ihn dem hungrigsten Jungen tief in den Schlund. Da die Jungen natürlich erst ausfliegen, wenn sie ohne vorherige Flugversuche gleich in die weiten Lüfte sich hinauswerfen dürfen, so dauert dieses Fütterungsgeschäft sieben bis acht Wochen. Drei Wochen nach Legung des letzten Eies schlüpfen die abwechselnd von beiden Eltern bebrüteten Jungen aus. [395] Sie sind in diesem Alter ganz mit grauem Flaume bedeckt wie junge Raubvögel. Die Federn, durch breite weiße Säume verziert, fangen zuerst an Kopf, Flügel und Schwanz an, sich zu zeigen. Die Füße sind vollständig nackt und rosenroth. Auch wenn das Gelege ursprünglich vier Eier besaß, so findet man nachher doch oft nur drei Junge vor, sei es, daß durch die immer stürmischen Bewegungen der Alten ein Ei zertrümmert oder ein Junges durch seine Geschwister aus dem engen Bette hinausgedrängt und hinabgestürzt wurde. Auch ihre weitere Entwickelung geht wohl wegen der nur mühsam in genügender Menge herbeizuschaffenden Nahrung langsam vor sich. Das kleine Nest aber verlassen sie schon lange vor dem ersten Fluge. Sie hängen sich an den Wänden der weiteren Nesthöhle an und werden auch, in derselben Stellung oft stundenlang verbleibend, von den Alten gefüttert. Endlich fliegen sie gegen Ende, frühestens Mitte August aus und lernen nun bald die Flugkünste der Alten. Denn schon naht der Abzug nach dem Süden.«

In der Regel führt der Alpensegler, geschützt sowohl durch die zu weiten Nachvorschungen wenig einladende Lage seiner Brutplätze als durch seinen beständigen Aufenthalt in hoher Luft und den reißenden Flug, ein ziemlich unbehelligtes Dasein. Nur Kälte und Hunger erreichen ihn dennoch und zehnteln ganze Siedelungen. Wie der Mauersegler kämpft er wüthend mit seinesgleichen und verkrallt sich in seinen Gegner dabei oft so, daß er mit ihm zu Boden stürzt, wo dann meist beide Kämpfer auf die eine oder andere Weise zu Grunde gehen. In der Schweiz läßt sich niemand, welcher seiner nicht zu wissenschaftlichen Zwecken bedarf, einfallen, ihn zu verfolgen; in Italien und Griechenland dagegen wird er noch jetzt, genau wie zu Geßners Zeiten, in der Luft geangelt. »Ein Knabe«, sagt Bolle, »liegt an steilem Klippenrande oder auf dem Dache eines Hauses ausgestreckt und so gut als möglich verborgen. Ein langes Rohr dient ihm zur Angelruthe bei seiner Luftfischerei. Himmelblau muß der feine Faden sein, welcher daran befestigt ist und an seinem äußersten Ende das zwischen Federn und Baumwolle versteckte Häkchen trägt. Es flattert im Winde zwischen anderen gelegentlich umhergestreuten Federn. Beim Schnappen danach, um sie zum Nestbau zu verwenden, wird der Vogel gefangen.« In Portugal verfährt man, wie Rey mir mittheilt, genau ebenso. In Griechenland spannt man, laut von der Mühle, zwischen zwei erhabenen Punkten Schnüre aus und bringt an denselben Roßhaare mit kleinen Angelhaken und Flaumfedern als Köder an, welche von den Vögeln, so lange sie zu Neste tragen, aufgenommen werden. Auch stellt man sich an einer Felsenspitze, um welche ein beständiger Luftzug weht, auf den Anstand und schießt einen nach dem anderen der vorüberstreichenden Vögel herab, um sie als beliebte Waare auf den Markt zu bringen. Abgesehen von solcher Bubenjägerei, wird der Alpensegler wohl nur noch durch einzelne Falken gefährdet. Auf Capri wohnt der Wanderfalk freilich oft dicht neben ihm und ist im eigentlichen Sinne des Wortes sein Nachbar; Bolle glaubt daher auch, daß er ihm wohl kaum etwas anhaben möge; aber der nicht minder fluggewandte Räuber fängt sie doch, wie die bereits gegebene Mittheilung unwiderleglich beweist. Lästige Feinde besitzt der Vogel endlich auch in allerlei Schmarotzern, welche ihn namentlich während der Brutzeit heimsuchen.

»Ein großer Nutzen im Haushalte der Natur«, sagt Girtanner, »kann unserem Alpensegler nicht gerade nachgewiesen werden; noch viel weniger aber lastet der leiseste Verdacht eines Schadens auf ihm. Durch sein Geschrei macht er sich nicht beliebt, und des Fleisches halber lohnt es sich hier zu Lande nicht, ihn zu jagen. Die außerordentliche Anzahl fliegender Kerbthiere, welche er vertilgt, ist aber wohl zu bemerken und der Eindruck, welchen er auf den Beobachter übt, ihm ebenfalls gutzuschreiben. Sein fröhliches Geschrei hoch über den unheimlich stillen Gehängen belebt die ödesten Felsen, und es lohnt sich wohl der Mühe, im Gebirge einem Schwarme der in der Sonne flimmernden Vögel zuzusehen, ihre Spiele und Kämpfe, ihr ganzes fesselndes Leben und Treiben zu beobachten.«

Obwohl vorauszusehen war, daß das Leben dieses Vogels in der Gefangenschaft ein sehr verkümmertes sein müsse, glaubte Girtanner doch den Versuch wagen zu dürfen, Alpensegler im Käfige zu halten. Alt eingefangene Vögel benahmen sich scheu und unbändig, stietzen bei jeder [396] Berührung ihr durchdringendes Geschrei aus, verkrochen sich in die dunkelste Ecke des Zimmers und blieben regungslos hier liegen, bis man sie wegnahm. Nachdem es ihnen einige Male gelungen war, ihre furchtbaren Nägel in die Hand des Pflegers einzukrallen, fand dieser es in der Folge gerathen, leberne Handschuhe anzuziehen, wenn er sie zum Füttern in die Hände nehmen mußte. Infolge beharrlicher Verweigerung und Hinauswürgens aller beigebrachten Nahrung verendete der eine von ihnen, ein Weibchen, schon nach fünf Tagen; der andere ließ sich mit Noth künstlich ernähren, magerte jedoch dabei beständig ab und starb drei Wochen später. Um ihre Jungen, welche mit dem alten Paare gefangen worden waren, kümmerten sich beide nicht im geringsten, da ihnen die Möglichkeit, sie zu ernähren, abgeschnitten war. Auch an den alten Vögeln konnte Girtanner die von Fatio angeführte Beobachtung bestätigen, daß sie kleine Bissen nicht verschlangen, sondern immer warteten, bis sich ein den Rachen anfüllender Klumpen von Nahrung gebildet hatte, welchen sie dann in einer heftigen Schlingbewegung hinunterwürgten. Die vier Jungen, deren Alter auf fünf bis sechs Wochen anzuschlagen war, sahen den Eltern bereits sehr ähnlich und verloren die breiten weißen Säume bis zum Februar des nächsten Jahres vollständig, worauf die Mauser des Kleingefieders begann. Ihr Gefangenleben war höchst einförmig. Ihr Nest bestand in einem kleinen, mit Moos gefüllten Korbe und war der einzige Gegenstand, zu welchem sie einige Zuneigung kundgaben. Flugversuche machten sie gegen Ende August; zum wirklichen Fliegen brachten sie es aber nicht, obwohl sie sehr gut genährt und lebhaft genug waren. Bald kamen sie zum Boden und schoben sich dann kleinen Schubkarren ähnlich in die nächste Ecke, einer dem anderen nach, wo sie, die Köpfe so gegen einander gesteckt, daß sie einen Stern bildeten, lange verblieben. An eine Mauer gehängt, dachten sie ebenfalls nicht daran, wegzufliegen, und wenn es geschah, fielen sie bald zum Boden herab. Selbst Trinken lernten sie nach drei Monaten, thaten es dann oft und ganz wie andere Vögel. Dagegen brachte sie Girtanner nicht dahin, das Futter selbst aufzunehmen. Letzteres mußte stets in großen Bissen tief in den Rachen gesteckt werden, weil sie sonst mit aufgesperrten Schnäbeln sitzen blieben. Bei überhand nehmender Kälte war der Pfleger gezwungen, sie in einen Käfig zu bringen, in welchem sie fleißig herumkletterten und lärmten. Berührte einer den anderen ohne Noth, so waren stets allgemein werdende Balgerei und endloses Geschrei die Folge. Da von Ende November an keine weitere geistige oder körperliche Entwickelung zu erwarten war, tödtete Girtanner den ersten vier, den zweiten fünf, den dritten sechs Monate nach dem Einfangen und behielt nur den vierten bis Anfang Mai. Ihnen die Freiheit schenken, hätte geheißen, sie geflissentlich einem gewissen Tode preis zu geben. »Sogar der Alpensegler also«, schließt Girtanner, »läßt sich in Gefangenschaft und selbst im Käfige halten. Doch könnte ich ihn niemandem mit gutem Gewissen als Zimmergenossen empfehlen. Ungestört möge er vielmehr fortan in unbegrenzter Freiheit sein tolles Wesen treiben.«

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 387-397.
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