Mauersegler (Cypselus apus)

[397] Der auf vorstehenden Seiten wiederholt erwähnte Verwandte des Alpenseglers, unser Mauer- oder Thurmsegler, Mauerhäkler, die Mauer-, Thurm-, Stein-, Geier-, Feuer- und Spyrschwalbe (Cypselus apus, murarius, barbatus, vulgaris, dubius, turrium, Hirundo apus, Brachypus murarius), erreicht eine Länge von achtzehn, eine Breite von vierzig Centimeter; die Fittiglänge beträgt siebzehn, die Schwanzlänge acht Centimeter. Das Gefieder ist einfarbig rauchbraunschwarz mit schwarzgrünem Erzschimmer, welcher am stärksten auf Mantel und Schultern hervortritt. Kinn und Kehle werden durch einen rundlichen weißen Fleck geziert. Das Auge ist tiefbraun, der Schnabel schwarz, der Fuß lichtbräunlich. Beide Geschlechter unterscheiden sich nicht, die Jungen durch helleres Gefieder und äußerst schmale fahlweißliche Endsäume der Federn.

In Egypten wird der Mauersegler durch den Maussegler vertreten, welcher zuerst von meinem Vater und mir unter dem Namen Cypselus murinus, von Shelley funfzehn Jahre später unter dem Namen Cypselus pallidus beschrieben worden ist und sich durch mäusegraues [397] Gefieder und weißen Kehlfleck von den Verwandten unterscheidet. In China lebt eine dem Maussegler sehr ähnliche Art, Cypselus pecinensis.

Der Mauersegler ist es, welchen wir vom ersten Mai an bis zum August unter gellendem Geschrei durch die Straßen unserer Städte jagen oder die Spitzen alter Kirchthürme umfliegen sehen. Der Vogel ist weit verbreitet. Ich fand ihn von der Domkirche Drontheims an bis zu der von Malaga in allen Ländern Europas, welche ich kennen gelernt habe. Andere Beobachter begegneten ihm in dem größten Theile Nord- und Mittelasiens. Auch in Persien zählt er stellenweise unter die häufigsten Sommervögel und brütet auf einzelnen Oertlichkeiten, so in der Umgegend von Schiras, in außerordentlicher Menge. Den Winter verbringt er in Afrika und Südindien. Erstgenannten Erdtheil durchstreift er vom Norden bis zum Süden. Er trifft mit merkwürdiger Regelmäßigkeit bei uns ein, gewöhnlich am ersten oder zweiten Mai, und verweilt hier bis zum ersten August. In sehr günstigen Frühjahren kann es geschehen, daß einzelne auch schon in der letzten Woche des April bei uns sich zeigen, in günstigen Sommern ebenso, daß man unseren Brutvogel noch während der ersten Hälfte des August bemerkt; das eine wie das andere aber sind Ausnahmen. Diejenigen, welche man später sieht, sind solche, welche im hohen Norden brüteten, durch schlechtes Wetter in ihrem Brutgeschäft gestört wurden und ihrer noch unselbständigen Kinder wegen einige Tage länger im Lande ihrer Heimat verweilen mußten. Solche Nachzügler sah ich noch Ende August in Deutschland und auf dem Dovrefjeld. Da, wo viele Mauersegler brüten, wird die Beobachtung über ihr Kommen und Gehen erklärlicherweise erschwert; da, wo das entgegengesetzte der Fall, kommt man eher ins klare. So konnte ich im Jahre 1877 feststellen, daß das einzige Pärchen, welches den Kirchthurm meines heimatlichen Dorfes bewohnt, bereits am sechsundzwanzigsten Juli verschwunden war. Von dieser Zeit an bis Mitte August wanderten andere Mauersegler einzeln, in Paaren und Familien durch, umkreisten den erwähnten Kirchthurm einige Male und verschwanden dann wieder. Vom dreizehnten August an zeigte sich in diesem Jahre keiner mehr. Eugen von Homeyer beobachtete sehr verspätete Zuggesellschaften noch am achten und zehnten September. In Spanien findet sich der Mauersegler um dieselbe Zeit ein wie bei uns und verläßt das Land ebenso früh, als er von Deutschland scheidet. Für Griechenland scheint diese auf eigene Beobachtungen gegründete Angabe nicht zu gelten. Hier trifft er früher ein und wandert erst später südwärts. Nach Lindermayers schwerlich richtiger Angabe erscheint er hier bereits zu Ende des März, früher als der Alpensegler, nach Krüpers Beobachtungen um die Mitte, ausnahmsweise wohl auch im Anfange des April, gleichzeitig mit dem Verwandten und zieht mit ihm schon frühzeitig wieder ab. Im mittleren Persien zeigt er sich ungefähr um dieselbe Zeit wie in Griechenland, bleibt aber, laut St. John, bis zu Ende Oktober im Lande; im südlichen Persien sieht man ihn bereits im Februar. Im Inneren Afrikas kommt er schon wenige Tage nach seinem Wegzuge an: ich sah ihn am dritten August das Minaret der Moschee Chartums umfliegen. Sein Zug hat viel eigenthümliches. In Oberegypten sieht man den merkwürdigen Vogel, welcher zuweilen erst am Vorgebirge der Guten Hoffnung Ruhe findet, in manchen Jahren bereits im Februar und März in großer Anzahl, und gar nicht unmöglich ist es, daß in gewissen Jahren hier schon einzelne überwintern. Zu meinem nicht geringen Erstaunen aber sah ich auch während unseres Aufenthaltes in Malaga zwischen dem dreizehnten und achtundzwanzigsten Oktober noch eine Menge Mauersegler die Kirchthürme umfliegen. Es waren, wie ich zu glauben geneigt bin, solche, welche von Afrika aus zurückgeschwärmt waren; denn nach den eingezogenen Erkundigungen soll der Mauersegler auch die Südspitze Spaniens genau zu derselben Zeit verlassen wie die mittleren und nördlichen Theile des Landes, in denen wir vom ersten August ab nur noch einige Tage lang wenige Nachzügler beobachteten. Unter Umständen, deren Ursachen uns noch unbekannt sind, können letztere auch weiter nördlich in sehr später Zeit bemerkt werden. So erwähnt Dowell eines einzelnen Mauerseglers, welcher mit verschiedenen Schwalben im Oktober in England gesehen wurde, und Collett eines anderen, welcher im November in der [398] Gegend des Waranger Fjords umherflog und am funfzehnten des genannten Monats todt gefunden wurde: offenbar verhungert.

Wie es scheint, wandern die Mauersegler stets in großen Gesellschaften. Sie kommen gemeinschaftlich an, und man sieht da, wo man Tags vorher nicht einen einzigen bemerkte, mit einem Male dutzende oder selbst hunderte, und ebenso verlassen sie eine Stadt gewöhnlich in einer und derselben Nacht. Nach Naumann sollen sie ihre Reise kurz vor Mitternacht antreten.

Ursprünglich wohl ausschließlich Felsenbewohner, hat sich der Mauersegler im Laufe der Zeit zu den Behausungen der Menschen gefunden und ist allgemach zu einem Stadt- und Dorfvogel geworden. Hohe und alte Gebäude, namentlich Thürme, wurden zuerst zu Wohnsitzen oder, was dasselbe, zu Brutstätten erkoren; als die hier vorhandenen Löcher nicht mehr ausreichten, sah sich der Vogel genöthigt, auch natürlichen oder künstlichen Baumhöhlungen sich zuzuwenden, und wurde so zum Waldbewohner. Er gehört zu der keineswegs unbeträchtlichen Anzahl von Vögeln, welche sich bei uns zu Lande stetig vermehren, leidet daher schon gegenwärtig an vielen Orten und selbst in ganzen Gegenden unseres Vaterlandes an Wohnungsnoth. Da, wo für ihn passende Felsen sich finden, bewohnt er nach wie vor solche und steigt im Gebirge bis zu ungefähr zweitausend Meter unbedingter Höhe empor.

Es wird auch dem Laien nicht schwer, unseren Mauersegler zu erkennen. Seine Bewegungen, sein Gebaren, Wesen und Treiben sind gänzlich verschieden von denen der Schwalben. Er ist, wie seine Verwandten, ein im höchsten Grade lebendiger, unruhiger, bewegungslustiger und flüchtiger Vogel. Sein Reich ist die Luft; in ihr verbringt er sozusagen sein ganzes Leben. Vom ersten Morgenschimmer an bis zum letzten Glühen des Abends jagt er in weiten Bogen auf und nieder, meist in bedeutenden Höhen, nur abends oder bei heftigem Regen in der Tiefe. Wie hoch er sich in der Ebene erheben mag, läßt sich nicht feststellen; wohl aber kann dies geschehen, wenn man ihn im Gebirge beobachtet. Von der Spitze des Montserrat und von dem Rücken des Riesengebirges aus sah ich ihn so weit in die Ebene hinausfliegen, als das bewaffnete Auge ihm folgen konnte. Hier wie dort also durcheilt er Luftschichten von mehr als tausend Meter unbedingter Höhe. Seine Flugzeit richtet sich nach der Tageslänge. Zur Zeit der Hochsonnenwende fliegt er von morgens drei Uhr zehn Minuten an spätestens bis abends acht Uhr funfzig Minuten, wie es scheint, ohne Unterbrechnung umher. Jedenfalls sieht man ihn bei uns zu Lande auch über Mittag seinen Geschäften nachgehen; in südlichen Ländern dagegen soll er um diese Zeit sich in seinen Höhlen verbergen. So berichtet Bolle von den Kanarischen Inseln, woselbst der Mauersegler von zehn Uhr vormittags an verschwindet und bis nachmittags in seinen Löchern verweilt. Wir kennen keinen deutschen Vogel, welcher ihn im Fluge überträfe. Dieser kennzeichnet sich durch ebenso viel Kraft und Gewandtheit wie durch geradezu unermüdliche Ausdauer. Der Mauersegler versteht zwar nicht die zierlichen und raschen Schwenkungen der Schwalben nachzuahmen, aber er jagt dafür mit einer unübertrefflichen Schnelligkeit durch die Luft. Seine schmalen, sichelartigen Flügel werden zeitweilig mit so großer Kraft und Hurtigkeit bewegt, daß man nur ein undeutliches Bild von ihnen gewinnt. Dann aber breitet der Vogel dieselben plötzlich weit aus und schwimmt und schwebt nun ohne jegliche sichtbare Flügelbewegung prächtig dahin. Der Flug ist so wundervoll, daß man alle uns unangenehm erscheinenden Eigenschaften des Seglers darüber vergißt und immer und immer wieder mit Entzücken diesem schnellsten Flieger unseres Vaterlandes nachsieht. Jede Stellung ist ihm möglich. Er fliegt auf- oder abwärts mit gleicher Leichtigkeit, dreht und wendet sich leicht, beschreibt kurze Bogen mit derselben Sicherheit wie sehr flache, taucht jetzt seine Schwingen beinahe ins Wasser und verschwindet dem Auge wenige Sekunden später in ungemessener Höhe. Doch ist er nur in der Luft wirklich heimisch, auf dem Boden hingegen fremd. Man kann sich kaum ein unbehülflicheres Wesen denken als einen Segler, welcher am Fliegen verhindert ist und auf dem Boden sich bewegen soll. Von Gehen ist bei ihm keine Rede mehr; er vermag nicht einmal zu kriechen. Man hat behauptet, daß er unfähig sei, sich vom Boden [399] zu erheben; dies ist aber, wie ich mich durch eigene Beobachtung genügend überzeugt habe, keineswegs der Fall. Legt man einen frischgefangenen Segler platt auf den Boden nieder, so breitet er sofort seine Schwingen, schnellt sich durch einen kräftigen Schlag derselben in die Höhe und gebraucht sodann seine Flügel mit gewohnter Sicherheit. Uebrigens weiß der Mauersegler seine Füße immer noch recht gut zu benutzen. Er häkelt sich geschickt an senkrechten Mauern oder Breterwänden an und verwendet die scharf bekrallten Zehen außerdem zur Vertheidigung.

Der Segler ist ein Schreivogel, nicht aber ein Sänger, seine Stimme ein schneidender, gellender Laut, welcher durch die Silben »Spi spi« oder »Kri« wiedergegeben werden kann. Bei Erregung irgend welcher Art vernimmt man letzteren oft zum Ueberdruß, und wenn eine zahlreiche Gesellschaft durch die Straßen hindurchjagt, ist es manchmal kaum zum Aushalten. In ihren Schlaf- oder Nisthöhlen zwitschern Alte uns Junge.

Ueber die höheren Fähigkeiten des Mauersegler ist wenig günstiges zu sagen. Unter den Sinnen steht das große Auge unzweifelhaft obenan; auch das Gehör kann vielleicht noch als entwickelt betrachtet werden; die übrigen Sinne scheinen stumpf zu sein. Das geistige Wesen stellt den Vogel tief. Er ist ein herrschsüchtiger, zänkischer, stürmischer und übermüthiger Gesell, welcher streng genommen mit keinem Geschöpfe, nicht einmal mit seinesgleichen, in Frieden lebt und unter Umständen anderen Thieren ohne Grund beschwerlich fällt. Um die Nistplätze zanken sich die Mauersegler unter lautem Geschrei oft tageland. Aus Eifersucht packen sich zwei Männchen wüthend in der Luft, verkrallen sich fest in einander und wirbeln nun von oben bis zum Boden herab. Ihre Wuth ist aber so groß, daß sie hier häufig noch fortkämpfen und sich mit Händen greifen lassen. Meinem Vater wurden Mauersegler gebracht, welche todt aus der Luft herabgefallen waren. Bei der Untersuchung zeigte sich, daß ihnen während der nebenbuhlerischen Kämpfe die Brust vollständig zerfleischt worden war. Auch andere Vögel werden von dem Segler zuweilen angegriffen. So sah ihn Naumann ohne weitere Veranlassung einen Sperling, welcher sich Maikäferlarven vom frischen Acker aufgesucht hatte, verfolgen, nach Art eines kleinen Edelfalken wiederholt auf ihn stoßen und dem erschrockenen Spatz zusetzen, daß dieser zwischen den Beinen der Feldarbeiter Schutz suchte. Nur seinen Jungen gegenüber legt der Mauersegler zärtliche Gefühle an den Tag.

Der Nistort wird je nach den Umständen gewählt. In Deutschland sind es entweder Kirchthürme und andere hohe Gebäude in deren Mauerspalten, oder Baumhöhlungen der verschiedensten Art, seltener Erdhöhlungen in steilen Wänden, in denen unser Segler sein Nest anbringt. Regelmäßig vertreibt er Staare oder Sperlinge aus den für sie auf Bäume gehängten Nistkasten und ist dabei so rücksichtslos, daß er sich selbst von den brütenden Staaren- oder Sperlingsweibchen nicht abhalten läßt, sondern ihnen oder ihrer Brut sein weniges Geniste im buchstäblichen Sinne des Worts auf den Rücken wirft und sie so lange quält, bis sie das Nest verlassen. Findet er ernsteren Widerstand, so greift auch er zu seinen natürlichen Waffen und kämpft verzweifelt um eine Stätte für seine Brut. »Ein Staar«, schreibt mir Liebe, »welcher bei Vertheidigung seiner Burg gegen einen Mauersegler von diesem arg verletzt und zuletzt und, als der Garteneigenthümer ihm zu Hülfe kommen wollte, verendet in dem Kasten gefunden worden war, zeigte tiefe Risse in der Haut der Flügelbeuge und des Rückens, namentlich aber auch am Kopfe, wo sogar die Haut theilweise abgelöst war. Solche Wunden kann der Segler unmöglich mit seinem weichen, biegsamen Schnabel beibringen; sie lassen sich nur erklären, wenn man annimmt, daß sie mit ihren zwar kleinen, aber scharf bekrallten Füßen kämpfen, falls Schnabel und Flügel nicht mehr ausreichen wollen.« Kein Wunder, daß vor einem so ungestümen und gefährlichen Gegner selbst der kräftige Staar seine Brut im Stiche und dem Mauersegler überlassen muß. Dieser kümmert sich nicht im geringsten um die Klagen der betrübten Eltern, wirft aus der Luft gefangene Federn, Läppchen und anderen Kram auf die Eier oder bereits erbrüteten Jungen, zerdrückt theilweise die ersteren, erstickt die letzteren, überkleistert mit seinem Speichel Eier, Junge und Genist.

[400] Herr Daumerlang schildert in einem an mich gerichteten Briefe, nach mehrjährigen Beobachtungen die Kämpfe des Seglers mit Staaren wie folgt. »Am Bodenfenster über meiner Arbeitsstube befindet sich ein Staarenkasten, welcher seiner günstigen Lage halber regelmäßig bewohnt wird, wenn nicht von Staaren, so doch von Sperlingen und während des Sommers von Mauerseglern. Den Sperlingen gegenüber bleiben die Staare immer Sieger, nicht so aber in ihren Kämpfen mit den Seglern. Letztere lassen sich durch nichts abschrecken, von dem Kasten, in welchem bei ihrer Ankunft das Staarenweibchen brütet, der Niststätte halber Besitz zu ergreifen. Ohne mein Dazwischentreten werden die brütenden Staare nach langen, heftigen Kämpfen jedesmal vertrieben. Das eindringende Weibchen läßt es sich, allen Schnabelhieben seitens der Staare trotzend, nur angelegen sein, nach unten zu kommen, um sich im Neste festzusetzen. Dann werden die Staare vertrieben und deren Eier zerstört oder deren Junge mittels der außerordentlich scharfen Krallen getödtet.

Da ich den Mauerseglern, ihrer unermüdlich regen Lebenskraft halber, sehr zugethan bin, brachte ich für sie neben dem Staarkübel einen besonderen Nistkasten an, fand aber, daß derselbe nicht angenommen wurde, und zwar einzig und allein deshalb, weil er kein Nest enthielt. Denn nur um letzteres ist es ihnen zu thun.

Um nun die Segler zu verscheuchen, fing ich sie einzeln vom Staarkasten weg. Ich stellte mich dabei frei an das Fenster und nahm sie, wenn sie angeflogen waren, einfach mit der Hand vom Flugloche weg; denn diese stolzen Flieger kennen keine Gefahr und scheuen den Menschen nicht im geringsten. Manchmal fing ich im Laufe weniger Stunden vier bis sechs Stück; aber ebenso viele entgingen, weil sie sich nicht niederließen, meinen Nachstellungen. Um zu sehen, ob sie den Verlust ihrer Freiheit sich zur Warnung dienen ließen, sperrte ich sie einige Zeit ein und bestrich ihnen dann den Kopf oder die Flügel mit weißer Oelfarbe. Sie kümmerten sich deshalb nicht: so lange die jungen Staare nicht herangewachsen waren, wiederholten sie ihre Versuche, des Nestes sich zu bemächtigen. Um das zu verhindern, fertigte ich, nachdem mir die Geduld ausgegangen war, einen Kragen aus Pappe und stülpte ihn einem hartnäckig wiederkehrenden Weibchen über den Kopf. Bald aber war der Kragen abgestreift, und von neuem drang der Mauersegler in den Staarkübel ein. Daß das Staarenmännchen ihm tapferen Widerstand leistete, behelligte ihn nicht. Zweimal stürzte es sich mit solcher Wuth auf den Angreifer, daß beide sich an einander festkrallten und zum Boden herabwirbelten. Auch ich unterstützte den tapferen Vertheidiger seiner Familie, indem ich mit Sand nach den ankommenden Mauerseglern warf; allein unsere gemeinschaftlichen Anstrengungen blieben fruchtlos. Der Staar hatte meine wohlwollende Absicht bald erkannt und ließ sich durch den Sandhagel nicht verscheuchen: der Mauersegler achtete desselben ebenso wenig wie der Angriffe des Nesteigenthümers. Sobald dieser oder ich nicht auf der Hut waren, drang er, immer derselbe, unverkennbar gezeichnete, in das Innere des Nistkastens ein, während andere seiner Art sich begnügten, anzufliegen, an dem Flugloche sich anzuklammern, durch dasselbe in den Nistraum zu schauen und, wenn sie hier Junge erblickten, von weiteren Uebergriffen abzustehen. Da die jungen Staare beinahe erwachsen waren, tödtete das zudringliche Seglerweibchen sie zwar nicht, suchte sie aber aus dem Neste zu drängen, und wenn dann die alten Staare dazu kamen, gab es neue Kämpfe. Zuletzt war ich zum äußersten entschlossen, fertigte einen neuen, noch größeren und wasserdichten Kragen an und stülpte ihn dem zudringlichen Geschöpfe zum zweiten Male über den Kopf. Was ich hätte voraussehen können, geschah: die Last war zu schwer und zog den Segler in die unmittelbar an meinem Hause vorüberfließende Pegnitz. Von mir so schnell als möglich aus dem Wasser gezogen, erholte sich der dem Ertrinken nahe Vogel bald und vollständig wieder, wurde in Freiheit gesetzt und kehrte nunmehr nicht zurück.

Die ungewöhnliche Hartnäckigkeit dieses einen Seglers erkläre ich mir dadurch, daß derselbe, nachdem er in früheren Jahren die Staare von Nest und Brut vertrieben und, von mir ungestört, seine Brut groß gezogen hatte, ein gewohntes Anrecht auf das Nest zu haben glaubte. Andere [401] ließen sich leicht von mir verscheuchen, dieser eine erst nach tagelanger Gegenwehr. Ihm darf ich es auch wohl zur Last legen, daß seit elf Jahren kein Staarenpärchen zur zweiten Brut gelangte.«

Im Hochgebirge, woselbst er bis über den Waldgürtel und an schönen Sommertagen bis zum höchsten Gürtel aufsteigt, kümmert sich der Mauersegler weder um alte Gebäude noch um Baumhöhlungen, weil ihm hier zahllose Spalten und Ritzen höherer Felsenwände geeignete Nistplätze in beliebiger Menge bieten; er bevorzugt dann höchstens große, trockene Höhlen anderen, minder zweckdienlichen Brutstätten und bewohnt solche oft zu hunderten. Gleichgültig oder rücksichtslos anderen Vögeln gegenüber, drängt er sich ohne Bedenken in deren Mitte. Wir fanden ihn in Spanien im innigsten Vereine mit Thurmfalken, Steinsperlingen und Röthlingen; Alexander von Homeyer traf ihn auf den Balearen unter Felsentauben und Fliegenfängern, Göbel im Süden Rußlands unter Bienenfressern und Blauraken, Eugen von Homeyer in Vorpommern mit Uferschwalben, deren Nesthöhlen er sich angeeignet, in einer und derselben Erdwand nistend an. Wo beide europäische Seglerarten zusammen vorkommen, wie in den Gebirgen der Schweiz und Spaniens, siedeln auch sie sich gemeinschaftlich an einem und demselben Orte an. Wenn ein Pärchen einmal eine Nisthöhle sich erworben hat, kehrt es alljährlich zu derselben zurück und vertheidigt sie hartnäckig gegen jeden anderen Vogel, welcher Besitz von ihr nehmen will. Die Wiege der Jungen besteht aus Halmen, Heufaden, dürren Blättern, Zeuglappen, Haaren und Federn, welche entweder aus Sperlingsnestern weggenommen oder bei heftigem Winde aus der Luft aufgeschnappt, seltener aber vom Boden oder von den Baumästen abgerissen, ohne Auswahl zusammengelegt, dann aber gänzlich mit dem kleberigen Speichel, welcher wie bei anderen Seglern an der Luft erhärtet, überzogen werden. Zwei, höchstens drei sehr lang gestreckte, fast walzenförmige und an beiden Enden ungefähr gleichmäßig zugerundete weiße Eier bilden das Gelege. Das Weibchen brütet allein und wird währenddem von dem Männchen gefüttert, jedoch nur, wenn das Wetter günstig ist; denn bei länger anhaltendem Regen kann dieses nicht so viel Atzung herbeischaffen, als zwei Mauersegler bedürfen, und das Weibchen sieht sich dann genöthigt, selbst nach Nahrung auszugehen. Die Jungen werden von beiden Eltern geatzt, wachsen aber sehr langsam heran und brauchen mehrere Wochen, bis sie flugbar sind. Man findet die Eier frühestens Ende Mai, die eben ausgekrochenen Jungen Mitte Juni oder Anfang Juli, die ausgeflogenen Jungen erst zu Ende des Monats.

Der Mauersegler ernährt sich von sehr kleinen Kerbthieren, über welche man aus dem Grunde schwer ins klare kommen kann, als ein erlegter Vogel seine gefangene Beute größtentheils bereits verdaut, mindestens bis zur Unkenntlichkeit zerdrückt hat. Jedenfalls müssen die Arten, welche seine hauptsächlichste Nahrung bilden, in sehr hohen Luftschichten und erst nach Eintritt entschieden günstiger Witterung fliegen. Denn nur so läßt sich das späte und nach den Oertlichkeiten verschiedene Kommen und Verweilen des Mauerseglers erklären. Daß er, wie seine Verwandten, die allerverschiedenartigsten fliegenden Kerbthiere, beispielsweise Bremsen, Käfer, kleine Schmetterlinge, Mücken, Schnaken, Libellen und Hafte, nicht verschmäht, wissen wir wohl, da sich die Ueberreste der genannten Arten in den ausgewürgten Gewöllen auffinden lassen: sie aber sind es gewiß nicht, welche den Haupttheil der Mahlzeiten eines Mauerseglers ausmachen, weil im entgegengesetzten Falle der Vogel nicht nöthig hätte, bis zum Mai in der Fremde zu verbleiben und die Heimat bereits im August wieder zu verlassen. Im Süden seines Verbreitungsgebietes fliegen seine Jagdthiere erklärlicherweise früher, im Norden später, hier wie dort aber länger als bei uns zu Lande, und einzig und allein diese Annahme erklärt die verschiedene Zeit seines Kommens und Gehens. Auch er bedarf, wie alle Arten seiner Familie, eine sehr erhebliche Menge von Nahrung, um den außerordentlichen Verbrauch seiner Kräfte zu ersetzen. Einige Beobachter haben behauptet, daß er nicht trinke; diese Angabe ist jedoch falsch, wie ich, gestützt auf eigene Beobachtungen, versichern kann. Bäder nimmt er wahrscheinlich nur, wenn es regnet; in das Wasser taucht er sich nicht ein, wie Schwalben es thun. Seine fast ununterbrochene Thätigkeit [402] erklärt sich einzig und allein durch seinen beständigen Heißhunger; gleichwohl kann er im Nothfalle erstaunlich lange fasten: gefangene Segler, welche ohne Nahrung gelassen wurden, sollen erst nach sechs Wochen dem Hungertode erlegen sein.

Alle Seglerarten haben wenig Feinde. Bei uns zu Lande jagt höchstens der Baumfalk dem nur fliegend sich zeigenden und im Fluge so überaus raschen Vogel nach. Auf seinen Winterreisen bedrohen ihn andere Falken derselben Familie. Die Jungen mögen zuweilen von den Siebenschläfern und anderen kletternden Nagethieren heimgesucht werden, jedoch vielleicht nur dann, wenn das Nest, wie erwähnt, in Staarkübeln oder in Baumhöhlen angelegt wurde. Der Mensch verfolgt ihn bei uns zu Lande erst, seitdem, oder nur da, wo er den Staaren lästig und gefährlich wird; jeder Verständige aber würde wohl thun, ihm, wie Liebe anräth, Wohnungen, flache Kästchen von etwa funfzig Centimeter lichter Länge, funfzehn Centimeter Breite und halb so viel Höhe mit rundlichem, fünf Centimeter weitem Eingangsloche an der Stirnseite und innen von nestartiger Ausfütterung, wenigstens einigem Geniste, zu schaffen, um dadurch ihm und mittelbar den jetzt bedrohten Staaren Schutz zu gewähren. Im Süden Europas erleidet der nützliche Vogel ohnehin Verfolgungen der ungerechtfertigtsten Art. Wie Savy berichtet, gilt dort das Fleisch der Jungen als vortrefflich und ist deshalb sehr gesucht. Um nun diese Leckerei zu erlangen, bereitet man den sehr häufigen Mauerseglern eine bequeme Wohnung, indem man in hohen Wänden oder Thürmen Brutlöcher herstellt, welche man von innen untersuchen und bezüglich ausheben kann. Vor dem Flüggwerden wird dann die Brut bis auf ein Junges ausgenommen und geschlachtet, gebraten und verzehrt. Bei Carrara hat man der Mauersegler halber ein eigenes Brutthürmchen auf einem vorspringenden Felsen gebaut.

Von den Seglern hat man neuerdings mehrere kleine Arten unter dem Namen Zwergsegler (Cypsiurus) getrennt, obgleich hierzu kein stichhaltiger Grund vorliegt. Außer der geringen Größe zeichnet sich die äußerste Schwanzfeder der betreffenden Vögel dadurch aus, daß sie in einer langgestreckten Spitze endigt. Ich erwähne eines dieser Thierchen seines eigenthümlichen Nestbaues wegen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 397-403.
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