Triel (Oedicnemus crepitans)

[242] Unser Triel, Dickfuß, Klut, Steinpardel, Brachhuhn, und wie er sonst noch heißt (Oedicnemus crepitans, scolopax, griseus, europaeus, indicus, arenarius, desertorum und Bellonii, Charadrius oedicnemus, scolopax und illyricus, Otis und Fedoa oedicnemus), ist etwa fünfundvierzig Centimeter lang und achtzig Centimeter breit; die Fittiglänge beträgt fünfundzwanzig, die Schwanzlänge dreizehn Centimeter. Das Gefieder der ganzen Oberseite sieht lerchenfarben aus; die Federn sind rostgrau und in der Mitte schwarzbraun gestreift, die Stirne, eine Stelle vor dem Auge, ein Streifen über und unter ihm weiß, ebenso ein Streifen auf dem Oberflügel, die Federn der Unterseite gilblichweiß, die Schwungfedern schwarz, die Steuerfedern schwarz an der Spitze und seitlich weiß. Das Auge ist goldgelb, der Schnabel gelb, an der Spitze schwarz, der Fuß strohgelb, das Augenlid ebenfalls gelb. Bei jungen Vögeln spielt die Hauptfarbe mehr ins Rostfarbene.

Als eigentliche Heimat des Triel haben wir die Länder Südeuropas, Nordafrikas und Mittelasiens anzusehen, in denen es wirkliche Wüsten oder doch steppenartige Strecken gibt. Alle Mittelmeerländer, Syrien, Persien, Arabien, Indien usw. beherbergen ihn in Menge. In Ungarn, Oesterreich und Deutschland fehlt er jedoch auch nicht, findet sich selbst noch in Holland, Großbritannien, Dänemark, Südschweden und muß, wenigstens bei uns zu Lande, hier und da als regelmäßige Erscheinung gelten, da er alle Jahre auf einer und derselben Stelle gefunden wird. Die nördlichen Theile seines Verbreitungsgebietes verläßt er im Spätherbste, fliegt bis zum Süden Europas oder in eine ähnliche Breite hinab und kehrt im Frühjahre zurück; schon um das Mittelmeer herum aber wandert er nicht mehr, sondern treibt sich als Stand- oder doch als Strichvogel jahraus jahrein in demselben Gebiete umher. Letzteres kann sehr verschiedenartig, muß aber immer wüstenhaft sein. Im Campo Spaniens, auf den unbebauten Flächen oder den dürren Feldern der Mittelmeerinseln, in der eigentlichen Wüste oder an der Grenze derselben und ebenso da, wo die Wüste in die Steppe übergeht, tritt er als Charaktervogel des Landes auf; wenn er sich bei uns zu Lande ansiedeln soll, darf der Sand ihm mindestens nicht fehlen, gleichviel, ob er ausgedehnte Brachfelder oder spärlich bestandene Kieferwälder oder mit Buschwerk überdeckte Inseln in Strömen und Flüssen bewohnt. Im Süden Europas findet er fast allerorten ihm zusagende Wohnsitze, und in Egypten kommt er nun gar bis in die Städte herein und nimmt, wie wir sahen, auf den Wohnungen der sonst ängstlich von ihm gemiedenen Menschen seinen Stand. Die Araber haben mich versichert, daß der ihnen wohlbekannte Vogel »Karawan« auf den Moscheen, Fabriken und anderen Gebäuden, deren platte Dächer selten oder nie begangen werden, nicht bloß während des Tages sich aufhalte, sondern sogar da oben niste, und ich habe nach dem, was ich selbst beobachtet, keinen Grund, jene Angaben zu bezweifeln. Nur in einer Hinsicht scheint sich unser Triel unter allen Umständen gleich zu bleiben: sein Aufenthaltsort muß ihm stets weite Umschau oder doch sichere Deckung gewähren.

[242] Der Triel ist ein Freund der Einsamkeit, welcher sich kaum um seinesgleichen bekümmert, am wenigsten aber mit anderen Geschöpfen abgeben mag; aber er studirt seine Nachbarn und richtet nach dem Ergebnisse sein Verfahren ein. Vertrauen kennt er nicht; jedes Thier erscheint ihm, wenn nicht bedenklich, so doch beachtenswerth. Er beobachtet also jederzeit alles, was um ihn her vorgeht, und täuscht sich selten. Ihm ist es sehr wohl bewußt, daß jene platten Dächer egyptischer Städte ebenso sicher, vielleicht noch sicherer sind als die dürren Lehden bei uns zu Lande, welche ein schützendes Kieferdickicht umgeben, oder die sandigen, spärlich mit Weidicht bestandenen Inseln der Donau unterhalb Wiens, auf welche Kronprinz Rudolf uns führte, um uns das »Brachhuhn« zu zeigen, oder das weite Campo und die Wüste, welche seiner Sinnesschärfe den weitesten Spielraum bieten. Uebertags bemerkt man ihn selten, meist nur zufällig; denn er hat den Menschen, welcher sich seinem Standorte naht, viel eher gesehen, als dieser ihn. Befindet er sich auf einer weiten, ebenen Fläche ohne schützendes Dickicht, so duckt er sich platt auf den Boden nieder und macht sich dadurch, Dank seines erdfarbenen Gefieders, beinahe unsichtbar. Hat er ein Dickicht zur Deckung, so eilt er schnellen Laufes auf dieses zu, bleibt aber keineswegs hier unter einem Busche sitzen, sondern durchmißt den Versteckplatz mit fast ungeminderter Eile und tritt dann auf der Seite, welche dem Beobachter entgegengesetzt liegt, wieder auf das freie Feld heraus.


Triel (Oedicnemus crepitans). 1/4 natürl. Größe.
Triel (Oedicnemus crepitans). 1/4 natürl. Größe.

Im Campo oder in der Wüste drückt er sich zuerst auch nieder; sowie er aber gewahrt, daß der Verfolger ihm sich naht, erhebt er sich, läuft in einer wohlberechneten, für das Schrotgewehr stets zu großen Entfernung seines Weges dahin, sieht sich von Zeit zu Zeit überlegend um, läuft weiter und gewinnt so in der Regel bald genug den nöthigen Vorsprung, ohne seine Flügel zu Hülfe zu nehmen. Durch einen Reiter läßt er sich ebensowenig täuschen wie durch den Fußgänger; denn er [243] weiß sehr wohl, daß ihm nur das Pferd ohne Reiter ungefährlich ist. Sein Gang ist, so lange er sich nicht beeilt, steif und trippelnd, kann aber zum schnellsten Rennen gesteigert werden; der Flug ist sanft und weich, auch ziemlich gewandt, wird aber selten weit ausgedehnt. Im Inneren Afrikas, wo er wenig mit Menschen in Berührung kommt, geberdet er sich wie eine aufgescheuchte Eule, wie ein Vogel, dem die Helle des Tages den Verstand verwirrt, eilt so schnell wie möglich dem ersten besten Dickichte zu, um sich zu verbergen, während man bei uns zu Lande wohl Berechnung, nicht aber Verwirrung bei ihm wahrnehmen kann. Wenn die Nacht hereinbricht, wird er lebendig, rennt und fliegt unruhig hin und her, läßt seine Stimme erschallen, erhebt sich spielend leicht in verhältnismäßig bedeutende Höhen und entfaltet Künste des Fluges, welche man bei ihm nie vermuthen würde. Raschen Laufes huscht er über den Boden dahin, einer Schattengestalt vergleichbar, im Strahle des Mondes auf Augenblicke sich verkörpernd, auf nicht beleuchteten Stellen wiederum zum Gespenste sich wandelnd. Zunächst geht es der Tränke zu, und wenig kümmert es ihn, ob das erfrischende Wasser weit entfernt oder in der Nähe gelegen ist. Bei Mondscheine sieht man ihn von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang in Bewegung, und wahrscheinlich wird es in dunklen Nächten kaum anders sein. Die Stimme, welche man weit vernimmt und durch die Silben »Kräiith« ungefähr wiedergeben kann, klingt hell durch die stille Nacht, insbesondere während der Zugzeit, wenn der Vogel hoch oben seines Weges dahinfliegt.

Würmer, Kerbthiere in allen Lebenszuständen, Schnecken und andere Weichthiere, Frösche, Eidechsen und Mäuse sind das Wild, welchem der Triel nachstellt; Eier und junge Nestvögel werden wahrscheinlich auch nicht vor ihm gesichert sein. Den Feldmäusen lauert er, laut Naumann, wie eine Katze auf und fängt sie im Laufen sehr geschickt, indem er ihnen zuvörderst einen tüchtigen Schnabelhieb versetzt, sie hierauf packt, wiederholt gegen den Erdboden stößt, bis alle Knochen zerbrochen sind, und endlich, förmlich zerquetscht, hinunterschlingt. Auch die Kerbthiere tödtet er, bevor er sie verschluckt. Zur Beförderung der Verdauung nimmt er grobe Sandkörner auf.

Im Frühjahre kommt es ebensowohl der Weibchen als der Standorte wegen zwischen zwei Paaren zuweilen zu Raufereien; dabei fahren beide Kämpfer mit dem Schnabel heftig gegen einander los und verfolgen sich laufend oder fliegend. Hat der eine den anderen vertrieben, so kehrt er zum Weibchen zurück, läuft, laut Naumann, in engen Kreisen mit tief zu Boden herabgebeugtem Kopfe, hängenden Flügeln und fächerartig aufgerichtetem Schwanze um dieses herum und stößt ein sanftes »Dick, dick, dick« aus. Zu Ende des April findet man das Nest, eine kleine Vertiefung im Sande, und in ihm ohne jegliche Unterlage die drei bis vier Eier, welche Hühnereiern an Größe ungefähr gleichkommen, durchschnittlich dreiundfunfzig Millimeter Längs-, achtunddreißig Millimeter Querdurchmesser haben, ihnen auch in der Gestalt ähneln und auf bleich lehmgelbem Grunde schieferblaue Unterflecke und dunkelgelbe bis schwarzbraune Oberflecke und Schnörkel zeigen, unter sich aber hinsichtlich der Zeichnung sehr abweichen. Das Paar erzielt, ungestört, im Laufe des Sommers nur eine Brut; das Weibchen zeitigt die Eier innerhalb sechzehn Tagen, und das Männchen hält währenddem treue Wacht. Sobald die Jungen völlig abgetrocknet sind, folgen sie der Alten und kehren nie wieder ins Nest zurück. Anfänglich legen beide Eltern ihnen gefangene Beute vor; später gewöhnen sie dieselben an selbständiges Jagen. Die Küchlein drücken sich bei Gefahr sofort auf den Boden nieder, wo ihnen jede Unebenheit einen Versteckplatz gewährt. Ein Raubthier versuchen die Eltern abzulenken; dem geübten Jäger verrathen sie durch ihr ängstliches Umherlaufen den Versteckplatz.

Einen alten Triel so zu täuschen, daß man schußgerecht ihm ankommt, ist schwer. In Indien oder in der Sahara bedient man sich der Baizfalken zur Mithülfe. Eine Erfolg versprechende Fangart ist nicht bekannt; deshalb sieht man den theilnahmswerthen Gesellen selten einmal im Gesellschaftsbauer eines Thiergartens oder im Käfige eines Händlers und Liebhabers. »Mein Vater«, erzählt Naumann, »besaß einen lebenden Triel, welcher in seiner Wohnstube umherlief und ihm durch sein sanftes, zutrauliches Wesen viel Vergnügen gewährte. Sein erster Besitzer, welcher ihn [244] jung aufgezogen hatte, mochte ihn schlecht gefüttert und gepflegt haben; denn er kam in einem ganz verkümmerten Zustande in meines Vaters Besitz, als er schon über ein Jahr alt war, aber sein erstes Jugendgefieder, wie doch andere einmal mausernde Vögel zu thun pflegen, noch nicht gewechselt hatte. Diese erste Mauser erfolgte erst bei uns, ein halbes Jahr später, im Februar. Im nächsten Juli, als er zwei volle Jahre alt war, mauserte er zum zweiten Male in seinem Leben, und nun regelmäßig alle Jahre um diese Zeit. Sein tägliches Futter, Semmel in Milch gequellt, wurde manchmal mit etwas kleingeschnittenem gekochten Rindfleische vermischt; zuweilen bekam er auch einen Regenwurm oder ein Kerbthier, ein Mäuschen, ein Fröschchen, eine Heuschrecke. Mein Vater kehrte selten mit leeren Händen von seinen Spaziergängen zurück, und der Vogel, dies wissend, kam ihm immer schnell in der Thüre entgegen oder, wenn er letzteres versäumt hatte, auf den Ruf ›Dick, dick!‹ herbeigelaufen und nahm ihm das mitgebrachte aus der Hand. Er brachte ihm jene Geschöpfe gewöhnlich lebend, in ein grünes Blatt eingewickelt und mit einem Halme lose umwunden. Ein solches Päckchen nahm ihm der Vogel gleich ab, legte es hin, und beobachtete es genau, ob sich darin etwas rege; geschah dies, so schüttelte er es so lange, bis das Geschöpf frei ward und fortsprang, worauf er ihm nachsetzte, es erhaschte, mit einigen Schnabelstößen tödtete und zuletzt verschlang. Sehr bald wurde er es inne, wenn er mit einem umwickelten Blatte, in welchem sich nichts befand, gefoppt wurde, und ließ ein solches liegen, ohne es zu öffnen. Er hatte sich zuletzt so an meinen Vater gewöhnt, daß er stets zu seinen Füßen saß, wenn er anwesend war, oder, wenn er von draußen in die Stube trat, ihm sogleich freudig entgegentrat, auch oft in gebückter Stellung, den Schnabel tief zur Erde gehalten, die Flügel ausgebreitet, mit dem Schwanze ein Rad schlagend, mit einem sanften ›Dick, dick‹ ihn begrüßte. Er hatte erstaunend viele liebenswürdige Eigenschaften, wurde aber, weil er die Stube sehr verunreinigte, etwas lästig und war den Frauensleuten im Hause ein Greuel; aber auch er war ihnen abhold und fürchtete sich vor allen, besonders vor solchen, die mit einem Besen in der Hand eintraten, bis zum Wahnsinne. Seine kreischende Stimme ließ er nur abends und morgens, im Zwielichte, einigemale hören, belästigte aber sonst nicht damit. An seinen Freßnapf ging er auch nachts bei Lichte oder bei Mondschein, und ließ es sich da so wohl schmecken wie am Tage. Er sonnte sich ungemein gern, und es war ihm höchst zuwider, wenn ihn jemand aus den Sonnenstrahlen vertrieb; zum Zeichen seines Unwillens stieß er dann ein unangenehmes Schnarchen aus. Beleidigungen oder Aufregungen vergaß er nicht so leicht, zeigte überhaupt gegen die anderen Mitbewohner der Stube ein sehr verschiedenes Benehmen. Lieb hatte ihn im Hause eigentlich kein Mensch weiter als mein Vater, und die Figur des Vogels, besonders der dicke Kopf und die Glotzaugen, mißfielen jedermann.«

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Sechster Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Dritter Band: Scharrvögel, Kurzflügler, Stelzvögel, Zahnschnäbler, Seeflieger, Ruderfüßler, Taucher. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 242-245.
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