Sumpfrohrdommel (Ardea lentiginosa)

[387] Im Norden Amerikas vertritt unsere deutsche Art die Sumpfrohrdommel (Ardea lentiginosa, minor, hudsonia, hudsonis und Mokoho, Botaurus lentiginosus, minor, adspersus und mugitans, Butor lentiginosus und americanus), welche sich wiederholt nach Europa verflogen hat. Sie ist merklich kleiner und erheblich dunkler, jener aber ähnlich gefärbt, oberseits auf dunkel röthlichbraunem Grunde schwarzbraun und rostgilblich gefleckt, gewellt und sonstwie gezeichnet, unterseits auf der rostgilblich weißen Brust durch einen breiten braunen Mittelstreifen, auf den verlängerten Brustfedern durch zackige Schaftstreifen, am Halse seitlich durch einen schwarzen Längsstreifen geziert; die Handschwingen sind schwarzbraun, die Armschwingen am Ende breit kastanienrothbraun gesäumt, die Schwanzfedern auf braunem Grunde röthlich gemarmelt.

Die Rohrdommel ist nicht selten in Deutschland, häufig in Holland, gemein in den Tiefländern der Donau und Wolga, verbreitet sich nach Osten hin über ganz Mittelsibirien, nach Westen hin über Süd-und Mitteleuropa und besucht auf dem Zuge Nordafrika, scheint aber nicht weit ins Innere vorzudringen, da ich sie nur an den nordegyptischen Strandseen beobachtet habe. An allen Orten, wo sie vorkommt, lebt sie vorzugsweise in Seen, Teichen oder Brüchen, welche theilweise mit hohem Rohre bestanden sind, unter Umständen aber auch im dichten Weidengebüsche[387] nasser, von Gräben durchzogener Wiesen, so im Spreewalde. Im Norden Deutschlands erscheint sie zu Ende des März oder im Anfange des April; ihren Rückzug tritt sie im September oder Oktober an; bei milder Witterung verweilt sie jedoch auch länger im Norden, da, wo es offenes Wasser gibt, sie sich also ernähren kann, zuweilen das ganze Jahr über. Von Südungarn aus werden schwerlich viele wegziehen, und diejenigen, welche von uns auswandern, wohl auch nur selten bis nach Afrika reisen, vielmehr schon im Süden Europas überwintern. Während des Zuges läßt sich eine Rohrdommel ausnahmsweise auch fern von Gewässern, beispielsweise in Gebirgswäldern, welche sie sonst ängstlich meidet, zum Ausruhen nieder.


Rohrdommel (Ardea stellaris). 1/4 natürl. Größe.
Rohrdommel (Ardea stellaris). 1/4 natürl. Größe.

In der Fertigkeit, die sonderbarsten Stellungen anzunehmen, übertrifft sie noch ihre kleine Verwandte. Wenn sie ruhig und unbefangen steht, richtet sie den Leib vorn etwas auf und zieht den langen Hals so weit ein, daß der Kopf auf dem Nacken ruht; im Fortschreiten hebt sie den Hals mehr empor; in der Wuth bläht sie das Gefieder, sträubt die Hinterhauptsfedern, sperrt den Schnabel etwas auf und wappnet sich zum Angriffe. Wenn sie täuschen will, setzt sie sich auf die Fußwurzeln und streckt Rumpf und Hals, Kopf und Schnabel in einer geraden Linie schief nach oben, so daß sie eher einem alten, zugespitzten Pfahle oder abgestorbenen Schilfbüschel als einem Vogel gleicht. Ihr Gang ist langsam, bedächtig und träge, der Flug sanft, geräuschlos, langsam und scheinbar ungeschickt. Um die Höhe zu gewinnen, beschreibt sie einige Kreise, aber nicht schwebend, sondern stets flatternd, und ebenso senkt sie sich auch beim Niederkommen bis dicht über das Rohr herab, zieht plötzlich die Flügel ein und fällt senkrecht zwischen den Stengeln nieder. Uebrigens fliegt sie nur des Nachts in höhere Luftschichten, bei Tage hingegen stets dicht über dem [388] Rohre dahin. Wenn sie des Nachts fliegt, vernimmt man auch ihre gewöhnliche Lockstimme, ein lautes, rabenartiges Krächzen, welches man durch die Silben »Krah« oder »Krauh« ungefähr wiedergeben kann; denn das berüchtigte Brüllen läßt sie nur während der Paarungszeit hören. Faulheit, Trägheit und Langsamkeit, Aengstlichkeit und Argwohn, List und Verschlagenheit, Boshaftigkeit und Heimtücke sind ihre Eigenschaften. Sie lebt nur für sich und scheint jedes andere Geschöpf zu hassen; diejenigen Thiere, welche sie verschlingen kann, bringt sie um, diejenigen, welche hierzu zu groß sind, greift sie wüthend an, wenn sie ihr zu nahe kommen. So lange irgend möglich, zieht sie sich vor jedem größeren Gegner zurück; in die Enge getrieben, geht sie demselben tollkühn zu Leibe und richtet ihre Schnabelstöße mit so viel Geschick, Böswilligkeit und Schnelligkeit nach den Augen ihres Widersachers, daß sich selbst der kluge Mensch sehr in Acht zu nehmen hat, wenn er von ihr nicht gefährlich verletzt werden soll. Die Gefangenschaft ändert ihr Wesen nicht; auch die jung aufgezogenen Rohrdommeln bekunden gelegentlich alle diese widerwärtigen Eigenschaften.

Fische, insbesondere Schlammbeißer, Schleien und Karauschen, Frösche, Unken und andere Wasserlurche verschiedener Art, aber auch Schlangen, Eidechsen, junge Vögel und kleine Säugethiere bis zur Größe von Wasserratten bilden ihre Nahrung. Zuweilen frißt sie fast nur Egel, und zwar hauptsächlich die Pferdeegel, unbekümmert um deren scharfen Saugapparat und ohne sie vorher zu tödten. Sie jagt bloß des Nachts, aber von Sonnenuntergang bis zu Sonnenaufgang, bedarf viel zu ihrer Sättigung, bringt aber doch kaum merklichen Schaden, da ihre kurzen Beine Jagd in tieferem Wasser nicht gestatten.

Der absonderliche Paarungsruf der männlichen Rohrdommel, ein Gebrüll, welches dem der Ochsen ähnelt und in stillen Nächten zwei bis drei Kilometer weit vernommen werden kann, ist aus einem Vorschlage und einem Haupttone zusammengesetzt und klingt, nach der Naumannschen Uebersetzung, wie »Ueprumb«. Dabei vernimmt man, wenn man sehr nahe ist, noch das Geräusch, welches klingt, als ob jemand mit einem Rohrstengel auf das Wasser schlüge. Ehe der Vogel ordentlich in Zug kommt, klingt sein Lied ungefähr so: »Uü ü prumb«, sodann »Ue prumb, ü prumb, ü prumb«. Zuweilen, aber selten, schließt sich dem »Prumb« noch ein »Buh« an. Zum Anfange der Begattungszeit brüllt das Männchen am fleißigsten, beginnt damit in der Dämmerung, ist am lebendigsten vor Mitternacht, setzt es bis zu Ende der Morgendämmerung fort und läßt sich zwischen sieben und neun Uhr noch einmal vernehmen. Graf Wodzicki hat durch eine Beobachtung die uralte Angabe über die Art und Weise des Hervorbringens eines so ungewöhnlich starken Lautes bestätigt. »Der Künstler«, sagt er, »stand auf beiden Füßen, den Leib wagerecht gehalten, den Schnabel im Wasser, und das Brummen ging los; das Wasser spritzte immer auf. Nach einigen Noten hörte ich das Naumann'sche ›Ue‹, und das Männchen erhob den Kopf, schleuderte ihn hinter, steckte den Schnabel sodann schnell ins Wasser, und da erschallte das Brummen, so daß ich erschrak. Dies machte mir klar, daß diejenigen Töne, welche nur im Anfange so laut tönen, hervorgebracht werden, wenn der Vogel das Wasser tief in den Hals genommen hat und mit viel größerer Kraft herausschleudert als sonst. Die Musik ging weiter, er schlug aber den Kopf nicht mehr zurück, und ich hörte auch die lauten Noten nicht mehr. Es scheint also, daß dieser Laut die höchste Steigerung des Balzens ist, und daß er ihn, sobald seine Leidenschaft befriedigt ist, nicht mehr wiederholt. Nach einigen Akkorden hebt er behutsam den Schnabel aus dem Wasser und lauscht; denn wie es mir scheinen will, kann er sich nicht auf das entzückte Weibchen verlassen.« Die Rohrdommel steht beim Balzen nicht im dichtesten Rohre, sondern vielmehr auf einem kleinen, freien Plätzchen; denn das Weibchen muß ihren Künstler ansehen können. Das Geplätscher, als schlüge jemand mit einem Rohrstengel auf das Wasser, verursacht das Männchen mit dem Schnabel, indem es, wenn es laut wird, zwei- bis dreimal das Wasser schlägt und dann endlich den Schnabel hineinsteckt. Andere Töne, wenn man so sagen darf, Wassertöne, sind die, welche durch mehr oder weniger übrig gebliebene, herabfallende Wassertropfen hervorgebracht werden. Das letzte dumpfe ›Buh‹, welches man vernimmt, wird durch das Ausstoßen des noch im [389] Schnabel befindlichen Wassers beim Herausziehen des ersteren hervorgebracht. Ein Männchen, welches Wodzicki im Brummen störte, flog auf und spritzte einen soeben eingeschlürften, sehr beträchtlichen Wasserstrahl weit von sich.

Unweit der Stelle, von welcher man das Brüllen am häufigsten vernimmt, selbstverständlich an einem möglichst verborgenen und schwer zugänglichen Orte, in der Regel auf altem umgeknickten Rohre über dem Wasser, zuweilen auf Erdhügelchen oder kleinen Schilfinselchen, ausnahmsweise als schwimmender Bau auch auf dem Wasserspiegel selbst, steht das Nest: bald ein sehr großer, hoher, liederlich zusammengeschichteter Klumpen, bald ein kleiner und etwas besserer, aus dürrem Rohre, Blättern, Seggen, Schilf, Wasserbinsen und dergleichen bestehender, innen mit alten Rohrrispen und dürrem Grase ausgelegter Horst. Vom Ende des Mai an findet man das vollzählige Gelege, drei bis fünf Stück eiförmige, starkschalige, glanzlose Eier von zweiundfunfzig Millimeter Längen-, neununddreißig Millimeter Querdurchmesser und blaß grünlichblauer Färbung. Das Weibchen brütet allein, wird aber währenddem mit Futter versorgt und von Zeit zu Zeit mit Gebrüll unterhalten. Vor dem sich nahenden Menschen entflieht es erst, wenn derselbe sich bis auf wenige Schritte genaht hat; einen Hund läßt es noch näher herankommen. Nach einundzwanzig bis dreiundzwanzig Tagen entschlüpfen die Jungen, werden von der Mutter noch einige Tage gewärmt und in Gemeinschaft mit dem Vater geätzt. Ungestört verweilen sie bis zum Flüggesein im Neste, gestört, entsteigen sie demselben, noch ehe sie fliegen lernen und klettern im Rohre auf und ab. Wenn sie ihre Jagd betreiben können, vereinzeln sie sich und streifen bis zum Zuge im Lande umher.

In Deutschland wird die Rohrdommel nicht regelmäßig, zuweilen, namentlich an Orten, wo sie nicht regelmäßig sich sehen läßt, durch ihr Brüllen die Aufmerksamkeit, falls nicht abergläubische Furcht der Leute erregt, aber sehr eifrig gejagt. In Griechenland oder in Südeuropa überhaupt stellt man ihr des Fleisches wegen nach, welches trotz des thranigen, für uns höchst widrigen Geschmackes gern gegessen wird.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Sechster Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Dritter Band: Scharrvögel, Kurzflügler, Stelzvögel, Zahnschnäbler, Seeflieger, Ruderfüßler, Taucher. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 387-390.
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