Bunttodi (Todus multicolor)

[311] Auf der Insel Cuba wird vorstehend beschriebene Art durch den Bunttodi, den »Cartacuba« und »Pedorrera« der Cubaner (Todus multicolor und portoricensis) vertreten. Der Vogel stimmt in Größe und Färbung im wesentlichen mit dem Grünplattschnabel überein, unterscheidet sich aber dadurch, daß der Längsstrich, welcher den rothen Kehlfleck seitlich begrenzt, nach unten hin aus weiß in grünblau übergeht und so einen deutlich blauen Halsseitenfleck bildet.

Ueber die Lebensweise dieser überaus zierlichen und merkwürdigen Vögel war bis in die neuere Zeit wenig bekannt, und erst durch Gosse und Gundlach sind wir hierüber unterrichtet worden. Alle Arten scheinen in ihrem Auftreten und Betragen, ihren Sitten und Gewohnheiten so vollständig mit einander übereinzustimmen, daß man das von einem bekannte ohne Bedenken auch auf den anderen beziehen kann. Dem ungeachtet will ich Gosse den erst erwähnten, Gundlach den zuletzt aufgeführten Plattschnabel beschreiben lassen.

»In allen Theilen von Jamaika, welche ich bereist habe«, sagt Gosse, »ist der Grünplattschnabel ein sehr gemeiner Vogel. Auf dem Gipfel der Bluefieldberge, in einer Höhe von ungefähr tausend Meter über dem Meere und vorzugsweise da, wo ein fast undurchdringliches Dickicht den [311] Boden deckt, findet er sich überall. Sein glänzendes, grasgrünes Gewand und die rothsammetne Kehle lenken bald die Aufmerksamkeit ihm zu, und er gestattet jedermann, ihm sich zu nähern; denn er ist ein außerordentlich kirrer Vogel, wie es scheint, mehr aus Gleichgültigkeit als infolge großer Vertrauensseligkeit. Wenn er aufgescheucht wird, fliegt er höchstens nach dem nächsten Zweige. Sehr häufig haben wir ihn mit unserem Kerbthiernetze gefangen oder mit einer Gerte zu Boden geschlagen; ja gar nicht selten ergreifen ihn die Knaben mit der Hand. Wegen dieser Zutraulichkeit ist er allgemein beliebt und hat eine Menge Schmeichelnamen erhalten.

»Niemals habe ich den Plattschnabel auf dem Boden gesehen. Er hüpft zwischen den Zweigen und Blättern, sucht hier nach kleinen Kerbthieren und stößt gelegentlich seinen klagenden oder zischenden Lockruf aus. Häufiger noch gewahrt man ihn, ruhig auf einem Zweige sitzend, den Kopf eingezogen, den Schnabel nach oben gerichtet und das Gefieder gesträubt, so daß er viel größer erscheint, als er wirklich ist.


Todi (Todus viridis). Natürliche Größe.
Todi (Todus viridis). Natürliche Größe.

Dann sieht er herzlich dumm aus; aber es scheint mehr so, als es der Fall ist: denn wenn man ihn näher beobachtet, bemerkt man bald, daß die hellglänzenden Augen bald hier, bald dorthin sich richten, und daß der Vogel dann und wann zu einem kurzen Fluge sich [312] erhebt, etwas aus der Luft wegschnappt und wieder auf seinen Zweig zurückkehrt, um das gefangene dort zu verschlingen. Er hat nicht die Kraft, Kerbthieren zu folgen; aber er wartet, bis dieselben innerhalb eines bestimmten Umkreises sich zeigen, und fängt sie dann mit Sicherheit weg. Niemals habe ich gesehen, daß ein Plattschnabel Pflanzennahrung zu sich genommen hätte, obwohl ich zuweilen kleine Sämereien unter Käfern und Hautflüglern in seinem Magen gefunden habe. Einer, welchen ich im Käfige hielt, schnappte mit unkluger Gier Würmer weg, schlug dieselben heftig gegen seine Sitzstangen, um sie zu zertheilen, und verschlang sie dann; ein anderer, welchen ich im Netze gefangen und in dem Raume freigelassen hatte, begann sofort auf Fliegen und andere kleine Kerbthiere Jagd zu machen und betrieb diese, mit ebensoviel Ausdauer als Erfolg, vom frühen Morgen an bis zum Dunkelwerden. Von der Ecke des Tisches, von quer gespannten Leinen oder Gesimsen aus flog er dann und wann in die Luft und kehrte, nachdem das Schnappen seines Schnabels einen Fang angezeigt hatte, wieder auf denselben Standort zurück. Er guckte in alle Ecken und Winkel, selbst unter die Tische, in der Absicht, hier die kleinen Spinnen aus ihren Netzen herauszufangen. Dieselbe Beute suchte er auch von der Decke und von den Wänden ab und fand immer etwas. Meiner Schätzung nach gewann er in jeder Minute einen Fang; man kann sich also einen Begriff machen von der außerordentlichen Zahl an Kerbthieren, welche er vertilgt. In dem Raume, welchen er bewohnte, stand Wasser in einem Becken; aber ich habe ihn, obschon er sich zuweilen auf den Rand seines Gefäßes setzte, nie trinken sehen: dies that er selbst dann nicht, wenn er seinen Schnabel in das Wasser steckte. So eifrig er sich seinen eigenen Geschäften hingab, so wenig bekümmerte er sich um unsere Gegenwart: zuweilen setzte er sich uns freiwillig auf Kopf, Schulter oder Finger, und wenn er einmal saß, gestattete er, daß man die andere Hand über ihn deckte und ihn wegnahm, obschon ihm das unangenehm zu sein schien; denn er sträubte und bemühte sich, wieder frei zu werden. Die Gefangenschaft schien er leicht zu ertragen, aber leider ging er durch einen unglücklichen Zufall zu Grunde.

Es ist in Jamaika nicht Sitte, viele der eingeborenen Vögel zu zähmen, sonst würde dieser gewiß schon längst ein beliebter Stubenvogel geworden sein. Doch zieht er während seines Freilebens die Aufmerksamkeit auch des gleichgültigsten Menschen auf sich, und jeder Europäer erfreut sich, so oft er ihn sieht. Wenn er zwischen den grünen Blättern sitzt, kann man ihn kaum von diesen unterscheiden; denn er selbst sieht aus wie ein Blatt: sowie er aber seine Stellung verändert und seine Kehle in die Sonne bringt, leuchtet diese wie eine glühende Kohle, besonders dann, wenn er sie aufgeblasen hat.«

»Der Plattschnabel nistet in Erdhöhlen, nach Art der Eisvögel. Man zeigte mir derartige Höhlen; aber ich selbst habe niemals Nest und Eier untersuchen können und muß deshalb die Beobachtung meines Freundes Hill hier wiedergeben.« Dieser berichtet nach einigen Auslassungen über die eigenthümliche Gestalt des Vogels, daß derselbe sich mit Hülfe seines Schnabels und seiner Füße in senkrecht abfallende Erdschichten eine Höhle gräbt, welche anfangs gewunden ist, sich ungefähr zwanzig oder dreißig Centimeter weit in die Tiefe erstreckt und hinten zu einer backofenförmigen Höhle erweitert, welche mit Würzelchen, trockenem Moose oder Baumwolle ziemlich sorgfältig ausgekleidet wird. Vier oder fünf graue, braungefleckte Eier bilden das Gelege. Die Jungen bleiben in der Höhle, bis sie flügge sind.

Der Bunttodi lebt, laut Gundlach, in Waldungen und Gebüschen, besonders an abhängigen Stellen. An solchen Orten ist er sehr gemein; wenn er ruhig sitzt, jedoch nicht immer leicht zu entdecken, falls man nicht auf die Stimme achtet und, ihr nachgehend, den Vogel aufsucht. Diese Stimme, welche Anlaß zu dem wissenschaftlichen Namen gab, lautet wie »Tototo«; außerdem aber vernimmt man, wenn das Vögelchen von einem Zweige zum anderen fliegt, noch ein eigenthümliches, wohl durch den Flug hervorgebrachtes Geräusch, welches Aehnlichkeit mit einer Blähung hat und dem Todi seinen Namen »Pedorrera« verschafft hat. Niemals hüpft der niedliche Gesell nach Art eines Singvogels, sondern stets sitzt er mit aufgerichtetem Schnabel und späht nach [313] Kerbthieren umher, welche er dann im Fluge erhascht. Er ist nicht im geringsten scheu; man kann daher bis auf eine kurze Entfernung ihm sich nähern und ihn selbst mit dem Schmetterlingsnetze fangen. Niemals ändert er seine Stellung, und immer setzt er sich auf ein wagerechtes Zweiglein oder auf eine Schlingpflanze, läßt die Seitenfedern gleichsam als Stütze für die Flügel hervortreten und nickt zuweilen mit dem Kopfe. In der Lebensweise werden die absonderlichen Verwandtschaften des Vogels deutlich. Wie ein Schnäpper fängt er die Fliegen weg, und wie ein Eisvogel nistet er in Erdlöchern. Im kleinen Käfige kann man ihn nicht halten, wohl aber in einem größeren Gebauer, welches man mit grünen Bäumchen ausgeschmückt hat. Aber auch hier bleibt er nur kurze Zeit am Leben.

Ueber das Nisten verdanken wir Gundlach die sichersten Nachrichten. Im Frühjahre, und zwar im Mai, beginnt der Vogel mit seinem Nestbaue. Gundlach sah einen gegen eine Erdwand in einen Hohlweg fliegen und mit dem Schnabel an einer Höhlung arbeiten. Ungefähr zwei Wochen später fand er das Nest vollendet. Die Höhle führte etwa zehn Centimeter tief in gerader Richtung einwärts, wandte sich dann um und erweiterte sich zur Nistkammer. In dem einen Neste befanden sich drei, in einem anderen vier Eier von reinweißer Färbung und sechzehn Millimeter Länge bei dreizehn Millimeter Querdurchmesser an der dicksten Stelle. In Ermangelung eines geeigneten Nistplatzes, brüten die Plattschnäbel übrigens in Baumhöhlen: so berichtet übereinstimmend mit Gosse auch Gundlach. Hill hatte Gelegenheit, das Brutgeschäft mit aller Gemächlichkeit zu beobachten. Ein Paar Todis hatten sich einen sonderbaren Ort zum Nisten ausgesucht, eine Kiste nämlich, welche zur Zucht von Blumen benutzt und mit Erde gefüllt worden war. Ein Astloch in der Wand dieser Kiste mochte die Wahl bestimmt haben, denn dieses Loch diente als Eingang zu der Höhle, welche im Inneren der Kiste, das heißt in der sie füllenden Erde, ausgegraben wurde. Obgleich die Vögel die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatten und oft gestört wurden, trieben sie doch ihr Brutgeschäft ganz unbekümmert und zogen glücklich die Familie groß. Sie schienen sich möglichst zu bemühen, dem Menschen den Ort ihres Nestes nicht zu verrathen, und benutzten beim Aus- oder Einschlüpfen immer einen Augen blick, in welchem die Aufmerksamkeit der Besucher durch irgend etwas von ihnen abgelenkt worden war. Als die Familie ausgeflogen war, untersuchte man die Kiste näher und fand in der Erde einen vielfach gewundenen Gang, welcher bis zur Mitte führte und hier in die Nistkammer mündete.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 311-314.
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