Chimango (Milvago Chimachima)

[730] Als Vertreter der Sippe der Geierbussarde (Milvago) mag der Chimango (Milvago Chimachima und ochrocephalus, Polyborus und Haliaëtus Chimachima, Falco degener und crotophagus, Gymnops strigilatus) gelten. Ihn und seine Sippschaftsverwandten kennzeichnen folgende Merkmale. Der Schnabel ist gestreckt schwach, kurzhakig, am Rande des Oberkiefers ohne Zahn, die Wachshaut ziemlich breit, vor dem runden, mit erhabenem Rande umgebenen Nasenloche ausgebuchtet, der Fuß mittelhoch und schlank, im Lauftheile nur wenig befiedert, der mäßig lange Fang mit ziemlich starken und gekrümmten Krallen bewehrt, der Flügel, in welchem die vierte Schwinge die längste, zugespitzt, der Schwanz mäßig lang und etwas zugerundet, das Gefieder auch in der Kehlgegend dürftig entwickelt.

Beim alten Chimango ist die allgemeine Färbung schmutzigweiß; ein Streifen vom Auge nach dem Hinterkopfe, Rücken, Flügel und Schwanz sind dunkelbraun, die vier vordersten Schwingen in ihrer Mitte an beiden Fahnen weiß und dunkel punktirt, wodurch ein lichtes Querband entsteht, die übrigen Schwingen an der Wurzel gelblichweiß, schwärzlich in die Quere gestreift, in der Spitzenhälfte schwarzbraun, die Schwanzfedern mit Ausnahme der breiten schwarzbraunen Spitze, auf weißlichem Grunde schmal schwarzbraun gebändert. Das große Auge ist graubraun, der Schnabel an der Wurzel blaß bläulichweiß, an der Spitze lichter, der Fuß blaßbläulich, die Wachshaut, der Zügel, das Augenlid, eine schmale Einfassung des Auges und die Kinnhaut sind orangegelb. Männchen und Weibchen unterscheiden sich wenig in der Färbung. Das letztere ist [730] schmutziger, und die Binden im Schwanze sind breiter; auch haben die hinteren Schwungfedern weiße Spitzenränder.


Geierbussard (Ibycter ausralis) und Chimango (Milvago Chimachima). 1/4 natürl. Größe.
Geierbussard (Ibycter ausralis) und Chimango (Milvago Chimachima). 1/4 natürl. Größe.

Bei jungen Vögeln sind Oberkopf und Wangen dunkelbraun, die Seiten und der Hintertheil des Halses gelblichweiß und dunkelbraun gefleckt, die Mantelfedern dunkelbraun, einzelne röthlich gerandet, die Deckfedern der Flügel roth- und schwarzbraun in die Quere gebändert, die Kehlfedern schmutzigweißlich, die der Brust schwärzlichbraun, alle in der Mitte gelblich längsgestreift, Bauchfedern gilblich. Die Länge beträgt achtunddreißig, beim Weibchen vierzig, die Breite einundachtzig, beziehentlich dreiundachtzig, die Fittiglänge fünfundzwanzig bis sechsundzwanzig, die Schwanzlänge sechzehn bis siebzehn Centimeter.

Der Chimango verbreitet sich über einen großen Theil Südamerikas. In Brasilien ist er überall häufig, in Guayana vorzugsweise auf die Steppe, namentlich ausgetrocknete Sümpfe beschränkt, in Chile gemein, auf Chiloe ein unsäglich häufiger Vogel, an der Küste von Patagonien und auf dem Feuerlande immer noch eine regelmäßige Erscheinung. Am liebsten hält er sich in offenen, ebenen Gegenden, zumal Viehtriften auf. Auf Chiloe sieht man ihn auf allen Dächern sitzen oder jedem Pfluge folgen. Auch an der Meeresküste findet er sich regelmäßig ein; im Gebirge hingegen [731] kommt er nur bis zu einem gewissen Höhengürtel vor. Sein Gang auf dem Boden ist sicher, der Flug nicht sehr schnell, weil das Schweben durch ziemlich viele Flügelschläge unterbrochen wird. Man sieht ihn geradeaus von einer Stelle zur anderen fliegen, öfters paarweise, oft allein, aber nie in Flügen oder Gesellschaften. Zänkisch im hohen Grade, liegt er mit seinesgleichen und Verwandten fortwährend im Streite, lebt aber mit anderen, nicht zu seiner Ordnung gehörigen Vögeln in leidlich gutem Einvernehmen. Er frißt, wie Darwin behauptet, alles, selbst das Brod, welches mit dem Kehrichte aus dem Hause geworfen worden ist, oder rohe Kartoffeln, welche er nicht bloß bei den Häusern wegstiehlt, sondern sogar ausscharrt, kurz nachdem sie gepflanzt worden sind. Er ist der letzte Vogel, welcher das Gerippe eines Aases verläßt: man sieht ihn oft innerhalb der Bauchhöhle einer Kuh oder eines Pferdes, wie einen Vogel in einem Käfige. Würmer und Kerbthierlarven bilden zeitweilig ein leckeres Gericht für ihn, und auf den Hausthieren findet er sich regelmäßig ein, um Läuse und andere Kerbthiere oder deren Maden von ihnen abzulesen. In den Sümpfen sucht er Schnecken und Lurche zusammen; an der Meeresküste klaubt er Seethiere aller Art auf, welche die Flut an den Strand warf. Vögel und Säugethiere scheint er nicht zu jagen. Alle Forscher fanden in dem Magen der von ihnen getödteten nur weiße Maden und Würmer, Schnecken und Fische, niemals aber Spuren von gefressenen Vögeln. Er wird lästig durch seine diebische Frechheit, noch viel lästiger aber durch seinen feinen, hell schreienden, oft wiederholten Pfiff, welcher zuweilen geradezu betäubend wirken kann.

Im September und Oktober entfernt er sich ein wenig von den Wohnungen, um auf einem passenden Baume seinen Horst, einen großen, aber niedrigen und oben platten Bau aus Reisern und Wurzeln zu er richten. Das Gelege besteht, nach d'Orbigny, aus fünf bis sechs sehr rundlichen Eiern, welche auf röthlichem oder lichtgraulichem Grunde mit rothen und dunkelbraunen Flecken und Tupfen, am dicken Ende gewöhnlich etwas dichter als an der Spitze, im ganzen aber sehr unregelmäßig bedeckt sind. Während der Brutzeit ist der Chimango geselliger und verträglicher als sonst und zeigt sich seinen Jungen gegenüber sehr zärtlich. Sobald dieselben sich selbst erhalten können, kehrt er alle Rauhigkeiten seines Wesens wieder heraus.


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Quelle:
Brehms Thierleben. Allgemeine Kunde des Thierreichs, Vierter Band, Zweite Abtheilung: Vögel, Erster Band: Papageien, Leichtschnäbler, Schwirrvögel, Spechte und Raubvögel. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1882., S. 730-732.
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