Jahrvogel (Buceros plicatus)

[284] Es dient zur Vervollständigung, wenn ich vorstehendem die ausgezeichnete Schilderung folgen lasse, welche Bernstein von der Lebensweise eines Verwandten, des Jahrvogels (Buceros plicatus, obscurus, undulatus, niger, annulatus, javanicus, javanus und Puseran, Calao und Rhyticeros plicatus), gegeben hat. Die Untersippe der Faltenhornvögel (Rhyticeros), welche man auf diese Art begründet hat, kennzeichnet sich hauptsächlich dadurch, daß ein faltiger Wulst auf dem Oberschnabel die Stelle des Horns vertritt. Die Schwingen sind mittellang; der Schwanz ist ziemlich stark abgerundet, der Fuß kurz und kräftig. Das Gefieder des männlichen Jahrvogels ist, mit Ausnahme des dunkelbraunen Oberkopfes und des weißen, graulich überflogenen Halses, schwarz, das des weiblichen durchaus schwarz, der Schwanz bei beiden Geschlechtern aber weiß, das Auge braunroth, der Schnabel licht hornfarben, der Fuß schwärzlichgrau. Das Weibchen unterscheidet sich von dem Männchen durch die Färbung der nackten Kehlhaut, welche bei ihm hellgelb, bei jenem schmutzig indigoblau gefärbt ist. Dem jungen Vogel fehlt der Wulst; denn dieser entwickelt sich erst mit vollendetem Wachsthume. Da die tiefen Querfurchen nicht immer in gleicher Anzahl vorhanden find, glaubte man früher, daß mit jedem Jahre ein neuer Querwulst sich bilde und man also aus ihrer Anzahl das Alter des Vogels berechnen könne. Dieser Umstand gab Veranlassung zu dem bei den Europäern jener Gegenden üblichen Namen. Bei den Sundanesen heißt er »Djulan«, »Goge« und »Bobosan«.

Der Jahrvogel bewohnt die Sundainseln und Malakka. »Sein eigentlicher Aufenthaltsort«, sagt Bernstein, »sind stille, ausgedehnte Waldungen des heißen Tieflandes und die Vorberge bis in Höhen von etwa tausend Meter über dem Meere. In höher gelegenen Waldungen kommt er selten oder gar nicht vor, wahrscheinlich weil gewisse Bäume, von deren Früchten er sich nährt, hier nicht mehr angetroffen werden. Nach diesen Früchten streift er oft weit umher, und man sieht ihn nicht selten paarweise, besonders am frühen Morgen, in bedeutender Höhe über den riesigen Bäumen des Waldes dahineilen und in gerader Linie Gegenden zustreben, wo fruchttragende Bäume ihm reichliche Mahlzeit versprechen. Während des Fluges streckt er Hals und Kopf mit dem gewaltigen Schnabel weit aus. Merkwürdig ist das eigenthümlich sausende Geräusch, welches in abwechselnder Stärke den Flug dieses Vogels, ja vielleicht aller Hornvögel, begleitet und in ziemlicher Entfernung hörbar ist. Die Ursache dieses Sausens, welches, wie ich bemerkt zu haben glaube, besonders während des Senkens der Fittige bei jedem Flügelschlage hervorgebracht wird, ist, so viel ich weiß, noch nicht bekannt. Schwingt man einen Fittig unseres Vogels durch die Luft, so wird dadurch zwar ebenfalls ein gewisses Sausen hervorgebracht, dasselbe läßt sich jedoch keineswegs mit dem des fliegenden Vogels vergleichen. Einige Jahrvögel, welche in einem geräumigen Behälter lebend unterhalten wurden, machten zuweilen, auf den Sprunghölzern sitzend, mit den Flügeln Bewegungen, ohne daß sich das in Rede stehende Sausen hätte vernehmen lassen. Allein derartige Schwingungen der Flügel sind lange nicht so kräftig wie die während des Fluges. Ich bin geneigt, zu glauben, daß die ungeheuere Ausdehnung der Luftsäcke, welche sich bekanntlich zwischen Haut und Muskeln bis in die Schenkel, die Spitze der Flügel und die Kehlgegend erstrecken, und die damit verbundene Fähigkeit, größere Luftmassen aufzunehmen, hierbei eine Hauptrolle spielten. Ohne Zweifel ist dieser Fähigkeit wenigstens der hohe und leichte Flug zuzuschreiben, welcher den Vögeln bei ihren verhältnismäßig nicht sehr großen Flügeln eigen ist. Während des Fliegens muß aber bei der abwechselnden und starken Muskelzusammenziehung nothwendig die zwischen Haut und Muskeln eingeschlossene Luftmenge hin und her gedrückt und gepreßt werden, und diesem Umstande möchte ich wenigstens zum Theil das erwähnte Sausen zuschreiben.


Jahrvogel (Buceros plicatus). 1/3 natürl. Größe.
Jahrvogel (Buceros plicatus). 1/3 natürl. Größe.

Der Jahrvogel lebt fast immer, selbst außer der Fortpflanzungszeit, paarweise; in kleinen Gesellschaften oder Familien habe ich ihn nie angetroffen. Verschiedene Baumfrüchte bilden seine Nahrung, und er fliegt, [284] wie bemerkt, oft weit nach denselben. Mit gekochtem Reis, Kartoffeln, Pisang und anderen Früchten habe ich mehrere längere Zeit unterhalten und diese, das heißt die jung aufgezogenen, wurden bald so zahm, daß ich sie mit gestutzten Flügeln frei umherlaufen lassen konnte. Alt eingefangene weigern sich nicht selten, jede Nahrung zu sich zu nehmen und sterben nach einigen Tagen vor Hunger. Eine Stimme habe ich in der Freiheit von unserem Vogel noch nicht gehört; allein er ist so scheu, daß es schwer hält, in seine Nähe zu kommen. Die gefangenen ließen, wenn sie gereizt wurden, ein lautes Brüllen hören, das viel Aehnlichkeit hat mit dem eines Schweines, welches zornig ist oder geschlachtet wird. Wer es zum erstenmale hört, glaubt das Brüllen irgend eines Raubthieres zu vernehmen. In ihrem Schnabel haben sie eine bedeutende Kraft, obgleich man dies bei dem zelligen Bau desselben und den keineswegs starken Kaumuskeln nicht erwarten möchte. [285] Sie beißen sehr empfindlich. Ein alt eingefangener hackte selbst in sein aus gespaltenem Bambus verfertigtes Behälter ein Loch und, als ich dasselbe durch ein etwa centimeterdickes Bret wieder dicht machen ließ, auch von letzterem sehr bald große Späne ab, so daß ich beständig um sein Entkommen besorgt sein mußte. Den nackten Kehlsack kann er, da er mit dem vorderen Brustluftsacke in Verbindung steht, aufblasen und ausdehnen, wodurch er bedeutend an Umfang zunimmt. Er thut dies besonders während des ruhigen Sitzens.

Die Fortpflanzungsgeschichte dieser Vögel ist höchst merkwürdig. Ihr Nest legen sie mitten im dichtesten Walde in hohlen Bäumen an und zwar in ziemlicher Höhe über dem Erdboden. In hiesiger Gegend ist das Nest doppelt mühsam zu finden, da die mit dichten Waldungen bedeckten Berggehänge schmale, steile Grate bilden, welche durch tiefe Thäler getrennt werden, und jeder Raum zwischen den riesigen Baumstämmen durch ein undurchdringliches Gewirr und Gestrüpp von Farren, Schlinggewächsen, wildem Pisang und dergleichen ausgefüllt ist, durch welches man sich nur mit dem Kapmesser in der Hand mühsam einen Weg bahnen kann. Einmal macht sich das Nest, weil in einem hohlen Baume angelegt, dem Auge wenig oder kaum bemerklich, und dann ist es, selbst wenn man Ursache hat, in der einen oder anderen Gegend des Waldes dasselbe zu vermuthen, aus den angeführten Gründen oft sehr schwierig, bis dahin durchzudringen; wenn dies aber geglückt ist, muß man jeden der riesigen Bäume genau mustern, ob nicht irgendwo im Wipfel die den Eingang zum Neste bildende Spalte sich befindet. Bisweilen verräth das ab- und zufliegende Männchen das Nest, und dies war der Fall bei dem einzigen, welches ich bisher beobachtete. Dasselbe war in einer Höhe von etwa zwanzig Meter in einem hohlen Rasamalabaume angelegt und bot mir Gelegenheit, das schon von Horsfield mitgetheilte bestätigt zu finden. Sobald nämlich die zur Anlage des Nestes gewählte Baumhöhle, bei deren Erweiterung der starke Schnabel den Vögeln sehr zu statten kommen mag, in Ordnung gebracht ist, und das Weibchen zu brüten anfängt, wird der Eingang vom Männchen mit einer aus Erde und verfaultem Holze bestehenden, höchst wahrscheinlich mit dem Speichel des Thieres vermengten Masse so weit dicht gemauert, daß nur noch eine kleine Oeffnung übrig bleibt, durch welche das Weibchen seinen Schnabel vorstrecken kann. Während der ganzen Brutzeit wird es vom Männchen reichlich mit Früchten gefüttert, und letzteres ist deshalb gezwungen, zuweilen bis in bewohnte und verhältnismäßig baumarme Gegenden sich zu begeben. So wurde z.B. in der hiesigen, fast durchweg angebauten Gegend ein solches Männchen in einem benachbarten Garten geschossen. Aber warum geschieht nun das Einmauern des Weibchens? Daß es, wie Horsfield annimmt, zum Schutze gegen die Affen geschehe, scheint mir nicht wahrscheinlich, da wenigstens die javanischen Affen sich wohl hüten werden, in den Bereich einer so kräftigen Waffe zu kommen, als es der Schnabel des Vogels ist. Eher könnten die größeren Eichhornarten gefährlich werden, zumal mir ein Fall bekannt ist, daß ein gefangen gehaltenes Flugeichhorn einen in dasselbe Zimmer gebrachten Falken sofort anfiel, trotz des Sträubens tödtete und selbst theilweise auffraß. Besonderer Erwähnung werth scheint mir der Umstand zu sein, daß in dem von mir beobachteten Falle das Weibchen den größten Theil seiner Schwung- und Schwanzfedern verloren hatte, indem von den Schwingen erster Ordnung nur noch die beiden ersten, von denen zweiter Ordnung in dem einen Flügel noch sechs, in dem anderen bloß noch vier vorhanden waren, während die neun ersten ein viertel bis ein halb ihrer Länge erreicht hatten. Spuren davon, daß die Federn etwa abgebissen waren, ließen sich nirgends finden; auch war es auffallend, daß der Rumpf des Thieres weder Stoppeln noch junge Federn zeigte. Infolge dieses mangelhaften Zustandes seiner Flügel war der Vogel nicht im Stande, sich auch nur zwanzig Centimeter vom Boden zu erheben, und würde, einmal aus dem Neste gefallen, auf keine Weise wieder in dasselbe haben gelangen können. So weit meine Beobachtungen. Der Eingeborene, welcher das erwähnte Nest gefunden hatte und mich zu demselben führte, versicherte mir, daß das Weibchen während des Brütens stets vom Männchen auf die angegebene Weise eingemauert würde, daß es in dieser Zeit seine Schwingen wechsele, völlig ungeschickt zum Fliegen wäre und erst zu der Zeit des Flüggewerdens der Jungen sein Flugvermögen [286] wieder erhalte. Es findet mithin dieses Einmauern lediglich aus Vorsorge statt, um zu verhüten, daß das Weibchen nicht aus dem Neste falle. Weitere Beobachtungen müssen dies entscheiden.«

Horsfield gibt noch andere Erzählungen der Eingeborenen wieder. Diese behaupten, daß das Weibchen vom Männchen eifersüchtig bewacht und nach Befinden bestraft werde. Glaube das Männchen nach einer zeitweiligen Abwesenheit zu bemerken, daß inzwischen ein anderes Männchen sich dem Neste genähert habe, so werde die Oeffnung sofort durch den eifersüchtigen und erzürnten Vogel zugemauert, und das eingeschlossene Weibchen müsse alsdann elendiglich umkommen.

Das von Bernstein beschriebene Nest bestand aus einer einfachen, dürren Unterlage von wenigen Reisern und Holzspänen. »Es enthielt neben einem kürzlich ausgekrochenen, noch blinden Jungen ein stark bebrütetes Ei, welches im Verhältnisse zum Vogel ziemlich klein ist, da sein Längendurchmesser nur aus vierundsechzig Millimeter, sein größter Querdurchmesser nur aus dreiundvierzig Millimeter besteht. Es hat eine etwas längliche Gestalt und ziemlich grobkörnige, weiße Schale, auf welcher hier und da einige blaßröthliche und bräunliche, wenig in die Augen fallende wolkenähnliche Zeichnungen und Flecke sich befinden.«

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 284-287.
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