Steppenbrachschwalbe (Glareola melanoptera)

[268] Die Steppenbrachschwalbe (Glareola melanoptera, Nordmanni und Pallasii), welche in den Steppen um das Schwarze Meer heimisch ist, unterscheidet sich von der Verwandten durch höhere Läufe und braunschwarze Unterflügeldeckfedern.

Das Verbreitungsgebiet beider Schwalbenwader erstreckt sich weit über Europa hinaus. Die Brachschwalbe besucht auf ihrem Zuge alle Länder Süd-und Mitteleuropas, ganz Mittel- und Südasien und ganz Afrika, die Steppenbrachschwalbe annähernd dieselben Länder. Jene erscheint alljährlich zu tausenden und abertausenden in Egypten, war daher den alten Egyptern wohl bekannt, wurde sehr oft auf den Denkmälern dargestellt und als Jagdvogel bezeichnet, von welchem beispielsweise Ptah Hotep, ein reicher Egypter, nicht weniger als einhundert und elftausend erlegt haben will. Nach Heuglins Beobachtungen, mit denen die meinigen übereinstimmen, stellt sie sich im unteren Nillande wie am Rothen Meere bereits im August, spätestens im September ein, wandert zuweilen in unzählbaren Flügen längs des Niles oder der Küste des Rothen Meeres nach Inner-, West-und Südafrika, vertheilt sich hier über die Steppen, fängt Heuschrecken, erscheint mit Falken, Würgerschnäppern, Bienenfressern vor der Feuerlinie der brennenden Steppe, tummelt sich auf sandigen Uferstellen und Dünen, sammelt sich zu unschätzbaren Massen auf dem nach der Nilüberschwemmung freiwerdenden Schlammlande längs des Stromes, mausert, feistet sich und kehrt endlich, im April und Mai, wieder nach der Heimat zurück, verweilt dabei in Egypten noch mehrere Tage oder Wochen und wandert sodann rasch ihren Brutplätzen zu. Schon an den Neusiedler Seen in Ungarn nehmen viele ihrer Art Sommerherberge; häufiger begegnet man ihnen in Mittelungarn und in überraschend großer Anzahl an den Seen Südrußlands und Mittelsibiriens oder ebenso an ähnlichen Oertlichkeiten in Nordwestafrika und Kleinasien. Sie halten sich gern an ein Gewässer, ohne sich jedoch streng an dasselbe zu binden, machen zwischen salzigem und süßem Wasser keinen Unterschied, meiden aber während des Sommers die Küste des Meeres und ebenso sandige Uferränder. Sofort nach Ankunft auf den Brutplätzen vertheilen sie sich in Paare, und jedes von diesen behauptet seinen Standort, ohne jedoch wegen desselben mit anderen Ansiedlern in Streit zu gerathen. Baldamus fand auf einem Maisfelde am weißen Moraste funfzehn Nester auf einer Fläche von kaum zwanzig Ar, bestätigt aber die Beobachtungen Löbensteins, welcher ausdrücklich hervorhebt, daß sich die Pärchen streng zusammenhalten, und daß man dann selten mehr als zwei neben einander sieht.

Die Brachschwalbe ist ein ausgezeichneter Läufer, aber ein noch viel besserer Flieger. Der Lauf geschieht in kurzen Absätzen, nach Art der Regenpfeifer, mit dem Unterschiede jedoch, daß der Vogel dabei wie ein Steinschmätzer mit dem Schwanze wippt; der Flug erinnert nur entfernt an den anderer Stelzvögel, ähnelt vielmehr dem einer Seeschwalbe und zeichnet sich aus durch seine Schnelle, seine schönen Schwenkungen, die jähen Wendungen und den vielfachen Wechsel überhaupt. Die Stimme läßt sich durch die Silbe »Kliet«, welcher zuweilen ein schnarrendes »Kerr« angehängt wird, ungefähr ausdrücken; Naumann glaubt die Silben »Karjäh« und »Wedre« herausgehört zu haben. Unter den Sinnen steht unzweifelhaft das Gesicht obenan, wie schon das große Auge schließen läßt und der lebende Vogel jederzeit beweist.

Während der Brutzeit sieht man die zierlichen und harmlosen Vögel paarweise, entweder laufend oder fliegend ihre Jagd auf Kerbthiere, Käfer, Motten, Hafte, Libellen und Heuschrecken betreiben. Laufend jagen sie oft, und zwar nach Art der Rennvögel, nur mit der Eigenthümlichkeit, [268] daß eine und die andere Brachschwalbe zuweilen meterhoch vom Boden auf springt, um ein in solcher Entfernung vorüberschwirrendes Kerbthier wegzunehmen, weit häufiger aber fliegend, und zwar mit einer Gewandtheit und Geschicklichkeit, welche der wirklicher Schwalben wenig nachgibt.


Brachschwalbe (Glareola pratincola). 1/2 natürl. Größe.
Brachschwalbe (Glareola pratincola). 1/2 natürl. Größe.

Ueber dem Röhrichte der Sümpfe, über dem Getreide, insbesondere aber über Kleefeldern schweben sie unermüdlich auf und nieder, stürzen plötzlich herab, öffnen den tief gespaltenen Schnabel und fangen unter laut hörbarem Schnappen das erspähte Kerbthier, gleichviel ob dasselbe fliegt oder an einem der Halme festsitzt. Zeitweilig bilden Heuschrecken fast ausschließlich ihre Nahrung. Rasch verschlingt der Vogel ein solches Kerbthier, und die Verdauung desselben geschieht so wunderbar schnell, daß nach höchstens zehn Minuten die Reste des beim Durchgange durch den Darmschlauch gleichsam ausgepreßten Kerfes bereits wieder abgehen und so in kürzester Frist die Vertilgung einer erheblichen Anzahl des gefürchteten »Entblätterers« möglich wird. Alle Kerbthiere, welche die Brachschwalbe aufnimmt, werden ganz verschlungen, genau so, wie es der Ziegenmelker thut: von der Mühle fand in der Speiseröhre der von ihm auf der Jagd erlegten Brachschwalben werthvolle Käfer so vollständig erhalten, daß er sie für seine Sammlung verwenden konnte. Den Nachtschatten ähneln die Brachschwalben auch darin, daß sie zuweilen noch spät am Abende jagen, wie man sie überhaupt mehr Dämmerungs- als Tagvögel nennen möchte. Die Mittagsstunden wenigstens verschlafen sie, in der Nähe ihres Nestes oder während der Zugzeit in endloser Reihe an dem Ufer eines Flusses oder Sees sitzend.

Zu Nistplätzen bevorzugen sie seichte Ufer der Sümpfe, baumlose Viehweiden in der Steppe oder Feldflächen, welche nur theilweise angebaut sind. Das Nest besteht aus einer kleinen, mit [269] Halmen und Wurzeln ausgelegten Grube; das Gelege enthält vier Eier von durchschnittlich einunddreißig Millimeter Längs-und dreiundzwanzig Millimeter Querdurchmesser, welche denen der Zwergseeschwalbe ähneln und auf glanzlosem, lehmbräunlichem oder graugrünlichem Grunde mit vielen deutlichen grauen Schalenflecken und zahlreichen, verworrenen Schnörkeln von gelbbrauner bis kohlschwarzer Färbung bedeckt sind. Wie die meisten übrigen Stelzvögel lieben auch die Brachschwalben ihre Brut ungemein und wenden die verschiedensten Mittel an, um die geliebten Eier oder Kinder vor den Nachstellungen eines Feindes zu retten. Tobias erlegte mit dem zweiten Schusse seines Doppelgewehres den einen Gatten des Paares und beobachtete, daß der andere nach dem Schusse augenblicklich herbeigestürzt kam, neben dem todten Gefährten sich niedersetzte, hier verweilte, bis das Gewehr wieder geladen worden war und nun ebenfalls getödtet werden konnte. Löbenstein sah, als er sich einem Neste mit Eiern näherte, daß einer der Alten mit hängenden Flügeln und ausgebreitetem Schwanze umherlief, zu verschiedenen Malen sich niederdrückte, wieder eine Strecke lief und dies, unzweifelhaft in der Absicht, den Jäger wegzuführen, oft nach einander wiederholte. Ebenso nimmt die Brachschwalbe, laut Gonzenbach, in der Nähe des Nestes äußerst sonderbare Stellungen an, indem sie den Flügel wie Segel in die Höhe hebt oder wagerecht ausbreitet, so daß die Spitzen die Erde berühren, sich auch wohl mit ausgebreiteten Flügeln flach auf den Boden legt und eine Zeitlang in der Stellung verweilt, gewiß nur, um dasselbe zu erreichen, welches sie bezweckt, wenn sie davon hinkt. Erfahrungsmäßig macht sie länger fortgesetzte Jagd bald sehr scheu; in der Nähe ihres Nistplatzes aber vergißt sie alle Vorsicht, und der Jäger, welcher mit dem Hunde einen solchen Platz besucht, geht nie vergeblich aus, weil sie, wie Kiebitze, Seeschwalben und Möven, wüthend auf den Vierfüßler herabsticht. Die Jungen sind Nestflüchter, welche sich, wenn dies noth thut, in den ersten Tagen ihres Lebens, durch Niederducken zu verbergen wissen, rasch heranwachsen und bald alle Fähigkeiten ihrer Eltern sich erwerben.

In Ungarn und Rußland nimmt man den Brachschwalben rücksichtslos die Eier weg, welche man findet; in Griechenland verfolgt man auch die Alten des leckeren Fleisches wegen, welches zumal im Herbste sehr fett und dann höchst schmackhaft ist. Für den Käfig fängt man die prächtigen Vögel leider selten ein. Graf von der Mühle versichert, daß sich alt gefangene bei einem Ersatzfutter mit aufgeweichtem Milchbrode wohl befanden, mit allerlei anderem Strandgeflügel vertrugen und bald sehr zahm wurden. Eine Brachschwalbe, welche Savi mehrere Monate unterhielt, verschmähte kein Kerbthier, zog Maulwurfsgrillen jedem anderen Futter vor, nahm sie aber nie aus dem Wasser, sondern immer nur vom trockenen Boden weg oder aus der Hand des Pflegers, tödtete sie vor dem Verschlingen, indem sie dieselben gegen den Boden schlug und dann verschluckte. Später gewöhnte sie sich an hartgesottenes Ei und schien dieses zuletzt fast ebenso gern zu fressen wie Kerbthiere. Wenn sie Hunger hatte, schrie sie mit starker, schrillender Stimme, so oft sich ihr jemand näherte, und bis sie befriedigt wurde.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Sechster Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Dritter Band: Scharrvögel, Kurzflügler, Stelzvögel, Zahnschnäbler, Seeflieger, Ruderfüßler, Taucher. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 268-270.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Jean Paul

Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch

Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch

Als »Komischer Anhang« 1801 seinem Roman »Titan« beigegeben, beschreibt Jean Paul die vierzehn Fahrten seines Luftschiffers Giannozzos, die er mit folgenden Worten einleitet: »Trefft ihr einen Schwarzkopf in grünem Mantel einmal auf der Erde, und zwar so, daß er den Hals gebrochen: so tragt ihn in eure Kirchenbücher unter dem Namen Giannozzo ein; und gebt dieses Luft-Schiffs-Journal von ihm unter dem Titel ›Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten‹ heraus.«

72 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon