Eleonorenfalken (Falco Eleonorae)

[554] Auf den griechischen Inseln wird der Baumfalk durch den ihm im ganzen ähnlichen, aber sehr veränderlichen, um ein Fünftel größeren und dunkler gefärbten, unterseits auf lichtbraunem Grunde schwarz gefleckten Eleonorenfalken (Falco Eleonorae, arcadicus, concolor, dichrous und radama, Dendrofalco Eleonorae und arcadicus, Hypotriorchis Eleonorae) vertreten.

Europa, vom mittleren Skandinavien, Südfinnland und Nordrußland an bis Griechenland und Spanien, beherbergt diesen schnellsten unserer Edelfalken als Brutvogel. Außerdem bewohnt er ganz Mittelasien vom Ural bis zum Amur. Nach Süden hin wird er seltener, ist beispielsweise in Italien bis jetzt noch nirgends als Brutvogel nachgewiesen, sondern immer nur gelegentlich seiner Wanderungen beobachtet worden und tritt während des Sommers ebenso in Griechenland und Spanien nur sehr vereinzelt auf, so daß die Grenzen seines Brutgebietes den Balkan, die Alpen und Pyrenäen nur ausnahmsweise überschreiten. Auf dem Zuge berührt er Nordafrika höchst selten, kommt aber noch auf den Kanaren regelmäßig vor; in Indien hingegen erscheint er als Wintergast ziemlich häufig. Wirklich gemein soll er, laut Eversmann, in den Vorbergen und angrenzenden Steppen des Ural sein. In Deutschland bevorzugt er Feldhölzer und namentlich Laubwälder allen anderen Oertlichkeiten; in ausgedehnten Waldungen wird er nur auf dem Zuge bemerkt. Ebenso wie solche Wälder meidet er auch Gebirge, besucht es mindestens ausnahmsweise und immer nur einzeln. Häufig kann man ihn überhaupt nicht nennen, als selten freilich auch nicht bezeichnen. Im ebenen Norddeutschland findet man ihn regelmäßig, hier und da kaum seltener als den Thurmfalken, im Hügellande wenigstens an allen geeigneten Stellen, immer aber nur einzeln, so daß der Standort eines Paares von dem eines anderen oft durch viele Kilometer getrennt sein kann. Er ist bei uns ein Sommervogel, welcher uns im September und Oktober regelmäßig verläßt und im April wieder zurückkehrt.

In seinem Betragen zeichnet sich der Baumfalk in mancher Hinsicht vor anderen Edelfalken aus. »Er ist«, sagt mein Vater, »ein äußerst munterer, kecker und gewandter Raubvogel, welcher [554] sich in der Schnelligkeit seines Fluges mit jedem anderen messen kann. Sein Flug hat viel Aehnlichkeit mit dem der Schwalben. Er hält wie diese die Flügel meist sichelförmig, breitet den Schwanz wenig und ähnelt in seiner ganzen Haltung dem Mauersegler sehr. Verläßt er einen Baum, dann streicht er oft ganze Strecken, auf drei- bis vierhundert Schritte weit, fast ohne alle bemerkbare Flügelbewegung durch die Lüfte hin und nicht etwa wie die Bussarde oder Thurmfalken langsam, sondern sehr geschwind. Kommt er zu tief – denn er senkt sich bei diesem Hingleiten durch die Luft merklich –, dann kostet es ihm nur wenige Flügelschläge, und er hat seine vorige Höhe erreicht. So geht dieser herrliche Flug fort und entrückt den Falken in kurzer Zeit dem menschlichen Auge. Ist der gewöhnliche Flug schnell, so ist er beim Verfolgen eines Vogels reißend. Wie ein Pfeil schießt der Baumfalk hinter einer Rauchschwalbe her, und hat er freien Spielraum, sie zu verfolgen, dann ist sie verloren. Wir sahen das alte Männchen in nicht großer Entfernung stoßen. Es hatte dem kleinen Vogel, welchen es verfolgte, die Höhe abgewonnen und durch schnellen Schwingenschlag den zum Stoße nöthigen Schuß bekommen.


Baumfalk (Falco subbuteo). 1/3 natürl. Größe.
Baumfalk (Falco subbuteo). 1/3 natürl. Größe.

Jetzt legte es die Flügel zurück, und nachdem es zehn Meter weit in schiefer Richtung herabgefahren war, hatte es den Vogel schon ergriffen. Ein Grünspecht,[555] welcher eben unter dem Falken vorüberflog, gerieth über das Stoßen desselben in solche Angst, daß er laut aufschrie und in größter Hast in das nahe Dickicht stürzte.« Bei solchen Jagden vergißt er oft alle Scheu vor dem Menschen, eilt blindlings hinter den von ihm verfolgten Vögeln her und dringt dabei zuweilen in Häuser, selbst in das Innere eines fahrenden Wagens ein, falls seine geängstigte und verwirrte Beute hier wie dort Rettung sucht. Schwebend führt er die schönsten Schwenkungen mit der größten Leichtigkeit aus. Auf den Boden setzt er sich selten, vielmehr regelmäßig auf Bäume. Seinen Raub verzehrt er hier wie dort.

Männchen und Weibchen halten treu zusammen und treten im Herbste mit einander ihre Winterreise an. Sie rauben auch gemeinschaftlich, werden aber hierbei auf einander eifersüchtig und nicht selten mit einander uneinig. »Hiervon«, sagt mein Vater, »weiß ich ein Beispiel. Zwei Baumfalken jagten zusammen; der eine fing eine Schwalbe, ließ sie, während der andere herbeikam, fallen, stürzte hinter ihr drein und fing sie noch einmal. Jetzt verlangte der andere seinen Antheil an der Beute, der Besitzer derselben wollte ihm diesen nicht geben. Beide bissen sich mit einander herum und kamen so auf den Boden herab, wo der Sieger die Schwalbe ergriff und mit ihr in möglichster Schnelle davonflog, ehe der Besiegte recht zu sich kam.« Bei solchen Zänkereien geschieht es zuweilen, daß ein gefangener Vogel wieder frei kommt und glücklich entrinnt. Solche eheliche Zwiste abgerechnet, sind die Baumfalken sehr treue Gatten. Man sieht das Paar stets zusammen und einer der Gatten bemüht sich, den anderen zu erfreuen.

Die Stimme ist ein helles und angenehm klingendes »Gäth gäth gäth«, welches oft und schnell wiederholt wird. Während der Brutzeit vernimmt man ein helles »Gick«.

Der Baumfalk ist immer scheu und vorsichtig, bäumt deshalb zum Schlafen erst auf, wenn die Dunkelheit vollständig eingebrochen ist, und weicht jedem Menschen fast ängstlich aus. Sein ganzes Gebaren deutet auf hohen Verstand.

Wie schon Naumann hervorhebt, ist der Baumfalk der Schrecken der Feldlerchen. Er verschmäht aber auch andere Vögel keineswegs, und wird selbst den schnellen Schwalben gefährlich. »Die sonst so kecken Schwalben, welche so gern andere Raubvögel mit neckendem Geschrei verfolgen, fürchten sich auch so sehr vor ihm, daß sie bei seinem Erscheinen eiligst die Flucht ergreifen. Ich sah ihn zuweilen unter einen Schwarm Mehlschwalben fahren, die so darüber erschraken, daß einige von ihnen vom Schreck förmlich betäubt wurden, wie todt zur Erde herabstürzten und sich von mir aufnehmen ließen. Lange hielt ich sie in der offenen Hand, ehe sie es wagten, wieder fortzufliegen. Auch die Lerchen fürchten sich so vor ihrem Erbfeinde, daß sie, wenn er sie verfolgt, ihre Zuflucht oft zu den Menschen nehmen, den Ackerleuten und Pferden zwischen die Füße fallen und von Furcht und Schrecken so betäubt sind, daß man sie nicht selten mit den Händen fangen kann. Der Baumfalk fliegt gewöhnlich niedrig und schnell über der Erde hin. Wenn ihn im Frühlinge die Lerchen von weitem erblicken, so schwingen sie sich schnell in die Luft zu einer Höhe hinauf, daß sie das menschliche Auge kaum erreichen kann, und trillern eifrig ihr Liedchen, wohlbewußt, daß er ihnen in der Höhe nicht schaden kann, weil er, wie der vorhergehende, allemal von oben herab auf seinen Raub stößt und sie daher, wenn sie einmal in einer so beträchtlichen Höhe sind, niemals angreift. Es würde ihn, wenn er sie dann übersteigen wollte, zu viel Mühe und Anstrengung kosten. Die Schwalben verursachen bei seiner Ankunft einen großen Lärm, sammeln sich in einen Schwarm, und schwingen sich girbelnd in die Höhe. Auf die einzeln niedrig fliegenden macht er Jagd und fängt sie, auf dem Freien, auf vier bis zehn Stöße; stößt er aber öfters fehl, so wird er müde und zieht ab.«

Snell, ein sehr scharfer und gewissenhafter Beobachter, meint, daß der Baumfalk nur Mehlschwalben fangen könne, unsere Rauchschwalbe aber vor ihm sicher sei. »Ich habe«, sagt er, »das Verhalten der Schwalben genau ins Auge gefaßt. Sobald die Falken erschienen und ihre Schwenkungen in den Lüften begannen, ergriff alles in sichtlicher Angst die Flucht. Nur die Rauchschwalben flogen etwas höher als die übrigen umher, in einem fort warnend, und einzelne besonders kühne [556] aus der Gesellschaft stachen sogar nach den verhaßten Räubern. Doch geschah dies mit größter Eilfertigkeit und Vorsicht.« Nach neuerlichen Beobachtungen muß ich Snell hierin beistimmen. Auch ich habe in den letzten Jahren gesehen, daß Baumfalken von unseren Rauchschwalben verfolgt wurden, und genau dasselbe schreibt mir Eugen von Homeyer und W. von Reichenau. »Zur Zeit des Herbstzuges«, berichtet mir der letztere, »sah ich auf meinem damaligen Hofe Litzelnau im oberbayrischen Berglande einmal ein Dutzend Drosseln in rasender Eile dicht am Boden unter einer Obstbaumpflanzung dahinfliegen. Hierdurch aufmerksam gemacht, suchte ich nach dem Gegenstande ihres großen Schreckens und entdeckte in hoher Luft einen Baumfalken, welcher bald abwärts stieß. Durch die ausgebreiteten Aeste der sehr dicht stehenden Bäume verhindert, mußte er einhalten und flatterte über dem Baume hin. Jetzt erblickten ihn aber die im Hause nistenden Rauchschwalben mit den Jungen, gegen zwanzig an der Zahl. Sofort stürzten sie sich mit ohrbetäubendem Geschrei auf den Falken. Dieser, von den Flügelspitzen der Schwalben beständig berührt und umflattert, von den vielen ›Biwiß‹ ganz verwirrt, gab nicht nur seine Jagd auf, sondern kehrte sogar um und setzte sich auf den unteren Ast eines mir ganz nahe stehenden, kaum sechs Meter hohen Birnbaumes, in dessen Laubschmucke er förmlich Schutz suchte. Als er mich wahrnahm, strich er ab und flog nun eiligst unter den Obstbäumen dahin.« Gelegentlich seiner Jagden kommt er nicht bloß in Dörfer, sondern selbst in Städte hinein, streicht unter Umständen tief durch die Straßen, um dadurch die Schwalben aufzujagen, fängt eine von ihnen und zieht ab. Gelingt es ihm nicht, durch Ueberraschung zum Ziele zu gelangen, so hilft ihm seine unvergleichliche Schnelligkeit. Vor ihm flüchtende Schwalben sah Seidensacher in ihrer Todesangst in einem Binsenbusche sich verstecken und dadurch dem Falken entrinnen. Dieser ließ scheinbar von der Verfolgung ab, kreiste über dem Binsenbusche, hob sich höher und höher und flog endlich einige Schritte weit weg, um dort von neuem Schraubenlinien zu beschreiben. Kaum aber hatten die Schwalben, kühn geworden durch seine Abwesenheit, das Binsicht verlassen, als er wiederum unter sie herabschoß und einen Augenblick später inmitten der geängstigten Gesellschaft sich befand. Seine Jagd auf Schwalben gewährt ein prachtvolles Schauspiel. Regelmäßig vereinigen sich beide Gatten eines Paares, und während der eine die behenden Schwalben zu übersteigen sucht, hält sich der andere so viel als möglich unter denselben. Beide aber wechseln im Verlaufe der Jagd fortwährend ihre Rollen und entfalten dabei ebenso überraschende Flugkünste wie die geängstigten Schwalben. Unter gewissen Umständen vernichtet er so viele von unseren Haus- oder Mehlschwalben, daß man die Abnahme derselben deutlich merken kann; so große Verheerungen wie unter den Lerchen richtet er jedoch unter jenen wohl niemals an.

Während die Schwalben in ihm ihren Erzfeind erkennen, scheinen sich die Mauersegler nicht im geringsten um ihn zu kümmern. »In meinem früheren westpreußischen Reviere«, sagt Riesenthal in seinen »Raubvögeln Deutschlands«, einem der deutschen Jägerei und allen Naturforschern gewidmeten trefflichen Buche mit farbigen Abbildungen, »horstete ein Lerchenfalkenpärchen ganz in der Nähe der Brutstätten des Mauerseglers. Es waren hier also die gewandtesten und schnellsten Flieger Nachbarn. Die Falken belästigten die Segler, welche dicht beim Horste in ihre Brutlöcher in alten anbrüchigen Kiefern aus- und einflogen, gar nicht. Nur gelegentlich jagte einer hinter den schwarzen Gesellen her, und hatte er sie überholt, was immer geschah, so erscholl freudig über den Sieg sein helles ›Kick kick kick‹.« Es entspricht dem Wesen der fluggestählten Segler, sich durch solche Nachbarschaft nicht behelligen zu lassen, und den Falken mag es in den meisten Fällen wohl auch leichter sein, andere Beute zu gewinnen als einen der stürmischen Gesellen; gleichwohl ist erwiesen, daß er auch sie zu fangen vermag. »Er ist der einzige Raubvogel«, sagt schon Gloger, »welcher schon manchen der pfeilschnellen Mauersegler ereilt«, und »ich habe ihn einmal sogar einen Segler fangen sehen«, bestätigt Altum.

Selbstverständlich beschränkt er seine Jagden nicht auf Rauch- und Mehlschwalben, Segler und Feldlerchen allein, sondern raubt ebenso Heide- und Haubenlerchen oder im Süden Rußlands [557] und in den Steppen Tataren-, Kalander-, Weißflügel- oder sibirische und kurzzehige Lerchen, überhaupt alle Arten der Familie, mit denen er zusammenkommt, begnügt sich auch keineswegs immer mit so kleiner Beute, fängt vielmehr Vögel bis zu Wachtel- und Turteltaubengröße und stößt auf Rebhühner, ja sogar auf Kraniche. Alle Beobachter, welche ihn in der Winterherberge antrafen, heben hervor, daß er hier mit den Wachteln erscheint und verweilt; Sachse fand an einem Sommermorgen nach starkem Regen ein junges Männchen, welches eine Turteltaube ergriffen hatte, aber so durchnäßt worden war, daß es nicht auffliegen konnte und ergriffen wurde, und Oberjägermeister von Meyerinck, ein ebenso sicherer als bewanderter Beobachter, theilt mir mit, daß er ihn wiederholt auf Rebhühner stoßen sah. »Ich habe den Baumfalken öfters auch auf der Hühnerjagd im Herbste die Rebhühner verfolgen sehen. Im September 1876 erst schoß ich von einem auffliegenden Volke zwei Hühner, und als ich jenen nachsah, wohin es zöge, kam plötzlich ein Baumfalk, stieß zweimal, aber vergeblich, auf das Volk, bis die Hühner in einer Remise Schutz suchten. Als ich meine Jagd weiter fortsetzte, behielt ich zugleich diesen Falken im Auge. Da wollte es der Zufall, daß der mich begleitende Wagen wieder ein Volk Hühner aufjagte. Die Vögel strichen nicht weit an mir vorüber, aber so, daß ich nicht schießen konnte. Da stieß der Falk wieder wie ein Pfeil ziemlich hoch aus der Luft herab, um nochmals sein Jagdglück zu versuchen: ich aber erlegte ihn aus großer Entfernung. Es geht aus dieser und anderen wiederholten Beobachtungen hervor, daß der Baumfalk auch Rebhühner schlägt.« Letztere Annahme ist vielleicht doch nicht richtig; denn es liegen Beobachtungen vor, welche beweisen, daß der muthige und kühne Raubvogel auch aus reinem Uebermuthe Vögel behelligt, denen er offenbar nichts anhaben kann. »Der Baumfalk«, bemerkt Professor von Nordmann, »macht sich ein Vergnügen daraus, viel größere Vögel als er selbst zu verfolgen, obgleich er dieselben nicht verletzen, sondern höchstens behelligen kann. Namentlich die Jungfernkraniche sind seiner Bosheit ausgesetzt. In der Krim beobachtete ich ein Paar dieser Falken, welche aus reinem Uebermuthe einen Schwarm genannter Kraniche, welche sich in üblicher Weise mit Tanzen unterhielten, angriffen und anscheinend Spaßes halber bald auf den einen, bald auf den anderen der friedlichen Vögel stießen.« Im Einklange hiermit steht eine Angabe Glogers, daß er auch auf Eichhörnchen Angriffe versuche. Falls diese Angabe auf Beobachtung beruht, hat man unzweifelhaft ebenfalls nur Uebermuth seitens des Falken anzunehmen: ihm gegenüber möchte unser Eichhörnchen doch zu wehrhaft sein. Ich meine nun, daß es ähnliche Beweggründe sind, welche ihn verleiten, auch ein Volk Rebhühner zu beängstigen. Denn daß er diese Vögel, wenn sie erwachsen sind, schlagen sollte, bezweifle ich. Kleine Vögel bilden unter allen Umständen seine bevorzugte Beute. Eine Maus nimmt er, weil er ebensowenig wie der Wanderfalk auf den Boden stoßen kann, nur in sehr seltenen Fällen auf. Dagegen fängt er regelmäßig Kerbthiere im Fluge, namentlich Heuschrecken, Wasserjungfern und selbst die männlichen Ameisen, wenn sie schwärmen. Man hat mehrere erlegt, deren Kröpfe nur mit Kerfen angefüllt waren. Meines Vaters Beobachtungen erweisen, daß er die Käfer mit dem Schnabel, nicht aber mit den Fängen ergreift. »Ein Männchen verfolgte in unserer Gegenwart einen Roßkäfer in der Abenddämmerung. Es war dabei so eifrig, daß es bis auf zwanzig Meter über unserem Scheitel herabkam und wie ein Ziegenmelker rüttelte. Aber durch den Luftzug, welchen der Sturz des Baumfalken bewirkte, war der Käfer aus seiner Bahn gekommen, und so schnappte der Falk, welcher ihn mit dem Schnabel fangen wollte, vergeblich. Jetzt flog er hinter dem Käfer her, aber dieser bog zufällig auf die Seite aus und näherte sich der Erde, so daß der Vogel die Jagd auf ihn aufgeben mußte. Man sah es recht deutlich, daß ihm die zum Fange der Käfer nothwendigen Eigenschaften, ein weiter Rachen und ein Flug, welcher keinen starken Luftzug bewirkt, fehlen; einem Ziegenmelker wäre dieser Käfer schwerlich entgangen.«

Da dem Baumfalken erst der Spätfrühling und Frühsommer, nachdem die kleinen Vögel bereits ausgeflogen sind, so reichliche Beute gewähren, als er für seine begehrlichen Jungen herbeischaffen muß, schreitet er nicht vor der Mitte des Mai, meist im Juni und nicht selten erst Ende [558] Juli zur Fortpflanzung. Der Horst steht auf Bäumen, im Gebirge auch auf Felsen und in der Steppe jedenfalls hier und da auf dem Boden. Im ersteren Falle benutzt der Falk regelmäßig ein altes Krähennest zur Grundlage seines Horstes; doch geschieht es wohl auch, daß er diesen vom Grunde auf aus dürren Reisern erbaut und inwendig mit Haaren, Borsten und Moos auskleidet. Die vier bis fünf Eier haben längliche, ausnahmsweise auch rundliche Gestalt, sind vierzig bis dreiundvierzig Millimeter lang und zweiunddreißig bis dreiunddreißig Millimeter breit und auf weißlichem oder röthlichem Grunde mehr oder minder dicht mit sehr feinen, in einander verschwimmenden gelbröthlichen Unter- und deutlicheren und mehr gesonderten rothbräunlichen Oberflecken gezeichnet, einzelne so dicht, daß sie fast ziegelroth oder graubraun erscheinen. Von den Thurmfalkeneiern unterscheiden sie sich durch stärkere, weniger glänzende Schale und ansehnlichere Größe. Das Weibchen brütet ungefähr drei Wochen lang, wird aber währenddem vom Männchen gefüttert. »Sobald dieses mit einem gefangenen Vogel oder Käfer in die Nähe des Horstes kommt«, sagt mein Vater, »erhebt es seine laute Stimme, verläßt den Horst, fliegt seinem Männchen schreiend entgegen und verzehrt die Beute im Horste.« Erlegt man im Anfange der Brutzeit das Männchen, so fliegt das Weibchen augenblicklich aus, um sich ein anderes Männchen anzupaaren, erreicht seinen Zweck auch meist schon in den ersten Tagen. Stevenson berichtet von einem Weibchen, welches erst zur Brut gelangte, nachdem man ihm dreimal das Männchen weggeschossen hatte, und welches genöthigt war, einmal mit einem jungen noch unreifen Männchen sich zu verbinden. Beide Eltern lieben ihre Brut außerordentlich, verlassen sie nie und vertheidigen ihren Horst gegen jeden Feind, stoßen auch mit unvergleichlichem Muthe auf den den Horst erklimmenden Menschen herab, bis auf Meterweite am Haupte des gewaltigen Feindes vorüberfliegend. »Wir sahen«, erzählt Naumann, »den einzigen Jungen einer verspäteten Brut, ehe er noch fliegen konnte und aus dem Horste gestürzt war, unten am Fuße eines Baumes sitzend, von den Alten mit Futter versorgen und nicht davon ablassen, als wir ihn ein paar Mal, doch vergeblich, wieder in den Horst hatten setzen lassen.« Wie groß die Anhänglichkeit der Eltern an ihre Jungen ist, geht aus folgenden Beispielen hervor. Als Briggs einen Baumfalkenhorst bestieg, um sich der Jungen zu bemächtigen, wurde er zunächst mit lautem Geschrei der beiden Eltern begrüßt und dann in der erwähnten Weise fortwährend angegriffen. Glücklich mit seiner Beute wieder auf dem Boden angelangt, beschloß der Nesträuber, auch die Alten zu erlegen, setzte zu diesem Behufe die Jungen auf ein benachbartes freies Feld, stellte sich in der Nähe auf und machte sich zum Schusse fertig. Kaum vernahmen die alten Baumfalken das Geschrei ihrer Jungen, als sie wiederum erschienen und von neuem zum Angriffe schritten; dies aber geschah von einer so bedeutenden Höhe aus und mit so außerordentlicher Schnelligkeit, daß Briggs nicht im Stande war, einen Schuß abzugeben. Nach wiederholten Störungen der horstenden Baumfalken erfährt man, daß sie, ebenso wie Kolkraben, mit bemerkenswerther List und Klugheit ihre Jungen mit Futter versorgen, ohne sich selbst unvermeidlichem Tode auszusetzen. Sie erscheinen mit dem gefangenen Vogel in den Fängen, kreisen über dem Horste, halten einen Augenblick still und lassen den Vogel auf den Horst herabfallen. Erlegt man das Weibchen, so übernimmt das Männchen allein alle Mühwaltung der Aufzucht der Jungen und schleppt unverdrossen vom frühen Morgen bis tief in die Nacht hinein in reichlicher Fülle Atzung herbei. Anfänglich erhalten die jungen Baumfalken größtentheils wohl Kerbthiere, namentlich Libellen, Heuschrecken, Brach- und andere weichschalige Käfer, später kleine Vögel verschiedenster Art, insbesondere Lerchen und Schwalben. Im Anfange wissen sie noch nicht recht mit den ihnen gebrachten Vögeln umzugehen und lassen sie nicht selten von den hohen Bäumen, auf denen sie ihre Mahlzeit halten, herabfallen; später zerlegen, zerfleischen und verzehren sie die ihnen gebrachte Beute ebenso geschickt als rasch. Sind sie so weit erstarkt, daß sie kleine Ausflüge unternehmen können, so treiben sie sich in der Nähe des Horstes umher, versuchen ihre Fittige und ruhen nach kurzem Fluge bald auf dem Rande des Horstes, bald auf benachbarten Bäumen, machen auch wohl schon auf eine erspähte Heuschrecke [559] oder ein kleines Vögelchen Jagd. Noch lange aber sind die Eltern ihre wirklichen Ernährer. Fernsichtigen Auges schauen sie von ihrer Höhe aus dem Treiben der Alten zu. Freudengeschrei, welches sie ebenso gut zu deuten wissen, wie jeden anderen Laut ihrer Erzeuger, verkündet ihnen, daß letztere im Fange glücklich waren. Augenblicklich beantworten sie dasselbe, schwingen sich in die Luft und fliegen den Eltern entgegen. Wenn der futterbringende Alte und der zuerst bei ihm angekommene Junge fast sich berühren, nimmt jener den gefangenen Vogel aus den Fängen in den Schnabel und reicht ihn so dem geliebten Jungen dar, welcher ihn mit dem Schnabel ergreift, hierauf in seine Fänge nimmt und nunmehr dem sicheren Wohnorte zuträgt, woselbst er ihn auf einem hohen Baume verzehrt. Der gefällige Alte pflegt ihn dorthin zu begleiten, bald aber von neuem seine Jagd wieder aufzunehmen, um neue Beute herbeizuschaffen. Unter Umständen währt solches Wechselspiel bis in die tiefe Dämmerung fort; denn mit dem scheidenden Tage ermuntern sich die Kerbthiere, und damit wird es den Alten leicht, wenigstens Kleinwild zu erjagen. Sind die Jungen so weit im Fluge geübt, daß sie ihren Eltern auf weiterhin folgen können, so beginnen diese den in der Einleitung bereits flüchtig geschilderten regelrechten Unterricht, um die geliebten Kinder zur Selbständigkeit vorzubereiten. Rufend und schreiend fliegen beide Eltern in die Luft hinaus, rufend und schreiend folgt ihnen die junge Gesellschaft. Anfänglich ziehen jene in verhältnismäßig langsamem und einfachem Fluge dahin; bald aber beginnt der eine von ihnen allerlei Schwenkungen auszuführen, der andere thut dasselbe, und die Jungen folgen, anfänglich ersichtlich ungeschickt, im Verlaufe der Zeit aber mit von Tag zu Tag sich steigernder Gewandtheit. Eine Beute kommt in Sicht und wird rasch gefangen, entweder von einem Alten allein oder unter Mithülfe des zweiten. Sofort nach dem Fange erhebt sich der glückliche Jäger hoch in die Luft, übersteigt die Schar der Jungen und läßt nun die Beute fallen. Sämmtliche Jungen versuchen ihr Geschick, und alle gemeinschaftlich stürzen unter lautem Schreien dem fallenden Vogel nach. Gelingt es einem, ihn zu ergreifen, so trägt er ihn, nicht immer unbelästigt durch die anderen, einem geeigneten Baumaste zu, um ihn hier zu verspeisen; fehlen alle, so stößt der unter den Kindern einherfliegende zweite Gatte des Paares auf den Vogel, fängt ihn und steigt nun seinerseits über die Jungen empor, um das alte Spiel zu beginnen. So währen Lehre und Unterricht acht, vierzehn Tage, vielleicht auch drei Wochen fort, bis die Jungen hinlänglich geübt sind, um sich auf eigene Faust ihr tägliches Brod zu erwerben. Damit ist dann auch in der Regel die Zeit der Abreise gekommen, und alt und jung zieht, meist noch gemeinschaftlich, der Winterherberge zu, bereits getrennt aber im nächsten Frühjahre wieder heimwärts.

Auch der Baumfalk richtet nicht unbedeutenden Schaden an. Lenz rechnet ihm nach, daß er jährlich mindestens eintausendfünfundneunzig kleine Vögel vertilgt. Dafür ist er der liebenswürdigste Hausgenosse, welchen wir aus dieser Familie gewinnen können. »Ich habe«, sagt mein Vater, »nie einen Vogel gehabt, welcher mir mehr Freude gemacht hätte als mein zahmer Baumfalk. Wenn ich vor dem Stalle, in welchem er gehalten wurde, vorüberging, schrie er, noch ehe er mich sah, kam nach der Thüre geflogen, nahm mir einen Vogel ab und verzehrte ihn. Ging ich in den Stall, so setzte er sich mir auf die Hand, ließ sich streicheln und sah mich dabei mit treuherzigen Blicken an. Trug ich ihn in die Stube und setzte ihn auf den Tisch, so blieb er hier ruhig sitzen, verzehrte auch wohl in Gegenwart fremder Leute einen ihm dargereichten Vogel mit der größten Behaglichkeit. Wenn man ihn neckte oder ihm den Raub abnehmen wollte, zwickte er mit dem Schnabel, verwundete aber nie mit den Fängen. Jedermann, welcher diesen Falken sah, hatte ihn gern und freute sich, ihn zu liebkosen. Niemand wird es bereuen, einen Baumfalken gefangen zu halten. Er kennt seinen Herrn, weiß dessen Liebe zu schätzen und scheint ihm durch seinen Blick dafür zu danken.«

Ich kann diese Angaben meines Vaters nur bestätigen. Die Baumfalken, welche ich gehalten, haben auch mir stets die größte Freude bereitet, weil sie mir mit wahrer Liebe zugethan waren. Freunde von mir haben diesen Vogel ohne Mühe zum Aus- und Einfliegen gewöhnen können.

[560] »Mit dem, was der Altmeister, Vater Brehm, über den Baumfalken gesagt«, fügt Liebe vorstehendem hinzu, »hat er jedem Naturkundigen, welcher sich einmal die Mühe gegeben, einen jungen Baumfalken gut aufzuziehen, aus dem Herzen gesprochen. Diese Thiere halten sich in der Gefangenschaft, wohl wegen ihres harten, glatten Gefieders, schmucker und sauberer als irgend ein anderer Tagraubvogel und werden so außerordentlich zahm, daß sie ihre Räubernatur vollkommen abgelegt zu haben scheinen. Wären sie nicht zu schwierig zu gesunden Thieren aufzuziehen, so würden sie sich besser als eine andere Art unter allen mitteleuropäischen Verwandten zu Stubenvögeln eignen. Hat man bei der Aufzucht eines jungen Baumfalken weniger die möglichst weit geförderte Zähmung als vielmehr seine kräftige Entwickelung im Auge, so ist es gerathen, ihn spät aus dem Horste zu heben, etwa zu der Zeit, wo ihn die Ausbildung der Schwingen schon vor einem schweren Falle zu schützen vermag, ihm thunlichste Freiheit zu gewähren und ihn mit halb gerupften jungen Vögeln zu füttern; will man aber einen harmlosen Stubenvogel aus ihm gewinnen, so ist eine weit frühzeitigere Aushebung räthlich, und dies gerade macht gute Aufzucht sehr schwierig. Feingeschnittene Streifen Rindfleisch, abwechselnd mit Grillen, Heuschrecken und anderen Kerbthieren, welche vorher der Beine, Köpfe und Flügel entledigt wurden, sowie Mehlwürmer und, jedoch nur im Nothfalle, sogar Ameisenpuppen bilden die täglich dreimal zu reichende Mahlzeit und fein zerstampfte weiche Knochen und Federchen das nothwendige Gewürz dazu. Dabei hat man sich sorgfältig vor Ueberfütterung zu hüten und jeglichen Zug abzuhalten. Trotz aller Sorgfalt werden bei solcher Pflege doch noch einzelne Vögel knochen- oder lungenkrank; andere aber gedeihen trefflich, werden kräftig und dabei doch außerordentlich zahm und gutmüthig. Sollen sie weiterhin gesund bleiben und an Fluglust nichts einbüßen, so muß man sie täglich in einem großen Zimmer sich ein wenig ausfliegen lassen, wozu man sie erforderlichen Falles einfach dadurch nöthigt, daß man sie auf die Faust nimmt und letztere schnell abwärts bewegt. Man braucht dabei nicht zu fürchten, daß sie die Fänge einschlagen. Sie benehmen sich stets sehr manierlich und verletzen ihren Pfleger nie. Denn sie wissen ihn von anderen Menschen wohl zu unterscheiden und eilen ihm, wenn sie Hunger haben oder geliebkost sein wollen, gern von weitem entgegen. Ich habe dergleichen vollkommen flugfähige Falken frei auf der Faust in den Garten, in Abendzirkel, ja sogar des Nachts zu Vorlesungen vor größeren Versammlungen getragen, ohne daß es ihnen beigekommen wäre, abzufliegen oder sich überhaupt nur unbehaglich oder gar ängstlich zu gebaren. Sie spazierten oft genug bei Tage wie des Abends zwischen meinen sehr zahlreichen kleinen Vögeln umher und flogen dabei gelegentlich auf ein Gebauer, ohne irgendwie Jagd- und Raubgelüste zu zeigen. Ich habe sie freilich auch, nachdem sie flügge geworden waren, beständig aus der Hand mit kleinen Fleischstückchen gefüttert und habe nicht geduldet, daß ihnen Vögel oder Mäuse oder auch nur größere Stückchen Fleisches zum Zerreißen vorgelegt wurden. Nur Kerbthiere bekamen sie ganz; und sehr drollig steht es den gewaltigen Fliegern, wenn sie sich auf eine Heuschrecke stürzen, dieselbe kunstgerecht mit dem einen Fange in der Mitte des Leibes packen und zuerst den Kopf und dann Bruststück und Leib echt wohlschmeckerisch unter eigenthümlichem Lecken mit der Zunge behaglichst verzehren. Beine und Flügel werfen sie schnöde bei Seite. An geistiger Begabung stehen sie nach meinen Erfahrungen den anderen Falken etwas nach und weit hinter den Eulen zurück. Um nur eines zu erwähnen: einen Siegellacktropfen auf dem Tische halten sie immer wieder für ein Stückchen Fleisch und lassen sich durch allwöchentliche wiederholte Erfahrung nicht auf die Dauer belehren, daß hier nichts für ihren sonst so wählerischen Schnabel vorliegt. Eine einzige derartige Erfahrung witzigt eine Eule, möge sie einer Art angehören, welcher sie wolle, für die ganze Zeit ihres Lebens.«

Während der Blüte der Falkenjagd wurde auch unser Baumfalk abgetragen und zur Baize auf Wachteln und anderes Kleingeflügel benutzt, soll auch von einzelnen Falknern so weit gebracht worden sein, daß er sogar wilde Gänse am Halse packte und so lange quälte, bis sie mit ihm zum Boden herabfielen; demungeachtet scheint er in der Falknerei eine besondere Rolle nicht [561] gespielt zu haben und mehr seiner jeden Beobachter erfreuenden Fluggewandtheit als der eigentlichen Baize halber gehalten worden zu sein. »Der Baumfalk«, sagt unser alter Freund Geßner, auf Stumpff sich stützend, »ist ein gantz adelicher Vogel, und ob er gleich von seiner kleine und schwäche wegen nit fast zum Federspiel gebraucht wird, ist er doch gantz zahm und gütig, also daß er auf das freie Feldt oder in die Wälder gelassen, wiederumb zu seinem Herrn kompt. Und ist dieser streit und kampff, den er mit den Tulen hält, sehr lustig zu sehen.«


*


Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 554-562.
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