Sanderling (Calidris arenaria)

[290] Der Sanderling (Calidris arenaria, rubidus, tringoides, grisea, americana und Muelleri, Tringa arenaria und tridactyla, Charadrius calidris und rubidus, Arenaria calidris, vulgaris und grisea) unterscheidet sich von seinen Verwandten dadurch, daß ihm die Hinterzehe fehlt. Seine Länge beträgt achtzehn, die Breite achtunddreißig, die Fittiglänge zwölf, die Schwanzlänge fünf Centimeter. Das Gefieder ist im Sommer auf Kopf, Hals, Kehle und Kropf hellrostroth, auf ersterem durch breite, auf letzteren Theilen durch schmale, dunkle Längsstriche gezeichnet, auf Mantel und Schultern schwarz, mit breiten, blaß rostrothen Rand- und Endflecken geziert, unterseits dagegen weiß; die ersten fünf Steuerfedern sind an der Wurzel weiß, vorn weißgrau. Das Auge ist tiefbraun, der Schnabel schwärzlich, der Fuß dunkelgrau. Im Winterkleide ist das Gefieder des Oberkörpers licht aschgrau, durch weißliche Spitzensäume und schwärzliche Schaftflecke gezeichnet, das des Unterkörpers rein weiß. Im Jugendkleide sieht der Mantel sehr dunkel aus, ist ebenfalls durch weißliche Federränder gezeichnet, der Oberflügel aschgrau, die Stirne, ein Streifen über dem Auge, das Gesicht und der Unterleib rein weiß.

Der Norden der ganzen Erde ist die Heimat dieses niedlichen Vogels, die Küste des Meeres sein Aufenthalt. Von hier auswandert er im Winter südlich, findet zwar schon in Griechenland, Italien, Spanien, Egypten, China oder New Jersey geeignete Winterherbergen, kommt aber auch in südlicheren Breiten, insbesondere in Südasien, Mittelafrika, Brasilien, vor, wurde überhaupt bisher nur in Australien noch nicht beobachtet. Im Inneren des Festlandes zeigt er sich selten, scheint vielmehr auf seinem Zuge der Küste des Meeres zu folgen. Wie die übrigen Strandläufer lebt er in der Winterherberge zu mehr oder minder zahlreichen Flügen vereinigt, im Sommer jedoch paarweise.

Betragen und Wesen ähneln denen anderer Strandläufer. Der Gang ist zierlich und behend, der Flug schön, gewandt und schnell, dem des Flußregenpfeifers ähnlich. In seinem Treiben zeigt sich der Sanderling still, geschäftig, etwas gemächlicher als seine Verwandten, aber auch harmloser und zutraulicher. Er mischt sich oft unter die Flüge anderer Strandläufer oder überhaupt unter die Gesellschaften der Strandvögel, bekundet vor dem Menschen wenig Furcht, läßt sich also bequem beobachten, fangen, in Schlingen treiben und erlegen, selbst mit Steinwürfen tödten, auch durch wiederholte Schüsse so leicht nicht vertreiben. Die Stimme ist ein einfacher, pfeifender, kurz abgebrochener, sanfter Ruf, welcher durch die Silbe »Zi« oder »Schri« wiedergegeben werden kann, nach den Umständen aber verschieden betont wird und dann auch verschiedene Bedeutung erlangt.

Wie die Verwandten nährt sich auch der Sanderling von allerlei Kleingethier. Man sieht die Gesellschaft dicht an der Brandungslinie der See stehen, eine sich überstürzende Welle erwarten, hierauf mit dem zurückkehrenden Wasser seeeinwärts eilen, vor der nächsten Welle zurückflüchten, und in dieser Weise stundenlang auf- und niederlaufen. Doch gewahrt man ihn auch weiter vom Wasser entfernt, eifrig beschäftigt, hier und dort etwas aufzupicken, und in seine Arbeit so sich vertiefen, daß er den Menschen bis auf wenige Schritte herankommen läßt, bevor er zu ihm aufblickt und dann erst erschreckt davoneilt. Naumann sagt, daß er eine wohlbesetzte Tafel sehr liebe und bei den Freuden derselben selbst seine Sicherheit hintanzusetzen scheine.

Da der Sanderling ausschließlich im höchsten Norden nistet, ist seine Fortpflanzungsgeschichte noch unbekannt. Die Eier ähneln denen des kleinen Alpen-oder Bergstrandläufers; sie sind auf [290] lehmgelblichem oder grünlichem Grunde mit einigen schwach purpurbräunlichen Flecken und etwas unregelmäßigen gelblichbraunen Tupfen gezeichnet.

An den Seeküsten jagt man den Sanderling wie alles kleinere Strandgeflügel überhaupt und erlegt oft viele der harmlosen Thierchen mit einem einzigen Schusse. Nach Versicherung Naumanns läßt er sich leicht zähmen und zeigt sich schon nach wenigen Tagen so kirr und zutraulich, daß er dadurch oft in Gefahr geräth und zuletzt gewöhnlich todt getreten wird.


Sanderling (Calidris arenaria). 1/2 natürl. Größe.
Sanderling (Calidris arenaria). 1/2 natürl. Größe.

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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Sechster Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Dritter Band: Scharrvögel, Kurzflügler, Stelzvögel, Zahnschnäbler, Seeflieger, Ruderfüßler, Taucher. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 290-291.
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