Baumkauz (Syrnium aluco)

[97] Die in Deutschland geeigneten Ortes überall vorkommende Art der Sippe ist der Wald- oder Baumkauz, Fuchs-, Nacht- und Brandkauz, Busch-, Stock-, Baum-, Weiden-, Maus-, Huhn-, Pausch-, Grab-, Geier-, Zisch-, Knarr-, Knapp-, Kirr-, Heul-und Fuchseule, Waldäufl, Kieder, Nachtrapp usw. (Syrnium aluco, stridulum, aedium und ulu lans, Strix aluco, stridula, sylvatica, alba und rufa, Ulula aluco). Der Kopf ist außergewöhnlich groß, die Ohröffnung aber minder ausgedehnt als bei anderen Arten der Familie, der Hals dick, der Leib gedrungen, der große, zahnlose Schnabel stark und sehr gekrümmt, der kräftige, dicht befiederte, kurzzehige Fuß mittellang, im Flügel die vierte Schwinge über die übrigen verlängert, der Schwanz kurz. Die Grundfärbung des Gefieders ist entweder ein tiefes Grau oder ein lichtes Rostbraun, der Rücken, wie gewöhnlich, dunkler gefärbt als die Unterseite, der Flügel durch regelmäßig gestellte lichte Flecken gezeichnet. Bei der roströthlichen Abart ist jede Feder an der Wurzel aschgraugilblich, gegen die Spitze hin sehr licht rostbraun, dunkel gespitzt und der Länge nach dunkelbraun gestreift, der Flügel dunkelbraun und röthlich gebändert und gewässert, der Schwanz, mit Ausnahme der mittelsten Federn, braun gebändert; Nacken, Ohrgegend und Gesicht sind aschgrau. Der Schnabel ist bleigrau, das Auge tief dunkelbraun, der Lidrand fleischroth. Die Länge beträgt vierzig bis achtundvierzig, die Breite etwa hundert, die Fittiglänge neunundzwanzig, die Schwanzlänge achtzehn Centimeter.

Das Verbreitungsgebiet des Waldkauzes erstreckt sich vom siebenundsechzigsten Grade nördlicher Breite bis Palästina. Am häufigsten tritt er in der Mitte, seltener im Osten, Süden und Westen Europas auf. In Italien, zumal im Westen und in der Mitte des Landes, ist er noch häufig, in Griechenland wie in Spanien eine höchst vereinzelte Erscheinung; in Sibirien fehlt er, soweit bis jetzt bekannt, gänzlich; in Palästina, beispielsweise auf den Cedern des Libanon, begegnete ihm Tristram regelmäßig. In Deutschland bewohnt er vorzugsweise Waldungen, aber auch Gebäude. Während des Sommers sitzt er, dicht an den Stamm gedrückt, in laubigen Baumwipfeln; im Winter verbirgt er sich lieber in Baumhöhlungen, meidet daher Waldungen [97] mit jungen und höhlenlosen Bäumen. An einem hohen Baume, welcher sich für ihn passend erweist, hält er mit solcher Zähigkeit fest, daß man ihn, laut Altum, bei jedem Spaziergange durch Anklopfen hervorscheuchen kann; ja einzelne derartige Bäume werden so sehr von ihm bevorzugt, daß, wenn der Inwohner geschossen wird, nach einiger Zeit jedesmal wieder ein anderer Waldkauz dasselbe Versteck als Wohnung sich ausersieht. Solche Eulenbäume stehen sowohl im Walde selbst als am Rande desselben, auch auf Oertlichkeiten an viel befahrenen Landwegen. Bestimmend für seinen Aufenthalt ist außerdem größerer oder geringerer Reichthum an entsprechender Beute. Wo es Mäuse gibt, siedelt sich der Waldkauz sicherlich an, falls die Umstände einigermaßen solches gestatten; wo Mäuse spärlich auftreten, wohnt er entweder gar nicht, oder wandert er aus.


Waldkauz (Syrnium aluco). 1/4 natürl. Größe.
Waldkauz (Syrnium aluco). 1/4 natürl. Größe.

Vor dem Menschen scheut er sich nicht, nimmt daher selbst in bewohnten Gebäuden Herberge, und wenn ein Paar einmal solchen Wohnsitz erkoren, findet das Beispiel sicherlich Nachahmung. Dann sieht man ihn des Nachts auf Dachfirsten, Schornsteinen, Gartenmauern und anderen Warten sitzen und von ihnen aus sein Jagdgebiet überschauen.

Der Waldkauz, dem Anscheine nach einer der lichtscheuesten Vögel, welche wir kennen, weiß sich jedoch auch am hellen Mittage so vortrefflich zu benehmen, daß man die vorgefaßte Meinung ändert, sobald man ihn genauer kennen gelernt hat. »Ich habe ihn«, sagt mein Vater, »mehrmals bei Tage in den Dickichten gesehen; er flog aber allemal so bald auf und so geschickt durch die Bäume, daß ich ihn nie habe erlegen können.« Die Possenhaftigkeit der kleinen Eulen und Tagkäuze [98] fehlt ihm gänzlich; jede seiner Bewegungen ist plump und langsam; der Flug, welcher unter starker Bewegung der Schwingen geschieht, zwar leicht, aber schwankend und keineswegs schnell; die Stimme, ein starkes, weit im Walde widerhallendes »Huhuhu«, welches zuweilen so oft wiederholt wird, daß es einem heulenden Gelächter ähnelt, außerdem ein kreischendes »Rai« oder wohltönendes »Kuwitt«. Daß er seinen Antheil an der »wilden Jagd« hat, unterliegt wohl keinem Zweifel, und derjenige, welchem es ergeht, wie einstmals Schacht, wird schwören können, daß ihn der wilde Jäger selbst angegriffen habe. »Einst«, so erzählt der eben genannte, »jagte mir ein Waldkauz durch sein Erscheinen nicht geringen Schrecken ein. Es war im Januar abends, als ich mich, ruhig mit der Flinte im Schnee auf dem Anstande stehend, urplötzlich von den weichen Flügelschlägen wie von Geistererscheinungen umfächelt fühlte. In demselben Augenblicke geschah es aber auch, daß ein großer Vogel auf meinen etwas tief über das Gesicht gezogenen Hut flog und daselbst Platz nahm. Es war der große Waldkauz, welcher sich das Haupt eines Menschenkindes zur Sitzstelle gewählt, um sich von hier aus einmal nach Beute umschauen zu können. Ich stand wie eine Bildsäule und fühlte es deutlich, wie der nächtliche Unhold mehrere Male seine Stellung veränderte und erst abzog, als ich versuchte, ihn für diese absonderliche Zuneigung an den Fängen zu ergreifen.«

Der Waldkauz frißt fast ausschließlich Mäuse. Naumann beobachtete allerdings, daß einer dieser Vögel nachts einen Bussard angriff, so daß dieser sein Heil in der Flucht suchen mußte, erfuhr ferner, daß ein anderer Waldkauz vor den Augen seines Vaters einen Seidenschwanz aus der Schlinge holte, und wir wissen endlich, daß die jungen Tauben in Schlägen, welche er dann und wann besucht, ebensowenig als die auf der Erde schlafenden oder brütenden Vögel verschont werden: Mäuse aber, und zwar hauptsächlich Feld-, Wald- und Spitzmäuse, bleiben doch die Hauptnahrung. Martin fand in dem Magen eines von ihm untersuchten Waldkauzes fünfundsiebzig große Raupen des Kieferschwärmers. »Eines Abends«, erzählt Altum, »befand ich mich an der Wienburg, eine kleine halbe Stunde von Münster. Das einstöckige Haus ist theilweise umgeben von Gärten, freien Plätzen und Nebengebäuden. Auf dem Hausboden befand sich das Nest des Waldkauzes mit Jungen. Der westliche Himmel war noch hell erleuchtet von den Strahlen der untergegangenen Sonne, als sich ein alter Kauz auf der Firste des Daches zeigte. Unmittelbar darauf nimmt der zweite auf dem Schornsteine Platz. Sie sitzen unbeweglich; doch der Kopf wendet sich ruckweise bald hierhin, bald dorthin. Plötzlich streicht der eine ab, überfliegt den breiten Hausboden und läßt sich jenseits am Rande des Gehölzes fast fenkrecht zu Boden fallen, um sofort mit seiner Beute, einer langschwänzigen Maus, also wohl Waldmaus, zurückzufliegen. Kaum ist er mit derselben unter dem Dache verschwunden, so streicht auch der zweite ab und kommt mit Beute beladen sofort zurück. Von da ab aber waren sie derart mit ihrer Jagd beschäftigt, daß im Durchschnitte kaum zwei Minuten zwischen dem Herbeitragen zweier kleinen Säugethiere verstrichen. Häufig hatten sie kaum ihre Warte eingenommen, so machten sie auch schon wieder einen erneuerten Jagdflug, und ich habe auch nie gesehen, daß sie auch nur ein einziges Mal vergeblich gejagt hätten. Endlich setzte die zunehmende Dunkelheit der Beobachtung ein Ziel.« Eigenthümlich für den Waldkauz ist, wie Liebe hervorhebt, und auch ich beobachtet habe, daß er immer eine bestimmte Stelle, beziehentlich einen bestimmten Baum aufsucht, um Gewölle auszuspeien. Am häufigsten liegen diese in der Nähe von weit in den Wald reichenden und in das freie Feld mündenden Wiesengründen, welche der Vogel des Nachts vorzugsweise aufsucht; man findet sie aber auch mitten in jungem Stangenholze, weit ab von jeder freien Stelle, und ebenso, wie ich hinzufügen will, unter einzelnen, weit vom Walde entfernten Waldbäumen. Wahrscheinlich wirst der Waldkauz das Gewölle besonders des Nachts aus, wenn er von der Jagd auf kurze Zeit an einem ihm besonders zusagenden, ungestörten Plätzchen ausruht.

Um die Zeit, wenn im Frühjahre die Waldschnepfen streichen, um die Mitte des März also, hört man, wie Naumann sagt, im Walde »das heulende Hohngelächter« unseres Waldkauzes [99] erschallen. Der Wald wird um diese Zeit laut und lebendig, da der Kauz selbst am Tage seine Erregung bekundet. Je nach dem Stande der Witterung und der Nahrung beginnt das Paar mit seinem Brutgeschäfte früher oder später, in den Rheinlanden zuweilen schon im Februar, in Mitteldeutschland meist im März, bei einigermaßen ungünstiger Witterung hier und selbst in Ungarn aber auch erst im April und sogar im Anfang des Mai. Eine Baumhöhle, welche dem brütenden Vogel leichten Zugang gewährt und ihn vor Regen schützt, wird zur Ablegung der Eier bevorzugt, eine passende Stelle im Gemäuer oder unter Dächern bewohnter Gebäude oder ein Raubvogelhorst, Krähen- oder Elsternest jedoch ebensowenig verschmäht. Im Neste selbst findet man zuweilen etwas Genist, Haare, Wolle und dergleichen, jedoch nur die Unterlage, welche auch der Vogel vorfand. Die zwei bis drei Eier sind rundlich, länglich oder eiförmig, rauhschalig und von Farbe weiß. Das Weibchen scheint allein zu brüten, und zwar, wie Päßler meint, sofort, nachdem es das erste Ei gelegt hat. Das Männchen hilft bei Auffütterung der Jungen, gegen welche beide Alten die größte Liebe an den Tag legen. Sobald die Jungen ihre volle Selbständigkeit erlangt haben, beginnen sie in der Gegend umherzustreichen, und wenn diese gerade arm an Mäusen ist, ziehen alle fort, wie man, laut Liebe, am sichersten an den Gewöllplätzen beobachten kann, indem man nach dem Wegzuge der Jungen auf allen alten Plätzen dieser Art frisches Gewölle, auf den neu angelegten hingegen keine mehr sieht.

Keine andere Eule hat von dem Kleingeflügel mehr zu leiden als der Waldkauz. Was Flügel hat, umflattert den aufgefundenen Unhold, was singen oder schreien kann, läßt seine Stimme vernehmen. Singdrossel und Amsel, Grasmücke, Laubvögel, Finke, Braunnelle, Goldhähnchen und wer sonst noch im Walde lebt und fliegt, umschwirrt den Lichtfeind, bald jammernd klagend, bald höhnend singend, bis dieser endlich sich aufmacht und weiter fliegt.

Gefangene können sehr zahm werden. Nach Liebe's Erfahrung eignet sich der Waldkauz unter allen Eulenarten am besten für die Aufzucht. Er scheut das Licht so wenig, daß er sich um Mittag ein warmes, sonnenbeschienenes Plätzchen auswählt und hier unter allerhand erheiternden Geberden die Sonne durch die gesträubten Federn hindurch auf die Haut scheinen läßt. Die Gesellschaft des Menschen erhält ihn den ganzen Tag übermunter, zumal wenn man sich Mühe gibt, mit ihm zu spielen, wofür er wenigstens in seinen ersten Lebensjahren ersichtlich dankbar ist. Hat man ihn jung aus dem Neste gehoben und ihn beim Aufziehen alltäglich zweimal auf der Faust gekröpft, so daß er das Futter mit dem Schnabel aus der Hand nehmen muß, so gewöhnt er sich bald derartig an den Gebieter, daß er ihm alle Liebkosungen erweist, welche er sonst unter Blinzeln, Gesichterschneiden und leisem Piepen nur seinesgleichen zu theil werden läßt. Liebe hat Käuze soweit gezähmt, daß sie auf seinen Ruf herbeiflogen, sich auf die Faust setzten und mit dem krummen Schnabel seinen Kopf krauten. »Vermöge der kleinen Muskeln, welche an den Federwurzeln angebracht sind«, schreibt mir der eben genannte, treffliche Beobachter, »haben die meisten Vögel ein Mienenspiel, welches sich am stärksten in der aufregenden Zeit der Paarung zeigt. Einige bringen es zu einer Fertigkeit, welche man geradezu Gesichterschneiden nennen muß. In hohem Grade ist auch der Gesichtsausdruck der Eule je nach den verschiedenen Gemüthsstimmungen veränderlich, und der Waldkauz kann das Gesicht in so außergewöhnliche Falten legen, daß man es kaum wieder erkennt. Bei schlechter Laune macht er dadurch, daß er die oberen Gesichtsfedern nach oben, die unteren nach unten streift und die Federn über den Augen zurückzieht, ein wirklich verdrießliches Gesicht, dessen Bedeutung auch dem Nichtkenner keinen Augenblick verborgen bleibt. Ist er zärtlich gestimmt, so gibt er durch Richtung der mittleren und seitlichen Gesichtsfedern nach vorn seinem Antlitze einen Ausdruck, welcher nach seiner Meinung zärtlich sein soll, durch das zugleich eintretende Blinzeln mit Augenlid oder Nickhaut jedoch etwas überaus komisches erhält. Mit seinesgleichen verträgt sich auch der gefangene Waldkauz vortrefflich, und zumal Geschwister, welche man gleichzeitig aufgezogen hat, gerathen auch dann nicht in Streit mit einander, wenn zwei gleichzeitig eine Maus ergriffen haben. Zwar zerren sie dann unter [100] eigenthümlich zirpendem Geschrei die streitige Beute hin und her, bis sie endlich dem einen zufällt, mißhandeln sich dabei aber nicht mit Bissen oder Fanghieben. Ihre Verträglichkeit gipfelt in den Liebkosungen, welche sie sich gegenseitig gewähren, indem sie mit dem Schnabel sanft im Nacken oder hinter den Ohren des anderen krauen.« Ganz ähnliche Beobachtungen habe ich an meinen Pfleglingen gewonnen. Einmal hielt ich ihrer sieben in einem und demselben Käfige. Hier lebten sie zwei Jahre im tiefsten Frieden, und auch unter ihnen machte sich, obgleich ich mir keinerlei Mühe mit ihrer Versittlichung gegeben hatte, Futterneid nicht bemerklich. Wenn der eine fraß, schauten die anderen zwar aufmerksam, aber sehr ruhig zu und eigentliche Kämpfe um die Nahrung kamen niemals vor. Anders benahmen sie sich einem Todten oder Kranken ihrer Art gegenüber. Ersterer wurde ohne Bedenken aufgefressen, letzterer grausam erwürgt. Ein Paar meiner Pfleglinge legte vier Eier und bebrütete sie lange Zeit unter Mithülfe von zwei seiner Käfiggenossen.

Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Fünfter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Zweiter Band: Raubvögel, Sperlingsvögel und Girrvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 97-101.
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