Grünschnabelalbatros (Diomedea chlororhynchos)

[559] Unter den verwandten Arten verdient der Grünschnabelalbatros (Diomedea chlororhynchos und chrysostoma, Thalassarche chlororhynchos) aus dem Grunde erwähnt zu werden, weil auch er, ebenso wie der Albatros, an den europäischen Küsten vorgekommen und an denen Norwegens erlegt worden sein soll. Er ist beträchtlich kleiner als der Albatros, im Alter weiß, mit braunschwarzem Rücken und Flügel, bräunlich schieferfarbenen, weiß geschäfteten Steuerfedern und schwarzem, auf der Schnabelfirste hoch orangegelbem Schnabel. Seine Länge beträgt etwa fünfundneunzig, die Fittiglänge zweiundfunfzig, die Schwanzlänge zweiundzwanzig Centimeter.

Die Heimat der Albatrosse sind die Weltmeere der südlichen Halbkugel; nördlich des Wendekreises des Steinbockes kommen sie, im Atlantischen Weltmeere wenigstens, nur als verschlagene Irrlinge vor. Regelmäßiger scheinen sie die nördlichen Theile des Stillen Meeres, insbesondere [559] das Ochotskische und das Beringsmeer, zu besuchen, hier, ihrer Nahrung nachgehend, auch längere Zeit zu verweilen und dann wieder nach Süden zurückzuschwärmen, um ihrem Fortpflanzungsgeschäfte Genüge zu leisten. In den höheren Breiten der südlichen Halbkugel begegnet man ihnen öfter; nach übereinstimmenden Nachrichten der Schiffer und Fischer gehören sie noch zwischen dem funfzigsten und sechzigsten Grade südlicher Breite zu den gewöhnlichen Erscheinungen. Ob ihre Wanderungen regelmäßig oder zufällig sind, hat man bis jetzt noch nicht feststellen können.


Albatros (Diomedea exulans). 1/5 natürl. Größe.
Albatros (Diomedea exulans). 1/5 natürl. Größe.

Man weiß, daß sie alle zwischen dem dreiundzwanzigsten Grade nördlicher und dem sechsundsechzigsten Grade südlicher Breite gelegenen Meere besuchen, hat auch erfahren, daß sie in den Meeren von Kamtschatka und Ochotsk halb verhungert und mager ankommen, nach wenigen Wochen, welche sie in jenen Gegenden verweilen, infolge des hier vorhandenen Ueberflusses an Nahrungsmitteln sehr fett werden und nunmehr wieder dem Süden zuwandern; es läßt sich jedoch nicht bestimmen, ob diese Reisen planmäßig und alljährlich stattfinden oder nur ein Umherschweifen sind, wie diese Vögel es lieben. Eines dürfte erwiesen sein: daß sie zwar im buchstäblichen Sinne des Wortes die Erde umfliegen, aber doch an einen gewissen Gürtel mehr oder weniger gebunden sind, innerhalb [560] desselben zu allen Jahreszeiten beobachtet werden und innerhalb desselben auch brüten. Selbst die einzelnen Arten grenzen ihr Verbreitungsgebiet in einem gewissen Sinne ab: man findet sie z.B. im Stillen Meere regelmäßiger und häufiger als im Atlantischen, glaubt auch wahrgenommen zu haben, daß sie einen gewissen Theil des Meeres in der Regel nicht verlassen; aber die Beobachtungen über diese Ortsveränderungen, mögen wir nun solche ein Streichen, Wandern oder Ziehen nennen, sind noch so lückenhaft und unvollständig, daß aus ihnen bestimmtes nicht gefolgert werden darf. Roquefeuil fand den Albatros noch an der Nordwestküste von Amerika, Gaimard beim Feuerlande unter dem fünfundfunfzigsten Grade der Breite, auf den Maluinen und längs der Ostküste von Amerika bis zu den Tropen; Boje begegnete ihm auf seiner Ueberfahrt nach Java vom Vorgebirge der Guten Hoffnung an in Gesellschaft des rußfarbigen Verwandten und vom neununddreißigsten Grade südlicher Breite an mit dem Brauenalbatros zusammen; Tschudi sah ihn unter dem neunundzwanzigsten Grade südlicher Breite zum ersten Male, zwischen diesem und dem dreiunddreißigsten Grade tagtäglich, besonders häufig aber zwischen dem vierzigsten und fünfundvierzigsten Grade. Vom funfzigsten Grade an wurde er seltener, mit dem vierundfunfzigsten verschwand er gänzlich, und von hier bis zum sechzigsten Grade der Breite wurde er nicht mehr gesehen; erst in der Südsee und zwar unter dem einundfunfzigsten Grade südlicher Breite erschien er dem Schiffe, welches den genannten Forscher trug, wieder, wurde von nun an täglich häufiger und zeigte sich wiederum zwischen dem sechsundvierzigsten und vierzigsten Grade in der größten Anzahl, bis unter dem zweiunddreißigsten Grade südlicher Breite auf dieser Fahrt der letzte beobachtet wurde. Da Tschudi auch die übrigen Arten nur innerhalb der angegebenen Breiten fand, hält er sich berechtigt, anzunehmen, daß das eigentliche Wohngebiet zwischen dem dreißigsten und vierzigsten Grade südlicher Breite liegt.

Alle reisenden Forscher stimmen ein in die Bewunderung des Fluges dieser Geier des Meeres. »Es ist«, sagt Bennett, »erheiternd und erfreulich, diese prachtvollen Vögel anstandsvoll und zierlich, wie von einer unsichtbaren Kraft geleitet, in den Lüften dahinschwimmen zu sehen. Denn kaum bemerkt man irgend eine Bewegung der Flügel, nachdem einmal der erste Antrieb gegeben und der gewaltige Flieger sich in die Luft erhob; man sieht sein Steigen und Fallen, als ob eine und dieselbe Kraft die verschiedenen Bewegungen hervorzubringen vermöge, als ob er seine Muskeln gar nicht anstrenge. Er schwebt hernieder, dicht am Steuer des Schiffes vorüber, mit einer Art von Unabhängigkeit, als sei er der Herrscher von allem, was unter ihm ist. Wenn er einen Gegenstand auf dem Wasser schwimmen sieht, läßt er sich nach und nach mit ausgebreiteten oder ausgespreizten Flügeln herab, setzt sich auch wohl auf das Wasser nieder und schwimmt, seine Nahrung verzehrend, wie eine Möve oder Ente; dann erhebt er sich, läuft mit ausgebreiteten Flügeln über die Seefläche dahin, beginnt zu kreisen und nimmt nun seinen umherschwärmenden Flug wieder auf. In seinen Bewegungen bemerkt man keine Anstrengung, aber Kraft und Nachhaltigkeit, vereinigt mit einer sich stets gleich bleibenden Zierlichkeit. Mit wirklicher Anmuth segelt er durch die Luft, von der einen zur anderen Seite sich neigend und dicht über den rollenden Wogen dahingleitend, so daß es aussieht, als müsse er die Flügelspitzen netzen; dann schwebt er wieder empor mit gleicher Freiheit und Leichtigkeit der Bewegung. So schnell ist sein Flug, daß man ihn wenige Augenblicke, nachdem er am Schiffe vorüberzog, schon in weiter Ferne sehen kann, steigend und fallend mit den Wellen, daß er einen ungeheueren Raum in der kürzesten Zeit zu durcheilen vermag. Während stürmischen Wetters fliegt er mit und gegen den Wind, wohnt als der fröhlichste unter den fröhlichen über den von heulenden Stürmen aufgerührten Wellen; denn auch, wenn er im Sturme fliegt, bemerkt man keine besondere Bewegung seiner Flügel: es sind dann nur die Fortschritte des Fluges etwas langsamer. Einige meinen, daß er niemals kraftlos, sondern wie ein Segelschiff gegen den Wind fliege und sich gerade, wenn er dies thue, besonders fördere.« Gould sagt, daß seine Flugkraft größer sei als die jedes anderen Vogels, den er beobachtet habe. »Obgleich er während des stillen Wetters manchmal auf dem Wasserspiegel ruht, so ist er doch fast beständig [561] im Fluge begriffen und streicht scheinbar ebenso selbstbewußt über die glatte Fläche während der größten Seeruhe dahin, als er pfeilschnell während des gewaltigsten Sturmes umherschwebt.« Jouan beobachtete, daß er bei Windstille etwa alle fünf Minuten, bei stärkerem Winde, welcher seine Bewegung offenbar fördert, sogar nur alle sieben Minuten einmal mit den Flügeln schlug. Sehr heftige Stürme sollen ihn überwältigen, wenigstens vor sich hertreiben. Bei Windstille wird ihm der Aufschwung schwer; denn er erhebt sich, wie so viele andere Vögel, stets in der Richtung gegen den Wind. Ehe er sich zum Fluge anschickt, läuft er, laut Köler, eine Strecke weit über die Wellen dahin, welche ihn während des Schwimmens hindern, sich mit voller Macht zu schwingen; beim Niederlassen verändert sich, wie Hutton angibt, sein Bild gänzlich, und seine Gestalt verliert alle Anmuth und Gleichmäßigkeit. Er erhebt seine Schwingen, legt den Kopf nach hinten, zieht den Rücken ein, streckt die unförmlich großen Füße mit den ausgebreiteten Zehen von sich und fällt sausend auf das Wasser herab. Hier ist er übrigens auch zu Hause. Er schwimmt auf den Wellen leicht wie Kork und weiß sich ziemlich schnell zu fördern, ist aber unfähig zu tauchen und kann den reich befiederten Leib wenigstens nur dann unter das Wasser zwingen, wenn er sich aus hoher Luft herabstürzt: Bennett versichert, gesehen zu haben, daß einer stoßtauchend acht Sekunden unter den Wellen blieb. Auf festem Boden verliert er fast alle Bewegungsfähigkeit. In der Nähe seines Nestes soll er schwerfällig wie ein Schwan dahinwatscheln, auf dem Verdecke des Schiffes nur mit größter Anstrengung sich bewegen können. Die Stimme ist oft mit dem Geschreie des Esels verglichen worden; Tschudi aber sagt, daß dies eine müßige Uebertreibung sei, und daß der Vogel nur ein lautes, höchst unangenehmes Kreischen vernehmen lasse, und Bennett meint, daß man letzteres mit dem Schwanengeschreie vergleichen könne. Köler berichtet, daß der Vogel bei Zorn oder Furcht wie der Storch mit dem Schnabel klappere. Unter den Sinnen steht das Gesicht unzweifelhaft obenan, da jede Beobachtung beweist, daß der Albatros auf weite Entfernungen hin deutlich wahrnimmt, beispielsweise so eilig wie möglich herbeikommt, wenn er kleinere Sturmvögel sich über einer Stelle der See beschäftigen sieht. Ueber den Verstand ist schwer ein Urtheil zu fällen, weil die Lebensverhältnisse des Vogels so ganz eigenthümlich sind und er seine geistigen Kräfte dem Menschen gewöhnlich nicht anschaulich machen kann. Wenn Tschudi's Angabe, daß er die von Süden nach Norden segelnden Schiffe länger begleite als die in umgekehrter Richtung fahrenden, richtig ist, würde dies auf sehr hohen Verstand deuten; Tschudi folgert daraus, daß der »Instinkt«, wie er es nennt, ihn abhält, einem Fahrzeuge lange zu folgen, welches schnell einem ihm nicht behagenden Klima entgegen geht. Die Furchtlosigkeit, mit welcher er sich dem Menschen naht, und die Dummdreistigkeit, welche er zuweilen offenbart, dürfen uns nicht verleiten, schwachen Verstand bei ihm vorauszusetzen: es mangelt ihm eben die Gelegenheit, den Menschen kennen zu lernen, und er benimmt sich ihm gegenüber nicht anders, als er es sonst gewohnt ist, würde also vielleicht sein Benehmen ändern, wenn er mehr Gelegenheit hätte, Erfahrungen zu sammeln. Schon daß er den Schiffen folgt, setzt ein gewisses Verständnis voraus: er weiß, daß von dort aus immer etwas genießbares für ihn abfällt. Wie bei allen freßsüchtigen Vögeln überwiegt seine Gier freilich fast stets die Vorsicht: ein und derselbe Albatros läßt sich, wenn er durch stürmisches Wetter verhindert wurde, längere Zeit etwas zu fangen, oft sechs- bis achtmal nach einander an die Angel locken und hascht, wenn er an Bord gebracht und wieder freigelassen wurde, mit noch blutendem Schnabel sofort wieder nach dem Köder. »An einer der Staateninseln«, erzählt Tschudi, »angelte ich einen ausgezeichnet großen Albatros und band ihm eine dünne Bleiplatte um den Hals, auf welcher der Name des Schiffes, der Tag, die geographische Länge und Breite eingegraben waren. Wie ich in Valparaiso erfuhr, war er vierzehn Tage später von einem französischen Schiffe ebenfalls geangelt worden.« Mit anderen seiner Art scheint der Albatros bloß während der Brutzeit gesellig zu leben. Auf dem Meere sieht man zwar oft viele unweit von einander fliegen; jeder einzelne aber scheint seinen Weg selbständig zu verfolgen und sich bloß insofern um die Thätigkeit der anderen zu bekümmern, als dieselbe eine für ihn versprechende ist. Kleinere Sturmvögel behandelt er wie der [562] Königsgeier seine sogenannten Unterthanen oder wie der stärkere überhaupt schwächere Thiere: er benutzt ihre Kräfte und kommt herbei, wenn er sieht, daß sie Nahrung entdeckt haben, schreckt sie in die Flucht, nimmt das von jenen erbeutete oder doch aufgefundene für sich in Beschlag und fliegt dann seines Weges weiter, ohne sich um das unter ihm stehende Gefindel fernerhin zu kümmern.

Soviel wir bis jetzt wissen, müssen wir den Albatros zu den Tagevögeln zählen; seine Thätigkeit währt aber länger als die der meisten übrigen Vögel, und er scheint kaum der Ruhe zu bedürfen oder doch durch eine sehr kurze Rast zu neuer Bewegung hinlänglich gestärkt zu sein. Heimisch auf dem weiten Meere, wo er sich auch befinden mag, fliegt er, unbesorgt um Entfernungen, welche andere Vögel vielleicht als Wanderungen betrachten würden, seines Weges fort; Nahrung suchend, fressend, ruhend und wieder fliegend, vergeht ihm der Tag. Seine außerordentliche Flugfertigkeit macht es ihm leicht, mit dem schnellsten Schiffe zu wetteifern. »Obgleich ein Fahrzeug«, sagt Gould, »vor dem Winde oft mehr als zwölf englische Meilen in einer Stunde zurücklegt und Tage nach einander in gleicher Weise sich bewegt, verursacht es doch dem Albatros nicht die geringste Mühe, mit solchem Schiffe zu fliegen; er beschreibt dabei noch Kreise von mehreren Meilen und kehrt immer und immer wieder in die Nähe des Schiffes zurück, um das aufzufangen, was man über Bord wirft.« Tschudi ließ einem am Bord seines Schiffes gefangenen Albatros Kopf, Hals und Brust mit Theer bestreichen und ihm darauf die Freiheit wiedergeben. »Das Thier entfernte sich augenblicklich vom Schiffe, erschien aber nach drei Viertelstunden wieder unter einem Schwarme von Sippschaftsgenossen und Sturmvögeln, welche dem Fahrzeuge beständig folgten. Ich schenkte ihm meine volle Aufmerksamkeit, und auf meine Aufforderung achtete auch jedesmal der wachhabende Officier genauer auf ihn. Unseren vereinten Beobachtungen gelang es, festzustellen, daß der bezeichnete Vogel während sechs voller Tage dem Schiffe folgte und in dieser Zeit sich nur viermal, jedoch nie länger als höchstens eine Stunde, außerhalb unserer Sehweite verlor. Am siebenten Tage in der Frühe strich er seewärts und wurde später nicht mehr wieder gesehen. Daß er dem Schiffe auch während der Nacht folgte, konnte insofern mit Bestimmtheit angenommen werden, als wir ihn bei einbrechender Dunkelheit, so lange es noch möglich war, ihn überhaupt zu unterscheiden, beobachteten und ihn der Officier der ersten Morgenwache immer wieder unermüdlich fliegen sah. Es ist dabei wohl zu berücksichtigen, daß das Schiff oft mehrere Wochen nach einander sieben bis neun Knoten in der Stunde zurücklegte, wenn auch in dem sechstägigen Durchschnitte nur vierundeinhalb Knoten.«

Der Grund, welcher den Albatros bewegt, so ausgedehnte Strecken zu durchfliegen und weitaus den größten Theil seines Lebens in der Luft zu verbringen, ist sein unersättlicher Heißhunger. Seine Verdauung ist ungemein schnell, er deshalb auch genöthigt, beständig nach Beute zu suchen; wenn er wirklich einmal so glücklich war, durch reichlichen Genuß sich zu feisten, verurtheilt ihn ein länger währender Sturm zum Fasten und nimmt ihm das Fett wieder, welches er sich ansammelte. Eine noch heutigentages allgemeine, aber irrthümliche Auffassung läßt viele annehmen, daß den Seefliegern Stürme günstig wären, weil diese, wie man meint, Weichthiere und Fische aufrühren sollen; das stürmische Meer hindert sie aber im Gegentheile, ihre gewohnte Nahrung zu finden, und gerade deshalb nähern sie sich dann den Schiffen mehr als sonst, in der Hoffnung, ihren bellenden Magen dort befriedigen zu können. Bei ruhigem Wetter fressen die Albatrosse wahrscheinlich nur verschiedene Kopffüßler und andere Weichthiere, welche sie von der Oberfläche des Wassers aufsammeln. Sie sind nicht im Stande, lebende Fische zu fangen; man sieht sie auch nicht sich nach Art der Stoßtaucher plötzlich auf das Wasser herabstürzen, sondern, wenn etwas auf den Wellen treibt, sich festsetzen, es mit dem Schnabel aufnehmen und schwimmend verschlingen. »Deshalb«, bemerkt Hutton, »kann man sie bloß dann fangen, wenn das Schiff langsam geht, d.h. vier bis fünf Knoten in der Stunde zurücklegt; aber man muß selbst dann eine genügend lange Leine auswerfen und ihnen Gelegenheit geben, sich den Bissen ordentlich ansehen zu können.« Außer den verschiedenen Weichthieren nehmen sie allerdings auch Aas größerer Thiere zu sich und [563] zeigen sich in dieser Hinsicht so recht eigentlich als die Geier des Meeres. Marion de Proce traf einmal eine größere Anzahl von Albatrossen an, welche sich um das stinkende Aas eines Walfisches stritten und um das ansegelnde Schiff wenig kümmerten, weil sie eifrig beschäftigt waren, Stücke von dem Leichname abzureißen. Man machte ein Boot fertig und näherte sich ihnen: sie ließen es ruhig geschehen; denn ihre Freßgier war so groß, daß man sie mit der Hand hätte fangen können, hätte man sich vor ihren Bissen nicht gefürchtet. Gould findet die »entsetzliche Geschichte« wahrscheinlich, daß die Albatrosse ertrunkene Menschen angehen und, »wie die Raben am Bache«, ihnen die Augen aushacken; für mich unterliegt es keinem Zweifel, daß sie dies thun, und ich sehe auch gar nicht ein, warum sie zwischen dem Aase eines Menschen oder dem eines Walfisches einen Unterschied machen sollen: fressen sie doch die Leichname ihrer Artgenossen ohne Bedenken an.

Ueber die Fortpflanzung der Albatrosse fehlen noch eingehende Mittheilungen vorurtheilsfreier Beobachter, um so mehr, als verschiedene Fabeln hierüber verbreitet worden sind. Cornick theilt Gould nach einigen Wahrnehmungen ungefähr folgendes mit. Der Albatros brütet auf den Inseln Auckland und Campbell im November und December. Grasbedeckte Abhänge der Hügel über den Dickichten der Waldungen sind die Stellen, welche er für den Bau seines Nestes wählt. Dasselbe besteht aus Ried, trockenem Grase und dürren Blättern, welche zusammengeknetet worden sind, hat unten einen Umfang von zwei Meter, oben einen Durchmesser von siebzig Centimeter und ist funfzig Centimeter hoch. Gewöhnlich wird nur ein einziges Ei in dasselbe gelegt; nach Untersuchung von mehr als hundert Nestern fand Cornick wenigstens bloß ein Nest, welches deren zwei enthielt. Die Eier sind zwölf Centimeter lang und acht Centimeter dick. Dem Besucher des Brutplatzes verräth sich der sitzende Albatros durch seinen weißen, vom Grase abstechenden Kopf schon von weitem. Er scheint während des Brütens zu schlafen oder verbirgt doch den Kopf unter den Flügeln. Bei Annäherung eines Feindes vertheidigt er sein Ei und will nicht vom Neste, bis man ihn dazu zwingt; dann wackelt er wie ein im Brüten gestörter Alk eine kurze Strecke weit weg, ohne jedoch einen Versuch zum Davonfliegen zu machen. Sein größter Feind ist eine freche Raubmöve; denn sobald er vom Neste aufsteht, stößt dieser Räuber herab und frißt ihm sein Ei; der Albatros kennt sie auch sehr wohl und klappert, wenn er sie bemerkt, heftig mit dem Schnabel.

Es bedarf nur des Auswerfens einer starken, gut geköderten Angel, um sich der Albatrosse zu bemächtigen. Wenn einer von ihnen an die Angel gebissen hat und angezogen wird, umkreisen ihn die anderen mit lautem, kreischendem, unangenehmem Geschreie. Der auf das Verdeck gebrachte Vogel ist vollkommen hülflos und läßt sich, im Bewußtsein seiner Schwäche, unglaublich viel gefallen, beißt aber doch zuweilen heftig um sich. Gould bemerkt, daß die Angelung den Albatrossen keinen Schmerz verursache, da der Haken nur in die krumme, unempfindliche Hornspitze des Schnabels einsticht, höchst selten aber wirklich ein Tropfen Blut fließt. Dies mag auch dazu beitragen, daß ein frei gewordener Albatros sich leicht zum zweiten Male wieder fängt. Schwerer hält es, dem zähen Leben des Vogels ein Ende zu machen. Die Matrosen bohren ihm eine lange Segelnadel in das Gehirn; diese Hinrichtung ist aber eine langwierige Quälerei, und Tschudi hat selbst gesehen, daß ein Albatros mit einer funfzehn Centimeter langen Nadel im Kopfe davonflog. Dagegen kann der Vogel durch einen leichten Schlag auf den Hinterkopf vermittels eines Holzstückes fast augenblicklich getödtet werden. Das harte und thranige Fleisch wird von den Seeleuten bloß dann gegessen, wenn großer Mangel an frischen Nahrungsmitteln herrscht. Vor dem Kochen legt man den Körper erst vierundzwanzig Stunden und noch länger in Seewasser oder setzt ihn ebenso lange Wind und Wetter aus, um den unangenehmen Geschmack theilweise zu beseitigen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Sechster Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Dritter Band: Scharrvögel, Kurzflügler, Stelzvögel, Zahnschnäbler, Seeflieger, Ruderfüßler, Taucher. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 559-564.
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